25. September 2020
BGB § 2327

Anrechnung von Eigengeschenken; maßgeblicher Wert eines Landgutes; Ertragswertprivilegierung

BGB § 2327
Anrechnung von Eigengeschenken; maßgeblicher Wert eines Landgutes; Ertragswertprivilegierung

I. Sachverhalt
Eltern haben ihrem Sohn ein landwirtschaftli­ches Anwesen übertragen. Der Übergabevertrag enthält eine Ertragswertklausel gem. § 2312 Abs. 2 BGB und eine Pflichtteilsanrechnungsklausel (§ 2315 Abs. 1 BGB). Später übertragen sie ihrer Tochter ein Haus.

II. Frage
Wird das landwirtschaftliche Anwesen nach § 2327 BGB zum Verkehrswert oder zum (niedrigeren) Ertragswert angerechnet, wenn der Sohn wegen der Hausübertragung auf die Tochter Pflichtteilsergänzungsansprüche (§§ 2325 ff. BGB) oder Pflichtteilsrestansprüche (§ 2305 BGB) geltend macht?

III. Zur Rechtslage
1. Anrechnung von Eigengeschenken im Rahmen der Pflichtteilsergänzung
Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, kann der Pflichtteilsberechtigte nach § 2325 Abs. 1 BGB vom Erben als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.

In diesem Zusammenhang muss sich der Pflichtteilsberechtigte nach § 2327 Abs. 1 BGB auch sog. Eigengeschenke anrechnen lassen. Nach § 2327 Abs. 1 BGB ist dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte selbst ein Geschenk vom Erblasser erhalten hat, dieses Geschenk in gleicher Weise wie das dem Dritten gemachte Geschenk dem Nachlass hinzuzurechnen und zugleich dem Pflichtteilsberechtigten auf die Ergänzung anzurechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zeitschranke des § 2325 Abs. 3 BGB für diese sog. Eigengeschenke nicht gilt (vgl. nur Soergel/Dieckmann, BGB, 13. Aufl. 2002, § 2327 Rn. 5 m. w. N.). Es ist also gleichgültig, ob die Schenkung innerhalb der Frist von zehn Jahren vor dem Erbfall oder früher erfolgte.

Im Rahmen des § 2327 BGB bedarf es – anders als beim ordentlichen Pflichtteil nach § 2315 BGB – auch keiner Anrechnungsbestimmung des Erblassers. Liegt ein i. S. v. § 2315 BGB anrechnungspflichtiges Geschenk vor (so auch im vorliegenden Fall), muss sich der Zuwendungsempfänger allerdings nach § 2327 Abs. 1 S. 2 BGB die Zuwendung auf den Gesamtbetrag von ordentlichem Pflichtteil und Ergänzung anrechnen lassen.

2. Anrechnungspflichtiger Wert des Eigengeschenks
Für die Berechnung unterscheiden § 2327 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB danach, ob das Eigengeschenk anrechnungspflichtig i. S. v. § 2315 BGB ist oder nicht.

Spielen Anrechnung und Ausgleichung keine Rolle, ist nach h. M. so zu verfahren, dass sämtliche Geschenke (also Dritt- und Eigengeschenke) dem Nachlass hinzugerechnet werden, und zwar mit den sich aus § 2325 Abs. 2 BGB ergebenden Wertansätzen (Niederstwertprinzip) und inflationsbereinigt (vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.8.2020, § 2327 Rn. 7). Von dem hiernach ermittelten Ergänzungspflichtteil wird das Eigengeschenk abgezogen.

Hat der Erblasser wie im vorliegenden Fall eine Anrechnung der Zuwendung auf den Pflichtteil i. S. v. § 2315 Abs. 1 BGB angeordnet, ist das Geschenk nach § 2327 Abs. 1 S. 2 BGB auf den Gesamtbetrag des Pflichtteils und der Ergänzung anzurechnen. Wie (d. h. mit welchem Wert) die Anrechnung konkret zu erfolgen hat, regelt das Gesetz allerdings nicht. Demzufolge werden in der Literatur auch verschiedene Berechnungsmethoden vertreten. Nach wohl h. M. wird der Ergänzungspflichtteil nicht aus der Differenz zwischen dem nach § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB um den Wert des Eigengeschenks bereinigten Gesamtpflichtteil und dem nach den §§ 2303, 2311 BGB ermittelten ordentlichen Pflichtteil errechnet, sondern wegen des nunmehr anzurechnenden Eigengeschenks aus der Differenz zwischen dem gem. § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB bereinigten Gesamtpflichtteil und dem jetzt nach § 2315 BGB zu berechnenden (verkürzten) Pflichtteil (vgl. BeckOGK-BGB/A. Schindler, Std.: 1.6.2020, § 2327 Rn. 32).

Dabei ist umstritten, welcher Bewertungszeitpunkt im Rahmen von § 2327 Abs. 1 S. 2 BGB maßgeblich ist. Die überwiegende Ansicht vertritt, dass das Eigengeschenk mit dem sich aus § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB ergebenden Wert zum Zeitpunkt der Schenkung anzusetzen ist, während die Gegenansicht § 2325 Abs. 2 BGB mit dem Niederstwertprinzip anwendet (vgl. BeckOGK-BGB/A. Schindler, § 2327 Rn. 33 m. w. N.).

Neben der Berechnungsmethode und dem Bewertungszeitpunkt wird in der Literatur – soweit ersichtlich – nicht explizit erörtert, mit welchem Wert das Eigengeschenk angerechnet wird, ob also eine etwaige Wertprivilegierung i. S. v. § 2312 BGB insoweit eine Rolle spielen kann oder nicht. Die Rechtslage ist daher insoweit unsicher.

Aus unserer Sicht dürfte sich die Lösung der aufgeworfenen Frage aus dem Schutzzweck des § 2312 BGB herleiten lassen. § 2312 BGB ist nach h. M. eine agrarpolitische Schutzvorschrift und enthält für landwirtschaftliche Anwesen eine Privilegierung hinsichtlich der Pflichtteilsbewertung, indem für die Pflichtteilsberechnung der weichenden Erben nicht der Verkehrswert des Landguts, sondern (nur) der Ertragswert herangezogen wird, sofern der Erblasser dies angeordnet hat (vgl. nur BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 2312 Rn. 1 m. w. N.).

Rechtsfolge einer entsprechenden Anordnung des Erblassers und des Eingreifens des Tatbestands des § 2312 BGB ist, dass „für die Berechnung des Pflichtteils“ die Ertragswertprivilegierung eingreift. Dabei ist an die Berechnung der gegen den Landgutübernehmer/Erben gerichteten Pflichtteilsansprüche der weichenden Erben gedacht (vgl. nur MünchKommBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, § 2312 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2312 BGB Rn. 2). Die Vorschrift dient u. E. jedoch nicht dazu, dem Erben bzw. Landgutübernehmer einen Vorteil ggü. dem Erben bzw. den anderen Pflichtteilsberechtigten dadurch zu verschaffen, dass seine eigenen Pflichtteilsansprüche bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche nur auf Basis des niedrigeren Ertragswertes statt des echten Verkehrswertes des Landgutes errechnet werden.

Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 2312 BGB als agrarpolitischer Schutzvorschrift gehen wir daher davon aus, dass die Privilegierung nur im Rahmen der Berechnung von gegen den Erben bzw. Übernehmer gerichteten Pflichtteilsansprüchen eingreift, nicht aber im Rahmen der Berechnung eigener Pflichtteilsansprüche des Erben/Übernehmers. Aus unserer Sicht dürfte daher auch im Rahmen des § 2327 BGB davon auszugehen sein, dass das Landgut, das das anzurechnende Eigengeschenk darstellt, mit seinem Verkehrswert und nicht nur mit seinem Ertragswert in die Berechnung einzustellen wäre.

Eine explizite Stellungnahme in Rechtsprechung und Literatur ließ sich zur Frage allerdings leider nicht ermitteln, sodass eine gewisse Rechtsunsicherheit bestehen bleibt.

Gutachten/Abruf-Nr:

175933

Erscheinungsdatum:

25.09.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Pflichtteil

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 147-149

Normen in Titel:

BGB § 2327