BGB § 2314
Notarielles Nachlassverzeichnis: Aufnahme einer Lebensversicherung mit Todesfallleistung
I. Sachverhalt
Der Erblasser hatte eine Todesfallversicherung bei der Versicherungsgesellschaft S. Danach ist Begünstigte für den Todesfall die Ehefrau des Erblassers. Die Versicherung wurde nach dem Todesfall an die Witwe (und Erbin) ausgezahlt.
Die Erbin beauftragt den Notar mit der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses.
II. Frage
Muss der ausgezahlte Betrag der Todesfallversicherung oder die Versicherung als solche mit in das Nachlassverzeichnis aufgenommen werden? Die Erbin wünscht dies nicht.
III. Zur Rechtslage
1. Zweck des Nachlassverzeichnisses
Das notarielle Nachlassverzeichnis dient der Erfüllung des Auskunftsanspruchs aus § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser soll den Pflichtteilsberechtigten in die Lage versetzen, über die Geltendmachung seines Pflichtteilsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach zu entscheiden. Daher sind im Nachlassverzeichnis alle Positionen aufzuführen, die bei der Berechnung des Pflichtteils von Bedeutung sein können. Neben Aktiva und Passiva hat es – falls es der Pflichtteilsberechtigte (wie regelmäßig) fordert (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2007, 881, 882 m. w. N.) – auch die fiktiven Nachlassaktiva zu enthalten, einschließlich ergänzungspflichtiger Zuwendungen und Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers. Auf Verlangen muss im Hinblick auf § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB weitere Auskunft erteilt werden, so auch über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus über sämtliche Ehegattenschenkungen und unbenannte Zuwendungen, die wie Schenkungen behandelt werden (vgl. Kuhn/Trappe, ZEV 2011, 347, 349 f.). Letztlich sind daher im Nachlassverzeichnis alle tatsächlichen und fiktiven Nachlassgegenstände, die sich auf etwaige Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche auswirken können, einzeln und übersichtlich aufzuführen (vgl. G. Müller, in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017, § 10 Rn. 172).
2. Pflichtteilsrelevanz von Lebensversicherungsleistungen
Ist im Lebensversicherungsvertrag einem Dritten ein Bezugsrecht eingeräumt, so handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter. Hieraus folgert die h. M., dass die Versicherungssumme im Todesfall nicht in den Nachlass des Versicherungsnehmers fällt (vgl. BGH NJW 1995, 3113). Bei Eintritt des Versicherungsfalls durch den Tod der versicherten Person erwirbt vielmehr der bezugsberechtigte Dritte einen Leistungsanspruch gegen das Versicherungsunternehmen. Damit der Rechtserwerb im Verhältnis zum Erben des Versprechensempfängers Bestand hat, muss im sog. Valutaverhältnis ein Rechtsgrund zum Behaltendürfen bestehen. Handelt es sich dabei (wie häufig) um eine Schenkung, so ist die entsprechende Zuwendung grundsätzlich auch im Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen gem. § 2325 BGB zu berücksichtigen (vgl. MünchKommBGB/Lange, 7. Aufl. 2017, § 2325 Rn. 36; BeckOK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.2.2019, § 2325 Rn. 13). Insoweit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung mittlerweile geklärt, dass – zumindest bei widerruflichen Bezugsrechten – eine Ergänzung nicht hinsichtlich der ausgezahlten Versicherungssumme (Bereicherung des Beschenkten), sondern hinsichtlich des sog. Rückkaufswerts im Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls verlangt werden kann (BGH DNotZ 2011, 129 = DNotI-Report 2010, 116; vgl. dazu auch Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2325 Rn. 13). Die Pflichtteilsergänzung betrifft daher regelmäßig nicht die geleisteten Prämien oder die ausgezahlte Versicherungssumme, sondern lediglich den Rückkaufswert, der im Allgemeinen erst auf den Todesfall zu ermitteln ist.
3. Aufnahme der Lebensversicherung in das Nachlassverzeichnis
Da Zuwendungen aus Lebensversicherungen grundsätzlich pflichtteilsrelevant sein können, sind sie u. E. auch in das notarielle Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Lebensversicherungsleistung mangels Benennung eines Bezugsberechtigten in den Nachlass des Erblassers fällt (und dort gem. § 2311 BGB zur Berechnung des ordentlichen Pflichtteils herangezogen werden kann), sondern auch dann, wenn infolge der Benennung eines Bezugsberechtigten ein Vertrag zugunsten Dritter (auf den Todesfall) gegeben ist; insoweit können nämlich – wie oben ausgeführt – Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht kommen.
Ob die Zuwendung im konkreten Fall tatsächlich Pflichtteilsergänzungsansprüche auslöst, prüft das Prozessgericht. Dies ist nicht Aufgabe des Notars, der das Nachlassverzeichnis erstellt.
Gleiches gilt für die Ermittlung des Werts. Denn nach h. A. ist der Auskunftsanspruch vom Wertermittlungsanspruch nach § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB zu trennen und der Notar (entgegen der womöglich a. A. des OLG Koblenz DNotZ 2014, 780) nur zum Verzeichnis des Nachlassbestands verpflichtet, nicht zur Bewertung der einzelnen Nachlassgegenstände (vgl. Hager, DNotZ 2014, 783; G. Müller, MittBayNot 2015, 151).