UmwG §§ 20, 54; GmbHG § 16
Verschmelzung einer GmbH zur Aufnahme auf eine andere GmbH; Beteiligung materiell-rechtlich nicht berechtigter Gesellschafter; Scheingesellschafter; Up-Stream-Merger; Tochter-Mutter-Verschmelzung; Pflicht zur Anteilsgewährung
I. Sachverhalt
Die B-GmbH wurde auf die A-GmbH verschmolzen. Zur Vereinfachung der Verschmelzung hatten die Gesellschafter der B-GmbH zuvor ihre Anteile an der B-GmbH auf die A-GmbH übertragen und so ein Mutter-Tochter-Verhältnis geschaffen.
Nach Vollzug der Verschmelzung haben sich die Anteilsabtretungen als unwirksam erwiesen.
II. Fragen
1. Ist die Verschmelzung durch die Registereintragung geheilt?
2. Wer ist an der A-GmbH beteiligt?
III. Zur Rechtslage
1. Vorbemerkung
Unterstellt man, dass die Anteilsveräußerer zum Zeitpunkt der Verschmelzung noch (unerkannt) materiell-rechtliche Gesellschafter der B-GmbH waren und dass man beim Verschmelzungsvertrag und den zugehörigen Beschlüssen dennoch die Alleingesellschafterstellung der A-GmbH vorausgesetzt hat, dann ist die Situation vergleichbar mit dem in der Literatur diskutierten Fall des „unerkannten“ oder „unbekannten“ Gesellschafters der zu verschmelzenden Gesellschaft. Dabei muss man für die Beantwortung der Fragen zwischen der Wirksamkeit der Verschmelzung als solcher und den Rechtsfolgen für die (wahren) Gesellschafter unterscheiden.
Zu den aufgeworfenen Rechtsfragen fehlt es bisher – soweit ersichtlich – an Rechtsprechung; es finden sich lediglich wenige kontroverse Stellungnahmen in der Literatur. Dies ist bei den folgenden Ausführungen zu berücksichtigen.
2. Wirksamkeit der Verschmelzung
Nach § 16 Abs. 1 GmbHG gelten der Gesellschaft gegenüber nur diejenigen Personen als Gesellschafter, die in der ins Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste als Gesellschafter eingetragen sind. Wenn diese formell ausgewiesenen Gesellschafter am Beschluss der übertragenden GmbH über die Zustimmung zur Verschmelzung mitwirken, ist der Beschluss wirksam und sogar fehlerfrei, und zwar unabhängig davon, ob materiell-rechtlich noch andere Gesellschafter existieren. Ob nach der Abtretung der Geschäftsanteile an der B-GmbH eine entsprechende Gesellschafterliste im Handelsregister aufgenommen wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.
Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Verschmelzung kann diese Frage u. E. jedoch offenbleiben. Denn selbst ein – unterstellt – unwirksamer Beschluss ließe die Wirksamkeit der Verschmelzung unberührt. Eine mangelhafte Verschmelzung wird nach § 20 Abs. 2 UmwG durch ihre Eintragung im Handelsregister wirksam. Allerdings würde der materiell-rechtliche Fehler nicht geheilt, sondern die Verschmelzung nur bestandskräftig. Der Gesetzgeber beabsichtigte nicht, eine Heilungsvorschrift für fehlerhafte Rechtshandlungen einzuführen (Winter, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 8. Aufl. 2018, § 20 UmwG Rn. 111). § 20 Abs. 2 UmwG normiert nur die dingliche Bestandskraft der eingetragenen Umwandlung, hat also Konstitutivwirkung dergestalt, dass die Wirksamkeit der Umwandlung nach der Eintragung außer Streit gestellt ist (Winter, § 20 UmwG Rn. 110, 112 m. w. N.). Damit ist nach Eintragung der Verschmelzung die Wirksamkeit des Umwandlungsvorgangs nicht dadurch gefährdet, dass die Geschäftsanteile davor materiell-rechtlich noch den ehemaligen Gesellschaftern gehörten und nicht der A-GmbH.
Diese konstitutive Wirkung besteht also unabhängig davon, ob Rechtshandlungen im Rahmen des Umwandlungsverfahrens mit Mängeln behaftet sind; es kommt auch nicht darauf an, wie schwer diese Mängel wiegen (OLG Hamburg DNotZ 2009, 227; Lieder, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 8, 5. Aufl. 2018, § 4 Rn. 41). Eine Ausnahme wird im Rahmen des § 20 UmwG nur in krassen Fällen anerkannt, etwa wenn eine Umwandlungsform gewählt wird, die dem UmwG fremd ist (vgl. zur Rechtsprechung Widmann/Mayer/Vossius, Umwandlungsrecht, Std.: 4/2018, § 20 UmwG Rn. 388 ff.).
3. Folgen für die Gesellschafterstellung bei der A-GmbH
a) Einordnung des Problems
Im Anschluss stellt sich allerdings die Frage, wie sich die Fehlerhaftigkeit auf den Gesellschafterkreis der aufnehmenden Gesellschaft auswirkt. Grundsätzlich gilt bei der Verschmelzung die Pflicht zur Anteilsgewährung: Die Altgesellschafter der übertragenden GmbH müssen im Zuge der Verschmelzung Anteile am übernehmenden Rechtsträger erhalten. Diese Pflicht ergibt sich aus §§ 2, 5 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG sowie im Umkehrschluss aus §§ 54 Abs. 1, 68 Abs. 1 UmwG. In der Regel wird ihr durch Kapitalerhöhung bei der aufnehmenden Gesellschaft Genüge getan.
Eine Kapitalerhöhung darf bei der aufnehmenden GmbH jedoch nicht durchgeführt werden, soweit sie Anteile eines übertragenden Rechtsträgers innehat (sog. Up-Stream-Merger, § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwG). Es dürfen und müssen in diesem Fall also keine neuen Anteile geschaffen werden (vgl. auch § 20 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 UmwG). Dies führt dazu, dass die in der Praxis besonders häufige Verschmelzung einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft auf die Mutter-GmbH ohne Kapitalerhöhung bei der Mutter durchgeführt wird. Das Verbot der Kapitalerhöhung besteht allerdings nur, soweit die übernehmende GmbH Anteile an der übertragenden GmbH hält. Sind auch Dritte am übertragenden Rechtsträger beteiligt, so bleibt es für diese Dritten – außer bei einem Verzicht gem. § 54 Abs. 1 S. 3 UmwG – bei der Pflicht zur Anteilsgewährung.
b) Literaturstimmen
Vorliegend wurden – in Unkenntnis der tatsächlich materiell Berechtigten – keine Anteile für die tatsächlichen Gesellschafter der B-GmbH geschaffen und dementsprechend wurde auch die Anteilsgewährpflicht nicht erfüllt. In der Literatur finden sich unterschiedliche Auffassungen dazu, wie dieses Problem zu bewältigen ist. An Rechtsprechung fehlt es, soweit ersichtlich.
Leyendecker-Langner (ZGR 2015, 516, 528 ff.) differenziert zwischen der Verschmelzung ohne und der Verschmelzung mit Kapitalerhöhung. Bei der Abwärtsverschmelzung (Down-Stream-Merger) halte die übertragende Gesellschaft selbst Anteile an der übernehmenden Gesellschaft, auf die sie verschmolzen werde. Daher sei ein automatischer Anteilserwerb beim Scheingesellschafter nicht mit dem umwandlungsrechtlichen System zu vereinbaren. Die Angaben zu Herkunft und Zuweisung der zu gewährenden Mitgliedschaftsrechte im Verschmelzungsvertrag seien rein schuldrechtlicher Natur und nicht geeignet, die gesetzliche Zuordnung nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG zu beeinflussen. Letztere Norm stelle unabhängig von einer etwaigen gegensätzlichen Zuordnung im Verschmelzungsvertrag oder Verschmelzungsbeschluss allein auf die materielle Rechtslage ab. Dies ergebe sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der auf die „Anteilsinhaber der übertragenden Rechtsträger“ und nicht auf die in Vertrag oder Beschlussurkunde genannten Personen abstelle. Die Wortlautauslegung werde durch den verschmelzungsrechtlichen Kontinuitäts- oder Mitgliedschaftsperpetuierungsgrundsatz gestützt. Für den Untergang ihrer Mitgliedschaftsrechte am übertragenden Rechtsträger erhielten die bisherigen Anteilsinhaber als Kompensation gleichwertige Anteile oder Mitgliedschaften am übernehmenden Rechtsträger.
Bei der – auch im konkreten Fall gegebenen – Aufwärtsverschmelzung (Up-Stream-Merger) werde die übertragende Gesellschaft auf ihre Gesellschafter, ggf. den Scheingesellschafter verschmolzen. In diesem Fall müsste nach der materiellen Rechtslage eine Kapitalerhöhung in dem Umfang erfolgen, in dem der tatsächliche Gesellschafter am übertragenden Rechtsträger beteiligt sei, sofern ein Verzicht gem. § 54 Abs. 1 S. 3 UmwG fehle. Anders als bei der Abwärtsverschmelzung könne sich bei der Aufwärtsverschmelzung die Mitgliedschaft am übertragenden Rechtsträger nicht automatisch am übernehmenden Rechtsträger fortsetzen, da keine entsprechenden Anteile existierten. Eine Anteilsgewährung ohne Kapitalerhöhung sei ausgeschlossen.
Westermann und Hornung (GmbHR 2017, 626, 629) befürworten bei einer Verschmelzung ohne Kapitalerhöhung einen endgültigen Anteilsverlust. Es sei eine Abweichung vom Grundsatz der Mitgliederkontinuität gerechtfertigt (speziell zum Meinungsstand beim Down-Stream-Merger und zu möglichen Kondiktionsansprüchen Westermann/Hornung, GmbHR 2018, 840).
Laut Heidinger (in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 20 UmwG Rn. 53) ist für die Zuweisung der neuen Mitgliedschaft grundsätzlich die materielle Rechtslage zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verschmelzung durch ihre Eintragung im Handelsregister entscheidend. Durch die Regelung im Verschmelzungsvertrag könne ein materiell-rechtlich berechtigter Gesellschafter nicht ohne seine Mitwirkung durch Wirksamwerden der Verschmelzung seine Mitgliedschaft endgültig verlieren oder ein außenstehender Dritter und bisheriger Nichtgesellschafter ohne Weiteres mit materieller Wirkung hinzukommen. Auch § 16 Abs. 1 GmbHG, der (nur) die relative Gesellschafterstellung des in der Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafters bei der GmbH unwiderleglich vermute, verschaffe dem „Scheingesellschafter“ keine materielle Gesellschafterstellung. Heidinger (in: MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 222) stellt die Verschmelzung in eine Reihe mit der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln: Träten die Rechtsfolgen für den Gesellschafter kraft Gesetzes ein, so erlange der materiell berechtigte Gesellschafter die zusätzliche oder neue Gesellschafterposition, nicht der nach § 16 Abs. 1 GmbHG legitimierte Scheingesellschafter. Der Sonderfall der Tochter-Mutter-Verschmelzung wird zwar an diesen Stellen nicht ausdrücklich behandelt. Für die Verschmelzung ohne Anteilsgewährung befürwortet Heidinger (in: Henssler/Strohn, § 20 UmwG Rn. 53a) jedoch den Verlust der Beteiligung beim wahren Inhaber des Gesellschaftsanteils – mit Ausgleichsansprüchen auf gesellschaftsrechtlicher Ebene.
Nach Schothöfer (GmbHR 2003, 1321, 1326 f.) können die Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft auch im Rahmen der Anteilszuweisung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 UmwG die neuen Anteile nur so erlangen, wie dies im Verschmelzungsvertrag vorgesehen ist. Dies führe dazu, dass der wahre materiell-rechtliche Gesellschafter, wenn ihm im Rahmen der Verschmelzung keine Anteile zugewiesen würden, nicht Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft werden könne. Sein Anteil an der übertragenden Gesellschaft, die erlösche, gehe daher insoweit ersatzlos unter. Für die Zuweisung der Anteile am aufnehmenden Rechtsträger will Schothöfer die Regelungen des UmwG, wonach die Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft Anteilsinhaber der übernehmenden Gesellschaft werden, aus Gründen der Rechtssicherheit formal so verstehen, dass die Anteilsinhaber stets die wirksam gem. § 16 Abs. 1 GmbHG legitimierten Gesellschafter sind.
c) Ergebnis
Im Ergebnis ist die Rechtslage mangels Rechtsprechung und angesichts streitiger Literaturmeinungen derzeit offen und unsicher. Unseres Erachtens kann die Frage nach der Anteilszuweisung für die „normale Verschmelzung“ mit neu gewährten Anteilen im vorliegenden Fall offenbleiben. Jedenfalls im konkret gegebenen Fall des Up-Stream-Merger, bei dem keine neuen Anteile geschaffen werden, ist es aber rechtstechnisch nicht zu erklären, welche Anteile die wahren Gesellschafter der B-GmbH erhalten sollen. Daher ist u. E. davon auszugehen, dass diese ihre dingliche Berechtigung an der B-GmbH verlieren und auch keine neue dingliche Berechtigung an der A-GmbH erwerben. Die Verschmelzung ohne Gewährung von Anteilen hat u. E. Ähnlichkeit mit dem Fall, dass die Listengesellschafter die GmbH auflösen und liquidieren. Die wahren Gesellschafter sind folglich auf die Geltendmachung von Schadensersatz- oder Kondiktionsansprüchen angewiesen (vgl. ausführlich hierzu Westermann/Hornung, GmbHR 2017, 626, 629 ff.).