BGB § 311b
Erbschaftsvertrag über künftigen testamentarischen Erbanteil
I. Sachverhalt
M und ihr bereits vorverstorbener Ehemann haben sich in einem gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Zu Schlusserben haben sie ihre drei gemeinsamen Kinder (darunter S) zu gleichen Teilen bestimmt. Regelungen zu einer Ersatzerbfolge bzw. zu Abänderungsvorbehalten wurden nicht getroffen. Nunmehr möchte S mit seinen drei Kindern (also den Enkeln der M) eine Regelung dahingehend treffen, dass diese sich verpflichten, sich um M zu kümmern und diese zu pflegen. Als Gegenleitung möchte S seinen Kindern seinen künftigen Erbanteil am Nachlass der M übertragen.
II. Frage
Ist eine entsprechende Vereinbarung zwischen S und seinen Kindern gem. § 311b Abs. 5 BGB möglich oder greift hier das Verbot nach § 311b Abs. 4, da zwar alle Vertragsbeteiligten potentielle gesetzliche Erben sind, aber der Vater die Kinder von der Erbfolge ausschließt?
III. Zur Rechtslage
1. Verbot des § 311b Abs. 4 BGB
Die Wirksamkeit einer notariell beurkundeten Vereinbarung über den Nachlass eines noch lebenden Dritten (sog. Erbschaftsvertrag), hier also jenen der Mutter des S, ist am Maßstab des § 311b Abs. 4, 5 BGB zu messen.
Gem. § 311b Abs. 4 S. 1 BGB ist ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten nichtig. Das gleiche gilt von einem Vertrag über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten (§ 311b Abs. 4 S. 2 BGB). Hier soll ein Vertrag über den Erbteil am Nachlass der noch lebenden Mutter des S geschlossen werden. Ein Vertrag über den Nachlass eines noch lebenden Dritten liegt daher vor.
2. Zulässige Erbschaftsverträge nach § 311b Abs. 5 BGB
Erbschaftsverträge sind jedoch nach Maßgabe des § 311b Abs. 5 BGB zulässig, wenn der Vertrag unter den künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil eines von ihnen geschlossen wird. Ein solcher Vertrag bedarf gem. § 311b Abs. 5 S. 2 BGB der notariellen Beurkundung.
a) Die Ausnahme des § 311b Abs. 5 BGB greift jedoch nur dann ein, wenn alle Vertragsschließenden – abstrakt betrachtet – künftige gesetzliche Erben desjenigen sind, auf dessen Nachlass sich der Vertrag bezieht (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 311b Rn. 73). Das bedeutet, dass die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses künftige gesetzliche Erben sein müssen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie die nächsten gesetzlichen Erben des künftigen Erblassers sind (Henssler, RNotZ 2010, 221, 233; Palandt/Grüneberg, § 311b Rn. 73). Auch in der gesetzlichen Erbfolge weiter entfernte Personen, die aktuell durch vorrangige gesetzliche Erben ausgeschlossen wären, sind gesetzliche Erben (Staudinger/Schumacher, BGB, 2018, § 311b Abs. 4, 5 Rn. 24; BeckOGK-BGB/Schreindorfer, Std.: 1.6.2019, § 311b Rn. 466.1; BeckOK BGB/Gehrlein, Std.: 1.5.2019, § 311b Rn. 51 m. w. N.). Gesetzlicher Erbe i. S. v. § 311b Abs. 5 BGB ist der potentielle gesetzliche Erbe i. S. d. §§ 1924 ff. BGB auch, wenn er in einer Verfügung von Todes wegen als Erbe eingesetzt wird (so bereits RGZ 98, 330, 331 ff.; BGH NJW 1988, 2726, 2727; BGH NJW 1956, 1151; 1152; Staudinger/Schumacher, § 311b Abs. 4, 5 Rn. 25; BeckOGK-BGB/Schreindorfer, § 311b Rn. 466.1).
Im vorliegenden Fall sind im dargelegten Sinne sowohl der S als auch dessen drei Kinder potentielle gesetzliche Erben. Dass die drei Kinder des S durch diesen nach § 1924 Abs. 2 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen wären, macht die Kinder des S nicht zu ungeeigneten Vertragspartnern i. S. v. § 311b Abs. 5 BGB. Es ist nach dem zuvor Gesagten nicht Voraussetzung des § 311b Abs. 5 BGB, dass nach dem Erbfall letztlich alle Vertragspartner (gesetzliche oder testamentarische) Erben werden. Dies ergibt sich schon aus § 311b Abs. 5 S. 1 Var. 2 BGB, der auch Verträge über den Pflichtteil eines geeigneten Vertragspartners zulässt. Die Pflichtteilsberechtigung setzt nach § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB gerade eine testamentarische Enterbung voraus. Im Ergebnis sind daher nach unserer Einschätzung sowohl der S als auch dessen drei Kinder durch § 311b Abs. 5 BGB zulässige Parteien eines Erbschaftsvertrages.
b) Ausweislich des Wortlauts bezieht sich § 311b Abs. 5 BGB auf einen Vertrag „über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil“. Er erfasst aber auch alle anderen Rechtsgeschäfte, die im weitesten Sinne den Nachlass betreffen (BGHZ 26, 320; BGH NJW 1995, 448). Dazu zählen nach allgemeiner Ansicht bspw. Auseinandersetzungsvereinbarungen zwischen künftigen gesetzlichen Erben (vgl. Limmer, DNotZ 1998, 927, 933; Palandt/Grüneberg, § 311b Rn. 73; MünchKommBGB/Ruhwinkel, 8. Aufl. 2019, § 311b Rn. 137).
Durch den BGH entschieden wurde mittlerweile, dass ein Erbschaftsvertrag auch über einen testamentarischen Erbteil gem. § 311b Abs. 5 BGB zulässig sein kann (BGH DNotZ 1989, 169; a. A. noch RGZ 98, 330). Nach Auffassung des BGH kommt es nicht darauf an, ob ein Erbteil kraft Gesetzes oder kraft testamentarischer Erbfolge erlangt wird. Das Merkmal des gesetzlichen Erbteils sei lediglich als quantitative Beschränkung zu verstehen. § 311b Abs. 5 BGB sei demnach bis zur Höhe des gesetzlichen Erbteils auch auf Verträge über testamentarische Erbteile anwendbar (vgl. auch dazu MünchKommBGB/Ruhwinkel, § 311b Rn. 139; Staudinger/Schumacher, § 311b Abs. 5 Rn. 34). Im vorliegenden Fall geht es um den testamentarischen Erbteil des S in Höhe von einem Drittel. Dieser entspricht der Höhe nach seinem gesetzlichen Erbteil, falls gesetzliche Erbfolge nach der Mutter des S eintreten würde (§ 1924 Abs. 1, 4 BGB). Die nach Auffassung der Rechtsprechung in § 311b Abs. 5 S. 1 BGB zu erblickende quantitative Begrenzung ist hier also eingehalten.
Zu beachten ist allerdings noch, dass § 311b Abs. 5 BGB lediglich schuldrechtlich wirkende Verträge zulässt. Eine dinglich wirkende, bereits jetzt zu vereinbarende und mit dem Erbfall automatisch wirksam werdende antizipierte Abtretung des gesetzlichen (oder des testamentarischen) Erbteils ist nach dem Standpunkt der h. M. nicht möglich. Verfügungsgeschäfte über den Nachlass eines Dritten sind vor dessen Tod grundsätzlich unwirksam. Eine dinglich wirkende Erbteilsabtretung ist erst mit dem Erbfall möglich (s. nur BGH DNotZ 1989, 169; BGH NJW 1962, 1910; Palandt/Grüneberg, § 311b Rn. 75; BeckOGK-BGB/Schreindorfer, § 311b Rn. 478; dagegen für Zulassung der Vorausabtretung eines Erbanteils: Staudinger/Schumacher, § 311b Abs. 4, 5 Rn. 33 m. w. N.).
Eine Vereinbarung, wonach der S seinen Kindern seinen künftigen Erbanteil am Nachlass der Mutter überträgt und diese Übertragung mit dem Erbfall automatisch wirksam werden würde, ist wegen der Nichtzulassung von Verfügungsgeschäften durch § 311b Abs. 5 BGB nach h. M. also nicht möglich. Begründbar und durch § 311b Abs. 5 BGB zugelassen wäre allein eine schuldrechtliche Verpflichtung, wonach der S seinen Erbteil am Nachlass seiner Mutter nach Eintritt des Erbfalls an seine Kinder zu gleichen Teilen zu übertragen hat. Das entsprechende Vollzugsgeschäft (Erbteilsübertragung nach § 2033 BGB) ist damit zwingend erst nach dem Erbfall möglich (vgl. BGH DNotZ 1989, 169, 170; BGH NJW 1974, 43, 44; RGZ 71, 131, 136). Mit der Klarstellung, dass zu Lebzeiten der Mutter lediglich eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Erbteilsübertragung begründet werden kann, wäre die beabsichtigte Vereinbarung aber mit § 311b Abs. 5 BGB vereinbar.