02. Februar 2024
BGB § 2346 Abs. 2; BGB § 2351

Entfall eines Pflichtteilsverzichts bei Ausübung eines Rückforderungsrechts; Aufhebung eines Pflichtteilsverzichts nach dem Tod des Verzichtenden

BGB §§ 2346 Abs. 2, 2351
Entfall eines Pflichtteilsverzichts bei Ausübung eines Rückforderungsrechts; Aufhebung eines Pflichtteilsverzichts nach dem Tod des Verzichtenden

I. Sachverhalt
Eltern haben ihre Immobilie auf ihren Sohn übertragen. In der Überlassungsurkunde wurde ein Rückforderungsrecht u. a. für den Fall des Vorversterbens des Sohnes vereinbart. Ferner hat der Sohn in der Urkunde unter dem Gliederungspunkt „Gegenleistungen“ mit Wirkung für sich und seine Abkömmlinge einen Pflichtteilsverzicht gegenüber dem Erstversterbenden seiner Eltern abgegeben. Der Pflichtteilsverzicht war aufschiebend bedingt auf die Eigentumsumschreibung im Grundbuch. Beim Rückforderungsrecht ist lediglich geregelt, dass die Pflichtteilsanrechnung im Falle der Rückforderung entfällt, bezüglich des Pflichtteilsverzichts ist nichts geregelt.

Der Sohn ist verstorben. Die Eltern verlangen von den Erben (Schwiegertochter und Enkelkinder) die Rückübertragung. Die Erben wollen die Immobilie nur zurückübertragen, wenn dafür auch der Pflichtteilsverzicht entfällt.

II. Fragen
1. Entfällt der Pflichtteilsverzicht durch die Ausübung des Rückforderungsrechts?

2. Ist eine Aufhebung des Pflichteilsverzichts mit den Enkelkindern möglich?

III. Zur Rechtslage
1. Bestand eines Pflichtteilsverzichts des Erwerbers bei Ausübung eines Rückforderungsrechtes
Kommt es zur Rückübertragung aufgrund eines vorbehaltenen Rückforderungsrechts und fehlt eine ausdrückliche vertragliche Regelung hinsichtlich des Bestands des Pflichtteilsverzichts des Erwerbers, so ist der diesbezügliche Wille der Parteien im Wege der Auslegung zu ermitteln. Ein verbindliches Auslegungsergebnis kann unsererseits freilich nicht ermittelt werden, allerdings können Aspekte dargelegt werden, die bei der Auslegung gegebenenfalls zu beachten sein dürften.

Zunächst ist auf eine Entscheidung des OLG München (MittBayNot 2015, 240 ff.) hinzuweisen. Dort gelangte das Gericht im Wege der Auslegung ohne ausdrückliche Regelung im Vertrag zu dem Ergebnis, der Pflichtteilsverzicht der Geschwister stehe unter der auflösenden Bedingung der Ausübung eines vertraglich vorbehaltenen Rückforderungsrechts wegen Vorversterbens des Übernehmers. Dafür genügte dem OLG München im Wesentlichen schon der enge innere und inhaltliche Zusammenhang der Grundstückübertragung mit dem Pflichtteilsverzicht, den es aus der Zusammenfassung in einer notariellen Urkunde entnahm.

Bereits früher hat das OLG München (ZEV 2007, 493, 495) entsprechend im Fall einer Pflichtteilsanrechnung argumentiert: Die Anrechnung nach § 2315 BGB setze voraus, dass die lebzeitige Zuwendung eines Pflichtteilsberechtigten den Nachlass mindere. Daran fehle es, wenn eine Rückübertragung des überlassenen Gegenstandes auf den Übergeber erfolge. Die Judikatur des OLG München ist in der Literatur vielfach zustimmend, wenn auch mit leicht kritischen Anmerkungen zur Begründung aufgenommen worden (Weidlich, MittBayNot 2015, 193, 199 f.; BeckOGK-BGB/Everts, Std.: 1.12.2023, § 2346 Rn. 54 f.; Keim, notar 2015, 18).

Keim (notar 2015, 18) geht davon aus, dass eine auflösende Bedingung auch für einen Pflichtteilsverzicht anzunehmen sei, den der Erwerber selbst in einem Übergabevertrag abgebe. Durch dessen Vorversterben werde der erklärte Pflichtteilsverzicht nicht irrelevant, da er sich – sofern nicht ein anderes bestimmt sei – auch auf dessen Abkömmlinge erstrecke, § 2349 BGB. Eine Aufrechterhaltung des Verzichts benachteilige die Abkömmlinge bei Rückgabe des übertragenen Grundbesitzes.

Weidlich (MittBayNot 2015, 193, 196) führt hingegen aus, dass man bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung im Übergabevertrag nicht davon ausgehen könne, dass ein Pflichtteilsverzicht des Erwerbers automatisch mit der Rückübertragung entfalle. Anders als die Pflichtteilsanrechnung sei der Pflichtteilsverzicht nicht denknotwendig mit einer Zuwendung verbunden. Der abstrakte Pflichtteilsverzicht als solcher stelle vielmehr nur das Erfüllungsgeschäft dar. Sein Bestand könne zwar von der Wirksamkeit des Kausalgeschäfts und dem Bestand einer Zuwendung abhängig gemacht werden. Die Annahme eines solchen Bedingungszusammenhangs könne aber nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür seien konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Einheitlichkeitswillens der Vertragspartner notwendig. Es reichten weder ein bloß wirtschaftlicher Zusammenhang noch ein äußerer Zusammenhang durch die Aufnahme beider Rechtgeschäfte in einer Urkunde aus. Die Verknüpfung beider Geschäfte stelle daher eine Ausnahme dar, die näher begründet werden müsse. Weidlich empfiehlt daher, den Pflichtteilsverzicht ausdrücklich aufzuheben (§ 2351 BGB) oder seine Gegenstandslosigkeit zu bestätigen.

Insgesamt erscheint die vom OLG München befürwortete ergänzende Auslegung als recht weitgehender Eingriff in die wegen der Beurkundungspflicht des Pflichtteilsverzichtes zwingend unter den Direktiven des § 17 BeurkG stehende Vertragsgestaltung – wenn auch mit einem dem Gerechtigkeitsfühl entsprechenden Ergebnis. Es ist daher zu empfehlen, die Frage einer auflösenden Bedingtheit von Pflichtteilsverzicht und Pflichtteilsanrechnung samt der Gegenleistungsproblematik ausdrücklich im Überlassungsvertrag zu regeln (vgl. Keim, notar 2015, 18).

Im vorliegenden Fall spricht für die Annahme einer auflösenden Bedingung insbesondere die Tatsache, dass die Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichts bereits an die Eigentumsumschreibung auf den Sohn geknüpft wurde. Der Verzicht sollte also nur gelten, wenn der Sohn (bzw. sein Stamm) den Grundbesitz tatsächlich erhält. Auch die Verortung des Pflichtteilsverzichts des Sohnes unter dem Gliederungspunkt „Gegenleistungen“ spricht u. E. für die Annahme eines entsprechenden Zusammenhangs. Schließlich deutet auch der Umstand, dass nach dem Vertrag eine Pflichtteilsanrechnung im Fall der Rückforderung entfällt, darauf hin, dass für diesen Fall keine pflichtteilsmindernden Konsequenzen gewünscht waren und lediglich eine ausdrückliche Regelung betreffend den Pflichtteilsverzicht vergessen wurde.

2. Aufhebung des Pflichtteilsverzichts nach dem Tod des Verzichtenden
Fraglich ist, ob eine Aufhebung des Pflichtteilsverzichts nach dem Vorversterben des Verzichtenden überhaupt noch möglich wäre. Gem. § 2351 BGB kann ein Erbverzichtsvertrag durch notariell beurkundeten Vertrag aufgehoben werden. Diese Vorschrift gilt für alle Arten von erbrechtlichen Aufhebungsverträgen, egal, ob es sich um einen Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht, das Pflichtteilsrecht oder eine Zuwendung aufgrund Verfügung von Todes wegen handelt (vgl. Staudinger/Schotten, BGB, 2022, § 2351 Rn. 5).

Soweit es – wie im vorliegenden Fall – nur um die Beseitigung der Wirkungen des Pflichtteilsverzichts auf die Abkömmlinge geht, läge an sich die Annahme nahe, dass auch die betroffenen Abkömmlinge in eigener Person mit dem Erblasser einen Aufhebungsvertrag schließen könnten. Dennoch geht die wohl h. M. davon aus, dass der Aufhebungsvertrag gem. § 2351 BGB grundsätzlich nur durch die Parteien des Pflichtteilsverzichtsvertrages geschlossen werden kann, d. h. – rein zeitlich gesehen – noch zu Lebzeiten beider Partner geschlossen und wirksam geworden sein muss, und dass zudem das Recht des Verzichtenden nicht auf seine gesetzlichen Erben übergeht und auch sonst nicht übertragbar ist (vgl. BGH NJW 1998, 3117; OLG Köln ZEV 2021, 635, 636; Weidlich, MittBayNot 2015, 193, 198; Keim, NotBZ 1999, 1, 3). Mittlerweile mehren sich aber die Stimmen, die eine Aufhebung des Erb- oder Pflichtteilsverzichts auch nach dem Tod des Verzichtenden für zulässig erachten (vgl. Staudinger/Schotten, § 2351 Rn. 177; MünchKommBGB/Wegerhoff, 9. Aufl. 2022, § 2351 Rn. 3 m. w. N.).

Da die höchstrichterliche Rechtsprechung und auch die wohl (noch) h. M. eine Aufhebung des Pflichtteilsverzichts nach dem Tod des Verzichtenden ablehnen, sollte eine solche Beurkundung zumindest nicht ohne entsprechende Belehrungen erfolgen.

Ergänzend besteht die Möglichkeit, durch eine erbrechtliche Regelung zwischen den Eltern als Erblassern und den Kindern bzw. Enkeln jenen die gleichen Rechte am Nachlass des Erstversterbenden zu verschaffen, wie dies bei einer Aufhebung des Pflichtteilsverzichts der Fall wäre. In Betracht dürfte dafür in erster Linie die Anordnung eines (vertragsmäßigen) besonderen Pflichtteilsvermächtnisses kommen, das hinsichtlich seines Entstehungstatbestandes nicht an den gesetzlichen Pflichtteil allein anknüpft, sondern hierfür besondere Tatbestandsvoraussetzungen anordnet, damit es nicht von dem bereits erklärten Pflichtteilsverzicht erfasst wird (vgl. J. Mayer, ZEV 1995, 41).

Gutachten/Abruf-Nr:

198460

Erscheinungsdatum:

02.02.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbverzicht

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 17-19

Normen in Titel:

BGB § 2346 Abs. 2; BGB § 2351