27. November 2020
BGB § 1901a; BGB § 1902

Widerruf einer Patientenverfügung; Adressat und Nachweis der Patientenverfügung

BGB §§ 1901a, 1902
Widerruf einer Patientenverfügung; Adressat und Nachweis der Patientenverfügung

I. Sachverhalt
Die Vollmachtgeberin V hat der Bevollmächtigten B eine Vorsorgevollmacht erteilt. Die Urkunde enthält zudem eine Patientenverfügung sowie eine Bestimmung dahingehend, dass die Bevollmächtigte aufgrund der Vollmacht nur handeln kann, wenn sie eine Ausfertigung vorlegt. Nach Beurkundung der Vollmacht wurde für die Vollmachtgeberin Betreuung angeordnet. Zur Betreuerin wurde R bestellt und zwar für die Kreise „Sorge für die Gesundheit“, „Vermögenssorge“ und „Widerruf von Vollmachten“.

R hat die Vorsorgevollmacht widerrufen. Die Patientenverfügung hingegen hat sie nicht widerrufen, da die Vollmachtgeberin nicht mehr geschäftsfähig sein dürfte und keine neue Patientenverfügung mehr errichten kann. Nach Zustellung des Widerrufs der Vorsorgevollmacht teilt der Anwalt der B mit, dass der Widerruf der Vorsorgevollmacht akzeptiert werde, dass aber die Patientenverfügung weiterhin wirksam sei. Er erbitte eine Ausfertigung der Patientenverfügung für seine Mandantin, damit diese ihre Pflichten aus der Patientenverfügung erfüllen könne.

II. Fragen
1. Wenn ein Betreuer eine Vorsorgevollmacht widerruft, eine Patientenverfügung hingegen nicht, obliegen dann dem Betreuer allein die Verpflichtungen des § 1901a Abs. 1 S. 1, 2 BGB?

2. Falls ja: Wenn in der Vorsorgevollmacht vom Vollmachtgeber (ohne Bezug auf die in der Vorsorgevollmacht enthaltene Patientenverfügung) erklärt worden ist, dass jeder Bevollmächtigte eine Ausfertigung zum Handeln vorlegen muss, benötigt dann der Betreuer auch eine auf ihn lautende Ausfertigung?

III. Zur Rechtslage
1. Widerrufsmöglichkeit und Adressat einer Patientenverfügung
Die Errichtung einer Patientenverfügung gem. § 1901a Abs. 1 BGB ist nach einhelliger Auffassung höchstpersönlicher Natur. Eine Stellvertretung gem. §§ 164 ff. BGB kommt hierbei nicht in Betracht (s. nur Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 1901a BGB Rn. 4; NK-BGB/R. Kemper, 10. Aufl. 2019, § 1901a Rn. 13). Folglich wird dasselbe für den Widerruf einer Patientenverfügung gem. § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB zu gelten haben.

Dies heißt aber zugleich, dass sich der Aufgabenkreis eines Betreuers gem.§ 1902 BGB weder auf die Errichtung noch auf den Widerruf einer Patientenverfügung in Stellvertretung für den Betreuten erstrecken kann. Allgemein scheidet ein Handeln des Betreuers nach § 1902 BGB für den Betreuten dort aus, wo – auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung – die höchstpersönliche Natur des betreffenden Aktes eine Stellvertretung verbietet (s. nur BeckOK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.5.2020, § 1902 Rn. 10 f.; Staudinger/Bienwald, BGB, 2017, § 1902 Rn. 53 f.). Ein Widerruf der durch V errichteten Patientenverfügung durch R als ihre Betreuerin wäre also von vornherein rechtlich nicht möglich gewesen.

Vor dem dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetz ging die h. M. davon aus, dass unmittelbarer Adressat einer Patientenverfügung der behandelnde Arzt bzw. das sonstige ärztliche Personal sei. Eine darüber hinausgehende Mitwirkung eines Vertreters sollte es demnach nicht bedürfen (s. nur BGH DNotZ 2005, 924 m. Anm. G. Müller; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901a Rn. 27). Seit der Neuregelung des Rechts der Patientenverfügung mit Wirkung zum 1.9.2009 durch die §§ 1901a ff. BGB nimmt demgegenüber die h. M. an, dass zur Umsetzung eines vorab verfügten Patientenwillens regelmäßig die Mitwirkung eines Vertreters erforderlich ist (Staudinger/Bienwald, §§ 1901a, 1901b Rn. 55; BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 1901a Rn. 28; E. Albrecht/A. Albrecht, MittBayNot 2015, 110; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949, 1953 f.; Gegenansicht: Palandt/Götz, BGB, 79. Aufl. 2020, § 1901a Rn. 16; differenzierend MünchKommBGB/Schneider, 8. Aufl. 2020, § 1901a Rn. 36 m. w. N.). Nach Widerruf der Vorsorgevollmacht durch die Betreuerin kommt der Bevollmächtigte als Adressat der Patientenverfügung (vgl. § 1901a Abs. 6 BGB) konsequenterweise nicht mehr in Betracht. Da die Betreuerin auch für den Aufgabenkreis „Sorge für die Gesundheit“ bestellt worden ist, ist folglich nunmehr sie als berufene Vertreterin zur Umsetzung des Willens der Vollmachtgeberin gem. § 1901a BGB anzusehen. Die frühere Vorsorgebevollmächtigte scheidet hierfür hingegen auch im Regelungsbereich der Patientenverfügung aus.

2. Notwendigkeit der Vorlage einer Ausfertigung der Patientenverfügung?
Was den Nachweis des Patientenwillens angeht, ist zunächst zu beachten, dass die Betreuerin nicht aufgrund der Vorsorgevollmacht handelt, sondern als gerichtlich bestellte Betreuerin. Wo gesetzlich der Besitz bzw. die Vorlage der Ausfertigung einer Urkunde verlangt wird und die Vorlage einfacher oder beglaubigter Abschriften nicht genügen soll, erklärt sich diese Notwendigkeit daraus, dass mit der Vorlage der Ausfertigung besondere Rechtscheinswirkungen verbunden sind, die durch Rückgabe bzw. Einziehung der Ausfertigung erlöschen. Eine Rückgabe bzw. Einziehung einfacher oder beglaubigter Abschriften muss hierfür nicht stattfinden. Dies gilt exemplarisch etwa für die Vorlage einer Vollmacht gem. §§ 172 BGB, 47 BeurkG (hierzu Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl. 2020, Rn. 3583 ff.), also auch einer Vorsorgevollmacht. Ebenso wird hinsichtlich eines Erbscheines für die Grundbuchberichtigung gem. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO die Vorlage einer Ausfertigung verlangt, da nur diese und nicht etwa im Umlauf befindliche einfache oder beglaubigte Abschriften der Einziehung nach § 2361 BGB unterliegen (hierzu Schöner/Stöber, Rn. 782; Demharter, GBO, 31. Aufl. 2018, § 35 Rn. 23 f.).

Für die Bestellungsurkunde des Betreuers (§ 290 FamFG), deren Vorlage im Original seitens Frau R hier in Betracht käme, existieren dagegen keine vergleichbaren Vorschriften. Insbesondere ist der Originalausweis keine Vollmachtsurkunde i. S. v. § 172 BGB, sodass auch § 174 BGB nicht anwendbar ist; denn die Vertretungsmacht des Betreuers beruht auf dem Gesetz, nicht auf einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht (s. BGH FamRZ 2010, 968 f.; BayObLG FamRZ 1994, 1059; G. Müller, in: Müller/Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis, 5. Aufl. 2018, Rn 120). Für eine Patientenverfügung nach § 1901a BGB enthält das Gesetz ebenfalls keine Vorschriften, die bei Vorlage des Originals oder einer Ausfertigung eine Rechtscheinswirkung für den Fortbestand einer Patientenverfügung anordnen würden. Vielmehr kann eine Patientenverfügung im Interesse einer vollständigen Umsetzung des Patientenwillens jederzeit formlos widerrufen werden (§ 1901a Abs. 1 S. 3 BGB). Bei einer notariellen Beurkundung von Patientenverfügungen kommt also der Vorlage einer Ausfertigung dieser Urkunde kein nach materiellem Recht gesteigerter Beweis- oder Rechtscheinswert zu. Freilich ist der Wille des Patienten für den Inhalt einer Patientenverfügung gem. § 1901a Abs. 1 BGB die oberste Richtschnur. Dass die Vollmachtgeberin aber hätte anordnen wollen, ihre Festlegungen zur ärztlichen Behandlung sollten nur dann inhaltlich gelten, wenn der Bevollmächtigte oder Betreuer gerade eine Ausfertigung dieser Urkunde vorlegen könnte, ist nach unserer Einschätzung fernliegend. Es ist deswegen keine Notwendigkeit zu erkennen, dass der Betreuerin für den Nachweis und die Umsetzung des Patientenwillens gerade eine Ausfertigung der Urkunde vorliegen müsste. Ein Nachweis durch einfache Kopie würde ebenfalls genügen. Ein jederzeit formlos möglicher Widerruf der Patientenverfügung durch Frau B gem. § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB wäre dessen ungeachtet selbstverständlich jederzeit zu beachten.

3. Ergebnis
Nach Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch den hierzu berechtigten Betreuer ist dieser zur Umsetzung des in einer Patientenverfügung niedergelegten Willens des Patienten gem. § 1901a BGB berufen, nicht mehr der vormals Bevollmächtigte. Zum Nachweis des Patientenwillens bedarf es nicht notwendigerweise der Vorlage einer Ausfertigung der Patientenverfügung; eine einfache Kopie genügt ebenfalls.

Gutachten/Abruf-Nr:

170412

Erscheinungsdatum:

27.11.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 179-181

Normen in Titel:

BGB § 1901a; BGB § 1902