Stiefkindadoption eines minderjährigen Kindes; zwingende vorherige Beratung der Beteiligten durch die Adoptionsvermittlungsstelle
BGB §§ 1741, 1766a; AdVermiG § 9a
Stiefkindadoption eines minderjährigen Kindes; zwingende vorherige Beratung der Beteiligten durch die Adoptionsvermittlungsstelle
I. Sachverhalt
M und F sind verheiratet. Für F ist es die zweite Ehe. Aus erster Ehe hat F das minderjährige Kind K, das nunmehr im Wege der Stiefkindadoption von M als Kind angenommen werden soll (vgl. §§ 1741 ff. BGB).
Der Adoptionsantrag und alle erforderlichen Einwilligungen wurden notariell beurkundet. Der Notar schickt die Unterlagen an das für die Adoption zuständige Familiengericht. Wenige Tage später werden die Unterlagen vom Gericht zurückgesandt mit der Bemerkung, die Beteiligten müssten zwingend vor der Beurkundung zur Adoptionsvermittlungsstelle, um sich dort beraten zu lassen.
II. Fragen
1. Besteht eine Beratungspflicht der Beteiligten?
2. Wenn ja, können die Adoptionsunterlagen nach der Beratung erneut beim Gericht eingereicht werden, oder sind sie neu zu beurkunden?
3. Wie wäre die Rechtslage,
a) wenn es sich um eine Stiefkindadoption innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Ehe/Lebenspartnerschaft handeln würde?
b) wenn das anzunehmende Kind bereits volljährig wäre?
c) wenn die „Stiefkindadoption“ des minderjährigen Kindes durch M erst nach dem Tod der leiblichen Mutter F erfolgen würde?
III. Zur Rechtslage
1. Erforderlichkeit einer vorherigen Beratung der Beteiligten im Falle einer Stiefkindadoption
a) Rechtsgrundlage
Zum 1.4.2021 ist das Adoptionshilfe-Gesetz („Gesetz zur Verbesserung der Hilfen für Familien bei Adoption“) in Kraft getreten (BGBl. I, 2021, S. 226). Ziel des Gesetzes ist es, das Gelingen von Adoptionen im Interesse der beteiligten Personen zu fördern und damit zuvörderst dem Kindeswohl zu dienen (BR-Drucks. 575/19, S. 23). Zur Erreichung dieses Ziels wurde die Beratung im Vorfeld von Adoptionen gestärkt. Betroffen hiervon sind auch Stiefkindadoptionen: Das Gesetz hat in § 9a Abs. 1 Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG) eine Verpflichtung der Beteiligten eingeführt, sich vor Abgabe ihrer notwendigen Erklärungen und Anträge für eine Stiefkindadoption eines Minderjährigen bei einer Adoptionsvermittlungsstelle beraten zu lassen (eingehend hierzu Bernauer,
Gesetzgeberischer Hintergrund ist, dass Stiefkindadoptionen – obwohl in der Praxis überaus zahlreich – oftmals nicht unproblematisch sind. Denn diese erfolgen in nicht wenigen Fällen dem Ehepartner zuliebe, die Pflicht zur Übernahme lebenslanger elterlicher Verantwortung für das Kind wird häufig nicht realisiert (Müller-Engels, in: Müller-Engels/Sieghörtner/Emmerling de Oliveira, Adoptionsrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2020, Rn. 78; Frank,
Die zwingende vorherige Beratung der Beteiligten im Rahmen einer Stiefkindadoption hat bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zahlreiche Kritik ausgelöst, u. a. von Seiten der Lesben- und Schwulenverbände (vgl. dazu noch unten 3.a). Aus notarieller Sicht lässt sich v. a. kritisieren, dass das Gesetz durch die Verpflichtung zur notariellen Beurkundung der im Rahmen des Adoptionsverfahrens erforderlichen Anträge und Einwilligungserklärungen bereits de lege lata eine Beratung vorsieht, wobei sich die Beratungen durch Notar und Adoptionsvermittlungsstelle auch noch zumindest partiell inhaltlich decken (vgl. Bernauer,
b) Personenkreis
Der Personenkreis, der der Beratungspflicht unterworfen ist, ergibt sich aus § 9a Abs. 1 AdVermiG: Beratungspflichtig sind der abgebende, der annehmende Elternteil und der Ehegatte des annehmenden Elternteils (bzw. im Falle des § 1766a BGB der nichteheliche Lebensgefährte, vgl.
Beratungspflichtig ist wohl auch ein Vaterschaftsprätendent, also eine Person, die noch nicht als Vater festgestellt ist, aber eine Vaterschaft geltend macht, wohl nicht aber ein anonymer Samenspender (vgl. Bernauer,
c) Ausnahmefälle
Abs. 3 der Vorschrift normiert Ausnahmefälle, in denen eine Beratung entbehrlich ist. Die in Abs. 3 geregelten Fälle beziehen sich – zusammengefasst – auf den abgebenden Elternteil. Nach dieser Bestimmung ist die Beratung eines Elternteils nicht erforderlich, wenn
- er zur Abgabe einer Erklärung dauernd außerstande ist,
- sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist,
- seine Einwilligung nach
- es sich um den abgebenden Elternteil handelt und dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat.
d) Inhalt der Beratung
Der Inhalt der vorzunehmenden Beratung ist beispielhaft in § 9 AdVermiG beschrieben und umfasst v. a. die psychosozialen Auswirkungen der Adoption, die Aufklärung über die Bedeutung der Kenntnis des Kindes von seiner Herkunft, die Information über Hilfsangebote, den Ablauf des Adoptionsverfahrens und dessen Rechtsfolgen (Bernauer,
In Bezug auf die Adoptionsbeteiligten bleibt zu bemerken, dass sich die gesetzliche Verpflichtung auf die Inanspruchnahme der Beratung beschränkt. Es besteht keine aktive Mitwirkungsverpflichtung, d. h. die Beteiligten können den Beratungstermin auch einfach „über sich ergehen lassen“. Die beratende Adoptionsvermittlungsstelle kann jedoch das Verhalten der Beteiligten und auch ein etwaiges Desinteresse im Rahmen der von ihr zu erstellenden fachlichen Äußerung nach
e) Nachweis der Beratung
Die Adoptionsvermittlungsstelle hat nach
Die Beratungsbescheinigung muss dem Familiengericht gem. § 196a FamFG vorgelegt werden; andernfalls ist der Adoptionsantrag als unbegründet zurückzuweisen.
f) Ergebnis
Nach dem mitgeteilten Sachverhalt handelt es sich hier um die Stiefkindadoption eines minderjährigen Kindes der Ehefrau. Für eine Stiefkindadoption eines Minderjährigen gilt seit dem 1.4.2021 § 9a Abs. 1 AdVermiG, so dass sich die Beteiligten (Stiefvater, Mutter, leiblicher Vater, Kind) vor Beurkundung des Adoptionsantrags und der Einwilligungen von der Adoptionsvermittlungsstelle beraten lassen müssen.
2. Nachholung der Beratung
Der Gesetzeswortlaut ist, was den Zeitpunkt der Beratung anbelangt, auf den ersten Blick eindeutig. Die verpflichtende Beratung hat nach § 9a Abs. 1 AdVermiG vor Abgabe der notwendigen Erklärungen und Anträge zur Adoption zu erfolgen.
Der Gesetzeswortlaut wird in der bislang vorliegenden Literatur einhellig dahin gehend verstanden, dass die Beratung vor der notariellen Beurkundung des Antrags bzw. der Einwilligungen zu erfolgen habe (Reinhardt, § 9a Rn. 11; Bernauer,
Ein Teil der Literatur hält dies auch für zwingend (vgl. Raude,
Es gibt aber auch Stimmen in der Literatur, die eine Nachholung der Beratung und Nachreichung des Beratungsnachweises für zulässig halten. So führt beispielsweise Reinhardt (§ 9a Rn. 17) aus, dass der Umstand, dass die Beratung erst nach der Abgabe der notariellen Einwilligung bzw. der Stellung des notariellen Adoptionsantrags stattgefunden habe, ebenso wenig ein Adop-tionshindernis darstelle wie die Beratung durch eine örtlich unzuständige Vermittlungsstelle. Aus seiner Sicht sei daher auch nicht erforderlich, das Beratungsdatum in die Bescheinigung aufzunehmen (Reinhardt, § 9a Rn. 17).
Auch Bernauer (
Aus unserer Sicht dürfte dem Schutzzweck der Norm zumindest dann Genüge getan sein, wenn die Beratung zwar nach Beurkundung der Erklärungen, aber vor Einreichung des Antrages bzw. der Einwilligungen beim Familiengericht erfolgt. Denn auch dadurch wäre sichergestellt, dass die Beteiligten vor der Stellung des Adoptionsantrags eine bewusste und reflektierte Entscheidung auf der Grundlage aller relevanten Informationen treffen können (vgl. dazu oben 1.a). Auch der Wortlaut der Norm steht einer solchen Auslegung u. E. nicht entgegen. Denn letztlich sind die Erklärungen erst zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem Familiengericht als dem maßgeblichen Erklärungsempfänger „abgegeben“ (vgl. zum Charakter des Antrags als „amtsempfangsbedürftiger Willenserklärung“ BeckOGK-BGB/Löhnig, Std.: 1.1.2022, § 1752 Rn. 5). Eine solche Auslegung der Norm würde es zumindest ermöglichen, in einem Fall wie dem hier vorliegenden den betreffenden Antrag bzw. die Einwilligungen (erneut) einzureichen, nachdem die Beratung erfolgt ist und damit eine etwaige Neubeurkundung entbehrlich machen, ohne dass der Schutzzweck der Norm umgangen wäre.
Zusammenfassend betrachtet ist die Rechtslage aber, was die Nachholung der Beratung anbelangt, unsicher, zumal Rechtsprechung noch nicht vorliegt. Daher empfiehlt es sich in der notariellen Praxis, die vom Gesetz vorgezeichneten Abläufe einzuhalten und die Beteiligten sicherheitshalber bereits vor der Beurkundung des Antrags bzw. der Einwilligungen zur (vorherigen) Beratung bei der Adoptionsvermittlungsstelle zu schicken.
In diesem Zusammenhang kommt es immer auf den jeweiligen Beteiligten an, der seine Erklärung notariell beurkunden lassen will (Bernauer,
Was den Nachweis der vorherigen Beratung anbelangt, so wird sich der Notar regelmäßig den Beratungsschein nach
3. Rechtslage bei den Fallalternativen
a) Beratungspflicht bei gleichgeschlechtlichen Ehen/Lebenspartnerschaften
Die Einführung einer zwingenden Beratungspflicht der Beteiligten im Rahmen einer geplanten Stiefkindadoption war im Gesetzgebungsverfahren äußerst umstritten. Kritik an der Regelung kam v. a. von Seiten der Lesben- und Schwulenverbände, die eine diskriminierende Verschärfung der Anforderungen an die Stiefkindadoption insbesondere bei lesbischen Paaren reklamierten (vgl. Bernauer,
So wurde am Ende des Gesetzgebungsverfahrens durch den Vermittlungsausschuss die Beratungspflicht eingeschränkt (vgl. BT-Drucks. 19/25163). Es wurde in den Paragrafen
Eine Ausnahme gilt in den vorgenannten Fällen nach S. 2 der Vorschrift für den annehmenden und den verbleibenden Elternteil allerdings, wenn das Kind im Ausland geboren wurde und der abgebende Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat.
b) Volljährigenadoption
Für die notarielle Praxis ist besonders wichtig, dass eine Beratungspflicht nur bei Stiefkindadoptionen von Minderjährigen, nie bei Volljährigenadoptionen i. S. d. §§ 1767 ff. BGB besteht (Bernauer,
c) „Stiefkindadoption“ nach dem Tod des leiblichen Elternteils
Ob der in Frage 3.c) genannte Fall des Vorversterbens der Ehefrau (die zugleich Mutter des minderjährigen anzunehmenden Kindes ist) auch einen Ausnahmefall darstellt, bei dem eine Beratungspflicht des Annehmenden entfällt, ist zweifelhaft. Eine ausdrückliche Stellungnahme in Rspr. oder Lit. liegt hierzu bislang leider nicht vor.
Aus unserer Sicht dürfte § 9a Abs. 1 AdVermiG bereits deswegen keine Anwendung finden, da nach dem Tod der Kindesmutter kein echter Fall einer Stiefkindadoption (Annahme des Kindes des Ehegatten) mehr vorliegt. Denn das Gesetz definiert die Stiefkindadoption als Annahme des Kindes des Ehegatten (vgl.
Im Hinblick darauf, dass die Nichtdurchführung einer erforderlichen Beratung ein Adoptionshindernis darstellt (vgl. Reinhardt,
190779
Erscheinungsdatum:04.03.2022
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Abstammung (incl. künstliche Befruchtung), Adoption
Normen in Titel:BGB § 1741