BGB §§ 715, 720, 707 Abs. 2 Nr. 3; GesRV § 4 Abs. 3
Eingetragene GbR: Bestellung eines Dritten als „Geschäftsführer“ zum organschaftlichen Vertreter; Abdingbarkeit der Selbstorganschaft
I. Sachverhalt
Die Gesellschafter einer GbR hatten einem Dritten vor dem 1.1.2024 eine notariell beglaubigte Vollmacht erteilt, wonach dieser „die Geschäftstätigkeit der GbR vollständig wahrnehmen“ konnte. Nach dem 1.1.2024 haben die Gesellschafter die GbR zur Eintragung ins Gesellschaftsregister angemeldet. Laut Anmeldung soll der Bevollmächtigte einzelvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer der eGbR sein. Zur Vertretungsbefugnis der Gesellschafter verhält sich die Anmeldung hingegen nicht.
Das Gesellschaftsregister beanstandet, dass der Dritte nicht als Geschäftsführer angemeldet werden könne, denn die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft obliege allein den Gesellschaftern.
II. Frage
Hat das Registergericht Recht?
III. Zur Rechtslage
1. Selbstorganschaft als Grundmerkmal der Personengesellschaft
Die Selbstorganschaft gehört zu den grundlegenden Merkmalen nicht nur der GbR, sondern der Personengesellschaft allgemein. Sie besagt, dass Organfunktionen in der Personengesellschaft untrennbar mit der Gesellschafterstellung verbunden sind (Fleischer, NZG 2020, 601, 604). Begründet wurde dies bisher uneinheitlich (Unterschied zwischen Gesamthand und juristischer Person, Gleichlauf von „Haftung und Herrschaft“), der zwingende Charakter wurde jedoch von der herrschenden Meinung nicht bezweifelt (vgl. m. w. N. Fleischer, NZG 2020, 601, 604; s. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 II, S. 410).
Gesetzliche Ausprägung findet die Selbstorganschaft – nach dem MoPeG – in § 715 Abs. 1 BGB n. F. zur Geschäftsführungsbefugnis und in § 720 Abs. 1 BGB n. F. zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft (vgl. MünchKommBGB/Schäfer, 9. Aufl. 2024, § 715 Rn. 13). Äußerlich scheint sich insoweit nicht viel verändert zu haben (vgl. §§ 709 Abs. 1, 714 BGB a. F.). Zwar wurde im Gesetzgebungsverfahren teilweise auf eine Abschaffung des Prinzips gedrungen (vgl. K. Schmidt, ZHR 2021, 16, 34 m. w. N.; BeckOK-BGB/Schöne, Std.: 1.8.2024, § 715 Rn. 10), diese Stimmen haben sich indes nicht durchgesetzt (vgl. BeckOK-BGB/Schöne, § 715 Rn. 7).
2. Meinungsüberblick zur Abdingbarkeit der Selbstorganschaft
Eine andere Frage ist, ob das weiterhin geltende Prinzip der Selbstorganschaft einer gesellschaftsvertraglichen Abbedingung zugänglich ist.
Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/27635, S. 150) ist einerseits vage (vgl. auch Grüneberg/Retzlaff, BGB, 83. Aufl. 2024, § 715 Rn. 3) und offen: Welche Schlussfolgerungen aus § 715 Abs. 1 BGB für die „Geltung des Grundsatzes der Selbstorganschaft“ zu ziehen seien, bleibe der Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten. Andererseits bezeichnet sie aber in den Ausführungen zu § 720 BGB die Selbstorganschaft als „systembildenden Grundsatz“ (BT-Drucks. 19/27635, S. 164).
Für die Möglichkeit der Abbedingung spricht sich insbesondere Schöne (in: BeckOK-BGB, § 715 Rn. 8 ff., § 720 Rn. 3) aus. Er weist auf den rechtssystematischen Umstand hin, dass § 715 BGB im gem. § 708 BGB dispositiven Teil des Gesetzes steht. Auch in § 720 Abs. 1 BGB solle nur der Regelfall bestimmt sein, da die Norm selbst den Vorbehalt der abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung enthalte (BeckOK-BGB/Schöne, § 715 Rn. 11). Erforderlich sei jedoch eine Korrektur bei § 707 Abs. 2 Nr. 3 BGB, der bisher lediglich die „Angabe der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter“ verlangt (BeckOK-BGB/Schöne, § 715 Rn. 16.1). Aus mehr allgemeinen Erwägungen hält auch Bergmann (in: jurisPK-BGB, 10. Aufl. 2023, § 715 Rn. 6 f., § 720 Rn. 9) die Selbstorganschaft für abdingbar (s. ferner – unklar – Hopt/Roth, HGB, 43. Aufl. 2024, § 124 Rn. 6: organschaftliche Vertreter könnten „idR“ nur Gesellschafter sein).
Die wohl herrschende Meinung in der Literatur geht hingegen von einer unveränderten Geltung des Prinzips der Selbstorganschaft aus, was zugleich dessen Unabdingbarkeit impliziert. Allerdings wird dieser Standpunkt teilweise nicht besonders begründet (s. Bachmann, NJW 2021, 3073 Rn. 12; Servatius, GbR, 2023, § 720 Rn. 9; Grüneberg/Retzlaff, § 715 Rn. 3; K. Schmidt, ZHR 2021, 16, 34; BeckOGK-HGB/Scholl, Std.: 15.4.2024, § 116 Rn. 78; BeckOK-HGB/Klimke, Std.: 1.7.2024, § 124 Rn. 5; Henssler/Strohn/Steitz, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2024, § 124 HGB Rn. 13; Oetker/Boesche/Fest, HGB, 8. Aufl. 2024, § 124 Rn. 7; Haas, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, HGB, 6. Aufl. 2023, § 124 Rn. 2 ff.).
Ceesay (in: Koch, Personengesellschaftsrecht, 2024, § 720 BGB Rn. 6) sieht die zwingende Selbstorganschaft seit dem MoPeG sogar als jedem Zweifel entzogen an, denn der Gesetzgeber habe ungeachtet der Kritik am Prinzip die entsprechenden Regeln geschaffen und die Selbstorganschaft als systembildenden Grundsatz apostrophiert. In ähnlicher Weise erkennt M. Noack (in: Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl. 2024, § 124 Rn. 15 f.) im reformierten Recht ein Festhalten des Gesetzgebers an der Selbstorganschaft als Wesensmerkmal der Personengesellschaft: Obgleich der Grundsatz nirgends explizit normiert sei, soll er als gesetzgeberische Wertentscheidung zu erkennen sein. Lieder (in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 715 Rn. 2, 12 f.) spricht von einem „unveränderten Bekenntnis des positiven Rechts zum Prinzip der Selbstorganschaft“ (s. i.Ü. Oetker/Lieder, § 116 Rn. 26).
Schäfer (in: MünchKommBGB, § 715 Rn. 13) stellt die Unabdingbarkeit ebenso wenig in Frage und leitet die zwingende Gesellschaftergeschäftsführung auch aus § 711a S. 1 BGB (Abspaltungsverbot) her (s. ferner MünchKommBGB/Schäfer, § 720 Rn. 4). Wertenbruch (in: Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Std.: 10/2023, Teil I GesR § 16 Rn. 310) rekurriert ebenfalls auf den „systembildenden Grundsatz“.
3. Stellungnahme
Unseres Erachtens spricht im Ergebnis wenig dafür, dass die Selbstorganschaft nunmehr – anders als vor dem MoPeG – abdingbar wäre. Die systematische Argumentation Schönes überzeugt nur vordergründig: Es ist zwar richtig, dass die in § 715 Abs. 1 BGB und § 720 Abs. 1 BGB niedergelegten Grundsätze einer gesellschaftsvertraglichen Modifizierung zugänglich sind. § 715 Abs. 1 BGB ist nach dem klaren Wortlaut des § 708 BGB (der sich auf die §§ 709-718 BGB bezieht) grundsätzlich dispositiv. Der Wortlaut des § 720 Abs. 1 BGB hingegen lässt kein klares Urteil darüber zu, worauf sich dessen Dispositivität bezieht – nur auf die Gesamtvertretung oder auch auf die Vertretung durch die Gesellschafter? Man darf weiterhin diese gesetzlichen Regelungen nicht mit „dem Prinzip der Selbstorganschaft“ gleichsetzen. Die fraglichen Bestimmungen sind gewiss Ausfluss dieses Prinzips, das Prinzip selbst ist aber im Gesetz gar nicht ausdrücklich geregelt (so ausdrücklich Ebenroth/Boujong/M. Noack, § 124 Rn. 16; vgl. auch Koch/Ceesay, § 720 BGB Rn. 6). Die gesetzlich eröffnete Vertragsfreiheit läuft dadurch auch nicht leer, sondern kann sich in anderen naheliegenden Modifizierungen äußern (z. B. Zuweisung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis an einzelne Gesellschafter). Die Bemerkungen aus der Gesetzesbegründung sollte man nicht überbewerten: Einerseits sind sie im Hinblick auf eine Änderung der Rechtslage mehr als vage, andererseits kann man ihnen sogar eine Herausstellung der Selbstorganschaft als systemtragendes Prinzip entnehmen.
Eine gesetzliche Kehrtwende im Sinne einer Abdingbarkeit müsste sich u. E. auf andere Anhaltspunkte stützen lassen. Es ist nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass ein – zumindest in der Vergangenheit – derart wesentliches und systemprägendes Prinzip wie das der Selbstorganschaft „unter der Hand“ dispositiv wird. Diese Einschätzung dürfte sich in den vielen Literaturstimmen widerspiegeln, die über die Abdingbarkeit nicht einmal ernstlich nachdenken. Im Übrigen stützt auch das Gesetz selbst mit § 707 Abs. 2 Nr. 3 BGB (bzw. § 106 Abs. 2 Nr. 3 HGB) die These der Unabdingbarkeit: Lediglich die Eintragung der Vertretungsbefugnis der Gesellschafter ist vorgesehen. Das verträgt sich zwanglos mit der Fortgeltung des materiellen Grundsatzes der Selbstorganschaft, während die Gegenansicht hierin eine Unstimmigkeit erkennen muss.
4. Fazit
Das Prinzip der Selbstorganschaft ist u. E. auch nach Inkrafttreten des MoPeG unabdingbar und nicht dispositiv. Die gegenteilige Ansicht überzeugt nicht. Freilich ist derzeit nicht auszuschließen, dass die von ihr vorgebrachten systematischen Argumente Anlass für eine breitere Diskussion bieten werden, die die Abdingbarkeit der Selbstorganschaft künftig zu einer offenen Frage machen könnte. Das Registergericht hat somit u. E. recht.
Das Verbot der Fremdorganschaft führt in der Praxis jedoch zu keinen erheblichen Nachteilen, weil die Beteiligten auch mit einer beglaubigten Vollmacht (der eGbR) in Kombination mit einer Existenz- und Vertretungsbescheinigung des Notars gem. § 21 Abs. 1 BNotO ohne Schwierigkeiten den Nachweis der Vertretungsmacht des Bevollmächtigten führen können. Dies gilt insbesondere im Grundbuchverfahren (§ 32 Abs. 1 GBO).