Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum; Gestattungsbeschluss; Wirkung ggü. Rechtsnachfolgern; Rücknahme des Gestattungsbeschlusses
WEG §§ 20, 21
Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum; Gestattungsbeschluss; Wirkung ggü. Rechtsnachfolgern; Rücknahme des Gestattungsbeschlusses
I. Sachverhalt
Es soll eine Eigentumswohnung verkauft werden. Der Verkäufer hat auf dem Dach des Treppenhauses (Gemeinschaftseigentum) eine Dachterrasse errichtet, die nur über sein Sondereigentum zu erreichen ist. Ein Zugang vom Treppenhaus zur Terrasse besteht nicht. 2021 fasste die Eigentümerversammlung einen Beschluss, in dem sie dem jetzigen Verkäufer den Ausbau einer Dachterrasse zur ausschließlichen eigenen Nutzung gestattet. Der Beschluss legt fest, dass die Arbeiten erst nach Vorliegen aller behördlichen Genehmigungen ausgeführt werden dürfen und der Eigentümergemeinschaft keine Kosten entstehen dürfen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft erhält für die Gestattung eine einmalige Zahlung i. H. v. 7.000 € auf das Rücklagenkonto der WEG und eine monatliche Nutzungsentschädigung i. H. v. 50 € auf das Girokonto der WEG.
Der Beschluss wurde mehrheitlich (aber nicht einstimmig) gefasst. Im Rahmen des Verkaufs der Wohnung soll nun die Dachterrasse bzw. das Nutzungsrecht hieran mitveräußert werden. Die bestehende Gemeinschaftsordnung aus dem Jahr 2016 enthält keine Regelungen über bauliche Veränderungen.
II. Fragen
1. Hat die Eigentümerversammlung für einen solchen Beschluss überhaupt ausreichend Kompetenz oder wäre hier lediglich eine Vereinbarung möglich?
2. Falls ein Beschluss nicht möglich ist: Ist der gefasste Beschluss nichtig oder nur anfechtbar? Entfaltet er Wirkung, soweit er nicht angefochten wird?
3. Falls ein Beschluss möglich war: Ist dieser auch gegenüber Dritten (Rechtsnachfolgern) wirksam, obgleich er nicht im Grundbuch eingetragen ist?
4. Falls ein Beschluss möglich war: Kann dieser dann durch einfachen Mehrheitsbeschluss jederzeit rückgängig gemacht werden?
III. Zur Rechtslage
1. Intertemporaler Anwendungsbereich
Zunächst ist zu klären, ob sich die Beurteilung der Fragen nach den Vorschriften des WEG in der derzeit gültigen Fassung richtet oder nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage. Zum 1.12.2020 trat das WEMoG in Kraft (Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes und zur Änderung von kosten- und grundbuchrechtlichen Vorschriften, BGBl. I v. 22.10.2020, S. 2187; s. nun auch die vollständige Bekanntmachung der Neufassung des WEG vom 12.1.2021, BGBl. I v. 20.1.2021, S. 34). Die Vorschriften über die baulichen Veränderungen wurden darin vollständig neu gefasst und erheblich modifiziert.
Der Zeitpunkt der Vornahme der baulichen Maßnahme ist im Sachverhalt nicht angegeben. Im Ergebnis dürfte es darauf jedoch auch nicht ankommen, da der Gestattungsbeschluss nach Inkrafttreten des WEMoG gefasst wurde. Zu den Regelungen über bauliche Veränderungen enthält das Gesetz keine Übergangsregelung. Insofern ist davon auszugehen, dass für die Möglichkeit der Gestattung allein das Recht zum Zeitpunkt des Gestattungsbeschlusses maßgeblich ist. Im vorliegenden Fall wurde der Beschluss in einer Eigentümerversammlung im Jahr 2021 gefasst. Würde man auf den Zeitpunkt der baulichen Veränderung in tatsächlicher Hinsicht abstellen, käme man ggf. zu dem widersinnigen Ergebnis, dass die nach altem Recht unzulässige bauliche Veränderung nicht nach neuem Recht zu gestatten wäre, also zunächst ein Rückbau mit anschließender Neuerrichtung zu erfolgen habe. Das kann vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt sein. Die Zulässigkeit der baulichen Maßnahme dürfte sich dementsprechend insgesamt nach den Vorschriften des WEG in der seit dem 1.12.2020 geltenden Fassung richten.Eine abweichende Regelung in der Gemeinschaftsordnung ist gem.
2. Zulässigkeit von baulichen Veränderungen
Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden,
Der Begriff der „grundlegenden Umgestaltung“ wird nicht gesetzlich definiert. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien finden sich keine Hinweise. Letztlich muss unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls die Gestaltung der Wohnanlage vor und nach der streitigen baulichen Veränderung verglichen werden (sog. objektiver Vorher-Nachher-Vergleich, vgl. BeckOGK-WEG/Kempfle, Std.: 1.3.2022, § 20 Rn. 208). Dass die Dachterrasse die Wohnanlage im vorliegenden Fall grundlegend umgestaltet oder einen anderen Wohnungseigentümer unangemessen benachteiligt, ist für uns aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich. Insofern würden wir davon ausgehen, dass ein entsprechender Gestattungsbeschluss gem.
Gem.
Zu beachten ist hierbei allerdings, dass die übrigen Wohnungseigentümer grundsätzlich gem.
3. Wirkung ggü. Dritten
Gem.
4. Rücknahmemöglichkeit
Inwiefern eine einmal erteilte Gestattung durch Beschluss zurückgenommen werden kann, ist für das neue Recht noch nicht gerichtlich geklärt und wird in der Literatur nur teilweise erörtert. Grundsätzlich geht man davon aus, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Gestattung zur Vornahme einer baulichen Veränderung später durch einen sog. abändernden Zweitbeschluss widerrufen kann. Ein solcher Widerruf soll aber nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt und der betroffene Wohnungseigentümer gegenüber dem bisherigen Zustand nicht unbillig benachteiligt wird (MünchKommBGB/Rüscher, 8. Aufl. 2021, WEG, § 20; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 20 Rn. 60: „ohne Angabe von Gründen“). Es sind dabei die schutzwürdigen Interessen und Belange des Wohnungseigentümers zu berücksichtigen, dem die bauliche Veränderung gestattet wurde (vgl. OLG Frankfurt v. 3.9.2004,
Unseres Erachtens wird man an den Rücknahmebeschluss – jedenfalls wenn die bauliche Maßnahme bereits umgesetzt wurde – hohe Anforderungen stellen müssen und jedenfalls grundsätzlich von einem überwiegenden Interesse des Nutzungsberechtigten ausgehen können. Wegen der Pflicht zur Kostentragung wird man ihm insofern einen gewissen Vertrauensschutz zubilligen müssen. Ebenso vertretbar erscheint uns die – in der Literatur bislang jedoch nicht vertretene – Auffassung, dass das einmal gem.
5. Ergebnis
Soweit keine Ausnahme nach
187758
Erscheinungsdatum:25.03.2022
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:WEG
Erschienen in: Normen in Titel:WEG § 21; WEG § 20