VGH Mannheim 20. November 2020
2 S 2349/20
KAG BW 2005 §§ 25 Abs. 2, 49 Abs. 6; BauGB § 34; GG Art. 103 Abs. 1

Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Vorauszahlung auf einen Erschließungsbeitrag

letzte Aktualisierung: 19.5.2021
VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.11.2020 – 2 S 2349/20

KAG BW 2005 §§ 25 Abs. 2, 49 Abs. 6; BauGB § 34; GG Art. 103 Abs. 1
Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Vorauszahlung auf einen Erschließungsbeitrag

1. Eine vorhandene Straße i. S. d. der Rechtsprechung des früheren Preußischen
Oberverwaltungsgerichts zu § 15 FlG war eine Straße, die zur Zeit des Inkrafttretens des ersten
aufgrund von § 15 FlG erlassenen Ortsstatuts mit dem Willen der Gemeinde wegen ihres insoweit
für ausreichend erachteten Zustands dem inneren Anbau und dem innerörtlichen Verkehr zu dienen
bestimmt war und tatsächlich gedient hat (im Anschluss an VGH Baden-Württemberg, Beschluss
vom 18.09.1995 – 2 S 2062/95 – n. v.; Beschluss vom 16.05.1989 – 2 S 125/89 – juris).
2. Besaß eine Gemeinde kein Ortsstatut nach § 15 FlG, ist für die Frage, ob eine Straße eine
vorhandene Straße ist, auf den 29.06.1961 abzustellen, den letzten Tag, an dem die Gemeinde ein
solches Statut nach dem alten Recht noch hätte in Kraft setzen können (im Anschluss an VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.09.1995 – 2 S 2062/95 – n. v.; Beschluss vom 16.05.1989 –
2 S 125/89 – juris).
3. Der Charakter als vorhandene Straße kann sich auch nur auf ein Teilstück einer darüber
hinausreichenden Straße beschränken, ohne dass diese Beschränkung an topographischen
Merkmalen orientiert sein musste.
4. Innerörtlicher Verkehr bedeutet in diesem Zusammenhang einen Verkehr von Haus zu Haus
innerhalb einer geschlossenen Ortslage, wobei die geschlossene Ortslage entsprechend den zum
heutigen § 34 BauGB entwickelten Grundsätzen zu beurteilen ist.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

I.
2 Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus in zweiter Reihe bebauten Grundstücks Flst.-Nr.
24/19, ... Gasse 9 im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin (Ortsteil ...). Die Zufahrt von der östlich gelegenen
... Gasse (Flst.-Nr. 290/7) erfolgt über das (Vorderlieger-)Grundstück Flst.-Nr. 24/22 (... Gasse 5) und verläuft
nördlich des dort vorhandenen Gebäudes (Wohnhaus nebst angebautem Schuppen). Das Grundstück ... Gasse
5 ist zugunsten des Grundstücks der Antragstellerin mit einer Zufahrtsbaulast belastet.

Mit Bescheid vom 08.05.2019 zog die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu einer Vorauszahlung auf den
Erschließungsbeitrag in Höhe von 4.400,- EUR für die Erschließungsanlage „... Gasse (nichthistorischer Teil
Flst. 290/7 (Teilstück)“ heran. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Landratsamt Sigmaringen mit
Widerspruchsbescheid vom 09.03.2020 zurück.

Am 02.04.2020 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes beantragt. Den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss
abgelehnt. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Beschwerde der Antragstellerin.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.

Unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der
Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat der Senat keine Veranlassung, den
angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage vielmehr im Ergebnis zu Recht
abgelehnt.

Bei der Anforderung öffentlicher Abgaben müssen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines
Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung
muss für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge haben. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheides in diesem Sinne sind nach
der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann anzunehmen, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der
Hauptsache wahrscheinlicher ist als dessen Misserfolg. Ein lediglich als offen erscheinender
Verfahrensausgang rechtfertigt im Hinblick auf die gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit von
Abgabenbescheiden gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines
Widerspruchs oder einer Klage nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.10.2015 - 2 S 1685/15 -
juris Rn. 13 mwN).

1. Im vorliegenden Fall ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Vorauszahlungsbescheides. Anders als das Verwaltungsgericht meint, sind
die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens hier nicht lediglich offen, sondern der Bescheid ist mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.

a) Entgegen ihrem Beschwerdevortrag ist die Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag
nach § 25 Abs. 2 KAG i.V.m. § 15 Abs. 1 der Satzung der Antragsgegnerin über die Erhebung von
Erschließungsbeiträgen (Erschließungsbeitragssatzung) vom 24.10.2005 in der maßgeblichen Fassung der 1.
Änderungssatzung vom 14.12.2009 nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht nach
§ 49 Abs. 6 KAG ausgeschlossen. Danach kann für eine vorhandene Erschließungsanlage, für die eine
Erschließungsbeitragsschuld auf Grund der bis zum 29.06.1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte,
auch nach den Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes kein Erschließungsbeitrag erhoben werden.

aa) Nach der vom Verwaltungsgericht zutreffend referierten Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom
18.09.1995 - 2 S 2062/95 - n.v.; Beschluss vom 16.05.1989 - 2 S 125/89 - juris Rn. 2) beantwortet sich die
Frage, ob eine Erschließungsanlage bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes (am 30.06.1961) bereits
vorhanden war, nach den vormaligen landes- oder ortsrechtlichen Vorschriften (vgl. BVerwG, Urteile vom
21.09.1979 - 4 C 22/78 u.a. - juris Rn. 20 und vom 13.08.1976 - IV C 23.74 - juris Rn. 23), hier also für das im
ehemals hohenzollerischen Landesteil gelegene Gebiet der Antragsgegnerin nach dem Preußischen
Fluchtliniengesetz (Straßen- und Baufluchtengesetz) vom 02.07.1875 (FlG). Eine vorhandene Straße i.S.d. der
Rechtsprechung des früheren Preußischen Oberverwaltungsgerichts zu § 15 FlG war eine Straße, die zur Zeit
des Inkrafttretens des ersten aufgrund von § 15 FlG erlassenen Ortsstatuts mit dem Willen der Gemeinde
wegen ihres insoweit für ausreichend erachteten Zustands dem inneren Anbau und dem innerörtlichen Verkehr
zu dienen bestimmt war und tatsächlich gedient hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.04.2020
- 15 A 2241/18 - juris Rn. 8; OVG Hamburg, Beschluss vom 09.01.2004 - 1 Bs 480/03 - juris Rn. 8; VG
Sigmaringen, Urteil vom 14.04.2015 - 4 K 3291/13 - juris Rn. 35). Besaß eine Gemeinde - wie dies hier offenbar
auch nach dem Vortrag der Beteiligten der Fall war - kein Ortsstatut nach § 15 FlG, ist für die Frage, ob eine
Straße eine vorhandene Straße ist, auf den 29.06.1961 abzustellen, den letzten Tag, an dem die Gemeinde ein
solches Statut nach dem alten Recht noch hätte in Kraft setzen können (vgl. zum Ganzen VGH Baden-
Württemberg, Beschlüsse vom 18.09.1995 und 16.05.1989, aaO; Reif in Gössl/Reif, KAG, § 49 Anmerkung
3.2.4.2).

Eine Straße kann somit nur dann eine vorhandene Straße i.S.d. ehemaligen preußischen
Anliegerbeitragsrechts sein, wenn sie zum maßgeblichen Zeitpunkt den objektiven Tatbestand (innerörtliche
Gemeindestraße, zur geschlossenen Ortslage gehörender Anbau, innerörtlicher Verkehr) und den subjektiven
Tatbestand (nach dem Willen der Gemeinde wegen des hinreichenden Ausbauzustands für den inneren Anbau
und innerörtlichen Verkehr geeignet) erfüllte (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 18.09.1995 und
16.05.1989, aaO). Dabei kann sich der Charakter als vorhandene Straße auch nur auf ein Teilstück einer
darüber hinausreichenden Straße beschränken, ohne dass diese Beschränkung an topographischem
Merkmalen orientiert sein musste (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.07.1990 - 3 A 2934/86 - NVwZ-
RR 1991, 265; PrOVG, Entscheidung vom 26.01.1905 - IV.135 - PrVwBl 26, 524; Reif in Gössl/Reif, KAG, § 49
Anmerkungen 3.2.1.1 und 3.2.4.2).

Innerörtlicher Verkehr bedeutet in diesem Zusammenhang einen Verkehr von Haus zu Haus innerhalb einer
geschlossenen Ortslage, wobei die geschlossene Ortslage entsprechend den zum heutigen § 34 BauGB
entwickelten Grundsätzen zu beurteilen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.07.2017 - 2 S 620/16 -
juris Rn. 43; Urteil vom 14.12.2004 - 2 S 191/03 - juris Rn. 18; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.11.2018
- 15 A 2671/15 - juris Rn. 28; Urteil vom 09.03.2000 - 3 A 3611/96 - juris Rn. 11 ff.; Reif in Gössl/Reif, KAG, § 49
Anmerkung 3.2.4.2).

Ist eine geschlossene Ortslage nicht gegeben, sind die für eine vorhandene Straße notwendigen Merkmale der
Bestimmung für den inneren Anbau und innerörtlichen Verkehr im Regelfall nicht erfüllt und es ist nicht von
einer vorhandenen Straße auszugehen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn im Einzelfall auf Grund
besonderer Umstände eindeutig festgestellt werden kann, dass die Gemeinde die betreffende Straße für den
inneren Anbau und innerörtlichen Verkehr nicht nur künftig vorgesehen, sondern schon aktuell bestimmt hatte,
obwohl sich die an der Straße vorhandene Bebauung noch nicht zu einer geschlossenen Ortslage verdichtet
hatte oder sogar überhaupt noch keine Bebauung an der Straße existierte (vgl. zum Ganzen OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 23.04.2020 - 15 A 2241/18 - juris Rn. 23; Urteil vom 23.11.2001 - 3 A 1725/00 - juris
Rn. 35; PrOVG, Urteile vom 02.06.1932 - IV.C.43/31 - PrOVGE 89, 376, 387 f. und vom 19.06.1905 -
IV.C.156/04 - PrOVGE 47, 88, 89 ff.; Reif in Gössl/Reif, KAG, § 49 Anmerkung 3.2.4.2).

bb) Nach diesen Maßgaben steht § 49 Abs. 6 KAG der Erhebung einer Vorausleistung auf den
Erschließungsbeitrag hier nicht entgegen, weil es sich jedenfalls bei dem der Vorausleistung zugrunde gelegten
Teilstück der ...- Gasse, durch welches das Grundstück der Antragstellerin erschlossen ist, nach der im
Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht um eine vorhandene Straße handelt. Dieses Teilstück,
das im angegriffenen Vorauszahlungsbescheid als „nichthistorischer Teil“ des Flurstücks 290/7 bezeichnet ist
und auf dessen Grundlage der Beitragssatz von 13,099 EUR je m² Nutzungsfläche berechnet wurde, beginnt
ausweislich eines in der Behördenakte befindlichen Lageplans nördlich des Gebäudes ... Gasse 5 (Wohnhaus
nebst angebautem Schuppen).

Soweit im Widerspruchsbescheid die Auffassung vertreten wurde, abrechenbare Erschließungsanlage sei nicht
nur dieses Teilstück, sondern auch der ursprünglich als „historisch“ angesehene Straßenabschnitt, weshalb von
einem höheren Erschließungsaufwand und einem höheren Beitragssatz (16,028 EUR statt 13,099 EUR je m²
Nutzungsfläche) auszugehen sei, ist dies für das vorliegende Verfahren unbeachtlich, da im
Widerspruchsbescheid keine entsprechende Verböserung erfolgt ist. Hierauf hat bereits das Verwaltungsgericht
mit Recht hingewiesen. Es kommt daher im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob der südliche Straßenabschnitt
als vorhandene Straße zu qualifizieren ist, obwohl die Antragsgegnerin erst im Jahr 1975 das Eigentum an dem
Straßengrundstück erworben hat (vgl. zu der Frage, ob eine im früheren Geltungsbereich des Preußischen
Fluchtliniengesetzes gelegene, im Privateigentum stehende Straße eine vorhandene Straße sein kann, OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.02.2011 - 6 A 11029/10 - juris Rn. 27 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
09.02.1999 - 3 A 2735/94 - juris Rn. 7 ff.; Reif in Gössl/Reif, KAG, § 49 Anmerkungen 3.2.1.1 und 3.2.4.2;
Arndt, KStZ 1984, 107, 109 f.).

Das Grundstück der Antragstellerin wird durch das im Vorauszahlungsbescheid als „nichthistorischer Teil“
bezeichnete Teilstück der ... Gasse i.S.d. § 39 Abs. 1 Satz 1, § 40 KAG erschlossen. Denn die durch Baulast
gemäß § 4 Abs. 1 LBO gesicherte Zufahrt zu diesem gefangenen Hinterliegergrundstück verläuft nach dem
vorliegenden Lageplan (AS 159 der Akte des Verwaltungsgerichts) nördlich des Gebäudes ... Gasse 5
(Wohnhaus nebst angebautem Schuppen) und mündet dort in die ... Gasse ein.

Das als „nichthistorischer Teil“ bezeichnete Teilstück der ... Gasse diente nach Aktenlage zum maßgeblichen
Zeitpunkt, also am 29.06.1961, nicht dem inneren Anbau und dem innerörtlichen Verkehr. Der betreffende
Straßenabschnitt lag nicht innerhalb, sondern außerhalb der geschlossenen Ortslage und führte in die freie
Feldmark. Nach den vorliegenden Unterlagen, der Urkarte aus dem Jahr 1843 und dem Auszug eines Plans zu
einem geometrischen Handriss aus dem Jahr 1890, war nördlich des auf dem Grundstück ...- Gasse 5
vorhandenen Gebäudes keine Bebauung entlang der ... Gasse vorhanden. Vielmehr ist aus dem Plan zu dem
geometrischen Handriss ersichtlich, dass sich in diesem Bereich lediglich Grundstücke mit Gras- und
Baumbewuchs befunden haben. Das vorliegende Lichtbild aus der Zeit um 1960 ist insoweit nicht
aussagekräftig, da es nur die Einfahrt in die ... Gasse aus der Richtung der in der Dorfmitte befindlichen Kirche
zeigt, nicht aber den hier relevanten Bereich der ... Gasse nördlich des Gebäudes ...- Gasse 5. Erkennbar ist
auf dem Foto aber jedenfalls, dass sich zum damaligen Zeitpunkt im Bereich der Einfahrt in die ... Gasse
westlich dieser Straße noch keine Bebauung befand. Aus dem von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom
16.11.2020 vorgelegten Foto, das eine Hochzeitsgesellschaft zeigt, ergeben sich keine Anhaltpunkte für die
Beurteilung, ob das hier maßgebliche Straßenstück als vorhandene Straße zu qualifizieren ist.

Dass es nördlich des Gebäudes ... Gasse 5 keine Bebauung gab, stellt auch die Antragstellerin im
Beschwerdeverfahren nicht in Frage. Wie bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist sie allerdings der
Auffassung, dass für die Frage der vorhandenen Straße nicht auf das Gebäude ... Gasse 5 abzustellen sei,
sondern auf die nördlich gelegene Grenze dieses Grundstücks mit der Folge, dass die zu ihrem Grundstück
führende Zufahrt noch in den bereits vorhandenen Straßenteil einmünde. Hierzu hat bereits das
Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser „grundstücksbezogenen Betrachtungsweise“
nicht zu folgen sein dürfte. Denn für die zur Beurteilung einer vorhandenen Straße maßgebliche Innerortslage
ist, wie im Rahmen des § 34 BauGB, grundsätzlich nicht auf die Grundstücksgrenze, sondern auf das letzte
vorhandene Gebäude abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.01.1995 - 4 B 273.94 - juris Rn. 3 mwN).
Besondere äußerlich erkennbare Umstände, die dazu führen könnten, dass der Bebauungszusammenhang
abweichend von der Regel nicht am letzten Baukörper enden könnte, sind hier nicht ersichtlich.

Bei summarischer Prüfung kann hier auch nicht ausnahmsweise auf Grund besonderer Umstände des
Einzelfalls trotz der nördlich des Gebäudes ...- Gasse 5 fehlenden Bebauung eindeutig festgestellt werden,
dass die Gemeinde den betreffenden Straßenabschnitt zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits aktuell für den
inneren Anbau und innerörtlichen Verkehr bestimmt hatte. Denn hierfür gibt es entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts keine Anhaltspunkte. Das Verwaltungsgericht hat ein Indiz hierfür darin gesehen, dass in
dem vorliegenden Auszug des Plans zu dem geometrischen Handriss aus dem Jahr 1890 neben dem Gebäude
Nr. 59 (heute ... Gasse 5) vermeintlich Baugebietsbezeichnungen eingezeichnet seien (VII im Bereich der
heutigen ...-... Straße, VI südlich des Gewanns ..., VII westlich der ...- Gasse) und die ... Gasse, die in ihrem
heutigen Verlauf eingezeichnet sei, sich erst nördlich des Gebiets VII beim Übergang in die freie Feldmark zu
verjüngen scheine.

Bei den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen römischen Ziffern handelt es sich jedoch nach der vom
Senat eingeholten Auskunft des Fachbereichsleiters Vermessung und Flurneuordnung des Landratsamtes
Sigmaringen nicht um Baugebietsbezeichnungen, sondern um Hinweise auf das entsprechende Feldbuch
(Brouillon), das im Wesentlichen Festlegungen zu einzelnen Grenzpunkten enthält.

Entgegen der Vermutung des Verwaltungsgerichts ist auch die rosa-/lilafarbene Umrandung des betreffenden
Bereichs in der Urkarte aus dem Jahr 1843 kein Hinweis darauf, dass die streitgegenständliche
Erschließungsanlage für den inneren Anbau und innerörtlichen Verkehr bestimmt war. Denn sie kennzeichnet
nach der Auskunft des Fachbereichsleiters Vermessung und Flurneuordnung des Landratsamtes Sigmaringen
ebenfalls kein Baugebiet, sondern einen Bereich, der durch Zusammenlegung
(Feldbereinigung/Flurneuordnung) verändert worden sei. Hierfür spricht auch der Vermerk auf der Urkarte in
rosa/lila Schrift „Durch Zusammenlegung verändert“. Entsprechende rosa/lila Umrandungen und Vermerke
finden sich mehrfach auf der großräumigeren Urkarte, die auf der Internetseite der Antragsgegnerin eingesehen
werden kann.

Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin Unterlagen, die Rückschlüsse darauf geben könnten, dass es
sich bei der streitgegenständlichen Erschließungsanlage um eine vorhandene Straße handeln könnte,
pflichtwidrig nicht beigezogen oder nicht vorgelegt hat, bestehen entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht.
So hat die Antragsgegnerin auf die Verfügung des Senats vom 06.10.2020 vorgetragen, die Pläne/Karten aus
den Jahren 1843 und 1890 lägen auch ihr nur in der bereits vorgelegten Form vor. Insofern ist auch nicht
ersichtlich und von der Antragstellerin auch nicht dargelegt, welche weiteren Erkenntnisse sich ergeben
könnten, wenn diese Pläne/Karten im Original vorlägen. Die Ortschronik von ..., deren Vorlage die
Antragsgegnerin zunächst unter Hinweis darauf abgelehnt hatte, dass es sich hierbei um das unfertige Werk
eines privaten Verfassers handele, der nicht bereit sei, sie dem Verwaltungsgericht zur Verfügung zu stellen, hat
die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren vorgelegt, nachdem die „Chronik von ...“ veröffentlicht worden
war. Auch aus dieser Ortschronik ergeben sich indes keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem
betreffenden „nichthistorischen Teil“ der ... Gasse zum maßgeblichen Zeitpunkt am 29.06.1961 um eine
vorhandene Straße gehandelt haben könnte.

b) Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin sich auch gegen die Höhe der festgesetzten Vorausleistung. Sie
beanstandet einen angenommenen Beitragssatz von 16,028 EUR je m² Nutzungsfläche, verkennt hierbei aber,
dass die streitgegenständliche Festsetzung der Vorausleistung nicht auf einem Beitragssatz in dieser Höhe,
sondern auf einem Beitragssatz von 13,099 EUR beruht. Wie bereits dargelegt, hat das Landratsamt
Sigmaringen im Widerspruchsbescheid vom 09.03.2020 zwar einen höheren Beitragssatz für rechtmäßig
erachtet, jedoch keine Verböserung vorgenommen.

Die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren beanstandeten Unterschiede im angenommenen
Erschließungsaufwand und Beitragssatz in den von ihr als Anlagen K3 und K4 vorgelegten Kostenaufstellungen
beruhen darauf, dass die Anlage K4, wie sich aus der Überschrift ergibt, nur das dem Ausgangsbescheid
zugrunde gelegte Teilstück der ... Gasse („nichthistorischer Teil“) betrifft; die Anlage K3, die von einem höheren
Erschließungsaufwand und einem höheren Beitragssatz ausgeht, bezieht sich dagegen auf die gesamte
Erschließungsanlage „... Gasse“, d.h. einschließlich des von der Antragsgegnerin ursprünglich als „historisch“
angesehenen Teilstücks.

Zu Unrecht meint die Antragstellerin, der Gemeinderat hätte einen Beschluss über den der Vorauszahlung
zugrunde zu legenden Beitragssatz treffen müssen. Aus § 25 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 KAG ergibt sich nur, dass
die Gemeinde in der Satzung eine Aussage darüber zu treffen hat, ob Vorauszahlungen erhoben werden
können; nicht gefordert ist dagegen die Angabe eines Beitragssatzes. Vielmehr hat der Landesgesetzgeber § 2
Abs. 1 Satz 2 KAG im Rahmen der Einbeziehung des Erschließungsbeitragsrechts in das
Kommunalabgabengesetz geändert und bewusst mit Rücksicht auf die Besonderheiten des
Erschließungsbeitragsrechts als Soll-Vorschrift ausgestaltet (vgl. LT-Drs. 13/3966, S. 40). Denn im
Erschließungsbeitragsrecht kann - anders als im Anschlussbeitragsrecht - auf Grund der für jede
Erschließungsanlage unterschiedlichen Kosten und der durch sie jeweils erschlossenen Flächen kein allgemein
gültiger Abgabensatz, sondern nur die Art und Weise der Kostenermittlung und -verteilung geregelt werden (vgl.
zum Ganzen Reif in Gössl/Reif, KAG, § 25 Anmerkung 2, § 34 Anmerkung 1).

Soweit die Antragstellerin sinngemäß geltend macht, die Richtigkeit der Berechnung des Beitragssatzes müsse
durch Vorlage entsprechender Rechnungen nachgewiesen sein, verkennt sie, dass Rechnungen, die einen
Rückschluss auf den endgültigen Erschließungsaufwand zulassen, zum Zeitpunkt des Erlasses eines
Vorausleistungsbescheides, d.h. vor der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage (vgl. § 25 Abs. 2
KAG), noch gar nicht oder jedenfalls noch nicht vollständig vorliegen; Grundlage des
Vorauszahlungsbescheides ist vielmehr nur eine Kostenprognose, die auf einer sachgerechten
Schätzungsgrundlage zu treffen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.01.2020 - 2 S 478/18 - juris
Rn. 83; Urteil vom 23.09.1993 - 2 S 462/92 - juris Rn. 24).

Sind die voraussichtlichen Kosten der endgültigen Herstellung beim Erlass des Vorauszahlungsbescheides
fehlerhaft prognostiziert worden, etwa weil ein falscher Umfang der abrechenbaren Erschließungsanlage
zugrunde gelegt wurde, ist der Vorauszahlungsbescheid entgegen dem Beschwerdevorbringen nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats auch dann aufrecht zu erhalten, wenn der festgesetzte Betrag im
Ergebnis auf der Grundlage einer fehlerfreien Prognose nicht zu beanstanden ist (vgl. ausführlich VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 10.07.2014 - 2 S 2228/13 - juris Rn. 81; Urteil vom 26.11.2013 - 2 S 2471/12 - juris Rn.
65 ff.).

Wäre die Antragsgegnerin hier also im Ausgangsbescheid von einem zu geringen Umfang der
Erschließungsanlage ausgegangen, hätte dies nicht die Rechtswidrigkeit des Vorauszahlungsbescheides
zufolge, weil bei summarischer Prüfung der Beitragssatz, der sich aus der nicht substantiiert angegriffenen
Kostenprognose für die gesamte Straße „... Gasse“ ergibt, nicht niedriger, sondern höher ist als derjenige, der
der festgesetzten Vorauszahlung zugrunde lag.

c) Soweit sich die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift mehrfach darauf beruft, das Verwaltungsgericht habe
das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, vermag dieser Einwand der
Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil im Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit
zum Vortrag bestand und ein etwaiger erstinstanzlicher Gehörsverstoß dadurch geheilt wäre (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 12.04.2005 - 4 S 439/05 - juris Rn. 3). Die Beschwerde kann nur dann Erfolg
haben, wenn sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts inhaltlich als nicht richtig erweist (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 29.05.2015 - 10 S 835/15 - juris Rn. 42).

Ungeachtet dessen rügt die Antragstellerin hier der Sache nach keine Gehörsverletzung, sondern eine nach
ihrer Auffassung fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht. Das Prozessgrundrecht auf
rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht jedoch nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen oder sich
mit dem Vorbringen eines Beteiligten in einer Weise auseinanderzusetzen, die dieser für richtig hält (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12.04.1983 - 2 BvR 678/81 - BVerfGE 64, 1; Beschluss vom 04.07.1989 - 1 BvR
1460/85 - BVerfGE 80, 269). Dass der angegriffene Beschluss auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch
das Verwaltungsgericht beruhen könnte, hat die Antragstellerin hier im Übrigen auch nicht aufgezeigt, wie der
Senat bereits dargelegt hat.

d) Soweit die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift ergänzend pauschal auf im verwaltungsgerichtlichen
Antrags- und Klageverfahren vorgelegte Schriftsätze verweist, genügt die Beschwerdebegründung nicht den
Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Denn insoweit es fehlt an der erforderlichen
Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom
26.04.2016 - 4 S 64/16 - juris Rn. 18; Beschluss vom 25.01.2007 - 6 S 2964/06 - juris Rn. 2; Stuhlfauth in Bader
u.a., VwGO, 7. Aufl., § 146 Rn. 31).

2. Das Verwaltungsgericht ist schließlich zu Recht davon ausgegangen, dass sich dem Vorbringen der
Antragstellerin keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass die Vollziehung des
Vorauszahlungsbescheides für sie eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge hätte. Hierzu genügt nicht ihr Vorbringen im Beschwerdeverfahren, sie sei teilzeitbeschäftigt
„mit einem Einkommen knapp oberhalb der Pfändungsfreigrenze“ und habe bereits für die „Privatstraße“
erhebliche Aufwendungen leisten müssen. Denn dieser Vortrag lässt keine Rückschlüsse auf die konkreten
finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin zu, zumal sie diese auch nicht durch Nachweise glaubhaft gemacht
hat.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in
Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (1/4 des Streitwerts der
Hauptsache, der sich auf 4.400,- EUR beläuft).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

VGH Mannheim

Erscheinungsdatum:

20.11.2020

Aktenzeichen:

2 S 2349/20

Rechtsgebiete:

Öffentliches Baurecht

Normen in Titel:

KAG BW 2005 §§ 25 Abs. 2, 49 Abs. 6; BauGB § 34; GG Art. 103 Abs. 1