Bauplatzvergabe aufgrund Bauplatzvergaberichtlinie
letzte Aktualisierung: 31.10.2019
VG Sigmaringen, Beschl. v. 17.6.2019 – 3 K 7459/18
Abs. 1 S. 1 u. 2; GG Artt. 3 Abs. 1, 28 Abs. 2 S. 1
Bauplatzvergabe aufgrund Bauplatzvergaberichtlinie
1. Für die Vergabe von Bauplätzen aufgrund einer Bauplatzvergaberichtlinie, die eine Gemeinde zur
Förderung eines bestimmten Personenkreises erlässt, ist gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn die Gemeinde im Interesse der Entwicklung der örtlichen
Sozialstruktur auf die Vergabe der Bauplätze einwirken will.
2. Es widerspricht dem Sinn und Zweck des Gebots der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen,
wenn in nichtöffentlichen Klausurtagungen und einer nichtöffentlichen Sitzung die maßgebliche
Sachdiskussion vorweggenommen wird und in öffentlicher Sitzung lediglich kursorische
Wortmeldungen erfolgen und dann abgestimmt wird.
3. Ein Gemeinderatsbeschluss ist gem. § 18 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 GemO rechtswidrig, wenn ein
Mitglied des Gemeinderats in der Beratung und Beschlussfassung mitwirkt und sich in
unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Abstimmung über eine Vergaberichtlinie auf einen
Bauplatz in dem Gebiet bewirbt.
Gründe
Der Antrag ist zulässig und begründet. Die begehrte einstweilige Anordnung war zu erlassen. Die vom
Gemeinderat der Antragsgegnerin am 24. September 2018 beschlossenen „Bauplatzvergaberichtlinien für das
Baugebiet Heidengäßle und für zwei Bauplätze im Baugebiet Mühlbergle Il" sind formell rechtswidrig. Sie
können demgemäß nicht Grundlage einer Vergabe von Bauplätzen in dem genannten Baugebiet und auch
nicht für den Abschluss notarieller Kaufverträge sein.
l.
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. Gemäß S 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der
Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben,
soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob
eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier – eine ausdrückliche
gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend
gemachte Anspruch hergeleitet wird. Der Charakter des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses bemisst sich
nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzbegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen
Sachverhalts. Maßgeblich ist allein die tatsächliche. Natur des Rechtsverhältnisses, nicht dagegen die
rechtliche Einordnung des geltend gemachten Anspruchs durch die Antragsteller selbst. Für die Annahme einer
öffentlich-rechtlichen Streitigkeit genügt es, dass für das Rechtsschutzbegehren eine Anspruchsgrundlage in
Betracht kommt, die im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen ist (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember
1992 - 5 B 144.91 -,
Die Antragsteller begehren hier, der Antragsgegnerin zu untersagen, die Bauplätze im Baugebiet
„Heidengäßle/Mühlbergle Il" zu vergeben und notarielle Kaufverträge abzuschließen, solange nicht über die
Rechtswirksamkeit der „Vergaberichtlinien der Bauplätze im Baugebiet Heidengäßle/Mühlbergle Il" entschieden
ist. Dieses Begehren soll letztlich dem dahinterstehenden Ziel dienen, mit der Antragsgegnerin selbst einen
Kaufvertrag über ein Grundstück zu schließen. Die Antragsteller machen der Sache nach geltend, dass die
Antragsgegnerin auf Basis der Vergaberichtlinien einen Kaufvertrag mit ihnen hätte schließen müssen. Ob das
mit dem Antrag verfolgte Begehren dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzuordnen ist, richtet sich
daher maßgeblich nach der rechtlichen Qualifikation des von der Antragsgegnerin durchgeführten
Vergabeverfahrens und der dadurch hergestellten rechtlichen Beziehung zwischen ihr und den Antragstellern.
Das Verfahren und das dadurch geschaffene Rechtsverhältnis sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen.
Wenn die öffentliche Hand - wie hier die Antragsgegnerin - für einen Grundstücksverkauf freiwillig den Weg
einer öffentlichen Ausschreibung wählt, entsteht zwischen ihr und den Teilnehmern ein vorvertragliches
Vertrauensverhältnis, das sie zu Gleichbehandlung der Teilnehmer, Transparenz und Rücksichtnahme
verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2008 - V ZR 56/07 juris und Urteil vom 12. Juni 2001 - X ZR
150/99 juris; LG Oldenburg, Urteil vom 06. Mai 2010 - 1 0 986/10 juris). Dieses vorvertragliche Rechtsverhältnis
dient der Anbahnung eines möglichen Kaufvertragsabschlusses, der sich nach Privatrecht richtet. Das
vorvertragliche Rechtsverhältnis ist daher ebenso wie etwaige daraus abzuleitende Pflichten und Rechte
grundsätzlich dem bürgerlichen Recht zuzuordnen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai
2010 - 8 E 419/10 -, juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30. Mai 2007 - 3 0 58/07 -, juris;
BGH, Urteil vom 22. Februar 2008, a.a.O., und Urteil vom 12. Juni 2001, a.a.O.; LG Stuttgart, Urteil vom 24.
März 2011 - 17 O 115/11 - juris; LG Oldenburg, Urteil vom 06. Mai 2010, a.a.O.; s. auch BVerwG, Beschluss
vom 02. Mai 2007 - 6 B 10.07 -, juris zu Verfahren betreffend die Vergabe öffentlicher Aufträge). Vor den
Zivilgerichten auszutragen sind daher grundsätzlich insbesondere Rechtsstreitigkeiten um die Frage, ob ein
solches Bieter-verfahren wirksam aufgehoben wurde (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001, a.a.O.), ob ein Bieter
zu Unrecht nicht zum Zuge kam (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai 2010, a.a.O.; OVG
Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. vom 30. Mai 2007, a.a.O.) und ob einem Bieter ein Anspruch zusteht, dem
Träger der öffentlichen Verwaltung die Erteilung des Zuschlags an einen anderen Bieter zu untersagen (vgl. LG
Oldenburg, Urteil vom 06. Mai 2010, a.a.O).
Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen dann in Betracht, wenn dem „Vergabeverfahren" trotz der per se
privatrechtlichen Abwicklung eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende Entscheidungsstufe vorgeschaltet ist
oder das Rechtsverhältnis aus anderen Gründen öffentlich-rechtlich überlagert wird. Solche Ausnahmen
wurden in der Rechtsprechung in besonders gelagerten Einzelfällen erwogen (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom
29. September 2013 - 3 K 2686/13 -, juris), so wenn die vergebende Stelle aufgrund öffentlicher Vorgaben in
ihrer Entscheidung gebunden war (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Januar 1995 - 8 S 841/94 -,
juris und Beschluss vom 12. März 1993 - 8 S 2554/92 -, juris sowie Hessischer VGH, Beschluss vom
20.12.2005 - 3 TG 3035/05 -, juris, jeweils zu Grundstückveräußerungen in einem städtebaulichen
Entwicklungsbereich im Sinne der 165 ff. BauGB a.F.), wenn die Vergabeentscheidung aus Bemühungen der
Gebietskörperschaft hergeleitet wurde, im Rahmen der Daseinsvorsorge eine bestimmte Nutzung des
Grundstücks zu erreichen (vgl. VG Münster, Beschluss vom 19. Januar 2009 - 1 L 673/08 - juris), wenn die
Auswahl unter den Kaufinteressenten nach Vergabekriterien, die im öffentlichen Interesse die Förderung eines
bestimmten Personenkreises (z.B. kinderreiche Familien) bezweckten, getroffen wurde (vgl. OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 30. Juni 2000 - 21 E 472/00 -, juris), oder wenn der Träger öffentlicher Verwaltung
mit ihr hoheitliche Zwecke verfolgte (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01. September 1992 - 7 E 1
1459/92 -, juris, zur Förderung der örtlichen gewerblichen Wirtschaft und der Städtebaupolitik; VG Minden,
Beschluss vom 08. November 2010 - 2 L 451/10 - juris, zur Subventionierung ortsansässiger
Gewerbetreibender, Wohnungsbauförderung o. dgl.). Als eröffnet wurde der Verwaltungsrechtsweg ferner in
einem Fall angesehen, in dem die Gemeinde für die Vergabe eines Baugrundstücks der Form nach ein
Verwaltungsverfahren im Sinne von SS 1 Abs. 1, 9 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (LVwVfG) gewählt
hatte, das nur einem Träger öffentlicher Gewalt zusteht (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 29. September 2013,
a.a.O.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Verfahren vorliegend als öffentlich-rechtlich anzusehen. Die
Auswahl der Kaufinteressenten sollte nach den in den „Bauplatzvergaberichtlinien für das Baugebiet
Heidengäßle und für zwei Bauplätze im Baugebiet Mühlbergle Il" enthaltenen Vergaberichtlinien erkennbar
einer im öffentlichen Interesse liegenden Förderung eines bestimmten Personenkreises dienen. Ausweislich
der Richtlinien sollten die Bewerber gleichgewichtig nach sozialen Kriterien (u.a. Zahl der Kinder, Personen
zwischen 21 und 35 Jahren und kinderlose Paaren zwischen 21 und 35 Jahren) sowie maßgeblich nach der
Dauer des Hauptwohnsitzes in der Gemeinde bzw. eines früheren Hauptwohnsitzes ausgewählt werden. Die
Antragsgegnerin bezweckte hier maßgeblich die Förderung von Familien und jungen Paaren, bei welchen
erfahrungsgemäß von der Altersstruktur ein Kinderwunsch absehbar ist. Das von der Antragsgegnerin mit den
Bauplatzvergaberichtlinien offensichtlich verfolgte Ziel, im Interesse der Entwicklung der örtlichen Sozialstruktur
auf die Vergabe der Bauplätze in dem künftigen Baugebiet „Heidengäßle/Mühlbergle Il" einzuwirken ist Ausfluss
der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), Art. 71 Abs. 1 Satz
1 und 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV). In diesem Sinne kann insbesondere auch die
Ortsverbundenheit der Gemeindeeinwohner ein für den Bestand und die Entwicklung der kommunalen
Gemeinschaft bedeutsamer Faktor sein, der durch die Möglichkeit, in der Gemeinde Grundeigentum zu
erwerben, verstärkt werden kann. Selbiges gilt auch für die Förderung von Familien mit jungen/jüngeren
Kindern im Hinblick auf die von der Gemeinde bereitgestellte und kostenintensive Zurverfügungstellung einer
Infrastruktur bestehend aus Kindergärten und Schulen. Die für die Vergabe der Bauplätze beschlossenen
Richtlinien lassen sich in jedem Fall einem kommunalpolitischen Ziel zuordnen, das darauf gerichtet ist, die
kontinuierliche Entwicklung der Gemeinde auch unter Anknüpfung an die Ortsverbundenheit der Einwohner zu
fördern. Diese von der Antragsgegnerin mit den Richtlinien vorgenommene zweifellos öffentlich-rechtlich zu
beurteilende Entscheidung ist hier dem Abschluss der darauf basierenden zivilrechtlichen Kaufverträge
vorgeschaltet. Nicht durchdringen kann die Antragsgegnerin mit der Argumentation, dass vorliegend für die
Vergabe der Grundstücke ein Verwaltungsverfahren gem. 1 Abs. 1, 9 LVwVfG gewählt wurde. Ein solches ist
die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen und den Erlass
eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Entgegen
der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei der schriftlichen Benachrichtigung der zum Zuge
gekommenen Bewerber (siehe Anlage der Antragsgegnerin dst 10) in Bezug auf das von ihnen gewählte
Grundstück um keinen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1 LVwVfG. Ein Verwaltungsakt ist danach jede
Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls
auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Vorliegend handelt es sich bei dem Benachrichtigungsschreiben um keine Entscheidung oder Maßnahme,
welcher eine Regelungsfunktion innewohnt. Wesentlich für den Begriff des Verwaltungsaktes ist, dass dieser
nach seinem objektiven Sinngehalt auf eine unmittelbare, für die Betroffenen verbindliche Festlegung von
Rechten und Pflichten gerichtet ist, d.h. darauf, mit dem Anspruch unmittelbarer Verbindlichkeit und mit der
Bestandskraft fähiger Wirkung unmittelbar subjektive Rechte der Betroffenen zu begründen, zu konkretisieren
und zu individualisieren, aufzuheben, oder verbindlich festzustellen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. April 1988
9 C 54.87 -, juris). Die Maßnahme muss nach ihrem objektiven Sinngehalt auf unmittelbare Rechtswirkung
gerichtet sein. Für die Ermittlung des Sinngehalts ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille der Behörde
maßgeblich, so wie er sich für den Empfänger unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände bei
objektiver Würdigung der Umstände der Erklärung darstellen muss. Ausgehend davon ist vorliegend eine
entsprechende Regelungsfunktion des Benachrichtigungsschreibens abzulehnen. In den genannten Schreiben
ist lediglich eine Klarstellung zu sehen, dass sich die Bewerber für einen entsprechenden Bauplatz entschieden
haben. Im Folgenden wird dann den Bewerbern das weitere Prozedere erläutert. Hierbei wird ausgeführt, bis
wann der Kaufvertrag den Bewerbern zugeht und wann ein notarieller Termin zum Vertragsabschluss erfolgen
kann. Anschließend wurden dem Schreiben noch ein Formular und ein Auszug aus einer „Power-Point-
Präsentation" beigefügt. Unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts konnten die zum Zuge
gekommenen Bewerber nicht davon ausgehen, dass die Antragsgegnerin hier eine verbindliche Regelung von
Rechten und Pflichten treffen wollte. Dem Schreiben wohnt lediglich eine Bestätigung des gewählten
Bauplatzes inne und klärt die Betroffenen über das weitere Vorgehen im Hinblick auf den dann zivilrechtlich zu
schließenden Kaufvertrag auf. Auch ist ein Verfahren mit dem Ziel einen öffentlich-rechtlichen Vertrag
abzuschließen nicht erkennbar.
Il.
Der Eilrechtsantrag hat auch in der Sache Erfolg. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). S 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein
Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen
sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die
besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts
(Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit S 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung (ZPO). Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund in
der gemäß S 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO gebotenen Art und Weise glaubhaft
gemacht.
Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der jeweilige Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf in der Hauptsache
bei summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.
Februar 2015 - 10 S 2471/14 -, juris). Ein Anordnungsgrund besteht danach, wenn eine vorläufige gerichtliche
Entscheidung erforderlich ist, weil ein Verweis auf das Hauptsacheverfahren aus besonderen Gründen
unzumutbar ist. Welche Anforderungen an die Erfolgsaussichten zu stellen sind, hängt maßgeblich von der
Schwere der den Antragstellern drohenden Nachteile und ihrer Irreversibilität, aber auch davon ab, inwieweit
durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsache vorweggenommen wird. Wird durch die
begehrte Maßnahme die Entscheidung in der Hauptsache insgesamt endgültig und irreversibel
vorweggenommen, kann die einstweilige Anordnung nur erlassen werden, wenn ein Anordnungsanspruch mit
ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt und für den Fall, dass die einstweilige Anordnung nicht ergeht,
den Antragstellern schwere und unzumutbare Nachteile entstünden. Dieser besonders strenge Maßstab ist
hingegen abzumildern, wenn die begehrte Rechtsposition nur für den Zeitraum bis zur
Hauptsacheentscheidung eingeräumt werden soll, weil sie faktisch nicht mehr rückgängig zu machen ist,
während über diesen Zeitpunkt hinaus keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden und die Rechtsstellung
insoweit nur vorläufig gewährt wird. In diesem Fall können schon überwiegende Erfolgsaussichten in der
Hauptsache genügen und die befürchteten wesentlichen Nachteile müssen nicht als schlechterdings
unzumutbar eingestuft werden. Ist eine überwiegende Erfolgsaussicht hingegen nicht feststellbar, kann eine
Regelungsanordnung nur ergehen, wenn dem Betroffenen andernfalls schwere und irreversible Nachteile,
insbesondere existentielle Gefahren für Leben und Gesundheit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 05. Februar 2015, a.a.O.)
Nach diesem Maßstab haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die
Erfolgsaussichten in der Hauptsache überwiegen. Es besteht jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
dafür, dass die Antragsteller bei summarischer Prüfung in der Hauptsache Erfolg haben werden. Darüber
hinaus räumt das Gericht den Antragstellern eine einstweilige Anordnung auch nur bis zu einer
erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache ein. Sollte diese Entscheidung zu einem anderen Ergebnis
kommen, werden vorliegend keine vollendeten Tatsachen über diesen Zeitpunkt hinaus geschaffen. Die
Rechtsstellung wird hier zunächst nur vorläufig gewährt.
1. Die Antragsteller werden mit einem Rechtsbehelf in der Hauptsache bei summarischer Prüfung
voraussichtlich Erfolg haben.
Die Antragsteller haben zunächst jedoch keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin darauf, ein bestimmtes in
dem Baugebiet gelegenes Grundstück zu erhalten. Die Antragsteller können nach keiner Rechtnorm verlangen,
dass ihnen die Antragsgegnerin ein bestimmtes Grundstück verkauft. Sie haben lediglich einen Anspruch
darauf, dass die Antragsgegnerin in dem nach ihrem Ermessen gewählten öffentlich-rechtlichen
Vergabeverfahren den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG beachtet, also eine sachgerechte,
willkürfreie und transparente Entscheidung trifft. Durch die Bauplatzvergaberichtlinien hat sich die
Antragsgegnerin in ihrer Entscheidung, an wen sie die entsprechenden Bauplätze veräußern will, selbst
gebunden (Selbstbindung der Verwaltung). Die Antragsteller haben aus diesem Grund zumindest einen
Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung.
Die vom Gemeinderat am 24. September 2018 beschlossene Vergaberichtlinien für die Vergabe der
Baugrundstücke sind jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest in formell rechtswidriger Weise zustande
gekommen. Sie bilden bereits aus diesem Grund keine geeignete rechtliche Grundlage für die
Vergabeentscheidung.
Die Bauplatzvergaberichtlinien sind mit hoher Wahrscheinlichkeit formell rechtswidrig.
Sie sind zum einen unter Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 der
Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO) zustande gekommen (a.). Zum anderen sind die Richtlinien
gem. S 18 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 GemO rechtswidrig beschlossen worden, da zumindest ein
Gemeinderatsmitglied bei der Beratung und Beschlussfassung trotz Befangenheit mitgewirkt hat (b.).
a.) Die Bauplatzvergaberichtlinien sind bereits deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil durch
Beratung in drei nichtöffentlichen Klausurtagungen des Gemeinderats und einer nichtöffentlichen Sitzung
gegen S 35 Abs. 1 GemO verstoßen wurde. Es reicht nicht aus, dass der Beschluss in öffentlicher Sitzung
gefasst wurde; vielmehr musste über die Frage der Bauplatzvergaberichtlinien auch öffentlich beraten werden
(vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 08. August 1990 - 3 S 132/90 juris). Allein dadurch wird dem
Zweck der Transparenz und der öffentlichen Kontrolle von Entscheidungen demokratisch gewählter Organe
Rechnung getragen. Dies ist nicht geschehen, vielmehr wurde die eigentliche Beratung in den drei
nichtöffentlichen Klausurtagungen des Gemeinderats am 05. Oktober 2017, am 16. Oktober 2017 und am 06.
Juni 2018 sowie in die nichtöffentliche Sitzung vom 17. Oktober 2018 verlagert. Eine nichtöffentliche
Vorberatung durch den Gemeinderat widerspricht grundsätzlich der klaren Regelung des S 35 GemO. Es kann
dahingestellt bleiben, ob es unter besonderen Umständen zulässig ist, im Interesse einer sachlich gut
vorbereiteten und auch reibungslos ablaufenden Behandlung in öffentlicher Sitzung eine der Information der
Gemeinderäte und des Bürgermeisters dienende Vorbehandlung durchzuführen, denn jedenfalls darf eine
solche nichtöffentliche Vorberatung nicht -- wie hier geschehen -- die Sachdiskussion vorwegnehmen (vgl. nur
Kunze/Bronner/Katz/, GemO für Bad.-Württ., § 35 RdNr. 12). Gründe, die nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GemO eine
nichtöffentliche Verhandlung gerechtfertigt hätten, sind offensichtlich nicht erkennbar. Das öffentliche Wohl
erfordert den Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn Interessen des Bundes, des Landes, der Gemeinde, anderer
öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder der örtlichen Gemeinschaft durch eine öffentliche Sitzung mit
Wahrscheinlichkeit wesentlich verletzt werden könnten. Berechtigte Interessen einzelner im Sinne des § 35
Abs. 1 Satz 2 GemO können rechtlich geschützte oder sonstige schutzwürdige Interessen sein. Sie erfordern
den Ausschluss der Öffentlichkeit in der Gemeinderatssitzung, wenn im Verlauf der Sitzung persönliche oder
wirtschaftliche Verhältnisse zur Sprache kommen können, an deren Kenntnisnahme schlechthin kein
berechtigtes Interesse der Allgemeinheit bestehen kann und deren Bekanntgabe dem einzelnen nachteilig sein
könnte. Die genannten Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Beschlussfassung in öffentlicher Sitzung am 24. September 2018 genügt keinesfalls den Anforderungen
des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO. Ausweislich der vorliegenden Sitzungsunterlagen dauerte die Sitzung zu diesem
Punkt lediglich 40 Minuten. Im Rahmen dieser Sitzung erläuterte der Bürgermeister die Richtlinien. Im
Anschluss daran wurden diese noch durch den Hauptamtsleiter erklärt. Die folgenden Wortmeldungen von
Gemeinderäten beschränkten sich auf wenige kursorische Ausführungen, bevor das Gremium letztlich
einstimmig den Vergaberichtlinien zustimmte. Die eigentliche Diskussion fand in den drei nichtöffentlichen
Klausurtagungen und in der nichtöffentlichen Sitzung am 17. September 2018 statt. Insbesondere das dem
Gericht vorliegende Protokoll der letztgenannten Gemeinderatsitzung macht deutlich, dass eine Behandlung
und Erörterung der Richtlinien in der öffentlichen Sitzung auch nicht gewünscht war. So führte der
Bürgermeister dort unter anderem aus, dass „alles was wir an der jetzigen Fassung verändern und in der
öffentlichen Sitzung diskutieren, die Presse aufgreifen könne". Weiterhin erläuterte er, dass es „ihm ganz
persönlich wichtig sei, dass wir am kommenden Montag gemeinsam als ein Gemeinderat, sprich als eine
Einheit auftreten, wenn es an die Vergabe geht. Zerrissenheit wäre jetzt ein völlig falsches Signal nach außen.
.. Ich gehe nach den letzten Beiträgen nicht davon aus, dass wir uns heute auf das festgelegte Paket mit den
noch eingearbeiteten Änderungen einigen und ich habe auch ehrlich keine Lust, jede Kleinigkeit nochmals zu
besprechem.. Daher schlage ich vor, dass sich die beiden Wählervereinigungen ohne die Verwaltung mit der
Maßgabe zusammensetzen, einen Vorschlag zu erarbeiten, der aus ihrer Sicht allen gerecht wird. Sobald
weißer Rauch aufsteigt werden wir die Ergebnisse auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen lassen.. Ich habe
jedenfalls keine Lust mich am kommenden Montag in öffentlicher Sitzung lächerlich zu machen. Wenn wir in
der Sitzung nicht als geschlossene Einheit auftreten, wenn es Kampfabstimmungen gibt, dann wird der
Tagesordnungspunkt am Montag von der Sitzung abgesetzt. Ergänzend hierzu führte der Gemeinderat D. noch
aus, dass „man sich heute auf Richtlinien einigen sollte und nicht in öffentlicher Sitzung in Einzeldetails gehen
solle. Er hält es jedoch für wichtig, dass man die Chance hat, gegen die Richtlinien zu stimmen, man darf
jedoch nicht in der Sitzung das Fass neu aufmachen". Das Ratsmitglied Ö. erläuterte noch, dass „Die
Richtlinien heute final diskutiert werden sollen und am Montag beschlossen werden". Aus diesen Äußerungen
wird deutlich, dass eine Diskussion und Meinungsverschiedenheiten in öffentlicher Sitzung nicht gewollt waren.
Die Sachdiskussion sollte gerade in den nichtöffentlichen Klausurtagungen und der nichtöffentlichen Sitzung
am 17. September 2018 vorweggenommen werden. Insbesondere fällt auch auf, dass in der letztgenannten
Sitzung auch schon konkrete Namen von möglichen Interessenten für Bauplätze ins Feld geführt wurden. Die
Vorgehensweise stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit einer
Gemeinderatssitzung, wie er in § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO seinen Niederschlag findet, dar. Eine andere
Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den öffentlichen Sitzungen vom 24. Juli 2017 und vom 27. August
2018. In der ersten Sitzung ging es lediglich um eine Information an ein nachfragendes Gemeinderatsmitglied.
In der zweiten Sitzung wurden die Bauplatzpreise für das Baugebiet festgelegt und nicht über die Richtlinien
diskutiert.
Der Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO stellt einen
schwerwiegenden Verfahrensfehler dar und führt wie sich unter anderem auch aus der gesetzlichen Wertung
des § 4 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 GemO ergibt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu der Rechtswidrigkeit der
beschlossenen Bauplatzvergaberichtlinien.
b.) Die Bauplatzvergaberichtlinien sind darüber hinaus mit hoher Wahrscheinlichkeit gem. § 18 Abs. 1, Abs. 6
Satz 1 GemO rechtswidrig beschlossen worden, da zumindest das Gemeinderatsmitglied B. bei der Beratung
und Beschlussfassung trotz Befangenheit mitgewirkt hat. Nach § 18 Abs. 1 GemO darf der ehrenamtlich tätige
Bürger (darunter der Gemeinderat, vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 GemO) weder beratend noch entscheidend
mitwirken, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit ihm selbst oder den in Abs. 1 Nr. 1-4 genannten
Personen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Ein Beschluss ist rechtswidrig, wenn bei der
Beratung oder Beschlussfassung die Bestimmungen des § 18 Abs. 1, 2 oder 5 verletzt worden sind.
Vorliegend hat das Gemeinderatsmitglied B. ausweislich der Protokolle an sämtlichen Beratungen in den
nichtöffentlichen Klausurtagungen, der nichtöffentlichen Sitzung am 17. September 2018 und der
Beschlussfassung am 24. September 2018 teilgenommen, obwohl er im zeitnahen Anschluss an die
Verabschiedung der Richtlinien an der Bewerbung für einen Bauplatz teilgenommen und schließlich auch einen
Zuschlag erhalten hat. Das Mitwirkungsverbot erstreckt sich auf die Beratung und Entscheidung in der
Angelegenheit. Der Ausschluss wegen Befangenheit beschränkt sich dabei allerdings nicht nur auf Sitzungen
des Gemeinderats und seiner Ausschüsse. Ein etwa befangener Gemeinderat darf auch nicht wie vorliegend
an drei nichtöffentlichen Klausurtagungen, in welchen es um die Vergaberichtlinien für die Bauplätze gegangen
ist teilnehmen. Allein dadurch wird dem Zweck der Befangenheitsvorschriften, nicht erst die tatsächliche
Interessenskollision, sondern bereits den bösen Schein einer unzulässigen Einflussnahme zu vermeiden
Rechtfertigung getragen.
Die Entscheidung in der Angelegenheit konnte ihm selbst einen unmittelbaren Vorteil bringen. Unzweifelhaft
liegt beim Gemeinderat B. aufgrund seiner im Nachgang an die Beschlussfassung erfolgten Bewerbung um
einen Bauplatz eine eigene Betroffenheit vor. Ein Ausschluss wegen Befangenheit tritt ein, wenn die
Entscheidung dem ehrenamtlich tätigen Bürger einen eigenen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.
Der ehrenamtlich Tätige muss ein sich vom Interesse der Gemeinde abhebendes individuelles Sonderinteresse
am Entscheidungsgegenstand haben, hinsichtlich dessen ihm die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil
oder Nachteil bringen kann (vgl. hierzu Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, S 18
Rn. 3a). Bedeutend ist, dass das Mitwirkungsverbot bereits die Gefahr einer Beeinflussung verhindern will. Der
Nachweis, dass der unmittelbare Vorteil tatsächlich eingetreten ist, ist demnach nicht Voraussetzung für ein
Mitwirkungsverbot. Vielmehr ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Eintritt des Sondervorteils
aufgrund der Entscheidung des Gemeinderats konkret möglich, d.h. hinreichend wahrscheinlich ist. Vorteil ist
dabei jede Vergünstigung oder Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Lage
der betreffenden Person. Welcher Art ein Vorteil ist, ist unerheblich, es fallen darunter alle Ansprüche und
Interessen (vgl. Kunze/Bronner/Katz, a.a.O., § 18 Rn. 9). Der mögliche Vorteil muss durch die Entscheidung
auch unmittelbar gegeben sein. Dabei wird ein „individuelles Sonderinteresse", also die Individualisierbarkeit
der in Betracht kommenden Vorteile vorausgesetzt. Die Frage, ob ein die Mitwirkung ausschließendes,
individuelles Sonderinteresse vorliegt, kann nicht allgemein, sondern nur aufgrund einer wertenden
Betrachtungsweise der Verhältnisse im Einzelfall entschieden werden. Die Entscheidung muss einen
unmittelbar auf die Person bezogenen, besonderen und über den allgemeinen Nutzen oder die allgemeine
Belastung hinausgehenden Vorteil bringen können. Sie muss sich in der Zielrichtung ihrer Auswirkungen
geradewegs und voll auf die Interessen des Befangenen richten, muss so eng mit deren persönlichen Belangen
zusammenhängen, dass sie sich gewissermaßen auf ihn „zuspitzt", so dass er eigentlich als Objekt der
Entscheidung oder als im Vordergrund oder Mittelpunkt stehend angesehen werden muss. Werden zwar seine
Interessen berührt, aber nicht so, dass er als der eigentliche Adressat der Entscheidung erscheint und daher
nicht mehr für sich in Anspruch nehmen kann, das erforderliche Maß an Objektivität bei der Abwägung der
Interessen aufzubringen, ist er nicht befangen (vgl. Kunze/Bronner/Katz, a.a.O., § 18 Rn. 9).
Ein entsprechendes Sonderinteresse ist bei dem Gemeinderat B. unschwer zu bejahen. Dieser hat sich in
unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang nach der nichtöffentlichen Sitzung vom 17. September 2018 und der
Beschlussfassung vom 24. September 2018 am 26. September 2018 für einen entsprechenden Bauplatz in
dem betroffenen Gebiet beworben. Die Ausführungen der Antragsgegnerin, dass er möglicherweise zu diesem
Zeitpunkt noch gar nicht gewusst hat, dass er sich auf einen Bauplatz bewerben will, sind aufgrund dieses
engen zeitlichen Zusammenhangs nicht überzeugend. Nicht nachvollziehbar ist, dass ein entsprechender
Bauwunsch für ein Eigenheim innerhalb weniger Tage entsteht, zumal das Gemeinderatsmitglied seit seiner
Geburt im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin wohnt und bei Lichte betrachtet dort dann auch ein
entsprechender Wunsch nach einem Eigenheim und einem dazugehörigen Bauplatz besteht. Damit hatte er
auch ein sich vom Interesse der Gemeinde abhebendes individuelles Sonderinteresse am
Entscheidungsgegenstand der Bauplatzvergaberichtlinien. Die Entscheidung des Gemeinderats konnte dem
Gemeinderat B. auch einen unmittelbaren Vorteil bringen. Das Gemeinderatsmitglied hat sich zum einen wie
ausgeführt unmittelbar nach Beschlussfassung beworben. Zum anderen hat er an sämtlichen nichtöffentlichen
Klausurtagungen teilgenommen. Auffallend ist hierbei auch eine Wortmeldung des Herrn B., welcher auch
Mitglied der freiwilligen Feuerwehr der Antragsgegnerin ist, im Rahmen der Klausurtagung vom 05. Oktober
2017 in welcher es um die Bewertung einer Mitgliedschaft in der Feuerwehr und um das Ehrenamt ging. Hierbei
führte er aus, dass „er bei der Feuerwehr drei Männer kennt, die bauen wollen. Man hat deswegen schon fünf
Männer verloren. Die Gemeinde hat in die Feuerwehrmänner viel Geld investiert. " Weiterhin hat er in derselben
Sitzung ausgeführt, dass „er das Ehrenamt für wichtig hält, wiewohl eine Bewertung schwierig ist'[ Bei der
Auswertung seiner Bewerbungsunterlagen fällt auf, dass der Antragsteller 70 Punkte erreicht hat. Für das
Ehrenamt wurden im 10 Punkte gutgeschrieben. Ohne eine entsprechende Berücksichtigung hätten er und
seine Ehefrau lediglich 60 Punkte erhalten. Ausweislich der Akten der Antragsgegnerin wurden in der ersten
Welle der Vergabe nur Bauplatzbewerber angeschrieben, welche mindestens 61 Punkte erreicht haben.
Aufgrund des Vorgenannten kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Gemeinderatsmitglied B. das
erforderliche Maß an Objektivität bei der Abwägung der Interessen aufgebracht hat. Die Entscheidung des
Gemeinderats über die Bauplatzvergaberichtlinien betrifft in ihrer Zielrichtung und ihren Auswirkungen auch
unmittelbar die Interessen des Ratsmitglieds B. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass die
Entscheidung in der Angelegenheit dem Herrn B. einen unmittelbaren Vorteil bringen konnte. Der Beschluss
des Gemeinderats über die Bauplatzvergaberichtlinien vom 24. September 2019 ist somit mit hoher
Wahrscheinlichkeit gem. S 18 Abs. 6 Satz 1 GemO rechtswidrig.
Das Gericht erlaubt sich hier noch den folgenden Hinweis: Auffallend ist, dass die Antragsgegnerin ausweislich
der vorgelegten Liste der zum Zuge gekommen Bewerber mit dem genannten Gemeinderatsmitglied B. bereits
am 11. Januar 2019 einen notariell beurkundeten Kaufvertrag geschlossen hat (U.R. Nr. S 0054), obwohl dies
der Antragsgegnerin mit dem Hängebeschluss des Gerichts vom 10. Januar 2019 untersagt worden ist. Die
hiergegen von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 14. Januar 2019 vorgebrachten Argumente sind für das
Gericht nicht überzeugend, zumal der Hängebeschluss am 09. Januar 2019 bereits vorab angekündigt wurde.
Aufgrund der mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden formellen Rechtswidrigkeit der
Bauplatzvergaberichtlinien bilden diese bereits aus diesem Grund keine geeignete rechtliche Grundlage für die
Vergabe der Baugrundstücke. Eine vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG erfolgende sachgerechte,
willkürfreie und transparente Entscheidung konnte die Antragsgegnerin auf deren Basis nicht treffen.
Die Antragsteller können daher jedenfalls für sich in Anspruch nehmen, dass sie zumindest in einem Anspruch
auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Antragsgegnerin verletzt sind.
c.) Dahinstehen bleiben kann, ob die Bauplatzvergaberichtlinien materiell rechtmäßig sind, woran vor dem
Hintergrund des zu beachtenden Transparenzgebots jedoch Zweifel bestehen.
2. Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund ist glaubhaft
gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes dringlich ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Ohne eine
einstweilige Anordnung bestünde die Gefahr, dass die Antragsgegnerin beabsichtigt, mit den zum Zuge
gekommenen Bewerbern notariell beurkundete Kauverträge abzuschließen und das Rechtschutzbegehren der
Antragsteller auch unter Berücksichtigung der Interessen der zum Zuge gekommenen Bewerber damit letztlich
ins Leere läuft. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin sechs Bauplätze noch
nicht vergeben hat. Die Antragsgegnerin hat sich durch die Bauplatzvergaberichtlinien selbst verpflichtet, ein
transparentes Vergabeverfahren durchzuführen. Vor Art. 3 Abs. 1 GG sind daher alle Bewerber um einen
Bauplatz gleich zu behandeln. Es ist eine entsprechende Bewerberkonkurrenz sämtlicher Bieter für sämtliche
Bauplätze durchzuführen, in welcher jeder Bewerber die gleichen Chancen erhält.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben,
entsprach es nicht der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen, vgl. § 154
Abs. 3 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO.
IV.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Aufgrund der Tatsache, dass die
Grundstückswerte in dem betreffenden Baugebiet jedenfalls über dem Auffangwert liegen, entsprach es der
Billigkeit den Streitwert aufgrund des höheren wirtschaftlichen Interesses vorliegend auf 10.000,- EUR
festzusetzen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:VG Sigmaringen
Erscheinungsdatum:17.06.2019
Aktenzeichen:3 K 7459/18
Rechtsgebiete:Kommunalrecht
Normen in Titel:VwGO § 40 Abs. 1 S. 1; GemO BW §§ 4 Abs. 4 S. 2 Nr. 1, 18 Abs. 1 u. 6 S. 1, 32 Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 u. 2; GG Artt. 3 Abs. 1, 28 Abs. 2 S. 1