Notarhaftung bei Beurkundung eines unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrags
letzte Aktualisierung: 30.10.2023
OLG Hamm, Urt. v. 12.7.2023 – 11 U 148/22
BNotO § 19; BGB § 2347
Notarhaftung bei Beurkundung eines unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrags
Zur Haftung eines Notars, der einen wegen eines Verstoßes gegen
Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkundet, und zur Frage, wann hieraus dem Erben ein Schaden
entsteht, so dass die 10-jährige, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist beginnt.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer klägerseits behaupteten notariellen
Amtspflichtverletzung des Beklagten, der bis zum 31.03.2022 Notar mit dem Amtssitz in D
(Westfalen) war.
Die Klägerin ist Tochter und aufgrund eines notariellen Testaments vom 14.12.2005 (Bl.
8-10 LG-Akte), vom Beklagten unter der Urk.-Nr. 004/2005 beurkundet, Hofes- und
Alleinerbin des am 00.00.1947 geborenen und am 00.00.2020 verstorbenen Landwirts E
(im Folgenden: Erblasser). Im Testament wurde durch den Erblasser der Wert des
Vermögens für die Kostenberechnung mit 330.000,00 € angegeben.
Der verwitwete Erblasser war bis zu seinem Tode Eigentümer des im Grundbuch von G 01
eingetragenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes in F, bei dem es sich um einen Hof im
Sinne der Höfeordnung handelt.
Unter der Urkunden Nr. #8/2006 beurkundete der Beklagte am 06.02.2006 eine zwischen
dem Erblasser (als Beteiligten zu 1) und dessen Töchtern, der Klägerin (als Erschienene
zu 3) und Frau A (als Erschienene zu 2) als Pflichtteilsverzichtsvertrag bezeichnete
Vereinbarung (Bl. 14-18 LG-Akte). Diese enthielt (u.a.) folgende Regelungen:
„§ 1
Die Erschienene zu 2. verzichtet gegenüber dem Beteiligten zu 1. für sich und ihre
Abkömmlinge […] auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht und ihre Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Der Beteiligte zu 1. nimmt diesen Verzicht an. […]
§ 4
[…] 1.
Die Erschienene zu 2. erklärt sich hinsichtlich des hier bezeichneten Hofes für abgefunden
und verzichtet endgültig und unwiderruflich auf die Geltendma- chung weitergehender
Abfindungsansprüche gemäß § 12 der Höfeordnung aus Anlass der notariellen
Erbeinsetzung meiner Schwester Marion.
[…] 2.
Zum Zwecke der Abfindung für die hofes- und hofesfreien Ansprüche verpflich- tet sich die
Erschienene zu 3. an die Erschienene zu 2. einen Betrag in Höhe von 30.000,00 EURO
-i.W. dreißigtausend EURO- zu zahlen.
[…]
Ich, die Erschienene zu 2. erkläre mich damit einverstanden, dass dieser Betrag für
meinen etwaigen Nachabfindungsanspruch gemäß § 13 HöfeO anzurech- nen ist.
3.
Der vorbezeichnete Verzicht erstreckt sich unter der nachfolgenden Maßgabe auch auf
Ergänzungsabfindungsansprüche gemäß § 13 Höfeordnung, über dessen Inhalt ich
ausführlich belehrt wurde. Sollte der potentielle Hofesüber- nehmer innerhalb der Frist des
§ 13 Höfeordnung -somit nach Übertragung des Betriebes, sei es durch tatsächlichen
Erbfall oder vorweggenommene Erbfolge- Handlungen vornehmen, die
Ergänzungsabfindungsansprüche, heute oder zu- künftig, auszulösen imstande sind,
insbesondere den Hof oder einzelne Grund- stücke, Liefer-, wie Brennrechte oder
Anlieferungsreferenzmengen Milch des Hofes verkaufen oder sonstige
Verwertungsmaßnahmen im Sinne von § 13 Hö- feordnung treffen, so verzichte ich auf die
Geltendmachung von Abfindungsan- sprüchen gemäß §1 3 Höfeordnung, sofern der
hiermit erzielte Erlös innerhalb von fünf Jahren in beliebige Wirtschaftsgüter des
landwirtschaftlichen Betriebes reinvestiert wird. Auf einen gleichwertigen Erwerb von
Ersatzland kommt es da- bei nicht an; hierdurch soll dem Hofesübemehmer ermöglicht
werden, den Hof aus etwaigen Erlösen zu vergrößern. […]
4.
Der vorbezeichnete Verzicht richtet sich an die Beteiligten zu 1. und 3. 5.
Die Beteiligten zu 1. und 3. erklären hiermit jeder für sich die Annahme vorstehender
Verzichtserklärung. Der Wert der Urkunde wird mit 30.000 EURO angegeben.
Der Notar wies darauf hin, dass zur Wirksamkeit des Verzichtsvertrages die notarielle
Zustimmung des E erforderlich ist. Solange ist der Pflicht- teilsverzichtsvertrag schwebend
unwirksam. […]“
Zu der Beurkundung erschien der Erblasser nicht persönlich, sondern wurde durch eine
Mitarbeiterin des Beklagten vollmachtlos vertreten.
Mit Erklärung vom 09.02.2006 (Bl. 86.C LG-Akte) genehmigte der Erblasser die von der
vollmachtlosen Vertreterin abgegebenen Erklärungen. Die unter dieser Erklärung
abgegebene Unterschrift wurde am selben Tage durch den Beklagten notariell beglaubigt
(Urk.-Nr. 107/2006).
Der am 06.02.2006 vereinbarten Betrag von 30.000,00 € wurde im Laufe des Jahres 2006
an die Schwester der Klägerin gezahlt.
Nach dem Tode des Erblassers trat die Schwester der Klägerin an diese heran und ließ sie
mit anwaltlichem Schreiben vom 27.04.2021 (Bl. 19 f. LG-Akte) – unter Hinweis auf eine
Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrages – auffordern, ein Nachlass- verzeichnis zu
erstellen.
Die Klägerin forderte daraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.05.2021 (Bl. 21 f. LGAkte)
den Beklagten unter Hinweis darauf, dass die Schwester nunmehr Pflichtteilsansprüche
geltend mache, auf zu erklären, dass er sie von sämtlichen Pflichtteilsansprüchen
der Schwester freistellen werde.
Der Beklagte lehnte dies ab und erhebt gegen die geltend gemachten Ansprüche
insbesondere die Einrede der Verjährung.
Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich
gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angegriffene
Urteil des Landgerichts Münster (Az. 202 O 1126/21) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die dem Beklagten im Dezember 2021 zugestellte Klage mit dem am
16.09.2022 verkündetem Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein
etwaiger Schadensersatzanspruch der Klägerin spätestens seit dem 10.02.2016 verjährt
sei. Der streitgegenständliche Anspruch sei mit Abschluss des we- gen des Verstoßes
gegen § 2347 Abs. 2 BGB unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertra- ges vom 06.02.2006,
spätestens jedoch mit der Abgabe der Genehmigungserklärung des Erblassers vom
09.02.2006 entstanden. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei es zu
einer Vermögensverschlechterung bei der Klägerin gekommen. Durch die Pflichtverletzung
des Beklagten sei die Erwerbsaussicht der Klägerin als zuvor testamentarisch
eingesetzter Erbin geschädigt worden. Ihre Stellung als künftige Erbin sei dadurch, dass
der Pflichtteilsverzicht unwirksam gewesen sei, mit Pflichtteilsansprüchen ihrer Schwester
belastet worden. Die bloße Möglichkeit, dass der Erblasser jemand ande- ren als Erben
habe einsetzen können, rechtfertige keine andere Beurteilung. Zum einen stelle sich diese
Annahme in höchstem Maße als unwahrscheinlich dar, zum an- deren stelle dies einen
bloß hypothetischen Kausalverlauf dar, welcher für die Beurtei- lung der Frage, ob die
Pflichtverletzung zu einem Vermögensschaden geführt habe, außer Betracht zu bleiben
habe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht
eingelegten Berufung, mit welcher sie ihr ursprüngliches Klagebegehren weiterverfolgt und
hilfsweise – für den Fall der Unzulässigkeit der Feststellungsklage – diese teil- weise auf
eine Leistungsklage umstellt.
Unter ergänzender Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens rügt sie, dass das
Landgericht zu Unrecht einen Verjährungsbeginn im Jahr 2006 angenommen habe. Ein
Schaden habe frühestens mit dem Tod des Erblassers eintreten können; gegebenenfalls
auch erst mit der Geltendmachung des Schadens durch die pflichtteilsberechtigte
Schwester. Bis zum Tod des Erblassers habe sie, die Klägerin, noch keine gesicherte
Rechtsposition als testamentarische Erbin innegehabt. Sie habe insoweit nicht geschädigt
werden können.
Zur Begründung des hilfsweise geltend gemachten Zahlungsantrags führt sie aus, dass
sich der Nachlasswert des hoffreien Vermögens auf 432.890,12 € belaufe. Wegen der
genauen Zusammensetzung des behaupteten Nachlasses wird auf die Auf- stellung auf Bl.
5 OLG-Akte verwiesen. Daraus ergebe sich ein Pflichtteilsanspruch ihrer Schwester i. H. v.
108.222,53 €, auf welchen sie, die Klägerin, bereits einen Ab- schlag in Höhe von
100.000,00 € geleistet habe. Der konkrete Wert des Nachlasses sei zwischen ihr und ihrer
Schwester umstritten.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. festzustellen, dass der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht,
dass der von Seiten ihrer Schwester, der Frau A, B - Str. 01, in C, erklärte Pflichtteils- und
Pflichtteilsergänzungsverzicht aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-
Nummer #8/2006 vom 06.02.2006 unwirksam ist,
hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, sie, die Klägerin, von Pflichtteils- und
Pflichtteilsergänzungsansprüchen in Höhe von 108.222,53 € und einer auf diesen Betrag
zu zahlenden Zinsverpflichtung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 17.06.2021 freizustellen,
2. festzustellen, dass der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht,
dass die von Seiten ihrer Schwester, der Frau A, B-Str. 01, C , getätigte
Abfindungserklärung hinsichtlich § 12 Höfeordnung aus der Urkunde des Beklagten mit
dessen Urkundenrollen-Num- mer #8/2006 06.02.2006 unwirksam ist,
3. festzustellen, dass der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht,
dass die von Seiten ihrer Schwester, der Frau A, B -Str. 01, C , getätigte Erklärung
hinsichtlich § 13 Höfeordnung aus der Urkunde des Beklagten mit dessen Urkundenrollen-
Nummer #8/2006 06.02.2006 unwirksam ist,
4. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den zu ersetzenden Schaden aus den
Klageanträgen 1 – 3 in Geld zu verzinsen mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 17.06.2021.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil mit weiteren Ausführungen und meint, die Feststellungsklage
sei bereits in der ersten Instanz unzulässig gewesen . Sie könne in der
Berufungsinstanz auch nicht mehr auf eine Leistungsklage umgestellt werden.
Er bestreitet die vorgetragenen Nachlasswerte und dass die Schwester – bis auf das
Schreiben vom 27.04.2021 – weitere Anstrengungen unternommen habe, um ihren
Pflichtteilsanspruch durchzusetzen. Von einem etwaigen Pflichtteilsanspruch der
Schwester sei jedenfalls der bereits gezahlte Betrag i. H. v. 30.000 € abzuziehen.
Die Verjährung habe das Landgericht, so der Beklagte, zu Recht angenommen. Ein
Schaden sei der Klägerin bereits dadurch entstanden, dass sie für den Pflichtteilsverzicht
ein Betrag i. H. v. 30.000 € gezahlt habe. Zudem sei der Erbanspruch der Kläge- rin
durch eine Unwirksamkeit der Verzichtserklärung weiterhin mit einem Pflichtteilsanspruch
ihrer Schwester belastet gewesen, auch daraus folge ein Schadenseintritt zum Zeitpunkt
der Beurkundung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der von
den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Parteien sind im
Senatstermin vom 21.06.2023 angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung
wird auf den Berichterstattervermerk vom 23.06.2023 zum Senatstermin verwie- sen (Bl.
259f OLG-Akte).
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.
A. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.
Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens erhoben werden, wenn die klagende Partei ein rechtliches Interesse daran
hat [b)], dass ein Rechtsverhältnis [a)] durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt
wird. Die Feststellungsklage dient dabei allgemein dem Zweck, Rechtsgewissheit dort zu
erlangen, wo eine Durchsetzung subjektiver Rechte durch Leistungsurteil oder eine
Rechtsänderung durch Gestaltungsurteil nicht möglich ist [c)] (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung,
34. Aufl. 2022, § 256 Feststellungsklage, Rn. 1). Diese Voraussetzungen
sind vorliegend erfüllt.
a) Die vorliegende Klage ist auf die Feststellung des Bestehens eines gegenwärtigen
Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 ZPO gerichtet.
Unter einem Rechtsverhältnis ist die Beziehung einer Person zu einer anderen Person
oder Sache zu verstehen, die ein (mit materieller Rechtskraftwirkung feststellbares)
subjektives Recht enthält oder aus der solche Rechte entspringen können (Greger in:
Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 3). Gegenstand einer Feststellungsklage
können auch einzelne aus einem Rechtsverhältnis sich ergebende Rechte
und Pflichten sein, nicht aber bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses,
reine Tatsachen oder etwa die Wirksamkeit von Willenserklärungen
oder die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober 2007
– I-23 U 199/06 –, Rn. 59, juris m. w. Nachw.)
Diese Voraussetzung ist bei sämtlichen Klageanträgen der Klägerin - welche auch in
einem Antrag hätten zusammengefasst werden können - erfüllt, da diese die Feststel- lung
zum Gegenstand haben, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schäden aufgrund
einer konkret benannten notariellen Amtspflichtverletzung zu ersetzen. Eine derartige
Schadensersatzpflicht, deren Feststellung begehrt wird, ist als Rechtsver- hältnis im Sinne
des § 256 ZPO anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1991 – VII ZR 245/90 –,
Rn. 10, juris; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 4).
b) Die Klägerin hat auch ein Interesse an einer alsbaldigen Feststellung.
Ein solches Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO besteht dann, wenn dem
subjektiven Recht der klagenden Partei eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht
und wenn das erstrebte Feststellungsurteil infolge seiner Rechtskraft dazu ge- eignet ist,
diese Gefahr zu beseitigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 – VIII ZR 351/08 –, Rn.
12, juris). Eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht z. B. dann, wenn dass die
beklagte Partei das behauptete subjektive Rechts des Klägers ernstlich bestreitet. Ist ein
absolutes Recht des Klägers verletzt worden, genügt es für das Fest- stellungsinteresse,
dass künftige Schäden möglich sind, wobei ausreichend ist, dass aus der Sicht des
Klägers bei verständiger Würdigung mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen ist (BGH,
Urteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99 –, juris). Dieser Grundsatz gilt aber nicht,
wenn, wie hier, reine Vermögensschäden, die nicht auf eine Verletzung eines absoluten
Rechts zurückzuführen sind, Gegenstand der Feststel- lungsklage sind. Bei reinen
Vermögensschäden hängt bereits die Zulässigkeit der Feststellungsklage von der
Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden
Schadenseintritts ab (BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 – XI ZR 384/03 –, BGHZ 166,
84-117, Rn. 27, juris). Damit soll ausgeschlossen werden, dass dem möglichen Schädiger
ein Rechtsstreit über gedachte Fragen aufgezwungen wird, von denen ungewiss ist, ob sie
jemals praktische Bedeutung erlangen können (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober
2007 – I-23 U 199/06 –, Rn. 62, juris).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend unzweifelhaft gegeben. Dem klägerseits gel- tend
gemachten Recht droht bereits dadurch eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicher- heit,
weil der Beklagte diesbezüglich die Auffassung vertritt, dass dieses – weil verjährt - ihm
gegenüber nicht durchsetzbar ist.
Die Klägerin hat zudem die von ihr darzulegende (vgl. dazu: Greger in: Zöller,
Zivilprozessordnung, § 256 Feststellungsklage, Rn. 9 m. w. Nachw.) Wahrscheinlichkeit
eines Schadenseintritts hinreichend dargetan. Diese ergibt sich daraus, dass ihre
Schwester ihr gegenüber Ansprüche unter Berufung auf die Unwirksamkeit des durch den
Be- klagten beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrages angemeldet, die Klägerin daraufhin
u.a. ein Nachlassverzeichnis über das hoffreie Vermögen mit Nachlasswerten von über
430.000,00 € erstellt und zudem ihrer Schwester einen weiteren Abschlag in Höhe von
100.000,00 € gezahlt hat. Die von der Klägerin dargelegten Nachlasswerte zeigen mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit, dass der Schwester der Klägerin Pflicht- teilsansprüche
zustehen können, welche die aufgrund der Vereinbarung aus dem Jahre 2006 in dem Jahr
bereits gezahlten 30.000,00 € deutlich übersteigen, und dass diese Ansprüche von der
Schwester ernsthaft verfolgt werden, so dass ihr die Klägerin, wie sie bei ihrer Anhörung
durch den Senat glaubhaft dargelegt hat, nach dem Erbfall bereits einen Abschlag von
100.000,00 € zahlte. Diese Zahlung wäre nicht veranlasst gewesen, wenn die Schwester
durch einen wirksamen Pflichtteilsverzicht mit den im Jahre 2006 gezahlten 30.000,00 €
vollständig abgefunden wäre.
c) Ein Feststellungsinteresse fehlt der Klägerin auch nicht deswegen, weil ihr eine Klage
auf Leistung möglich wäre. Eine auf Feststellung gerichtete Klage ist nur dann unzulässig,
wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist und sie das
Rechtsschutzziel erschöpft (BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 – XI ZR 467/15
–, Rn. 14, juris; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256 Feststel- lungsklage, Rn. 7a
m. w. Nachw.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. In Schadensfällen kommt es bei der
Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Erhebung einer Leis- tungsklage
entscheidend darauf an, ob der Kläger die Schadenshöhe bereits endgültig beziffern kann.
Diese Voraussetzung ist dabei nicht nur bei sich noch entwickelnden Schäden nicht erfüllt,
sondern auch dann, wenn die Schädigung bereits abgeschlos- sen ist, jedoch noch nicht
geklärt ist, auf welche Weise und mit welchen Kosten der Schaden behoben werden kann
(Becker-Eberhardt, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 256, Rn. 54; BGH,
Urteil vom 15.01.2008 – VI ZR 53/07 –,
Begutachtung zur Schadensberechnung ist dem Geschädigten zur Erhebung einer
bezifferten Klage nicht abzuverlangen (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.2000 – V ZR 387/98 -,
7a).
Dies zugrunde gelegt war der Klägerin die Erhebung einer Leistungsklage im Dezember
2021 bereits deswegen nicht möglich, weil die Bezifferung des ihr entstandenen
Schadens die Bestimmung des Nachlasswertes erfordert. Dieser setzt sich im hoffreien
Vermögen zu einem Großteil aus dem Wert der in den Nachlass fallenden Immobilien
zusammen, deren Wert ohne Verkehrswertgutachten regelmäßig nicht hin- reichend sicher
bestimmt werden kann. Diese Verkehrswertgutachten lagen zum Zeit- punkt der
Klageerhebung noch nicht vor. Deren Erstellung wurde erst im laufenden Rechtsstreit
veranlasst. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass das Feststel- lungsinteresse
nachträglich wegfallen würde. Ist dem Kläger die Bezifferung eines Schadens bei
Erhebung der Klage nicht möglich, so ist er nicht gezwungen, zu einer bezifferten
Leistungsklage überzugehen, wenn diese nachträglich möglich wird (BGH, Urteil vom 4.
November 1998 – VIII ZR 248/97 –, Rn. 15, juris).
Zudem ist die Schadensentwicklung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen
Verhandlung noch nicht abgeschlossen und es besteht Ungewissheit hinsichtlich der
Schadenshöhe, so dass auch deswegen der Klägerin die Erhebung einer bezifferten
Leistungsklage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht möglich war (vgl. dazu:
BGH, Urteil vom 15. Januar 2008 – VI ZR 53/07 –, Rn. 6, juris). Gegenstand der
Feststellungsklage ist auch die behauptete Unwirksamkeit der Modifizierung des § 13
HöfeO. Nach dieser Norm stehen den nach § 12 HöfeO Berechtigten – also den Miterben,
die nicht Hoferben geworden sind – unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche
auf Ergänzung der Abfindung wegen Wegfalls des höferechtlichen Zwecks zu. Bei
tatsächlicher Unwirksamkeit der Modifizierung könnten der Schwester der Klä- gerin
höhere Ansprüche gegen diese zustehen, als bei deren Wirksamkeit. Die Diffe- renz kann
einen von dem Beklagten zu erstattenden Schaden darstellen, welcher je- doch frühestens
bei Eintritt der Voraussetzungen des § 13 HöfeO – welche noch in der Zukunft eintreten
können - bezifferbar wäre.
Auch diese Unsicherheit hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe künftig mit Schäden zu
rechnen ist, führt zur Zulässigkeit der Feststellungsklage. Etwaige Ansprüche we- gen
einer Unwirksamkeit der Modifizierung des § 13 HöfeO stellen vorliegend nämlich keinen
eigenen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Beklagten dar, sondern le- diglich eine
von mehreren möglichen Schadenspositionen, die aus einer Pflichtverlet- zung des
Beklagten resultieren könnte. Ist jedoch die Entwicklung des Schadens nur hinsichtlich
einer Schadensposition nicht abgeschlossen, stellt sich die Feststellungs- klage insgesamt
und nicht etwa nur wegen dieser einen Schadensposition als zulässig dar (BGH, Urteil
vom 15. Januar 2008 – VI ZR 53/07 –, Rn. 6, juris).
B. Die Feststellungsklage ist begründet.
Der Klägerin steht gegenüber dem beklagten, ehemaligen Notar ein durchsetzbarer [5.]
Schadensersatzanspruch aus § 19 Abs. 1 BNotO deswegen zu, weil die von ihm am
06.02.2006 errichtete Urkunde sowohl hinsichtlich des Pflichtteilsverzichts [1. a)], als auch
wegen der Vereinbarung in Bezug auf die Ansprüche aus der Höfeordnung [1. b)]
unwirksam ist und der Klägerin dadurch wahrscheinlich ein Schaden entstanden ist [3.],
den sie nicht von Dritten ersetzt verlangen kann [4.].
1. Der Beklagte ist sowohl bei der Beurkundung des Pflichtteilsverzichtsvertrages als
auch bei der Beurkundung der Genehmigungserklärung als Notar tätig geworden, so dass
der Anwendungsbereich des § 19 BNotO eröffnet ist. Dabei hat der Beklage ge- genüber
der Klägerin die sich aus § 17 Abs. 1 BeurkG ergebenden Amtspflichten ver- letzt.
a) Aus § 17 Abs. 1 BeurkG folgt die Pflicht des Notars, den Willen der Beteiligten zu
erforschen, den Sachverhalt zu klären, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des
Geschäfts zu belehren und ihre Erklärungen klar und unzweideutig in der Nieder- schrift
wiedergeben. Die Vorschrift soll dabei insbesondere auch gewährleisten, dass der Notar
eine rechtswirksame Urkunde über den wahren Willen der Beteiligten errich- tet (BGH,
Urteil vom 11. Februar 1988 – IX ZR 77/87 –, Rn. 17, juris).
Diese ihm obliegende Amtspflicht hat der Beklagte dadurch verletzt, dass er bei der
Beurkundung die Vorschrift des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. - ab dem 01.01.2023 § 2347
S. 1 BGB (nach dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungs- rechts
vom 12.05.2021, BGBl. I, 2021, Nr. 21, S. 882-937) - übersah und eine Beur- kundung
unter Beteiligung eines vollmachtlosen Vertreters vornahm. Dadurch genügte der
beurkundete Verzicht nicht der Form des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. (vgl. BGH, Urteil
vom 14. Dezember 1995 – IX ZR 242/94 –, Rn. 20, juris).
Bei dem in § 1 der notariellen Urkunde vom 06.02.2006 vereinbarten Pflichtteilsver- zicht
handelt es sich um einen Vertrag nach § 2346 BGB. Einen solchen konnte der Erblasser –
jedenfalls in Bezug auf das erbrechtliche Verfügungsgeschäft - gem. § 2347 Abs. 2 S. 1
BGB a.F. nur höchstpersönlich schließen. Eine Ausnahme bestand nach § 2347 Abs. 2 S.
2 BGB a.F. nur für den – hier nicht vorliegenden - Fall der gesetzlichen Vertretung bei
Geschäftsunfähigkeit des Erblassers. Eine rechtsge- schäftliche („gewillkürte“)
Stellvertretung war somit auf Erblasserseite nicht möglich (vgl. auch Everts, in: beckOGK,
Stand: 01.06.2023, § 2347, Rn. 22). Ein Verstoß gegen die vorgeschriebene Form lässt
zwar (unter bestimmten Voraussetzungen) das dem
Verfügungsgeschäft zugrundeliegende Kausalgeschäft unberührt, führt jedoch in je- dem
Falle zur Nichtigkeit des erbrechtlichen Verfügungsgeschäfts nach § 125 S. 1 BGB (vgl.
BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 – V ZR 14/61 –,
juris).
b) Der Beklagte hat seine sich aus
einer formwirksamen Urkunde auch deswegen verletzt, weil die Verzichtsvereinbarung in §
4 Nr. 1 und Nr. 3 des Vertrages vom 06.02.2006 hinsichtlich der Ansprüche aus der
Höfeordnung ebenfalls unwirksam sind. Dabei konnte der Senat offenlassen, ob eine
solche Unwirksamkeit bereits aus §§ 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F., 125 S. 1 BGB folgt.
Nach wohl überwiegend in der Literatur vertretener Auffassung stellt der Verzicht auf
Ansprüche aus der Höfeordnung zu Lebzeiten des Erblassers ebenfalls einen Erb- vertrag
im Sinne des § 2346 BGB dar (so wohl: Ridder in: Münchener Anwaltshand- buch
Erbrecht, 5. Aufl., § 43, Rn. 23; IVO, Der Verzicht auf Abfindungs- und Nachabfindungsansprüche
gemäß §§ 12, 13 HöfeO,
von Jeinsen, Höfeordnung: HöfeO, 11. Aufl., § 17, Rn. 110; Raude in: Beck´sches
Formularbuch Erbrecht, 5. Aufl., 5. Erbverzicht der weichenden Erben bzgl. des Hofes
(HöfeO), Haarstrich in: Lüdtke-Handjery / von Jeinsen, Höfeordnung: HöfeO, § 12, Rn. 11),
so dass ein wirksamer lebzeitiger Verzicht auf die in §§ 12 und 13 HöfeO bezeichneten
Rechte nur in der Form des § 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. möglich gewesen wäre und ein
Verstoß dagegen zur Nichtigkeit der Verzichtserklärung führt (§ 125 S. 1 BGB).
Selbst wenn man jedoch annehmen sollte, dass der Verzicht auf Ansprüche aus der
Höfeordnung nicht der Formvorschrift des § 2347 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. entsprechen
musste, würde sich die Vereinbarung auch diesbezüglich aufgrund der unter a) dargestellten
Pflichtverletzung des Beklagten als nichtig darstellen. Eine solche Nichtigkeit der
dinglichen Verzichtserklärungen folgt jedenfalls aus § 139 BGB. Nach dieser Vor- schrift
stellt sich bei teilweiser Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsge- schäft als
nichtig dar, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil
vorgenommen sein würde. Letzteres ist vorliegend gerade nicht anzunehmen. Die
zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung lässt sich bereits nicht sinnvoll in eine
Vereinbarung über den Verzicht auf den Pflichtteil bezogen auf das hoffreie Ver- mögen
und in eine Vereinbarung bezogen auf einen (teilweisen) Verzicht auf die aus
§§ 12, 13 HöfeO folgenden Rechte aufteilen. Sowohl die Erklärungen bezüglich des
hoffreien wie auch bezüglich des hoffesten Vermögens werden durch die (insgesamt)
vereinbarte Abfindungserklärung derart miteinander verbunden, dass sich bereits nicht
bestimmen lässt, welcher Teil der Abfindung auf welchen Teil des Vermögens entfallen soll.
Zudem wird aus der getroffenen Vereinbarung deutlich, dass die Beteiligten bestrebt
waren, die erbrechtlichen Ansprüche der Schwester der Klägerin nach dem Tode des
Erblassers - bis auf eine Einschränkung bei den Ansprüchen gem. § 13 HöfeO -
umfassend und endgültig zu klären, so dass ausgeschlossen werden kann, dass die
Beteiligten bei Kenntnis der Unwirksamkeit der Erklärung bezogen auf das hoffreie
Vermögen die Erklärungen bezogen auf das hoffeste Vermögen dennoch so wie beurkundet
abgegeben hätten.
c) Die Nichtigkeit des erbrechtlichen Verfügungsgeschäfts ist auch nicht etwa dadurch
entfallen, dass der Erblasser die durch die vollmachtlose Vertreterin abgegebenen
Erklärungen am 09.02.2006 genehmigt hat, weswegen durch den Senat nicht entschieden
werden musste, ob eine Heilung des Formmangels die Kausalität der Pflichtverletzung
oder den Schaden entfallen lässt. Denn die von dem Erblasser am 09.02.2006
abgegebene Erklärung genügte jedenfalls nicht der durch § 2348 BGB vorgeschriebe- nen
Form der notariellen Beurkundung, welche bei Abschluss eines Erbvertrages nach
§ 2346 BGB eingehalten werden muss. Eine notarielle Beurkundung setzt voraus, dass
eine Niederschrift über die Verhandlung aufgenommen wurde. Die Niederschrift muss
dabei gemäß § 9 BeurkG die Bezeichnung des Notars und der Beteiligten sowie die
Erklärung der Beteiligten enthalten. Sie muss gemäß § 13 BeurkG in Gegenwart des
Notars den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und eigenhändig unter- schrieben
werden. Ebenfalls muss der Notar die Niederschrift eigenhändig unterschreiben (Einsele
in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 128, Rn. 5). Diesen Anforderungen genügt
die Genehmigungserklärung des Erblassers vom 09.02.2006 ersichtlich nicht. Es handelt
sich lediglich um eine Unterschriftsbeglaubigung gemäß § 39 BeurkG, welche auch nicht in
eine Niederschrift umgedeutet werden kann (vgl. dazu auch: OLG Düsseldorf, Urteil vom
6. Juli 2001 – 7 U 205/00 –, Rn. 10, juris).
Darüber hinaus wäre die am 09.02.2006 durch den Erblasser abgegebene Erklärung
selbst bei Einhaltung der vorgeschriebenen notariellen Form nicht geeignet, eine wirksame
Vereinbarung zwischen dem Erblasser und der Schwester der Klägerin herbeizuführen.
Bei den durch die Schwester in der Urkunden vom 06.02.2006 abgegebenen
Erklärungen handelte es sich um solche, die unter Anwesenden abgegeben wurden und
sich - neben der Klägerin - an die vollmachtlose Vertreterin des Erblassers richteten. Ein
solches Angebot kann gemäß § 147 Abs. 1. S. 1 BGB (nur) sofort angenommen werden
und wurde aus weislich des Inhalts der Urkunde vom 06.02.2006 durch die vollmachtlose
Vertreterin des Erblassers ja auch sofort angenommen.
Hält man die Annahmeerklärung der vollmachtlosen Vertreterin nicht für maßgeblich, kann
allerdings in der vom Erblasser am 09.02.2006 erklärten Genehmigung keine
„sofortige“ Annahme gesehen werden. „Sofort“ bedeutet im Unterschied zum weniger
strengen „unverzüglich“ i.S.v. § 121 BGB, dass jedes Hinauszögern, auch ein schuldloses,
zum Erlöschen des Antrags führt. Auf der anderen Seite muss dem Antragsempfänger
zwar die Möglichkeit gegeben sein, den Inhalt des Antrags und die Folgen der
Annahme zu erfassen. Daher muss die Antwort nicht ohne jedes Zögern erfolgen.
Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere die Komplexität des
Antrags (Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 147 Rn. 33). Eine
Annahme ihres Verzichtsangebots mehrere Tage nach dem Beurkundungstermin stellte
sich aus Sicht der Schwester der Klägerin als der maßgeblichen Erklärungs- empfängerin
aber nicht mehr als sofort im Sinne des § 147 BGB dar. Die Schwester der Klägerin, der
offenbar ebenso wie allen an der Urkundenverhandlung Beteiligten die Regelung des §
2347 Abs. 2 BGB a. F. seinerzeit nicht bekannt war, ging vielmehr davon aus, dass die
Willenserklärungen, welche zum Zustandekommen des Vertrages erforderlich waren,
bereits im Beurkundungstermin abgegeben wurden (zu dieser Kon- stellation auch: BGH,
Urteil vom 14. Dezember 1995 – IX ZR 242/94 –, Rn. 29, juris). Die Schwester musste
daher nach Annahme der Verzichtserklärung durch die voll- machtlose Vertreterin nicht
mehr damit rechnen, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine andere/weitere Erklärung
abgegeben wird, welche für das Zustandekommen der Vereinbarung erforderlich sein
sollte.
d) Die Klägerin gehört zum Kreis der durch die notariellen Amtspflichten geschützten
Personen. Zu diesen gehören die materiell an dem beurkundeten Rechtsgeschäft Beteiligten,
da diese mit ihrem Ansuchen in eigener Sache die Notartätigkeit veranlassen
(Schramm, in BeckOK BNotO, 7. Ed., § 19 BNotO, Rn. 24). Die Pflicht, eine formwirksame
Urkunde zu erstellen, bestand daher auch ihr gegenüber, da sich die Klägerin zum
einen durch das Amtsgeschäft verpflichtet hat, ihre Schwester abzufinden, zum anderen
ihre künftige Erbenstellung durch das Amtsgeschäft unmittelbar betroffen war. Beurkundet
ein Notar einen wegen eines Formfehlers unwirksamen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag,
so liegt eine Amtspflichtverletzung auch gegenüber demjenigen vor,
dem der Ausschluss des Verzichtenden als gesetzlicher Erbe und Pflichtteilsbe- rechtigter
zugutegekommen wäre (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – IX ZR 242/94 –, Rn. 20,
juris). Dies gilt erst recht, wenn der durch den Verzicht Begünstigte auch Beteiligter des
Beurkundungsverfahrens ist.
2. Dem Beklagten ist hinsichtlich der Pflichtverletzung auch Fahrlässigkeit – für die
Annahme eines auch nur bedingten Vorsatzes fehlen jegliche Anhaltspunkte – zur Last zu
legen. Nach dem Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 Abs. 2 BGB ist objektivierend von einem
pflichtbewussten, erfahrenen und gewissenhaften Durchschnittsnotar auszuge- hen;
gefordert wird von dem Notar insoweit insbesondere die vollständige Beachtung aller
Gesetze (Hogl, Beck´sches Notarhandbuch, 7. Aufl., § 35 Rn. 23). Diesem An- spruch ist
der Beklagte vorliegend nicht gerecht geworden, indem er die Regelung des
§ 2347 Abs. 2 BGB a. F. bei der Beurkundung am 06.02.2006 nicht beachtet hat.
3. Die Klägerin hat hinreichend dargetan, dass ihr aufgrund der durch den Beklagten
begangenen Pflichtverletzung ein kausaler Vermögensschaden entstanden ist. Eine auf
diesen bezogene Feststellungsklage ist begründet, wenn die sachlich-rechtlichen
Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 16.
Januar 2001 – VI ZR 381/99 –, Rn. 8, juris). und wenn aufgrund der dargelegten Tatsachen
mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass ein Schaden entstanden ist
(BGH, Urteil vom 19. November 1971 – I ZR 72/70 –, Rn. 33, juris). Die - summa- risch zu
prüfende - Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gehört zur Begründetheit der Klage
(BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92 –, Rn. 77, juris).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt, weil mit großer Wahrscheinlichkeit davon
ausgegangen werden kann, dass der Klägerin durch die Pflichtverletzung des Beklagten
ein Vermögensschaden entstanden ist.
a) Zur Bestimmung des durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens ist neben
dem tatsächlichen Geschehensablauf zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem
Verhalten des Notars genommen hätten und wie die Vermögenslage des
Betroffenen sein würde, wenn der Notar die Pflichtverletzung nicht begangen hätte,
sondern pflichtgemäß gehandelt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2008 – III ZR 292/07
–, Rn. 14 m. w. Nachw.). Hätte der Notar die Beteiligten vorliegend darauf hin- gewiesen,
dass zum Abschluss des Erbverzichtsvertrages die persönliche Mitwirkung des Erblassers
erforderlich ist, so hätten diese sich zu einem anderen Zeitpunkt zu- sammengefunden, um
die Vereinbarung formwirksam abzuschließen. Wäre eine solche Zusammenkunft zu
einem anderen Zeitpunkt nicht möglich gewesen, hätte der Notar zunächst ein Angebot
der Schwester der Klägerin und zu einem anderen Zeit- punkt die Annahme durch den
Erblasser und die Klägerin (formwirksam) beurkunden können (§ 128 BGB). Anhaltspunkte
dafür, dass die Beteiligten bei einem Hinweis auf
die erforderliche Anwesenheit des Erblassers insgesamt von der Beurkundung des
beabsichtigten Pflichtteilsverzichtsvertrages Abstand genommen hätten, liegen dagegen
nicht vor. Vielmehr erscheint diese Annahme auch nach dem Ergebnis der Anhö- rung der
Parteien im Senatstermin als sehr fernliegend.
b) Dies zugrunde gelegt besteht der Schaden der Klägerin jedoch nicht darin, dass an
deren Schwester eine Zahlung in Höhe von 30.000,00 € geleistet worden ist. Diese
Zahlung wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Beklagten geleistet worden, wenn der
Pflichtsteilverzichtsvertrag wirksam beurkundet worden wäre. Der Schaden der Klägerin
besteht vielmehr darin, dass sie aufgrund der Unwirksamkeit der Verzichtser- klärungen
nach dem Tod des Erblassers Pflichtteilsansprüchen und Ansprüchen aus der
Höfeordnung ihrer Schwester ausgesetzt ist. Der geleistete Betrag von 30.000,00
€ stellt dabei lediglich eine Rechnungsposition bei der Bestimmung der Höhe des
Schadensersatzanspruchs dar. Die Schwester wird sich diese Zahlung bei der Geltendmachung
ihrer Ansprüche ggf. anrechnen lassen müssen (vgl. § 12 Abs. 4 HöfeO,
§ 2315 Abs. 1 BGB) bzw. - wenn nicht - stünde der Klägerin diesbezüglich ein Rückforderungsrecht
zu, mit dem sie aufrechnen könnte.
Die Klägerin hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass die der Schwes- ter
zustehenden Ansprüche die bereits gezahlten 30.000,00 € bei weitem übersteigen und ihr
danach ein Schaden entstanden ist. Dass allein die Pflichtteilsansprüche der Schwester
die gezahlten 30.000,00 € erheblich übersteigen, ergibt sich aus der klä- gerseits
eingereichten Berechnung des (hoffreien) Nachlasswertes, welche mit einer Summe in
Höhe von 432.890,12 € endet und demnach einen Pflichtteilsanspruch der Schwester der
Klägerin in Höhe von 108.222,53 € begründet. Sofern der Beklagte ein- zelne Positionen
dieser Aufstellung - insbesondere im Hinblick auf den hilfsweise ge- stellten
Zahlungsantrag der Klägerin - der Höhe nach bestreitet, ist dieses Bestreiten nicht
geeignet, um bei der durchzuführenden summarischen Prüfung die Wahrschein- lichkeit
eines Schadens in Frage zu stellen. Zum Nachlass gehörten unstreitig ein Ba- rvermögen
in Höhe von 187.508,39 € sowie drei Pflegeappartements, deren Verkehrs- wert durch
Gutachten des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in den Städten Dorsten,
Gladbeck und Marl mit insgesamt 396.000,00€ bewertet worden ist. Auch wenn der
Beklagte dieser Bewertung (pauschal) entgegengetreten ist, ist nicht anzu- nehmen, dass
die Einschätzung des Verkehrswertes derart fehlerhaft erfolgt ist, dass insgesamt ein
Nachlasswert anzunehmen wäre, welcher Pflichtteilsansprüche der Schwester von
weniger als 30.000,00 € rechtfertigen würde. Dies gilt auch, soweit der
Beklagte die Bewertung des Wohnrechts als Abzugsposten, die Belastung der
Grundstücke und die angefallenen Beerdigungskosten bestreitet.
Dabei bietet auch die Angabe des Erblassers im notariellen Testament vom 14.12.2005
zum Nachlasswert ein Indiz dafür, dass Pflichtteilsansprüche der Schwes- ter über den
bereits gezahlten 30.000,00 € liegen dürften. Der Erblasser hat den Nach- lasswert zur
Kostenberechnung mit 330.000,00 beziffert. Es erscheint naheliegend, dass Angaben,
welche zur Berechnung von Gebühren herangezogen werden, nicht großzügig bemessen
werden, sondern sich eher im unteren Bereich des Vertretbaren bewegen. Selbst wenn
man einen Hofwert von 102.769,67 € von diesem Wert aus- nehmen würde, verbliebe ein
Wert im hoffreien Vermögen, welcher einen Pflichtteil- sanspruch der Schwerster in Höhe
von über 30.000,00 € rechtfertigen würde.
Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens ergibt sich ferner daraus, dass der Schwester der
Klägerin aufgrund der Pflichtverletzung des Beklagten über den Pflichtteilsan- spruch in
Bezug auf das hoffreie Vermögen hinaus ein Abfindungsanspruch aus § 12 HöfeO zusteht.
Dieser bemisst sich gem. § 12 Abs. 2 HöfeO nach dem Hofwert im Zeitpunkt des Erbfalls.
Als Hofwert gilt das Eineinhalbfache des zuletzt festgesetzten Einheitswertes im Sinne des
§ 48 des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Be- kanntmachung vom 26. September
1974 (Bundesgesetzblatt I S. 2369), geändert durch Artikel 15 des
Zuständigkeitslockerungsgesetzes vom 10. März 1975 (Bundes- gesetzblatt I S. 685).
Ausweislich der Urkunde des Beklagten vom 06.02.2006 betrug der Einheitswert des
Hofes zum Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde 68.513,11 €, woraus sich ein Hofwert im
Sinne des § 12 Satz 2 HöfeO in Höhe von 102.769,67 € ergibt. Wären von diesem Wert
keine Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen, würde der Schwester allein aus § 12 Abs. 10
HöfeO ein Abfindungsanspruch in Höhe von 25.692,42 € zustehen.
Danach ist mehr als deutlich, dass die bereits gezahlten 30.000,00 € nicht ausgereicht
haben, um die Ansprüche der Schwester der Klägerin, welche aufgrund der Unwirksamkeit
der Vereinbarung weiterhin Bestand haben, insgesamt abzufinden.
Schließlich würden der Schwester der Klägerin bei Veräußerung des Hofes innerhalb der
Frist des § 13 HöfeO ggf. höhere Ausgleichsansprüche zustehen als im Pflichtteilverzichtsvertrag
vom 06.02.2006 vorgesehen. Dabei kann derzeit zwar nicht mit Gewissheit
vorausgesagt werden, ob und in welcher Höhe der Klägerin insoweit künftig ein
Schaden entstehen könnte, da dies auch davon abhängt, welche wirtschaftlichen
Entscheidungen die Klägerin in der Zukunft in Bezug auf den Hof trifft. Bei der Feststellung
der Wahrscheinlichkeit eines Schades ist dieser Gesichtspunkt indiziell zugunsten
der Klägerin zu berücksichtigen.
c) Der Schaden der Klägerin entfällt auch nicht etwa deswegen, weil diese gegen ihre
Schwester einen schuldrechtlichen Anspruch darauf hätte, auf die Geltendmachung ihrer
erbrechtlichen Ansprüche zu verzichten.
Ein Anspruch auf Abgabe einer solchen Verzichtserklärung folgt vorliegend insbesondere
nicht (mehr) aus dem Kausalgeschäft zum Verzicht auf die erbrechtlichen Ansprüche der
Schwester der Klägerin, welches zwischen den Beteiligten des Urkunden- verfahrens am
06.02.2006 wirksam abgeschlossen wurde (wobei die Wirksamkeit des Kausalgeschäfts
an dieser Stelle offen bleiben kann und hier deswegen nicht weiter zu begründen ist).
Sofern das Kausalgeschäft einen solchen Anspruch bei seinem Abschluss im Jahre 2006
wirksam begründet hat, wäre seine Erfüllung mit dem Tod des Erblassers unmöglich
geworden und der Anspruch deswegen gem. § 275 Abs. 1 BGB erloschen.
Bei dem abstrakten Erbverzicht als solchen handelt es sich um ein erbrechtliches
Verfügungsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall, das als solches selbstständig ist
und nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zu einem anderen Geschäft, beispielsweise
einer Abfindungsvereinbarung steht (vgl. Riedel, in: Uricher, Erbrecht, 5. Aufl.,
§ 8, Rn. 135). Ebenso wie der abstrakte Erbverzicht selbst bedarf auch dieser
Verpflichtungsvertrag der notariellen Beurkundung gemäß § 2348 BGB. Anders als bei
dem abstrakten Erbverzicht kann sich der Erblasser jedoch beim Vertragsschluss des
Kausalgeschäfts vertreten lassen (Staudinger/Schotten (2022) BGB § 2347, Rn. 7 m.
w. Nachw.). Vor diesem Hintergrund ist ein unter Verstoß gegen § 2347 Abs. 2 a.F. BGB
geschlossener, im Übrigen jedoch formal ordnungsgemäß zustande gekomme- ner
Erbverzichtsvertrag unter Umständen als wirksames Verpflichtungsgeschäft anzu- sehen,
durch das sich die Parteien zum Abschluss eines formwirksamen Erbvertrags wirksam
verpflichtet haben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 – V ZR 14/61 –,
Rn. 28, juris; Riedel, in: Uricher, Erbrecht, 5. Aufl., § 8, Rn. 137). Der vom Beklagten am
06.02.2006 beurkundete Vertrag genügt der Form der notariellen Beur- kundung. Die vom
Erblasser am 09.02.2006 erklärte Genehmigung musste hierzu nicht auch notariell
beurkundet werden, sie konnte gem. § 182 Abs. 2 BGB formlos erklärt werden.
Auf der Grundlage eines wirksamen Verpflichtungsvertrags kann in einem solchen Falle
jede der Vertragsparteien Klage auf Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen erheben,
dies jedoch nur bis zum Tod des Erblassers. Durch dessen Tod vor Abschluss des
abstrakten Verzichtsvertrags wird die seitens des Verzichtsschuldners zu erbringende
Leistung unmöglich und er somit gemäß § 275 BGB von seiner Leistungs- pflicht frei.
Sofern die Abfindung bereits geleistet wurde, steht den bzw. dem Erben des Erblassers
ggf. ein Rückforderungsanspruch nach § 326 Abs. 4 BGB zu (Riedel in: Uricher, Erbrecht,
5. Aufl., § 8, Rn. 138). Die Unmöglichkeit ergibt sich dabei weni- ger aus dem
rechtskonstruktiven Grunde, dass ein Erbverzicht begrifflich einen Vertrag mit dem
Erblasser zu seinen Lebzeiten voraussetzt. Maßgebend ist vielmehr, dass auf
Gläubigerseite nur zu Lebzeiten des Erblassers in seiner eigenen Person ein sinnvol- les
und daher schutzwürdiges Interesse an einer Änderung hinsichtlich der Personen besteht:
der Erbverzichtsvertrag greift als höchstpersönliche Regelung in die Erbfolge nach dem
Erblasser ein; die beim Tod des Erblassers an seine Stelle tretende Erben- gemeinschaft,
zu der die Verzichtspflichtigen zunächst selbst gehören, kann dagegen als solche ein
derartiges Interesse nicht haben (BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 – V ZR 14/61 –, BGHZ 37,
319-331, Rn. 29, juris).
4. Die Klägerin vermag hinsichtlich des Schadens auch nicht auf andere Weise Ersatz zu
erlangen, so dass ein Anspruch gegen den Beklagten nicht wegen der Regelung in
§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO ausgeschlossen ist. Die anderweitige Ersatzmöglichkeit setzt
voraus, dass sie ihre Grundlage in demselben Tatsachenkreis findet, der für das Entstehen
des Amtshaftungsanspruchs maßgebend ist. Darüber hinaus muss die an- derweitige
Ersatzmöglichkeit rechtlich und wirtschaftlich begründete Aussicht auf Er- folg bieten.
Weitläufige, unsichere und im Ergebnis zweifelhafte Wege braucht der Ge- schädigte nicht
einzuschlagen. Dem Vorliegen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit steht es gleich, wenn
der Geschädigte eine früher bestehende Möglichkeit, Ersatz sei- nes Schadens von einem
Dritten zu erlangen, schuldhaft versäumt hat (BGH, Urteil vom 11. November 2004 – III ZR
101/03 –, Rn. 12, juris).
a) An dieser Stelle kann vorliegend dahinstehen, ob die Klägerin zu Lebzeiten des
Erblassers einen Abschluss des Verzichtsvertrages aufgrund des wirksamen Kausalgeschäfts
hätte durchsetzen können. Jedenfalls hat sie diese Möglichkeit nicht schuld- haft
versäumt. Sie durfte ohne Verschulden, bis zur Kenntnis dagegensprechender Tatsachen,
davon ausgehen, dass der beklagte Notar eine formwirksame Urkunde erstellt hat. Erst als
die Schwester unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Erklärung Forderungen an die
Klägerin stellte, hatte die Klägerin Anlass dazu, Zweifel an der
Wirksamkeit der Urkunde zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie jedoch keine
Möglichkeit mehr, auf die Errichtung eines formwirksamen Verzichtsvertrages hinzuwirken.
b) Schadensersatzansprüche gegen die Schwester sind vorliegend ebenfalls nicht ersichtlich.
Selbst wenn man insoweit ein wirksam abgeschlossenes Kausalgeschäft
zugrunde legt, ist nicht ersichtlich, dass die Schwester die Nichtigkeit des
Verfügungsgeschäfts oder die Nichterfüllung des Kausalgeschäfts zu Lebzeiten des
Erblassers zu vertreten hätte.
c) Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit folgt vorliegend auch nicht aus dem Umstand,
dass der Klägerin gegenüber ihrer Schwester wegen der aus § 275 BGB folgenden
Leistungsfreiheit ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Abfindung nach §§ 326
Abs. 4, 346 BGB zustehen könnte (vgl. dazu Weidlich in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., §
2346 Rn. 8). Der insoweit zurück zu gewährende Betrag ist ein auf die Forde- rung der
Schwester der Klägerin anzurechnender Abzugsposten und nicht geeignet, den darüber
hinausgehenden, weiteren Schaden der Klägerin, dessen Wahrschein- lichkeit die
vorliegende Feststellungsklage rechtfertigt, auszugleichen.
5. Der der Klägerin entstandene Schadensersatzanspruch ist gegenüber dem Beklagten
auch durchsetzbar. Die Einrede der Verjährung greift nicht durch.
Der Anspruch aus § 19 BNotO verjährt ebenso wie der Amtshaftungsanspruch nach
Maßgabe der
Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches folgt (vgl. BeckOK BNotO/Schramm, 7. Ed.
1.3.2023, BNotO § 19 Rn. 152)
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 195 BGB) und beginnt gemäß
§ 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.
Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob Fahrlässige Unkenntnis verjährt der An- spruch
in zehn Jahren von seiner Entstehung an (§ 199 Abs. 3 BGB).
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die kenntnisabhängige, dreijährige
Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB nicht vollendet ist, weil eine Kenntnis der
Klägerin von der haftungsbegründenden Pflichtverletzung des Beklagten erst mit
dem anwaltlichen Schreiben ihrer Schwester vom 27.04.2021 eingetreten ist und die noch
im Dezember 2021 zugestellte Klage den Lauf der Verjährungsfrist hemmt. Anhaltspunkte
dafür, dass die Klägerin bereits zuvor auf die Pflichtverletzung des Beklagten
aufmerksam wurde oder sich ihrer Kenntnis grobfahrlässig verschloss, sind vom Beklagten
nicht vorgetragen worden.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts war auch die kenntnisunabhängige zehnjährige
Verjährungsfrist im vorliegenden Fall nicht abgelaufen, als die Klägerin ihre Klage
erhob. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist nicht vor dem
Tode des Erblassers entstanden, weil die Klägerin zuvor keinen Schaden erlitten hat.
Ein Schadensersatzanspruch entsteht, wenn das von der jeweiligen Norm geschützte
Rechtsgut tatsächlich beeinträchtigt worden ist. Ist auch das Vermögen geschützt, ist
daher der Eintritt eines realen Vermögensschadens im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB
erforderlich. Das bedeutet nach der Differenzhypothese, dass sich die Vermögenslage des
Betroffenen infolge der schädigenden Handlung im Vergleich zu der hypotheti- schen Lage
ohne diese Handlung verschlechtert hat (BGH Urteil vom 14. Juni 2012 – IX ZR 145/11 -,
kann und dauerhaft bestehen bleibt, ist dagegen nicht entscheidend; das bloße Risiko
eines Vermögensnachteils reicht nicht aus (BGH, Urteil vom 17. Fe- bruar 2000 – IX ZR
436/98 –, Rn. 25, juris). Nicht entscheidend ist ferner, wenn noch nicht feststeht, ob der
Nachteil auf Dauer bestehen bleibt und damit endgültig wird (BGH, Urteil vom 9. Juli 1992
– IX ZR 50/91 –, Rn. 7, juris). Ist dagegen noch offen, ob ein pflichtwidriges, ein Risiko
begründendes Verhalten zu einem Schaden führt, ist ein Ersatzanspruch noch nicht
entstanden (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92 –, Rn. 34, juris). Bei der
Beurkundung eines nichtigen Vertrages nimmt der Bun- desgerichtshof dabei die
Entstehung eines Schadens dann an, wenn eine Partei zur Erfüllung ihrer vermeintlichen
Vertragspflichten Leistungen an die andere Vertragspar- tei erbracht hat (BGH, Urteil vom
3. März 2005 – III ZR 353/04 –, Rn. 16, juris; BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – IX ZR
434/98 –, Rn. 38, juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Klägerin ein Schaden frühestens mit dem
Ableben des Erblassers entstanden (so wohl auch: BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 –
IX ZR 242/94 –, Rn. 13f, juris, der im Zeitraum vor dem Ableben lediglich eine
Beeinträchtigung, nicht jedoch einen Schaden sieht). Der Umstand, dass die Nichtigkeit
des Pflichtteilverzichtsvertrages vom 06.02.2006 bereits grundsätzlich dazu geeig- net war,
die Vermögensposition der Klägerin in der Zukunft nachteilig zu beeinflussen,
vermag die Entstehung eines Schadens bereits im Jahre 2006 nicht zu begründen. Denn
jedenfalls bis zum Ableben des Erblassers war noch nicht klar, ob sich die Nich- tigkeit
überhaupt nachteilig auswirken konnte. Der Erblasser war bis zu seinem Able- ben nicht in
seiner Testierfreiheit beschränkt. Er hätte eine andere Person, etwa die Schwester der
Klägerin als Hof- und/oder Alleinerbin einsetzen können. In diesem Falle hätte die
Nichtigkeit der von dem Beklagten am 06.02.2006 beurkundeten Verzichtsvereinbarung
das Vermögen der Klägerin nicht nachteilig beeinflusst. Ein Scha- den wäre ihr hierdurch
nicht entstanden. Vielmehr war bis zum Ableben des Erblassers offen, ob das
pflichtwidrige, ein Risiko begründende Verhalten des Beklagten in Zu- kunft zu einem
Schaden der Klägerin führen würde. In einem solchen Fall ist ein Scha- den noch nicht
entstanden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92 –, juris Rn. 34).
Eine frühere Schadensentstehung folgt vorliegend auch nicht daraus, dass die Schwester
vor dem Ableben des Erblassers im Jahre 2006 bereits eine Zahlung in Höhe von
30.000,00 € erhalten hat. Unabhängig davon, dass diese Zahlung nicht den durch die
Klägerin erlittenen Schaden darstellt, weil sie auch bei pflichtgemäßem Ver- halten des
Beklagten geleistet worden wäre, erfolgte die Zahlung nicht auf einen nich- tigen Vertrag,
so dass die vorliegende Konstellation nicht mit derjenigen vergleichbar ist, die den zitierten
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 03.03.2005 (Az. III ZR 353/04) und
20.06.2000 (Az. IX ZR 434/98) zugrunde lag. Die Zahlung erfolgte zwar aus Anlass eines
unwirksamen Verfügungsgeschäfts, aber zur Erfüllung eines im Jahre 2006 wirksam
vereinbarten Kausalgeschäfts. Die dem (nichtigen) erbrechtliche Verfügungsgeschäft
zugrunde liegende schuldrechtliche Abfindungsvereinbarung ge- nügte der notariellen
Form (§ 2348 BGB), für ihren Abschluss war die persönliche An- wesenheit des Erblassers
nicht erforderlich, so dass er sich vertreten lassen konnte (BGH, Urteil vom 4. Juli 1962 –
V ZR 14/61 –,
Die Nichtigkeit des Kausalgeschäfts folgt vorliegend auch nicht aus der Nichtigkeit des
Verfügungsgeschäfts. Unabhängig davon, dass Verfügungs- und Verpflichtungsge- schäft
in ihrem rechtlichen Bestand unabhängig voneinander sind (Schotten, Das Kausalgeschäft
zum Erbverzicht,
§ 2346, Rn. 117), ist im vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass die Beteiligten bei
Kenntnis der Nichtigkeit des Verfügungsgeschäftes auch das Kausalgeschäft nicht gewollt
hätten. Eine derartige Abhängigkeit der beiden Geschäfte ergibt sich nicht aus der
Vertragsgestaltung, nach der die Wirksamkeit des Verzichts auf die erbrechtlichen
Ansprüche der Schwester nicht zur Bedingung für die Wirksamkeit der schuldrechtlichen
Abfindung erhoben wurde. Vielmehr hätten die Beteiligten, wenn ihnen die Regelung des §
2347 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. bekannt gewesen wäre, das Verfügungsgeschäft formwirksam
vereinbaren können und auch tatsächlich vereinbart. Erkennbar war ihnen wichtig, dem
Erblasser die Möglichkeit zu verschaffen, unter Abfindung erbrechlicher Ansprüche der
Schwester der Klägerin die von ihm seinerzeit gewünschte testa- mentarische Regelung
zugunsten der Klägerin abzusichern. Bei dieser Interessenlage ist davon auszugehen,
dass die Urkundenbeteiligten das schuldrechtliche Kausalge- schäft nicht davon abhängig
machen wollten, dass zeitgleich das Verfügungsgeschäft formwirksam zustande kommt.
Damit erfolgte die im Jahre 2006 geleistete Zahlung der 30.000,00 € an die Schwester der
Klägerin demnach nicht rechtsgrundlos. Sie ist deswegen nicht geeignet, vor dem Ableben
des Erblassers, mit dem die Erfüllung des Kausalgeschäfts unmöglich wurde, einen
Schadenseintritt bei der Klägerin nicht zu begründen.
Zuletzt ist ein Schaden vorliegend auch nicht darin zu sehen, dass die Klägerin eine
ungewollte Verpflichtung eingegangen ist. Vielmehr entsprach die eingegangene
Vereinbarung den Vorstellungen der Klägerin und der weiteren Beteiligten. Dass deren
dingliche Umsetzung daran scheiterte, begründet nicht die Annahme, dass die Kläge- rin
eine ungewollte Verbindlichkeit eingegangen wäre. Dies wäre nämlich nur dann
anzunehmen, wenn die Klägerin bei Kenntnis der Voraussetzungen für das Zustandekommen
eines wirksamen Vertrages von diesem Abstand genommen hätte, wofür vorliegend
keine Anhaltspunkte gegeben sind.
6. Sofern die Klägerin mit dem angekündigten Klageantrag zu Ziff. 4 einen Zinsanspruch
geltend gemacht hat, hat sie im Senatstermin klargestellt, dass insoweit die Feststellung
eines Zinsschadens begehrt wird, welcher von der Schwester der Kläge- rin ihr gegenüber
geltend gemacht werden könnte. Ein eigener Zinsschaden der Klä- gerin sollte gerade
nicht geltend gemacht werden. Ein solcher etwaiger Zinsschaden der Schwester wird
jedoch von dem geltend gemachten Feststellungsbegehren um- fasst, welches der Senat
im Tenor zusammengefasst hat. Einer gesonderten, auf ei- nen etwaigen Zinsschaden
bezogenen Feststellung bedarf es nicht.
C. Mangels Eintritts der innerprozessualen Bedingung bedurfte es keiner Entscheidung
über den hilfsweise gestellten bezifferten Zahlungsantrag.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11 S. 1, 711 ZPO.
IV.
Die Revision war zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Fortbildung des Rechts durch
eine Revisionsentscheidung ist erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt,
Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts
aufzuzeigen oder Gesetzeslücken zu schließen (Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung,
§ 543 Zulassungsrevision, Rn. 12). Dies ist vorliegend deswegen der
Fall, weil eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung der kenntnisunabhängigen
Verjährung in Bezug auf eine Schadensentstehung bei nichtigem Verfügungsund
wirksamen Kausalgeschäft im Bereich der Notarhaftung nicht vorliegt.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:12.07.2023
Aktenzeichen:11 U 148/22
Rechtsgebiete:
Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren
Erbverzicht
BNotO § 19; BGB § 2347