OLG Düsseldorf 07. April 2020
3 Wx 230/19
GBO §§ 20, 22, 29, 78 Abs. 2 S. 1; BGB §§ 2110 Abs. 1, 2191

Notwendigkeit der Zustimmung des Ersatznacherben zur Löschung des Nacherbenvermerks

letzte Aktualisierung: 17.12.2020
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.4.2020 – 3 Wx 230/19

GBO §§ 20, 22, 29, 78 Abs. 2 S. 1; BGB §§ 2110 Abs. 1, 2191
Erfordernis der Zustimmung des Ersatznacherben zur Löschung des Nacherbenvermerks

1. Zum – hier bejahten – Erfordernis einer Zustimmung der Ersatznacherben zur Löschung eines
im Grundbuch eingetragenen Nacherbenvermerks auch in Ansehung einer in notarieller Urkunde
vereinbarten, zum Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs gemäß §§ 22, 29 GBO nicht
ausreichenden, Freigabe des den einzigen der Nacherbenbindung unterliegenden
Nachlassgegenstand ausmachenden Grundbesitzes.
2. Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Blick auf die im einzelnen ungeklärte Rechtsfrage, ob und in
welchen Grenzen eine Freigabe von Nachlassgegenständen aus der Nacherbenbindung ohne
Zustimmung des Ersatznacherben zulässig ist.

Gründe:

I.
Der verfahrensgegenständliche Wohnungsgrundbesitz stand ursprünglich im Eigentum
des Vaters des Beteiligten zu 1. Jener hatte in seinem am 25. Januar 2012 notariell
errichteten Testament den Beteiligten zu 1 sowie dessen beiden Geschwister zu seinen
Erben zu je 1/3-Anteil bestimmt und dabei dem Beteiligten zu 1 die Stellung eines nicht
befreiten Vorerben zugewiesen. Nacherben sollen die Beteiligten zu 2 und 3 - sie sind die
Kinder des Beteiligten zu 1 - ersatzweise deren Abkömmlinge nach den Regeln der
gesetzlichen Erbfolge sein. Für den Fall, dass entweder die Beteiligten zu 2 und 3 keine
Abkömmlinge hinterlassen oder dass bei Eintritt des Nacherbfalls keine Abkömmlinge des
Beteiligten zu 1 vorhanden sein sollten, enthält das Testament ergänzende Anordnungen.
Der Vater des Beteiligten zu 1 verstarb am 25. Mai 2012 und in den Nachlass fiel unter
anderem der im Grundbuch von Weeze auf Blatt … eingetragene Grundbesitz. Nach
Teilung dieses Grundbesitzes in zwei separate Wohnungseigentumseinheiten wurde der
Beteiligte zu 1 aufgrund Auflassung und Teilung nach § 8 WEG am 23. Januar 2013 als
Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes im Grundbuch eingetragen.
Zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3 wurde in Abteilung II ein Nacherbenvermerk
eingetragen; die angeordnete Ersatznacherbschaft wurde nicht vermerkt.
Mit notarieller Urkunde vom 13. Juni 2019 übertrugen die Beteiligten zu 2 und 3 den
verfahrensgegenständlichen Grundbesitz in das nicht der Nacherbfolge unterliegende
Vermögen des Beteiligten zu 1 und erklärten die Freigabe des Grundbesitzes aus der
Nacherbschaft.

Mit notariellem Antrag vom 26. Juni 2019 haben die Beteiligten die Löschung des in
Abteilung II des Grundbuchs eingetragen Nacherbenvermerks beantragt.
Über diesen Antrag hat das Grundbuchamt zunächst im Wege einer Zwischenverfügung
entschieden und den Beteiligten aufgegeben, Löschungsbewilligungen der hilfsweise
berufenen Ersatzerben vorzulegen. Auf die von den Beteiligten bereits gegen diese
Zwischenverfügung eingelegte Beschwerde hin hat der Senat die Zwischenverfügung mit
Beschluss vom 29. August 2019 (Az.: I-3 Wx 156/19) aufgehoben, dies aus
verfahrensrechtlichen Gründen, da die Beibringung einer für eine Eintragung
erforderlichen Bewilligung des unmittelbar Betroffenen nicht mit einer rangwahrenden
Zwischenverfügung verlangt werden kann.
Sodann hat das Grundbuchamt mit weiterem Beschluss vom 22. Oktober 2019 den
Löschungsantrag der Beteiligten zurückgewiesen und dies auf seine unveränderte
Rechtsauffassung über die Erforderlichkeit der Beibringung einer Löschungsbewilligung
der Ersatznacherben gestützt.

Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihrer Beschwerde vom 29. Oktober 2019, mit
der sie – wie bereits im Zusammenhang mit ihrer Beschwerde gegen die
Zwischenverfügung – einwenden, es bedürfe keiner Zustimmung der Ersatznacherben zur
Löschung des Nacherbenvermerks, wenn ein Grundstück aufgrund einer Vereinbarung
zwischen Vor- und Nacherben aus dem Nachlass ausscheide. Eine Zustimmung der
Ersatznacherben sei nur dann erforderlich, wenn das Anwartschaftsrecht des Nacherben
als Ganzes übertragen werden solle; bei einer Verfügung über nur einen einzelnen
Nachlassgegenstand gelte das nicht.
Das Grundbuchamt hat unter dem 4. November 2019 einen Nichtabhilfe- und
Vorlagebeschluss erlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Grundbuchakte verwiesen.

II.
Die gemäß §§ 71 Abs. 1, 72, 73 GBO statthafte und auch im übrigen zulässige
Beschwerde der Beteiligten ist dem Senat aufgrund der vom Grundbuchamt mit weiterem
Beschluss vom 4. November erklärten Nichtabhilfe zur Entscheidung angefallen, § 75
GBO.

Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Senat hat bereits in seinem
Beschluss vom 29. August 2019 unter Ziffer II. – ohne Bindungswirkung – die Gründe
dargelegt, aufgrund derer die von den Beteiligten begehrte Löschung des im Grundbuch
eingetragenen Nacherbenvermerks Zustimmungserklärungen der Ersatznacherben
voraussetzt. Der Senat verweist auf diese Ausführungen und hält an diesem Ergebnis
nach Prüfung fest.

Die Löschung eines Nacherbenvermerks im Grundbuch setzt nach herrschender
Auffassung voraus, dass entweder die Bewilligung aller Nach- und etwaiger Ersatzerben
vorliegt oder die Grundbuchunrichtigkeit nach §§ 22, 29 GBO nachgewiesen ist (vgl. OLG
München BeckRS 2019, 11660; BeckOGK/Küpper, BGB, Stand: 15. Juli 2019, § 2100 Rn.
149 f.; Demharter, BGO, 31. Aufl. 2018, § 51 Rn. 37; jeweils mit weiteren Nachweisen). Im
hiesigen Verfahren ist zu entscheiden über die Löschung eines im Grundbuch
eingetragenen Nacherbenvermerks aufgrund nachgewiesener Unrichtigkeit des
Grundbuchs, §§ 22, 29 GBO. Dieser Nacherbenvermerk ist eingetragen nicht an dem
ursprünglich zum Nachlass gehörenden - ungeteilten – Grundbesitz des Vaters des
Beteiligten zu 1, sondern an dem nach Teilung in Wohnungseigentum entstandenen
hälftigen Miteigentumsanteil des Beteiligten zu 1.

Dazu ist zunächst zu bemerken, dass offensichtlich alle mit der Eintragung des
verfahrensgegenständlichen Nacherbenvermerks im Grundbuch Befassten – sowohl die
Beteiligten des hiesigen Verfahrens und ihr Verfahrensbevollmächtigter als auch das
Grundbuchamt – das Testament des Vaters des Beteiligten zu 1 dahin ausgelegt haben,
dass der Erblasser dem Beteiligten zu 1 den ½-Miteigentumsanteil des im Grundbuch von
Weeze auf Blatt … eingetragenen Grundbesitzes im Wege der Einsetzung als Vorerbe
zugewandt hat und dass – trotz der im Testament unter C. II. gewählten Bezeichnung der
Zuwendung als Vermächtnis – kein Fall der Anordnung eines Vor- und
Nachvermächtnisses, §§ 2191, 2110 Abs. 1 BGB, vorliegt. Dem kann sich der Senat
aufgrund einer Würdigung des übrigen Inhaltes des Testamentes, insbesondere der unter
C. II. Ziffer 4 getroffenen Verfügungen, im Ergebnis anschließen, vertiefter Erörterungen
bedarf es mit Blick auf das einhellige Verständnis des Testamentsinhaltes nicht.
Ohne Erfolg machen die Beteiligten geltend, eine Zustimmung der Ersatznacherben zur
Löschung des im Grundbuch eingetragenen Nacherbenvermerks sei entbehrlich, da durch
die in der notariellen Urkunde vom 13. Juni 2019 vereinbarte Freigabe des
verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes die Unrichtigkeit des Grundbuchs gemäß §§
22, 29 GBO nachgewiesen werde.

Die Unrichtigkeit eines eingetragenen Nacherbenvermerks bestimmt sich nach materiellem
Erbrecht. Sie ist gegeben, wenn hinsichtlich des konkreten Grundstücks oder
Grundstücksrechts, bei dem der Nacherbenvermerk eingetragen ist, das Nacherbenrecht
im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht (mehr) besteht. Das ist unter
anderem dann der Fall, wenn die Nacherbfolge nach Eintragung des Vermerks
weggefallen ist (Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 51 Rn. 49). Eine
Nacherbfolge ist nachträglich weggefallen und kann nicht mehr eintreten, wenn der
Vorerbe materiell-rechtlich wirksam – sei es mit Zustimmung oder nach Genehmigung der
Nacherben, sei es aufgrund seiner Stellung als befreiter Vorerbe, § 2136 BGB – über das
nacherbenbehaftete Grundstückseigentum oder -recht verfügt. Es entspricht einhelliger
Auffassung, dass es einer Zustimmung der Ersatznacherben zu einer Verfügung des
Vorerben über das nacherbenbehaftete Grundstück bzw. das Grundstücksrecht weder
materiell-rechtlich noch grundbuchverfahrensrechtlich bedarf (vgl. Keller/Munzig, a.a.O., §
51 Rn. 53 m.w.N.).

Von einer Verfügung des Vorerben über das nacherbenbehaftete Grundstück oder das
Grundstücksrecht zu unterscheiden ist jedoch die – auch hier gegebene – Situation einer
Verfügung zwischen Vor- und Nacherben über die Nacherbenbindung des Grundstücks
bzw. des Rechts an ihm. Die Möglichkeit einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung
zwischen Vor- und Nacherben darüber, ein zum Nachlass gehörendes und der
Nacherbenbindung unterliegendes Grundstück aus der Nacherbenfolge zu entlassen, ist
im Grundsatz wohl ebenfalls allgemein anerkannt; unterschiedliche Auffassungen
bestehen in Bezug auf die dogmatische Herleitung und in der Begründung. Ebenfalls
überwiegend anerkannt ist weiter, dass auch eine solche Verfügung unabhängig von einer
Zustimmung des Ersatznacherben materiell-rechtlich wirksam ist und
grundbuchverfahrensrechtlich die Löschung des Nacherbenvermerks wegen
nachgewiesener Unrichtigkeit des Grundbuchs ermöglicht (vgl. Keller/Munzig, a.a.O., § 51
Rn. 53; BeckOK/Zeiser, GBO, 37. Edition, Stand: 15. Dezember 2019, § 51 Rn. 107;
BeckOGK/Müller-Christmann, BGB, Stand: 15. Januar 2020, § 2111 Rn. 104 ff.; Palandt-
Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2100 Rn. 18; OLG München FGPrax 2018, 65 und
BeckRS 2019, 11660; OLG Hamm FGPrax 2016, 199; jeweils mit weiteren Nachweisen;
siehe auch Keim, DNotZ 2016, 751 ff., insbesondere 767 f.; kritisch und das Erfordernis
einer Einbeziehung der Ersatznacherben bejahend: BeckOK/Zeiser, a.a.O., § 51 Rn. 108

a).
Bei Prüfung der Frage, ob die vorstehend dargestellten Grundsätze zur materiellrechtlichen
Wirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Freigabevereinbarung ohne Mitwirkung
der Ersatznacherben auf den vorliegenden Fall übertragen werden können, ist die hier
gegebene Besonderheit zu berücksichtigten, dass es sich bei dem
verfahrensgegenständlichen Grundbesitz um den einzigen nacherbengebundenen
Nachlassgegenstand handelt. Entsprechendes ergibt sich aus einer Auslegung des
notariellen Testaments des Erblassers vom 25. Januar 2012.

In seinem Testament vom 25. Januar 2012 hat der Erblasser den Beteiligten zu 1 als
Erben zu 1/3-Anteil eingesetzt, dies in der Stellung eines Vorerben. Im Abschnitt C des
Testaments unter der Überschrift „Vermächtnisse“, hat der Erblasser dem Beteiligten zu 1
den verfahrensgegenständlichen Grundbesitz zugewandt. Unter der Ziffer 4 hat der
Erblasser weiter verfügt, dass (a) der verfahrensgegenständliche Grundbesitz der Vor- und
Nacherbschaft unterliege. Als Voraus, der nicht der Nacherbenbindung unterliege, erhalte
der Beteiligte zu 1 den Erbanteil am beweglichen Vermögen (b).

Somit betrifft die zwischen den Beteiligten zu 1 bis 3 getroffene Vereinbarung vom 13. Juni
2019 über die Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der
Nacherbschaft den einzigen Nachlassgegenstand, der der Nacherbenbindung unterliegt.
Insofern weicht der hiesige Fall auch von dem Sachverhalt ab, der der Entscheidung des
Oberlandesgerichts München, BeckRS 2019, 11660, zugrunde lag und auf die die
Beteiligten ihre Rechtsauffassung maßgeblich stützen. Das Oberlandesgericht München
hatte über die Zulässigkeit einer Vereinbarung zwischen Vor- und Nacherben über ein zum
Nachlass gehörendes Grundstück zu befinden und dies mit Blick auf weitere zum
Nachlass gehörende Erbschaftsgegenstände bejaht.

Nach Auffassung des Senats ist bei Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit von
Verfügungen zwischen Vor- und Nacherben über die Nacherbenbindung auch den
Interessen des Ersatznacherben und seiner Schutzbedürftigkeit vor ihn beeinträchtigenden
Verfügungen Rechnung zu tragen. Seine Schutzbedürftigkeit vor Verfügungen über die
Freigabe von Nachlassgegenständen aus der Nacherbenbindung wird deutlich, wenn
folgendes in die Betrachtung einbezogen wird: Wäre es möglich bei einem Nachlass, der
aus verschiedenen Nachlassgegenständen besteht, durch eine Vielzahl von
Einzelfreigaben nahezu den gesamten Nachlass, der der Nacherbenbindung unterliegt, in
das ungebundene Eigenvermögen des Vorerben zu überführen, entweder „Stück für
Stück“ oder ggfls. durch eine gebündelte Freigabe oder in Form einer sog. Allklausel,
würde dies zu einer Aushöhlung des Nachlasses und damit zu einer unzulässigen
Umgehung des Schutzes des Ersatznacherben führen (vgl. zu dieser Erwägung: Keim,
a.a.O.; BeckOGK/Müller-Christmann, a.a.O., § 2111 Rn. 128 ff.). Dass aber der
Ersatznacherbe vor ihn beeinträchtigenden Verfügungen des Nacherben zu schützen ist,
ist anerkannt. Der Ersatznacherbe hat ein – doppelt bedingtes – Anwartschaftsrecht in
Bezug auf den Nachlass, der Nacherbe kann nur über sein Nacherbenrecht verfügen,
nicht aber über die Anwartschaft des Ersatznacherben (OLG München FGPrax 2015, 118;
vgl. auch Palandt-Weidlich, a.a.O., § 2100 Rn. 16, allerdings hält Weidlich in Rn. 18 - ohne
nähere Begründung - eine Zustimmung des Ersatznacherben auch dann nicht für
erforderlich, wenn die Nacherbenbindung hinsichtlich aller oder aller wesentlichen
Nachlassgegenstände aufgegeben wird). Der Nacherbe kann sein Anwartschaftsrecht
nicht ohne Zustimmung des Ersatznacherben übertragen (BeckOGK/Müller-Christmann,
a.a.O., § 2111 Rn. 169; BeckOK/Zeiser, a.a.O., § 51 Rn. 27).

Dagegen verneint Hartmann in seinem demnächst zur Veröffentlichung in der RNotZ
anstehenden Aufsatz „Raus aus der Nacherbschaftsbindung! Aber wie?“, der zugleich eine
Anmerkung zum Senatsbeschluss vom 29. August 2019 ist, die Schutzwürdigkeit des
Ersatznacherben. Indes ist es nicht überzeugend, wenn Hartmann zwar einerseits darauf
verweist, dass auch das Gesetz den Schutz des Anwartschaftsrechts des Ersatzerben
kennt, etwa durch den Nacherbenvermerk, gleichwohl den Ersatznacherben für nicht
schutzwürdig hält. Sinn und Zweck des gesetzlichen Schutzes des Ersatznacherben ist
aber nach Auffassung des Senats nicht lediglich der Schutz einer rein formalen Position,
sondern der Schutz der dahinter stehenden materiellen Position. Deshalb überzeugt auch
die Auffassung von Neukirchen (RNotZ 2018, 357, 368), auf die in dem zur
Veröffentlichung anstehenden Aufsatz Bezug genommen wird, nicht. Neukirchen hält
ebenso wie Hartmann eine Zustimmung des Ersatznacherben in Fallkonstellationen wie im
hiesigen Verfahren für entbehrlich und meint, das Anwartschaftsrecht des
Ersatznacherben umfasse nur die Nacherbschaft an sich, nicht aber deren Bestand. Auch
das liefe im Ergebnis auf den Schutz einer rein formalen Position, einer ggfls. entleerten
Hülle, hinaus.

Ein weiterer Aspekt, der gegen die uneingeschränkte Zulässigkeit von
Freigabeverfügungen spricht, ist die anderenfalls mögliche Gefährdung der Rechte der
Nachlassgläubiger. Würde durch eine Vielzahl von Einzelfreigaben der gesamte Nachlass
in das ungebundene Eigenvermögen des Vorerben überführt, bestünde der Nachlass nur
noch als formale Position, den Nachlassgläubigern ginge ihr Haftungssubstrat verloren
(vgl. zu dieser Erwägung: BeckOGK/Müller-Christmann, a.a.O., § 2111 BGB Rn. 129;
dagegen Hartmann in seinem demnächst zur Veröffentlichung anstehenden Aufsatz in der
RNotZ, der eine analoge Anwendung von § 2382 BGB befürwortet).

Problematisch und bislang – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung nicht entschieden,
ist die Frage, anhand welcher Kriterien die Zulässigkeit von Einzelfreigaben zu bestimmen
ist. In der Literatur (vgl. Keim, a.aO.; BeckOGK/Müller-Christmann, a.a.O., § 2111 Rn. 130)
vorgeschlagen wird eine Orientierung an ähnlichen Vorschriften, die ebenfalls einen
Schutz der Gläubiger bezwecken. Zurückgegriffen werden könne etwa auf die zu § 419
BGB a.F. entwickelten Grundsätze, nach der ein gesetzlicher Schuldbeitritt des Erwerbers
dann eintrat, wenn der übertragene Einzelgegenstand 90 % des Gesamtvermögens
ausmachte. Erwogen wird auch eine Parallele zum Erbschaftskauf, §§ 2371 ff. BGB. Eine
Haftung des Käufers für Nachlassverbindlichkeiten (§ 2382 BGB) trete dann ein, wenn sich
der Verkauf auf „nahezu die ganze Erbschaft“ beziehe. Das könne sich ebenfalls nach den
zu § 419 a.F. BGB entwickelten Grundsätzen oder nach denjenigen zur Anwendung der
Verfügungsbeschränkung des § 1365 BGB richten. Dabei habe die im Rahmen von § 1365
BGB gemachte Einschränkung, nach der der Erwerber beim Erwerb eines
Einzelgegenstandes auch wissen müsse, dass es sich um das gesamte oder nahezu das
gesamte Vermögen handele, bei Rechtsgeschäften zwischen Vor- und Nacherben keine
Bedeutung, da den Beteiligten als Erben diese Verhältnisse naturgemäß bekannt seien.
Insgesamt sachgerecht sei eine Orientierung am Wert des Nachlasses, nicht an der Zahl
der Nachlassgegenstände, denn die Zahl der Gegenstände als rein quantitatives Kriterium
besage regelmäßig nichts darüber, ob durch das in Rede stehende Rechtsgeschäft der
Nachlass wertmäßig entleert werde.

Eine Entscheidung des Senats darüber, wie die (Wert-)Grenze für die Zulässigkeit einer
Einzelfreigabe zu bestimmen ist, ist im hier zu beurteilenden Einzelfall entbehrlich, denn –
wie gezeigt – handelt es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Grundbesitz um den
einzigen Nachlassgegenstand, für den der Erblasser die Nacherbschaft angeordnet hat, so
dass seine Freigabe unzweifelhaft und ohne weiteres zu einer Entleerung des Nachlasses
führt.

Demzufolge ist die hier von den Beteiligten mit notariellem Vertrag vom 13. Juni 2019
vereinbarte Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der
Nacherbenbindung materiell-rechtlich unwirksam, denn eine Zustimmung der
Ersatznacherben zu dieser den gesamten Nachlass betreffenden Verfügung ist erforderlich
und liegt nicht vor. Das bedeutet für das grundbuchrechtliche Verfahren, dass die von den
Beteiligten begehrte Löschung des Nacherbenvermerks nicht wegen nachgewiesener
Grundbuchunrichtigkeit nach §§ 22, 29 GBO erfolgen kann. Beigebracht werden muss
stattdessen die Bewilligung aller Ersatznacherben.

Ohne Einfluss auf dieses Ergebnis ist, dass nach Maßgabe der aktuellen Eintragungen im
Grundbuch der in Abteilung II unter der laufenden Nummer 1 eingetragene
Nacherbenvermerk keinen Hinweis auf die angeordnete Ersatznacherbschaft enthält und
deshalb nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2016,
392; Demharter, a.a.O., § 51 Rn. 16 f.). Diese Unvollständigkeit rechtfertigt die von den
Beteiligten begehrte Löschung des Nacherbenvermerks keinesfalls, denn anderenfalls
käme es gleichsam zu einer „doppelten“ und nicht gerechtfertigten Benachteiligung der
Ersatznacherben, würde ihre Zustimmung mit der Begründung für entbehrlich gehalten
werden, dass die angeordnete Ersatznacherbschaft schon nicht im Grundbuch
eingetragen sei.

Insofern dürfte für das Grundbuchamt Anlass bestehen, den Nacherbenvermerk von Amts
wegen zu ändern bzw. zu vervollständigen (vgl. zur Berichtigung des Nacherbenvermerks:
Demharter, a.a.O., § 51 Rn. 18, § 22 Rn. 22).

III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, denn die Kostentragungspflicht der
Beteiligten ergibt sich bereits aus dem Gesetz, §§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 GNotKG.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 36 Abs. 3 GNotKG.
Mit Blick auf die im einzelnen ungeklärte Frage, ob und in welchen Grenzen eine Freigabe
von Nachlassgegenständen aus der Nacherbenbindung ohne Zustimmung des
Ersatznacherben zulässig ist, lässt der Senat die Rechtsbeschwerde zu, § 78 Abs. 2 Satz
1 GBO.

Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft.
Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt
sind. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen
Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem
Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe einzulegen und muss
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein.
Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen
Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten
sind. Wegen der weiteren Details wird auf § 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG Bezug
genommen.Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beträgt ebenfalls einen
Monat und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses.Die
weiteren Einzelheiten zu den zwingenden Förmlichkeiten und Fristen von
Rechtsbeschwerdeschrift und Begründung ergeben sich aus §§ 71 und 72 FamFG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Düsseldorf

Erscheinungsdatum:

07.04.2020

Aktenzeichen:

3 Wx 230/19

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Grundbuchrecht
Vermächtnis, Auflage
Eheliches Güterrecht
Erbteilsveräußerung
Kostenrecht
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

RNotZ 2020, 390-394
BWNotZ 2020, 279-283

Normen in Titel:

GBO §§ 20, 22, 29, 78 Abs. 2 S. 1; BGB §§ 2110 Abs. 1, 2191