Anfechtung der Erbausschlagung bei bloßem Motivirrtum
letzte Aktualisierung: 10.5.2019
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2018 – 3 Wx 140/18
BGB §§ 119 Abs. 2, 120, 123, 1944 Abs. 1 u. 2, 1945 Abs. 1
Anfechtung der Erbausschlagung bei bloßem Motivirrtum
Beruht die Entscheidung, die Erbschaft auszuschlagen, auf bewusst ungesicherter also spekulativer
Grundlage (hier: Annahme der Überschuldung des Erblassers aufgrund eines vor Jahren vorhanden
gewesenen Guthabens in Verbindung mit der Rentensituation und der äußeren Lebensführung bei
vermutet hohen Wohnungsauflösungskosten), so berechtigt eine später sich herausstellende
Werthaltigkeit des Erbes mangels eines rechtlich relevanten Irrtums (bloßer Motivirrtum) den
Ausschlagenden nicht zur Anfechtung seiner Erklärung.
G r ü n d e :
I.
Die verwitwete Erblasserin lebte allein in ihrer Wohnung. Nach ihrem Tode – die
Erblasserin war von der Polizei tot aufgefunden worden – befand sich die Wohnung dem
Antrittsbericht der Beteiligten zu 2. zufolge, in einem Zustand extremer Verunreinigung.
Die Beteiligte zu 1. ist eine Schwester der Erblasserin. Gemeinsam mit einer weiteren
Schwester erklärte sie am 13. Februar 2017 zu Protokoll der Geschäftsstelle des
Amtsgerichts, ihr sei nicht bekannt, ob die Erblasserin eine Verfügung von Todes wegen
hinterlassen habe, kraft gesetzlicher Erbfolge sei sie Miterbin; die angefallene Erbschaft
schlage sie aus jedem Berufungsrunde aus; der Nachlass sei ihr nicht bekannt. Ende
Februar und Anfang März 2017 erklärten weitere gesetzliche Erben Erbausschlagungen.
Mit Beschluss vom 16. März 2017 wurde die Beteiligte zu 2. zur (berufsmäßigen)
Nachlasspflegerin mit den Aufgabenkreisen der Sicherung und Verwaltung des
Nachlasses bestellt, weil die Erbfolge noch nicht geklärt sei. Ende März 2017 reichte die
Beteiligte zu 2. ein Nachlassverzeichnis zur Gerichtsakte, das als Aktiva knapp 11.000 €
Geldvermögen auswies, zu den Passiva beziffert lediglich Bestattungskosten von rund
1.250 € sowie die Bemerkung der Beteiligten zu 2., wegen des Zustandes der Wohnung
entfielen auf den Nachlass hohe Kosten „an Entsorgung und Renovierung“. Einem
weiteren Bericht vom 20. Juli 2017 war zu entnehmen, dass die Beteiligte zu 2. am 6. Juni
2017 mit der Beteiligten zu 1. telefoniert und ihr hierbei mitgeteilt hatte, der Nachlass sei
nicht überschuldet. Mit Schreiben gleichfalls vom 20. Juli 2017 äußerte die Beteiligte zu 2.:
Die Beteiligte zu 1. sei davon ausgegangen, der Erbe nach der Erblasserin habe die
kompletten Renovierungs- und Entrümpelungskosten gegenüber dem Vermieter zu tragen,
und deshalb befürchtet, der Nachlass sei überschuldet. Nach Lage der Rechtsprechung
habe die Mietwohnung jedoch nur geräumt, nicht renoviert übergeben werden müssen. Da
sie (die Beteiligte zu 1.) keine Möglichkeit gehabt habe, selbst zu prüfen, über welche
Vermögenswerte die Erblasserin noch verfügt habe – sie habe die Wohnung, zu der die
Polizei die Schlüssel gehabt habe, nicht betreten dürfen –, habe sie dann die Erbschaft
fristgereicht ausgeschlagen. Der Nachlass weise abschließend ein Guthaben von ca.
6.600 € auf, wovon nur noch Gerichtskosten und Nachlasspflegervergütung (750 €)
abgingen.
Mit am 22. Juni 2017 beim Amtsgericht eingegangener, notariell beglaubigter Erklärung
vom 21. Juni 2017 hat die Beteiligte zu 1. ihre Ausschlagung angefochten und die
Annahme der Erbschaft nach der Erblasserin erklärt. Zur Begründung hat sie angeführt:
„Zu dieser Ausschlagung bin ich durch Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft
des Nachlasses bestimmt worden. Dies hat sich daraus ergeben, dass meine Schwester
starke Raucherin und die Wohnung komplett vermüllt war, so dass ich davon
ausgegangen bin, dass diese Umstände dazu führten, dass die Entrümpelung und die
Renovierung der Wohnung sowie die noch zu zahlenden Monatsmieten für die
Kündigungszeit den Nachlass erheblich übersteigen würden.Ich habe erst jetzt erfahren,
dass die Schönheitsreparaturklausel des Mietvertrags unwirksam ist und also die
kostspieligen Renovierungsarbeiten nicht geschuldet werden.“
Ferner hat sie mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 15. November 2017
erklärt, dass anlässlich der Ausschlagung beim Nachlassgericht über „Details des
Nachlasses“ nicht gesprochen worden sei, und ergänzt:
„Die Antragstellerin [die Beteiligte zu 1.] wusste allerdings aus der Vergangenheit, dass
[i]hre Schwester über Sparguthaben verfügte, das nach dem Tod des Ehemannes der
Schwester, sie meint vor etwa fünf Jahren, noch etwa 19.000 EUR betrug. Die Schwester
hatte zwar nur einige kleine Witwenrente, war aber überaus sparsam, so dass die
Antragstellerin davon ausging, das[s] von dem Ersparten noch etwas vorhanden war.
Keine genaue Kenntnis besaß sie allerdings über dessen Höhe. Anlässlich des Zustands
der Wohnung der Schwester …. befürchtete sie, dass die Forderungen des Vermieters das
vorhandene Guthaben übersteigen würde[n].“
Nach Eingang der Ausschlagungserklärung hatte das Nachlassgericht unter dem 14. Juli
2017 die Beteiligte zu 1. persönlich wie folgt angeschrieben:
„…. kann die Wirksamkeit der Anfechtung der Ausschlagung erst im Erbscheinsverfahren
geprüft werden.Sie werden daher gebeten, einen Erbscheinsantrag zu stellen und die Ihr
Erbrecht nachweisenden Urkunden vorzulegen. ….“
Dem ist die Beteiligte zu 1. mit notariell beurkundeter Erklärung vom 1. August 2017
nachgekommen. Sie hat beantragt, ihr aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen sie als
Alleinerbin nach der Erblasserin ausweisenden Erbschein zu erteilen.
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Nachlassgericht diesen Antrag
zurückgewiesen und hierzu der Sache nach ausgeführt, die Beteiligte zu 1. habe ihre
Erbausschlagung nicht wirksam angefochten, da es an einem Anfechtungsgrund fehle.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrem am 4. Mai 2018 bei
Gericht eingegangenen Rechtsmittel. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass die
Ausschlagungserklärung nicht von ihr selbst, sondern von der protokollierenden
Rechtspflegerin im Anschluss an ihre (der Beteiligten zu 1.) Schilderung der
Lebenssituation der Erblasserin und der aus dem Zustand der Wohnung abzuleitenden
Befürchtung der Überschuldung des Nachlasses wegen der Vermieterforderungen
formuliert worden sei; jene Schilderung sei in der Ausschlagungserklärung alsdann nicht
im einzelnen wiedergegeben worden; schon gar nicht sei sie darüber belehrt worden, dass
die in das Protokoll aufgenommene Erklärung dazu führen könne, dass eine spätere
Anfechtung erfolglos bleibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der
beigezogenen Akten 4 VI 172/17 (Erbausschlagung) und 4 VI 321/17
(Nachlasspflegschaft), je AG Mülheim a.d.Ruhr, Bezug genommen.
II.
Das infolge der mit weiterem Beschluss des Nachlassgerichts vom 2. Juni 2018
ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung angefallene (§ 68
Abs. 1 Satz 1, 2.Halbs. FamFG) Rechtsmittel der Beteiligten zu 1. ist als befristete
Beschwerde statthaft und auch im übrigen zulässig (§§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63
Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG). In der Sache jedoch bleibt es ohne
Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag der
Beteiligten zu 1. wegen wirksamer Ausschlagung zurückgewiesen.
Dass die von der Beteiligten zu 1. am 13. Februar 2017 erklärte Ausschlagung wirksam
war, namentlich frist- und formgerecht (§§ 1944 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 1945 Abs. 1
BGB) sowie ohne vorangegangene Annahmehandlung (§ 1943, 1. Fall BGB) erfolgte, wird
von keinem Beteiligten bezweifelt und unterliegt auch nach der Aktenlage im übrigen
keinen Bedenken.
Daran hat die Anfechtungserklärung vom 21. Juni 2017 nichts geändert. Diese ist
ihrerseits nicht wirksam, weil es an einem Anfechtungsgrund (§§ 1954 Abs. 1 i.V.m. 119,
120, 123 BGB) fehlt.
Stützt sich die Anfechtung – wie hier – auf einen Irrtum über verkehrswesentliche
Eigenschaften einer Sache gemäß
Vorschrift die Erbschaft anzusehen, d.h. der dem Erben angefallene Nachlass oder
Nachlassteil. Insoweit ist nahezu einhellig anerkannt, dass die Überschuldung der
Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellt, die zur Anfechtung berechtigen
kann, indes nur, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen
hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, also bezüglich des Bestandes an
Aktiva oder Passiva, beruht. Der Senat hat in der Vergangenheit den Standpunkt vertreten,
hieraus folge zugleich, dass nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wer ohne nähere Kenntnis
der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag;
mit anderen Worten sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann, der
nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis
gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine
Entscheidung auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage getroffen hatte (zu
Vorstehendem: Beschlüsse vom 17. Oktober 2016 in SachenI-3 Wx 155/15 und vom 2.
August 2016 in Sachen I-3 Wx 52/15 m.w.Nachw.; vgl. auch BeckOK BGB –
Siegmann/Höger, Stand: 01.08.2018, § 1954 Rdnr. 8; MK-Leipold, BGB, 7. Aufl. 2017, §
1954 Rdnr. 11-14). Hieran wird nach nochmaliger Überprüfung festgehalten.
Wer bewusst bestimmte Umstände als lediglich möglich betrachtet und dieses
Vorstellungsbild handlungsleitend sein lässt, der verhält sich aufgrund Hoffnungen oder
Befürchtungen, die das Motiv seines Handelns bilden. Ein bloßer Irrtum im Motiv
berechtigt jedoch weder im allgemeinen, noch speziell im Zusammenhang der Annahme
oder Ausschlagung einer Erbschaft zur Anfechtung. Dies findet allgemein seine
Rechtfertigung im Gesichtspunkt der Rechtssicherheit; im besagten erbrechtlichen
Zusammenhang ist zudem der Gefahr zu begegnen, durch eine zu großzügige
Berücksichtigung reiner Motivirrtümer faktisch eine im Gesetz nicht vorgesehene weitere
Form der Haftungsbeschränkung eines Erben zu schaffen, nämlich eine sozusagen
einstweilige Ausschlagung bis zur abschließenden Klärung der Vermögensverhältnisse
(entwickeln sich die Erkenntnisse negativ, belässt der Erbprätendent es bei der erklärten
Ausschlagung, entwickeln sie sich günstig, ficht er seine Ausschlagung an).
Auf diesen Grundlagen ist bereits die Tatsachendarstellung der Beteiligten zu 1. nicht
uneingeschränkt nachvollziehbar. Sie hat die Ausschlagung erklärt mehr als einen Monat
vor der Bestellung der Beteiligten zu 2. zur Nachlasspflegerin; diese stand der Beteiligten
zu 1. als Informationsquelle mithin nicht zur Verfügung. Sie selbst will keinen Zugang zur
Wohnung gehabt haben. Danach spricht alles dafür, dass sie den Zustand der Wohnung
der Erblasserin zum Todeszeitpunkt lediglich aus früheren Besuchen/Aufenthalten dort
rückschloss.
Aber auch unabhängig hiervon, befand sich die Beteiligte zu 1. nach ihren eigenen
Angaben nur in einem anfechtungsrechtlich unbeachtlichen Motivirrtum der oben
beschriebenen Art; angesichts dessen kommt es auf den Inhalt des gerichtlichen
Protokolls nicht mehr an. Sie selbst spricht davon, aus einer Befürchtung heraus gehandelt
zu haben. Ihr Vorstellungsbild lässt sich zwanglos dahin beschreiben, dass sie die
Wohnungsauflösungskosten überschätzte und daher eine Überschuldung für
wahrscheinlich hielt, wobei ihr aber bewusst war, weder vorhandene Guthaben, noch die
entstehenden Kosten irgendwie verlässlich (geschweige denn gesichert) beziffern zu
können. Was die Aktiva anbelangt, erklärt die Beteiligte zu 1. selbst, von einem rund fünf
Jahre zurückliegenden Wert ausgegangen zu sein und ganz allgemein gehaltene
Rückschlüsse aus der Rentensituation in Verbindung mit der äußeren Lebensführung der
Erblasserin gezogen zu haben. Aber auch bezüglich der Passivseite blieben die auf die
„Vermüllung“ gegründeten Vorstellungen so lange bloße Befürchtungen, wie die Beteiligte
zu 1. die Kosten der „Entrümpelung“ nicht halbwegs tragfähig schätzen konnte und ferner
keine Kenntnis des Mietvertrages (wegen Renovierungs- und Mietzinspflicht) hatte; beides
Letztere jedoch behauptet sie selbst nicht. Der Rückschluss auf die Überschuldung
schließlich war in jedem Falle notwendig spekulativ, da sie keine Kenntnis der Aktiva
besaß.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Die Anwendung dieser
Vorschrift ist nicht auf Fälle unrichtiger Sachbehandlung im Sinne des
beschränkt (Keidel-Zimmermann, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 81 Rdnr. 18 f). Hier war das
gerichtliche Schreiben vom 14. Juli 2017 zwar nicht rechtsfehlerhaft, doch geeignet, bei
der Beteiligten zu 1. – an die es gerichtet war – den falschen Eindruck hervorzurufen, ohne
Erbscheinsantrag sei ihre Anfechtung von vornherein belanglos; dies umso mehr, als das
Gericht das Antragsverfahren nicht nur als Möglichkeit der Prüfung darstellte, sondern
ausdrücklich zur Stellung des Antrags aufforderte.Eine Entscheidung über eine Anordnung
der Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nicht veranlasst, da die Beteiligte zu 2. sich
nicht in einem dem Erbscheinsantrag entgegengesetzten Sinne am Verfahren beteiligt hat.
Bei dieser Lage erübrigt sich auch eine Festsetzung des Geschäftswertes für das
Beschwerdeverfahren von Amts wegen.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1
FamFG liegen vor im Hinblick auf den Beschluss des Kammergerichts vom 20. Febr. 2018
– 6 W 1/18 (
abweichender Sachverhalt zugrunde; jedoch stehen die vom Kammergericht angewandten
rechtlichen Maßstäbe und juristischen Wertungen in Widerspruch zu denen des
erkennenden Senates.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Düsseldorf
Erscheinungsdatum:19.12.2018
Aktenzeichen:3 Wx 140/18
Rechtsgebiete:
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
ZEV 2019, 263-266
Normen in Titel:BGB §§ 119 Abs. 2, 120, 123, 1944 Abs. 1 u. 2, 1945 Abs. 1