BGH 19. November 2020
IX ZR 210/19
InsO § 88; ZPO §§ 829 Abs. 2 S. 1 u. Abs. 3, 835

Wirksamkeit eines Pfändungspfandrechts mit Freigabe der gepfändeten Forderung

letzte Aktualisierung: 26.5.2021
BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 210/19

InsO § 88; ZPO §§ 829 Abs. 2 S. 1 u. Abs. 3, 835
Wirksamkeit eines Pfändungspfandrechts mit Freigabe der gepfändeten Forderung

Ein mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Pfändungsschuldners
schwebend unwirksam gewordenes Pfändungspfandrecht lebt dann, wenn der Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss nicht vom zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben worden ist, mit der
Freigabe der gepfändeten Forderung oder mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder auf,
ohne dass es einer erneuten Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den
Drittschuldner bedarf.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat im Umfang ihrer Zulassung Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht hat, soweit jetzt noch von Interesse, ausgeführt: Die
Pfändung der Ansprüche aus der Lebensversicherung durch die Klägerin sei gemäß
§ 88 InsO wirkungslos geblieben, weil der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag zugestellt worden sei. Ein
durch die Pfändung etwa begründetes Sicherungsrecht sei mit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entfallen. Weder die Freigabe der Ansprüche noch die Aufhebung
des Insolvenzverfahrens habe das Pfändungspfandrecht wieder aufleben
lassen, weil der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht erneut zugestellt
worden sei.

II.
Die Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Grundlage des Begehrens der Klägerin ist § 816 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift
ist der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten
verpflichtet, wenn an ihn eine Leistung bewirkt worden ist, die dem Berechtigten
gegenüber wirksam ist. Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage des festgestellten
Sachverhalts hier erfüllt.

1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Versicherungssumme
an die Beklagte zu 2 ausgezahlt worden. Von diesem Sachverhalt hat der Senat
auszugehen (§ 559 Abs. 2 ZPO).

2. Der Klägerin stand aufgrund der am 15. oder 16. November 2006 gemäß
§ 829 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO durch Zustellung an den Versicherer wirksam
gewordenen Pfändung ein Pfändungspfandrecht am Anspruch auf die Ablaufleistung
zu, welches etwaigen Rechten der Beklagten zu 2 hieran vorging.

a) Die Klägerin hat die Ansprüche des Beklagten zu 1 aus der Lebensversicherung
gemäß §§ 829, 835 ZPO wirksam gepfändet. Gemäß § 829 Abs. 3
ZPO ist die Pfändung mit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
an den Versicherer wirksam geworden. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen
hat dieses Pfändungspfandrecht mit der Freigabe der gepfändeten
Forderung durch die Treuhänderin wieder volle Wirksamkeit erlangt, ohne dass
eine erneute Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erforderlich
gewesen wäre.

aa) Nach § 88 InsO in der hier anwendbaren Fassung vom 5. Oktober
1994 wird eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen
des Schuldners mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam, welche
ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag durch
Zwangsvollstreckung erlangt hat. Wie sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes
ergibt, gilt die Unwirksamkeit nicht nur im Verhältnis zu den übrigen Insolvenzgläubigern,
sondern absolut (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR
232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 10 ff; vom 21. September 2017 - IX ZR 40/17, WM
2017, 2037 Rn. 14). Die Unwirksamkeit ist jedoch schwebend, gilt also nur so
lange, als dies für die Zwecke des Insolvenzverfahrens erforderlich ist (grundlegend
Kreft in Festschrift Gero Fischer, 2008, S. 297, 303 ff). Sie erfasst die materiell-
rechtliche Wirkung der Pfändung, mithin das Pfändungspfandrecht, nicht
die Verstrickung.

Die Verstrickung besteht fort, wenn die sie begründende Vollstreckungshandlung
nicht vom zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben wird (vgl. im
einzelnen BGH, Urteil vom 21. September 2017, aaO Rn. 16 ff). Dies folgt zum
einen aus § 836 Abs. 2 ZPO. Gemäß § 836 Abs. 2 ZPO gilt der Überweisungsbeschluss,
auch wenn er zu Unrecht erlassen worden ist, zugunsten des Drittschuldners
dem Schuldner gegenüber so lange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben
wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Dies
ist zum Schutz des Drittschuldners auch im Insolvenzverfahren erforderlich, weil
die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Vollstreckungsmaßnahme eines einzelnen
Insolvenzgläubigers und eine Vollstreckung in die Insolvenzmasse handelt,
im Einzelfall Zweifel aufwerfen kann. Da § 88 InsO nur bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen
verbietet, ist es für den an der Vollstreckung nicht beteiligten Drittschuldner
erforderlich, auf rechtssichere Weise Gewissheit zu erhalten, ob die
gepfändete Forderung noch der Verstrickung unterliegt oder nicht. Zum anderen
ist es zum Schutz des pfändenden Gläubigers vor unzumutbaren Eingriffen erforderlich,
die durch die Pfändung bewirkte öffentlich-rechtliche Verstrickung
nicht weiter als erforderlich zu begrenzen. Der Gesetzgeber darf den durch
Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Rechtsschutzanspruch des Vollstreckungsgläubigers
und seine durch die Zwangsvollstreckung erlangte Rechtsposition nur beschränken,
so weit und so lange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern.
Dies gilt umso mehr, als die Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO unabhängig von
der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses eintritt.

Besteht die Verstrickung fort, lebt die Sicherung des Gläubigers wieder
auf, wenn der betroffene Vermögensgegenstand vom Insolvenzverwalter freigegeben
oder das Insolvenzverfahren ohne Verwertung des Gegenstandes aufgehoben
wird (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006, aaO Rn. 20 ff; Beschluss vom
19. Mai 2011 - IX ZB 284/09, WM 2011, 1378 Rn. 11; Urteil vom 21. September
2017, aaO Rn. 14; vgl. Kreft, aaO). Einer erneuten Zustellung des Pfändungsund
Überweisungsbeschlusses bedarf es angesichts der fortbestehenden Verstrickung
nicht (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2017, aaO Rn. 20 mwN). Die
durch die Zustellung bewirkte (§ 829 Abs. 3 ZPO) und während des Insolvenzverfahrens
fortbestehende Verstrickung bietet einen ausreichenden Schutz des
Drittschuldners davor, an einen Nichtberechtigten zu zahlen. Soweit in der Kommentarliteratur
eine erneute Zustellung für erforderlich gehalten wird (vgl. etwa
MünchKomm-InsO/Breuer/Flöther, 4. Aufl., § 88 Rn. 34), beruht dies auf der unzutreffenden
Annahme, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verstrickung
der gepfändeten Forderung unabhängig vom Fortbestand des Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses entfällt. Dies ist nicht der Fall. Im Senatsurteil
vom 19. Januar 2006 (IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 21) ist diese Frage
ausdrücklich offengelassen worden (vgl. Kreft, aaO S. 308 Fn. 68).

bb) Der von der Klägerin erwirkte Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
ist nicht aufgehoben worden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. Mai
2011, aaO). Die Treuhänderin im Insolvenzverfahren über das Vermögen des
Beklagten zu 1 hat die Ansprüche aus der Lebensversicherung nicht verwertet,
sondern freigegeben. Damit ist das Pfändungspfandrecht der Klägerin wieder
aufgelebt.

cc) Die dem Beklagten zu 1 am 20. März 2013 erteilte Restschuldbefreiung
wirkt sich auf das Pfändungspfandrecht der Klägerin unabhängig davon nicht
aus, ob der Beklagte zu 1 der Anmeldung der Forderung als einer solchen aus
einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wirksam widersprochen hat.
Auch wenn der titulierte Anspruch der Klägerin nicht gemäß § 302 Nr. 1 InsO von
der Restschuldbefreiung ausgenommen wäre, wäre die Klägerin gemäß § 301
Abs. 2 Satz 1 InsO berechtigt, sich aus dem Pfändungspfandrecht zu befriedigen.

dd) Die von den Beklagten vereinbarte Abtretung des Anspruchs auf die
Versicherungssumme an die Beklagte zu 2 am 3. Februar 2016 und nochmals im
Januar 2017 hat sich auf den Bestand des Pfändungspfandrechts nicht ausgewirkt.
Gegen das Verbot des § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstoßende Verfügungen
des Pfändungsschuldners sind dem Pfändungsgläubiger gegenüber gemäß
§ 136, § 135 Abs. 1 Satz 1 BGB relativ unwirksam, soweit sie ihn rechtlich oder
tatsächlich beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1971 - VIII ZR
162/70, BGHZ 58, 25, 26 f; vom 5. Februar 1987 - IX ZR 161/85, BGHZ 100, 36,
45; vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 109/05, WM 2006, 2315 Rn. 7; Zöller/Herget,
ZPO, 33. Aufl., § 829 Rn. 18 ).

b) Das bereits im Juni 2006 zwischen den Beklagten vereinbarte Pfandrecht
der Beklagten zu 2 an den Ansprüchen aus der Lebensversicherung geht
dem Pfändungspfandrecht der Klägerin nicht vor. Ob die Verpfändung, wie die
Klägerin vorgetragen hat, schon wegen Fehlens einer gesicherten Forderung unwirksam
war, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls ist das Pfandrecht, welches
die Beklagte zu 2 im Juni 2006 erlangt haben könnte, mit dem Schreiben
der Beklagten zu 2 vom 7. November 2015 gemäß § 1273 Abs. 2, § 1255 Abs. 1
BGB aufgehoben worden.

aa) Das Schreiben der Beklagten zu 2 vom 7. November 2015 ist von ihr
selbst vorgelegt und von den Parteien in erster Instanz ausführlich erörtert worden.
Das Landgericht hat unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Nürnberg im Prozess der Beklagten zu 2 gegen den Versicherer ausgeführt,
der Beklagten zu 2 hätten wegen ihres Schreibens an den Versicherer vom
7. November 2015 keine Rechte aus der Verpfändung vom 5. Juni 2006 mehr
zugestanden. Diese Ausführungen hat sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht,
welches Rechte der Beklagten zu 2 nur aus der Abtretung im Jahre 2016
hergeleitet hat.

bb) Die Auslegung von Willenserklärungen obliegt grundsätzlich dem
Tatrichter, der seine Entscheidung unter Berücksichtigung der §§ 133, 157 BGB
aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände zu treffen hat.
Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob Verstöße gegen
gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige
Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen und ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern
beruht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2019 - IX ZR
203/18, WM 2019, 1227 Rn. 11 mwN). Derartige Fehler zeigt die Beklagte zu 2
nicht auf; sie sind auch nicht ersichtlich.

cc) Nach den Umständen des vorliegenden Falles war der Versicherer berechtigt,
die Erklärung der Beklagten zu 2 für den Beklagten zu 1 als den Verpfänder
und Inhaber der Forderung entgegen zu nehmen (vgl. § 1273 Abs. 2,
§ 1255 Abs. 1 BGB). Zur Begründung wird auf Seite 9 des den Parteien bekannten
Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg Bezug genommen. Einwendungen
hiergegen haben die Parteien in den Tatsacheninstanzen nicht erhoben. Entgegen
der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht
der Beklagten zu 2 besteht insoweit kein Aufklärungsbedarf. Zudem hat der
Beklagte zu 1 seinem eigenen Vorbringen zufolge durch einen Anruf beim Versicherer
am 9. November 2015 Kenntnis von dem genannten Schreiben der Beklagten
zu 2 erlangt.

3. Die Auszahlung der Versicherungssumme an die Beklagte zu 2 war der
Klägerin gegenüber wirksam. In der auf Bereicherungsrecht gestützten Zahlungsklage
der Klägerin gegen die Beklagte zu 2 liegt eine Genehmigung der
Leistung des Versicherers an diese (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2009
- IX ZR 237/07, WM 2009, 517 Rn. 8 mwN).

4. Rechtsfolge des Anspruchs aus § 816 Abs. 2 BGB ist die Verpflichtung
des Nichtberechtigten zur Herausgabe des Geleisteten. Die Beklagte zu 2 hat die
Versicherungssumme von 87.514

III.
Der Schriftsatz der Beklagten zu 2 vom 28. Oktober 2020 bietet keinen
Anlass, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten.

1. Die Ausführungen des Landgerichts zum Schreiben der Beklagten zu 2
vom 7. November 2015 betreffen nicht allein das Prozessrechtsverhältnis zwischen
der Klägerin und dem Beklagten zu 1. Das Landgericht behandelt auf Seite
13 f seines Urteils zwar die Ansprüche gegen den Beklagten zu 1; auf Seite 15,
wo es um die Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 geht, werden diese Ausführungen
jedoch in Bezug genommen. Das Schreiben der Beklagten zu 2 vom 7. November
2015 ist nicht erstmals im Revisionsverfahren relevant geworden. Es ist
erstinstanzlich sowohl schriftsätzlich als auch im Termin zur mündlichen Verhandlung
ausführlich erörtert worden. Die Frage der Empfangszuständigkeit des
Versicherers war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

2. Die Beklagte zu 2 hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
Landgericht erklärt, die Versicherungsbeiträge seien vom Beklagten zu 1 und seiner
Frau entrichtet worden. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen. Auf
Entreicherung hat sich die Beklagte zu 2 in den Tatsacheninstanzen nicht berufen.

IV.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung
bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt
und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der
Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte zu 2 ist nach dem
jetzt noch anhängigen Hilfsantrag zur Herausgabe der Versicherungssumme von
87.514

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

19.11.2020

Aktenzeichen:

IX ZR 210/19

Rechtsgebiete:

Insolvenzrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

InsO § 88; ZPO §§ 829 Abs. 2 S. 1 u. Abs. 3, 835