Erbfall im Jahr 1965 auf Gebiet der DDR; keine Anwendung eines speziellen landwirtschaftlichen Anerbenrechts auf dem Gebiet der DDR
letzte Aktualisierung: 2.11.2022
OLG Naumburg, Beschl. v. 27.1.2022 – 2 Wx 1/22
Erbfall im Jahr 1965 auf Gebiet der DDR; keine Anwendung eines speziellen landwirtschaftlichen Anerbenrechts auf dem Gebiet der DDR
1. Auf einen Erbfall eines im Jahre 1965 verstorbenen Erblassers mit ständigem Aufenthalt auf dem
Gebiet der damaligen DDR ist das Erbrecht des BGB in der Fassung vom 18.08.1896 anzuwenden.
2. Eine Anwendung eines speziellen landwirtschaftlichen Anerbenrechts, z. B. nach einer
Höfeordnung, war zur Zeit des Erbfalls auf dem Gebiet der DDR ausgeschlossen.
3. Im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge war die Erbquote des Ehegatten des Erblassers nicht durch
einen pauschalierten Zugewinnausgleich i. S. v. § 1371 BGB n. F. zu korrigieren.
Gründe
A.
Der Erblasser war in erster, am 02.12.1935 geschiedener Ehe mit Else R. und in zweiter, bis
zu seinem Lebensende fortbestehender Ehe mit Helena M. geb. P. verheiratet. Er hatte
seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet der damaligen Deutschen Demokratischen
Republik; seine Ehefrau Helena M. lebte mit den beiden ehelichen Kindern seit 1957 auf
dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland. Der Erblasser hinterließ keine
Verfügung von Todes wegen.
Das Staatliche Notariat Aschersleben erteilte am 04.01.1966 einen Erbschein, welcher die
Tochter des Erblassers aus erster Ehe, Ruth M., sowie dessen zweite Ehefrau Helena M.
geb. P. und die beiden Kinder aus dieser Ehe, Robert M. (den Antragsteller) und Ingeborg
M., als Erben mit einem Anteil von jeweils einem Viertel auswies (Az.: 1 NR 658/65).
Am 14.04.2021 hat der Beteiligte die Einziehung dieses Erbscheins beantragt. Er hat
zunächst die Auffassung vertreten, dass die Ehefrau des Erblassers Erbin zu einem Halb
geworden sei, was sich auf die gleich großen Erbanteile der Kinder auswirke. Darüber
hinaus sei Ruth M. nicht erbwürdig gewesen. Mit weiterem Schreiben vom 15.10.2021 hat
der Beteiligte die Auffassung vertreten, dass das Erbe ihm allein als dem ältesten Sohn des
Erblassers nach den speziellen Regelungen für Reichserbhöfe zustehe. Die Erteilung des
Erbscheins vom 04.01.1966 beruhe letztlich auf Rechtsbeugung zur Ermöglichung eines
Zwangsverkaufs des väterlichen Grundstücks. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt
beider Schreiben nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 02.12.2021 den Antrag auf Einziehung
des vorgenannten Erbscheins kostenpflichtig zurückgewiesen. Es hat darauf verwiesen, dass
die Bestimmung des § 1371 Abs. 1 BGB, welche mit dem Gleichberechtigungsgesetz 1957
in das auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland geltende Bürgerliche
Gesetzbuch eingefügt worden sei, im Gebiet der damaligen Deutschen Demokratischen
Republik nicht gegolten habe und auch nicht etwa im Rahmen der Vereinigung rückwirkend
Gültigkeit erlangt habe (vgl.
Gegen diese, ihm am 07.12.2021 zugestellte Entscheidung wendet sich der Beteiligte mit
seiner am 21.12.2021 beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde. Er rügt, dass bisher
nicht geprüft worden sei, ob 1965 ein wirksamer Antrag auf Erteilung eines Erbscheins
vorgelegen habe. Hieran bestünden Zweifel, weil die Nachlassregelung nur deswegen
erforderlich gewesen sei, um einen von ihm verweigerten Grundstückstausch
durchzuführen und einen Dritterwerb des zum Nachlass gehörenden Grundstücks zu
ermöglichen. Er beruft sich auf eine Entscheidung des Familiengerichts des OLG Frankfurt
(Main), aus der sich s.E. ergebe, dass die Vorschrift des § 1371 Abs. 1 BGB auf
zwangsausgesiedelte ehemalige DDR-Bürger anzuwenden sei. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift Bezug genommen.
Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 05.01.2022 dem Rechtsmittel nicht
abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
B.
I. Die Beschwerde ist nach § 58 Abs. 1 FamFG zulässig, insbesondere ist die nach § 61 Abs.
1 FamFG notwendige Mindestbeschwer überschritten. Die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1
FamFG ist gewahrt worden.
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 2361 Satz 1 BGB ist ein bereits erteilter Erbschein einzuziehen, wenn das darin
verbriefte Zeugnis über das Erbrecht inhaltlich unrichtig ist. Diese Voraussetzungen liegen
hier nicht vor.
1. Auf die vom Beteiligten aufgeworfene Frage, ob bei der Erteilung des Erbscheins durch
das Staatliche Notariat Aschersleben ggf. Verfahrensfehler aufgetreten seien, kommt es für
die vorliegende Entscheidung über die Einziehung des Erbscheins nicht an.
Verfahrensfehler im Erteilungsverfahren gebieten bei einem inhaltlich richtigen Erbschein
grundsätzlich nicht dessen Einziehung. Etwas Anderes gilt nur in gravierenden Fällen, z.B.
bei internationaler Unzuständigkeit (vgl. Weidlich in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022,
§ 2361 Rn. 3 m.w.N.). Der Erteilung des Erbscheins vom 04.01.1966 lag jedenfalls ein
formwirksamer Antrag vom 14.12.1965 zugrunde. In der höchstrichterlichen
Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Erbschein selbst dann nicht einzuziehen ist, wenn
der Antrag von einem Nichtberechtigten gestellt worden ist oder gar kein Antrag vorgelegen
hat, wenn zumindest ein Antragsberechtigter die Erteilung nachträglich ausdrücklich oder
stillschweigend genehmigt hat (vgl. nur BGH, Beschluss v. 30.11.1988, IVa ZB 12/88,
Ausfertigung des Erbscheins ist unmittelbar nach seiner Erteilung u.a. an die Miterbin Ruth
M. und am 16.10.1992 an den hiesigen Beteiligten ausgehändigt worden.
2. Die im Erbschein ausgewiesene Erbfolge entsprach dem zur Zeit des Erbfalls geltenden
Erbrecht.
a) Nach Art. 235 § 1 EGBGB bleibt für erbrechtliche Verhältnisse das bisherige Recht der
DDR maßgeblich, wenn der Erblasser vor dem Wirksamwerden des Beitritts verstorben ist,
wie hier. Gemäß § 8 Abs. 1 EGZGB-DDR bestimmten sich erbrechtliche Verhältnisse nach
dem vor dem Inkrafttreten des ZGB-DDR am 01.01.1976 geltenden Recht, wenn der
Erbfall vor diesem Zeitpunkt eintrat. Das waren die §§ 1922 ff. BGB in der Fassung vom
18.08.1896 (künftig: BGB a.F., hier zitiert nach BGB, Textausgabe, herausgegeben vom
Ministerium der Justiz der Regierung der DDR 1954).
b) Wie auch der Beteiligte nicht in Abrede stellt, war nach dem Erblasser die gesetzliche
Erbfolge eingetreten. Da noch Erben der ersten Ordnung lebten, richtete sich die Erbfolge
nach §§ 1923 Abs. 1, 1924 Abs. 1, 1930 und 1931 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB a.F.; die zuletzt
genannte Vorschrift lautete:
„Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung zu
einem Viertel … als gesetzlicher Erbe berufen.“
Danach war die im Erbschein vom 04.01.1966 ausgewiesene Erbfolge, wonach die (zweite)
Ehefrau des Erblassers neben den drei Kindern des Erblassers zur Erbfolge berufen war
und alle vier Personen zu gleichen Teilen von jeweils einem Viertel Miterben waren,
zutreffend.
3. Eine Anwendung des speziellen landwirtschaftlichen Anerbenrechts nach einer
Höfeordnung war zur Zeit des Erbfalls auf dem Gebiet der damaligen DDR
ausgeschlossen. Durch das Inkrafttreten der Verfassung der DDR am 07.10.1949,
insbesondere im Hinblick auf Art. 22 Abs. 2 Satz 1, 144 Abs. 1 DDR-Verfassung 1949
(GBl. DDR 1949, S. 5), war sämtliches bis dahin existierendes Anerbenrecht als
gegenstandslos anzusehen (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 18.04.1994, 7 W 62/93, VIZ 1996,
53, in juris Rz. 14; Thüringer OLG, Beschluss v. 05.12.1996, LWU 989/94,
in juris Rz. 21 m.w.N.; auch Herder in: Grüneberg, a.a.O., Art. 64 EGBGB Rn. 3).
4. Die ausgewiesenen Erbquoten waren nicht um einen pauschalierten Zugewinnausgleich
i.S.v. § 1371 BGB n.F. zu korrigieren.
a) Für das eheliche Güterrecht ist nach Art. 234
Gebiet der damaligen DDR geltende Recht anzuwenden. Für das eheliche Güterrecht gab
es zur Zeit des Erbfalls keine konkreten gesetzlichen Bestimmungen, denn die §§ 1363 bis
1563 BGB a.F. waren nach Art. 30 Abs. 2, 144 Abs. 1 DDR-Verfassung wegen Verstoßes
gegen das Gleichberechtigungsprinzip nicht mehr anwendbar. Das Familiengesetzbuch der
DDR trat erst nach dem Erbfall, am 01.04.1966, in Kraft (vgl. § 1 EGFGB-DDR, GBl.
DDR I 1966, S. 19). Bei beendeter Ehe war innerhalb einer Ausschlussfrist ein
Vermögensausgleich nach den Grundsätzen des FGB-DDR möglich (vgl. § 6 Abs. 1
EGFGB-DDR); den §§ 13 ff. FGB-DDR lag das Grundmodell des „gemeinschaftlichen
Eigentums der Ehegatten“ zugrunde, so dass für einen pauschalierten Zugewinnausgleich
kein Raum war.
b) Nichts Abweichendes ergibt sich aus der vom Beteiligten zitierten Rechtsprechung. In
der dem Beschluss des OLG Frankfurt vom 30.07.2014 (21 W 47/14,
nachfolgenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Beschluss v. 13.05.2015, IV ZB
30/14,
güterrechtlich zu qualifizierende Rechtsvorschrift unabhängig vom jeweiligen Erbstatut ist
(vgl. in juris Rz. 24). Diese Vorschrift ist demnach nur einschlägig, wenn die Ehegatten für
die güterrechtliche Wirkung ihrer Ehe unbeschränkt und wirksam das Recht der damaligen
Bundesrepublik Deutschland gewählt hatten (vgl. in juris Rz. 12). Das traf auf die Ehe des
Erblassers mit der Mutter des Beteiligten nicht zu.
C.
I. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 82 und 84 FamFG.
II. Die Festsetzung des Kostenwerts des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 36 Abs. 3
GNotKG.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Naumburg
Erscheinungsdatum:27.01.2022
Aktenzeichen:2 Wx 1/22
Rechtsgebiete:
Familienrechtliches Sonderrecht der neuen Bundesländer
Eheliches Güterrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 1371