letzte Aktualisierung: 20.6.2024
BFH, Urt. v. 28.2.2024 – II R 25/21
ErbStG §§ 7 Abs. 1, 15, 16
Übertragung von Vermögen auf eine Familienstiftung; Bestimmung der anwendbaren
Steuerklasse und des Freibetrags; Maßgeblichkeit des „entferntest Berechtigten“
Beim Übergang von Vermögen auf eine Familienstiftung ist für die Bestimmung der anwendbaren
Steuerklasse und des Freibetrags als „entferntest Berechtigter“ zum Schenker derjenige anzusehen,
der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten kann.
Unerheblich ist, ob die Person zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren ist, jemals
geboren wird und tatsächlich finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen wird.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zutreffend entschieden, dass im Streitfall die Schenkungsteuer für die Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung der Klägerin unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 100.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) nach der Steuerklasse I für Abkömmlinge von Kindern und Stiefkindern (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) und einem Prozentsatz von 15 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) festzusetzen ist. Als "entferntest Berechtigter" im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG sind mögliche Urenkel der Stifter anzusehen, da diese nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile erlangen können.
1. Das FG hat zutreffend erkannt, dass "entferntest Berechtigte" im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG der klägerischen Familienstiftung mögliche Urenkel der Stifter sind. Für die Bestimmung des "entferntest Berechtigten" ist nicht erheblich, dass eine Urenkelgeneration bei Errichtung der Stiftung noch nicht geboren ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob mögliche Urenkel tatsächlich jemals finanzielle Unterstützung aus der Stiftung erhalten werden.
a) Nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden der Übergang von Vermögen auf Grund eines Stiftungsgeschäfts unter Lebenden. In diesem Fall ist gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist.
b) Die Formulierung des "entferntest Berechtigten" ist dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige bezeichnet wird, der nach der Stiftungssatzung potentiell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll.
aa) Der "Berechtigte" im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG entspricht dem nach der Stiftungssatzung "potentiell Begünstigten", der durch den Erwerb von Vermögensvorteilen aus der Stiftung begünstigt sein kann. Eine Unterscheidung dahingehend, dass ‑‑wie die Klägerin meint‑‑ mit dem Begriff des "Berechtigten" der sofort Anspruchsberechtigte gemeint ist und sich dieser vom "Begünstigten", der erst später anspruchsberechtigt sein soll, unterscheidet, ist der Norm nicht zu entnehmen. Bereits das Erbschaftssteuergesetz i.d.F. vom 20.07.1922 (RGBl I 1922, 610) und der Neubekanntmachung vom 07.08.1922 (RGBl I 1922, 695) ‑‑ErbStG 1922‑‑ enthielt in § 9 Abs. 2 ErbStG 1922 eine mit § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nahezu wortgleiche Vorschrift. Diese lautete dahingehend, dass im Fall des § 2 Abs. 2 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG 1922 der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des Erblassers oder Schenkers zu dem nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zugrunde zu legen ist, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet wird. Bereits zu dieser Norm entschied der RFH, dass für die Bestimmung des "entferntest Berechtigten" allein entscheidend sei, welche Personen nach der Satzung Vermögensvorteile (aller Art) aus der Stiftung erlangen können (Urteil vom 13.12.1926 - V e A 141/25, RFHE 20, 173). Eine Unterscheidung zwischen "sofort" oder "später Berechtigtem/Begünstigtem" wurde nicht getroffen. Weder sind Gründe ersichtlich noch hat die Klägerin solche vorgebracht, warum diese Rechtsprechung nicht auf die aktuelle Gesetzesfassung übertragen werden kann.
bb) "Entferntest Berechtigter" ist stets derjenige Berechtigte, für den die schlechteste Steuerklasse Anwendung fände, wäre die Zuwendung direkt vom Stifter an diesen erfolgt (Stein in von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl., § 15 Rz 68; Götz in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 15 ErbStG Rz 114, Stand 02.2024). Bei der Bestimmung, wer "entferntest Berechtigter" ist, ist nicht darauf abzustellen, ob die Person einen klagbaren Anspruch auf den Vermögensvorteil aus der Stiftung hat (RFH-Urteil vom 23.01.1930 - I e A 890/28, RStBl 1930, 115, zu § 9 Abs. 2 ErbStG 1925; R E 15.2 Abs. 1 Satz 3 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019 vom 16.12.2019 ‑‑ErbStR 2019‑‑, BStBl I 2019, Sondernr. 1/2019; Längle/Kobor in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 8. Aufl., § 15 Rz 51). Es kommt ‑‑entgegen der Auffassung der Klägerin‑‑ nicht darauf an, ob die nach der Stiftungssatzung "entferntest Berechtigten" zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren sind oder jemals geboren werden (vgl. Stein in von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl., § 15 Rz 72). Eine solche Voraussetzung enthält der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht. Der "entferntest Berechtigte" muss im Zeitpunkt der Errichtung der Familienstiftung daher noch nicht unmittelbar bezugsberechtigt sein. Ausreichend ist, wenn er es erst in der Generationenfolge wird (vgl. RFH-Urteil vom 13.12.1926 - V e A 141/25, RFHE 20, 173, zu § 9 Abs. 2 ErbStG 1922; vgl. R E 15.2 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019; Curdt in Kapp/Ebeling, § 15 ErbStG, Rz 60).
c) Wer bei der einzelnen Familienstiftung als "entferntest Berechtigter" anzusehen ist, ist der Formulierung in der jeweiligen Stiftungssatzung zu entnehmen (vgl. RFH-Urteil vom 13.12.1926 - V e A 141/25, RFHE 20, 173, zu § 9 Abs. 2 ErbStG 1922). Dies ordnet bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG an, der von "nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten" spricht. Damit obliegt es dem Stifter, den Kreis der aus dem Stiftungsvermögen potentiell Begünstigten festzulegen.
aa) Die Errichtung einer Familienstiftung soll typischerweise familienrechtlich die finanzielle Versorgung nachfolgender Generationen sicherstellen. Erbschaftsteuerrechtlich bietet sie durch § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG die Möglichkeit, bei potentieller Begünstigung auch von in der Generationenfolge zeitlich weiter entfernten direkten Abkömmlingen durch entsprechende Gestaltung des Stiftungsgeschäfts höhere Freibeträge zu erhalten, als wenn bei der ersten Übertragung von Vermögen auf die Stiftung auf das Verhältnis des Stifters zu der Stiftung selbst abzustellen und beide als fremde Dritte anzusehen wären.
bb) Die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG ist Teil der Festlegung der anwendbaren Steuerklassen. Die Einteilung der Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen ist wiederum maßgebend für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge gemäß §§ 16, 17 ErbStG und die Höhe des Steuersatzes nach § 19 ErbStG (BFH-Urteil vom 05.12.2019 - II R 5/17, BFHE 267, 451, BStBl II 2020, 322, Rz 10).
Zur Steuerklasse I gehören unter anderem Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG) und die Abkömmlinge der in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG genannten Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG). Die in § 16 ErbStG geregelten Freibeträge sind jedoch nicht für alle Personen der Steuerklasse I gleich hoch; das Gesetz unterscheidet dort nochmals detaillierter nach dem jeweiligen Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser beziehungsweise Schenker. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG erhalten die Kinder nach § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG und ‑‑falls diese vorverstorben sind‑‑ die Kinder dieser Kinder einen Freibetrag in Höhe von 400.000 €. Der Freibetrag für die Kinder der (nicht vorverstorbenen) Kinder nach § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG ‑‑die Enkel des Erblassers beziehungsweise Schenkers‑‑ beträgt 200.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Den übrigen Personen der Steuerklasse I wird gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ein Freibetrag in Höhe von 100.000 € gewährt. Hierzu gehören auch die Urenkel.
cc) Die Höhe des zu gewährenden Freibetrags bei der Besteuerung des Vermögensübergangs auf eine Familienstiftung kann daher unterschiedlich ausfallen und hängt davon ab, ob die Stiftungssatzung als potentiell begünstigte Kinder (Freibetrag von 400.000 €, § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), Enkel (Freibetrag in Höhe von 200.000 €, § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) oder Urenkel (Freibetrag von 100.000 €, § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) anführt. Gleichwohl kommt es durch die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG in allen diesen Fällen insgesamt zu einer Besserstellung hinsichtlich des Freibetrags bei der Schenkungsbesteuerung für den Übergang von Vermögen auf die Familienstiftung nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG. Ohne die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG wäre auf die erwerbende Familienstiftung als juristische Person abzustellen. Dies hätte zur Folge, dass gemäß § 15 Abs. 1 ErbStG die Steuerklasse III anwendbar und nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG ein Freibetrag lediglich in Höhe von 20.000 € zu gewähren wäre.
dd) Danach privilegiert § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG Zuwendungen bei der Errichtung einer Familienstiftung und gibt dem Stifter die Möglichkeit, eine günstigere Steuerklasse und einen höheren Freibetrag zu erhalten (vgl. auch Stein in von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl., § 15 Rz 53). Da das Gesetz auf die Bestimmungen der Stiftungssatzung abstellt, hat es der Stifter in der Hand, das Privileg so zu nutzen, wie er es für am besten für seine Familie hält. Begünstigt er beispielsweise nur die nächste und übernächste Generation der direkten Abkömmlinge, kann er mit der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG) und dem Freibetrag von 200.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) eine geringere Besteuerung erreichen, als wenn er auch die Urenkelgeneration begünstigt.
ee) Eine darüberhinausgehende Privilegierung ist dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auf das Verhältnis des Zuwendenden zu dem entferntest Berechtigten abgestellt. Eine fixe Freibetragsregelung, wie zum Beispiel in § 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG mit der Gewährung des doppelten Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ‑‑das heißt in Höhe von 800.000 €‑‑ für die Ersatzerbschaftsbesteuerung einer Stiftung alle 30 Jahre nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, wurde in die Formulierung von § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht aufgenommen.
d) Würde man im Zeitpunkt der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 ErbStG) als Steuerentstehungszeitpunkt (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), Steuerklasse und Freibetrag danach anwenden, ob die Abkömmlinge bereits geboren sind, entstünde eine Überprivilegierung, wenn später weitere Abkömmlinge geboren werden, die dann auch finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen können. Unabhängig von der Frage, ob für die Rückgängigmachung dieser Überprivilegierung überhaupt eine Änderungsvorschrift einschlägig wäre, würde dies eine Überwachung der Familienstiftung gegebenenfalls über einen bestimmten Zeitraum voraussetzen. Eine solche ist in § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG aber nicht angelegt.
e) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob im Fall, dass keine Enkel und Urenkel geboren werden, Steuer zu erstatten ist, ist im Streitfall nicht zu entscheiden.
f) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist schließlich nicht ausschlaggebend, dass die Enkel und Urenkel der Stifter erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation Leistungen aus dem Stiftungsvermögen erhalten sollen. Dabei handelt es sich lediglich um eine Bedingung und ein zeitliches Hinausschieben der Begünstigung; gleichwohl bleiben aber sowohl die Enkel als auch die Urenkel potentiell begünstigt. Deshalb kommt es auf den von der Klägerin erwähnten BFH-Beschluss vom 27.07.2020 - II B 39/20 (AdV) (BFHE 270, 376, BStBl II 2021, 28), der zu einem anderen Sachverhalt erging, nicht an.
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG im Streitfall zutreffend entschieden, dass sich für die Besteuerung der Vermögensübertragung auf die Familienstiftung der Klägerin und ihres Ehemannes die Steuerklasse und der anzurechnende Freibetrag nach den für Urenkel geltenden Vorschriften bestimmen. Das FG hat die Stiftungssatzung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend ausgelegt, dass nach § 3 Buchst. c der Stiftungssatzung potentiell Begünstigte des Stiftungsvermögens die Urenkel der Stifter ‑‑der Klägerin und ihres Ehemannes‑‑ sein können. Unerheblich ist, dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftungssatzung nur die Tochter der Klägerin geboren war und die Urenkel erst nach dem Ableben der vorangehenden Generation begünstigt sein sollen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.