BGH 22. April 2021
III ZR 164/19
BeurkG § 17 Abs. 2a; BNotO § 19 Abs. 1

Notarhaftung; Beweislast bzgl. eines hypothetischen Kausalverlaufs; Reserveursache

letzte Aktualisierung: 27.5.2021
BGH, Urt. v. 22.4.2021 – III ZR 164/19

BeurkG § 17 Abs. 2a; BNotO § 19 Abs. 1
Notarhaftung; Beweislast bzgl. eines hypothetischen Kausalverlaufs; Reserveursache

Die bei einem Verstoß gegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG auf den Vertragsschluss folgenden
Maßnahmen des Käufers zur Erfüllung des Vertrages können sowohl Indiz für den unbedingten
Entschluss zum Erwerb der Immobilie als auch nur Ausdruck nolens volens geübter Vertragstreue
sein.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht.

I.
Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Das Landgericht habe das Vorliegen
einer Pflichtverletzung zu Recht dahinstehen lassen. Denn ein etwaiger

Schaden könne der Beklagten nicht zugerechnet werden. Allerdings scheitere
die Ersatzfähigkeit des Schadens nicht bereits am Erfordernis der Kausalität, weil
die Nichteinhaltung der Regelfrist des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG notwendigerweise
für den Vertragsabschluss kausal geworden sei, wenn der Notar die
Regelfrist nicht eingehalten und der Verbraucher den Vertrag abgeschlossen
habe. Dem Zurechnungszusammenhang stehe aber der Einwand der Reserveursache
entgegen. Das Landgericht habe zutreffend angenommen, der Kläger und
seine Ehefrau hätten unabhängig von einer rechtzeitigen Zurverfügungstellung
eines Vertragsexemplars den Vertrag in jedem Falle abgeschlossen.
Im vorliegenden Fall sprächen die Umstände für eine späte Vertragsreue
außerhalb der Regelfrist. Denn der Kläger und seine Ehefrau seien nach Vertragsabschluss
nicht auf eine Vertragsaufhebung, sondern auf eine Vertragserfüllung
bedacht gewesen. Sie hätten einen Darlehensvertrag geschlossen, um
den Kaufpreis zu finanzieren, und eine Grundschuld bestellt, um das Darlehen
zu besichern. Sie hätten die Mieten vereinnahmt und die Steuervorteile geltend
gemacht. Erst im Jahre 2013 hätten sie die Verkäuferin und die Vermittlerin verklagt.
Das Zuwarten habe das Landgericht zu Recht als Zeichen für einen von
der Regelfrist unabhängigen Vertragsabschluss im Jahre 2008 gewertet.
Einer Beweisaufnahme habe es nicht bedurft. Die Beweisangebote beträfen
die Frage der notariellen Pflichtverletzung. Diese aber könne wegen fehlenden
Zurechnungszusammenhangs dahinstehen.

II.
Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung in einem
entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist allerdings im Ausgangspunkt zutreffend davon
ausgegangen, dass die Beurkundung eines Vertrages unter Missachtung der
Frist des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG - in der bis zum 30. September 2013
geltenden und auch hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juli 2002 (BGBl. I
S. 2850) - den in dem für den beteiligten Verbraucher (Käufer) nachteiligen Vertrag
liegenden Schaden bewirkt (Senat, Urteile vom 25. Juni 2015 - III ZR 292/14,
BGHZ 206, 112 Rn. 21 und vom 28. Mai 2020 - III ZR 58/19, WM 2020, 1247
Rn. 33 mwN, insoweit in BGHZ 226, 39 ff nicht abgedruckt). Der Notar kann sich
jedoch darauf berufen, dass, wenn er die Beurkundung abgelehnt hätte, der Verbraucher
(Käufer) diese nach Ablauf der Frist genauso - wie geschehen - hätte
vornehmen lassen. Für diesen hypothetischen Verlauf trifft den Notar die Darlegungs-
und Beweislast, weshalb Zweifel zu seinen Lasten gehen. Zu seinen
Gunsten gilt aber das herabgesetzte Beweismaß des § 287 ZPO (Senat, Urteil
vom 28. Mai 2020 aaO). Außerdem obliegt dem Verbraucher (Käufer) eine sekundäre
Darlegungslast (Senat aaO Rn. 33 f).

Das Berufungsgericht hat des Weiteren richtig gesehen, dass es zur Beantwortung
der Frage, ob der Vertrag auch bei Einhaltung der Regelfrist des § 17
Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG abgeschlossen worden wäre, einer Würdigung der
Umstände des Einzelfalls durch den Tatrichter bedarf. Dabei geht es regelmäßig
zulasten des Verbrauchers (Käufers), wenn ihm vertraglich ein Rücktrittsrecht mit
einer die gesetzliche Regelfrist von zwei Wochen überschreitenden Frist eingeräumt
worden war und er hiervon nicht Gebrauch gemacht, sondern am Vertrag
festgehalten hat (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 2015 aaO Rn. 22; OLG Dresden,
Urteil vom 24. August 2015 - 17 U 520/14, S. 4, nicht veröffentlicht).
Vor diesem Hintergrund mag nach Maßgabe der konkreten Fallgestaltung
auch eine tatrichterliche Würdigung wie die des Berufungsgerichts rechtlich nicht
zu beanstanden sein, die dem Umstand, dass der Käufer nach Schluss des Vertrags
nachhaltig auf dessen Erfüllung bedacht ist, Indizwirkung zugunsten eines
solchen hypothetischen Kausalverlaufs beimisst - wenngleich ein derartiges Verhalten
auch lediglich Ausdruck einer sich nur resigniert in die rechtliche Bindung
fügenden Vertragstreue sein kann.

2. Bei der erforderlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls hat das
Berufungsgericht jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, entscheidungserhebliches
Vorbringen des Klägers rechtsfehlerhaft außer Betracht gelassen.

a) So hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung (siehe auch Klageschrift
S. 6 und 9) vorgetragen und durch das Zeugnis seiner Ehefrau unter (Gegen-)
Beweis gestellt, sie beide hätten vor der Beurkundung am 12. März 2008
den Kaufpreis nicht gekannt. Hätte seine Ehefrau diesen rechtzeitig vorher gewusst,
hätte sie die Eigentumswohnung nicht gekauft. Dann hätten die Einwände
gegen den hohen Kaufpreis gesiegt. Seine Ehefrau hätte sich wegen des hohen
Preises gegen den Kauf der Eigentumswohnung ihm gegenüber durchgesetzt.
Auf diesen Vortrag des Klägers ist das Berufungsgericht bei der Würdigung
der Umstände rechtsfehlerhaft nicht eingegangen und ist dem auf Vernehmung
der Ehefrau des Klägers als Zeugin gerichteten Beweisangebot rechtsfehlerhaft
nicht nachgegangen. Das unter (Gegen-)Beweis gestellte Vorbringen des
Klägers, das in der Revisionsinstanz mangels entgegenstehender Feststellungen
als richtig zugrunde zu legen ist, entzieht der Würdigung des Berufungsgerichts,
der Kläger und seine Ehefrau hätten bei Einhaltung der Wartepflicht den Kaufvertrag
auch später - wie am 12. März 2008 geschehen - geschlossen, die Grundlage.
Die Behauptung des Klägers beinhaltet das Gegenteil.

Wie die auf den Vertragsschluss folgenden Maßnahmen des Klägers und
seiner Ehefrau zur Vertragserfüllung zu bewerten sind - Indiz für den unbedingten
Entschluss zum Erwerb der Wohnung oder nur Ausdruck nolens volens geübter
Vertragstreue -, kann erst nach Vernehmung der Zeugin beurteilt werden.

b) Soweit die Revisionserwiderung meint, die Formulierung des Berufungsgerichts
"die Beweisangebote betreffen die Frage der notariellen Pflichtverletzung"
beziehe sich - recht verstanden - nicht auf die Vernehmung der Ehefrau
des Klägers zur (hypothetischen) Abstandnahme vom Kauf, sondern nur auf die
übrigen Beweisangebote, ist dies unerheblich. In diesem Fall hat das Berufungsgericht
das Vorbringen des Klägers und seinen (Gegen-)Beweisantritt zwar nicht
rechtlich unzutreffend eingeordnet. Jedoch bleibt es dabei, dass beweisbewehrter
entscheidungserheblicher Sachvortrag unberücksichtigt geblieben ist.
Der Revisionserwiderung ist des Weiteren auch insoweit nicht zu folgen,
als sie geltend macht, auf der Grundlage der übrigen Behauptungen des Klägers
habe dessen Ehefrau nicht als Zeugin vernommen werden müssen. Das gilt insbesondere
im Hinblick darauf, dass sie dem in der Berufungsinstanz wiederholten
Vortrag des Klägers ("Einwände gegen den hohen Kaufpreis [hätten] obsiegt")
erstinstanzliches Vorbringen des Klägers gegenüberstellt und eine "widerspruchsvolle
… Darstellung" zu erkennen meint. Denn (etwaige) Widersprüchlichkeiten
des Vortrags in den Instanzen allein entheben grundsätzlich nicht von
der Pflicht zur Durchführung der Beweisaufnahme, sondern können nur im Rahmen
der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. zB BGH, Urteil vom 1. Juli
1999 - VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208 und Beschluss vom 6. Februar 2013
- I ZR 22/12, TranspR 2013, 430 Rn. 11 mwN). Unsubstantiiert ist das Vorbringen
des Klägers entgegen der Revisionserwiderung ebenfalls nicht.

3. Da die Würdigung des Berufungsgerichts schon aus dem vorstehenden
Grund rechtsfehlerhaft ist, braucht der Senat auf die weiteren Revisionsangriffe
nicht mehr einzugehen (vgl. Senat, Urteil vom 28. Mai 2020 aaO Rn. 35).

III.
Da die Sache wegen der nachzuholenden tatrichterlichen Feststellungen
noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben
und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1,
§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

22.04.2021

Aktenzeichen:

III ZR 164/19

Rechtsgebiete:

Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BeurkG § 17 Abs. 2a; BNotO § 19 Abs. 1