OLG Brandenburg 18. Februar 2020
3 W 9/20
FamFG §§ 38 Abs. 3 S. 3, 81; BGB §§ 1923 Abs. 1, 2069, 2270 Abs. 1

Nichtanwendbarkeit der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB

letzte Aktualisierung: 07.08.2020
OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.2.2020 – 3 W 9/20

FamFG §§ 38 Abs. 3 S. 3, 81; BGB §§ 1923 Abs. 1, 2069, 2270 Abs. 1
Nichtanwendbarkeit der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB

1. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass eine Schlusserbeneinsetzung nicht wechselbezüglich ist,
wenn der eingesetzte Schlusserbe ein Verwandter des überlebenden Ehegatten, aber nicht des
vorverstorbenen Ehegatten ist. In diesem Fall liegt nahe, dass der vorverstorbene Ehegatte seinem
Partner das Recht überlassen will, die Schlusserbeneinsetzung zu ändern.
2. Die Auslegungsregel aus § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann anwendbar, wenn sich die Einsetzung
des Schlusserben durch entsprechende Auslegung zweifelsfrei feststellen lässt. Sie ist dagegen nicht
anwendbar, wenn die Annahme der Ersatzschlusserbeneinsetzung allein auf der Auslegungsregel des
§ 2069 BGB beruht. (Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten in einem Erbscheinverfahren um die Erbfolge nach dem Erblasser.
Der Erblasser und seine im Jahr 2007 vorverstorbene Ehefrau G… setzten sich mit
gemeinschaftlichem Testament vom 22.09.2004 gegenseitig zu Alleinerben und die
Nichte des Erblassers, S… M…, geb. W…, zur Schlusserbin ihres gemeinsamen Nachlasses
ein. Nachdem S… M… am … .04.2008 ebenfalls verstorben war, testierte der Erblasser am
26.09.2009 in der Form neu, dass er den Antragsteller und die allerdings am … .05.2016
ebenfalls vorverstorbene Schwester U… H…, als deren Ersatzerbin ihre Tochter, die
Beteiligte zu 2, (sinngemäß) zu gleichen Teilen als Erben einsetzte.

Der Antragsteller beantragt, ihm einen Erbschein auf der Grundlage der letztwilligen
Verfügung vom 26.09.2009 zu erteilen. Die Beteiligte zu 4 macht hingegen geltend, die
nämliche letztwillige Verfügung sei unwirksam, weil der Erblasser noch an das
wechselbezügliche Anordnungen enthaltende Ehegattentestament aus dem Jahr 2004
gebunden gewesen sei.

Das Amtsgericht hat den Erbscheinantrag des Beteiligten zu 1 mit dem angefochtenen
Beschluss zurückgewiesen und ist insoweit mit näheren Ausführungen dem
Rechtsstandpunkt der Beteiligten zu 4 gefolgt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der meint, das
Ehegattentestament habe mit dem Tod der eingesetzten Schlusserbin seine
Bindungswirkung verloren, so dass der Erblasser seine Testierfreiheit zurückgewonnen
habe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit den
Beschwerdegründen nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung
vorgelegt.

II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Beschwerde des
Beteiligten zu 1 erweist sich auch als begründet. Die Erbfolge nach dem Erblasser richtet
sich nach dem Inhalt dessen wirksamen Testamentes vom 26.09.2009.

1. Es ist bereits nicht anzunehmen, dass die Einsetzung der Nichte des Erblassers zur
Schlusserbin des gemeinsamen Nachlasses der Ehegatten durch das Testament vom
22.09.2004 im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB wechselbezüglich zur Einsetzung des
Erblassers zum Erben seiner vorverstorbenen Ehefrau war. Ist nämlich der Schlusserbe
nur mit dem überlebenden Ehegatten verwandt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass
der vorversterbende Ehegatte seinem Partner regelmäßig das Recht belassen will, als
Überlebender jederzeit die Einsetzung des Schlusserben zu ändern, insbesondere im Fall
einer Verschlechterung seiner persönlichen Beziehungen zu dem Bedachten (BayObLG
FamRZ 1985, 1287; FamRZ 1991, 1232; OLG Hamm FamRZ 2010, 1201; KG OLGZ 93,
398; OLG München FamRZ 2007, 2111). So liegt der Fall auch hier. Dafür, dass die
Eheleute W… bei Abfassung ihres Testamentes abweichende Vorstellungen hatten, ist
nichts ersichtlich.

2. Nachdem die eingesetzte Schlusserbin vorverstorben ist, unterliegt das
Ehegattentestament zudem der Auslegung dahingehend, ob die Ehegatten einen
Ersatzerben eingesetzt haben oder, hätten sie den Tod der Nichte bedacht, eingesetzt
hätten. Die Auslegungsregel gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann (sofern kein
entgegenstehender Testierwille besteht) anwendbar, wenn sich die Einsetzung des
Ersatzerben durch entsprechende Auslegung zweifelsfrei feststellen lässt, nicht jedoch,
wenn die Annahme der Ersatzerbeneinsetzung allein auf der Auslegungsregel des § 2069
BGB beruht (vgl. zum Ganzen OLG München NJW-RR 2017, 907; OLG Hamm NJW-RR
2019, 718; Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2270 Rz. 10). Eine Kumulation der
Auslegungsregel des § 2069 BGB mit derjenigen des § 2270 Abs. 2 BGB ist nicht
gerechtfertigt (BGH NJW 2002, 1126; OLG Schleswig NJW-RR 2014, 73; OLG
Frankfurt/Main FamRZ 2016, 1012). Für die Annahme, die Ehegatten hätten einen
Ersatzerben für die eingesetzte Schlusserbin einsetzen wollen, spricht jedoch nach dem
Inhalt des streitgegenständlichen Testamentes nichts; eine derartige deutet sich darin
nicht einmal ansatzweise an. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen gemäß § 2069
BGB nicht vor, da es sich bei der eingesetzten Schlusserbin um keinen Abkömmling des
Erblassers handelt, und diese Vorschrift wäre zudem - wie ausgeführt - im
Zusammenspiel mit § 2270 Abs. 2 BGB nicht anwendbar.

3. Das Ehegattentestament vom 22.09.2004 entfaltet vor dem Hintergrund des
Vorstehenden keine Rechtswirkungen mehr, ist vielmehr (spätestens, d.h. soweit
überhaupt Wechselbezüglichkeit anzunehmen wäre) durch den Tod der Schlusserbin
gegenstandslos geworden (§ 1923 Abs. 1 BGB; vgl. BayObLG FamRZ 2001, 319; OLG
Frankfurt/Main NJW-RR 1995, 265; Palandt/Weidlich aaO § 2271 Rz. 13), so dass der
Erblasser mit Testament vom 26.09.2009 über den Nachlass frei (und wirksam) verfügen
konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG; von der Erhebung von Kosten des
Beschwerdeverfahrens hat der Senat abgesehen, da die Beschreitung des Rechtsweges
bei richtiger Sachbehandlung durch das Amtsgericht mutmaßlich unterblieben wäre. Im
Übrigen entspricht es der Billigkeit, Antragsteller und Antragsgegnerin aufgrund des
gleich hohen Risikos eines Unterliegens im Erbscheinverfahren kostenmäßig gleich zu
behandeln.

Der Verfahrenswert beläuft sich, ausgehend von einem Gesamtnachlass von - unter
Berücksichtigung der Wertangaben nach dem Tod der Ehefrau des Erblassers geschätzt -
20.000 € an Bankguthaben / Hausrat und einem Grundstückswert von 100.000 € sowie
der vom Antragsteller begehrten Erbquote auf (120.000 € : 2 =) 60.000 €.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Brandenburg

Erscheinungsdatum:

18.02.2020

Aktenzeichen:

3 W 9/20

Rechtsgebiete:

Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Gesetzliche Erbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

FamFG §§ 38 Abs. 3 S. 3, 81; BGB §§ 1923 Abs. 1, 2069, 2270 Abs. 1