Zwangsvollstreckung einer sog. Brautgabe aufgrund iranischer Heiratsurkunde
letzte Aktualisierung: 25.11.2020
OLG Celle, Beschl. v. 25.9.2020 – 10 WF 107/20
FamFG §§ 108, 109 Abs. 1 Nr. 1
Zwangsvollstreckung einer sog. Brautgabe aufgrund iranischer Heiratsurkunde
1. Weder die in einer iranischen Heiratsurkunde beurkundete Vereinbarung der Eheleute über eine
sog. Brautgabe, noch der von einer iranischen Behörde ausgestellte „Vollstreckungstitel“ auf
Herausgabe ohne vorherige inhaltliche Sachprüfung erfüllt die Voraussetzungen einer
anerkennungsfähigen Entscheidung im Sinne von
2. Zur spiegelbildlichen Prüfung der internationalen Zuständigkeit des iranischen Gerichts im Sinne
von
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (VKH) für einen gegen den
Antragsgegner gerichteten Antrag auf Herausgabe einer nach iranischem Recht vereinbarten sog. Brautoder
Morgengabe.
Die Beteiligten haben beide ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit und sind nicht als politische
Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt. Sie haben am 29. August 2014 im Iran vor dem Notariat für
Eheschließungen in I. geheiratet, leben aber mittlerweile getrennt. Das Scheidungsverfahren, welches der
Senat beigezogen hat, ist seit Juni 2019 beim Amtsgericht anhängig.
Der Antragsgegner hat sich anlässlich der Eheschließung in der Heiratsurkunde unter anderem
verpflichtet, der Antragstellerin 124 iranische Goldmünzen Yek Bahar Azadi zu schenken.
Die Antragstellerin hat unter dem 3. Juli 2017 einen von der Organisation für die Registrierung von
Urkunden und Immobilien ausgestellten „Vollstreckungstitel“ über die Herausgabe der Morgengabe, 124
Bahar-e-Azadi Goldmünzen, erwirkt, der als Beweis auf die Heiratsurkunde Bezug nimmt. Ein gerichtliches
Verfahren war insoweit von der Antragstellerin nicht eingeleitet worden.
Der Antragsgegner hat am 20. Juli 2019 beim Familiengericht I. in Bezug auf den vorgenannten
Vollstreckungstitel die Anordnung einer Ratenzahlung beantragt. Das Familiengericht I. hat daraufhin durch
Urteil vom 10. November 2019 den Antragsgegner verurteilt, an die Antragstellerin 20 Goldmünzen
herauszugeben und danach bis zum vollständigen Ausgleich der Morgengabe monatlich zwei weitere
Goldmünzen zu zahlen.
Für das vorliegende, Mitte August 2019 eingeleitete Verfahren hat das Amtsgericht der Antragstellerin
durch Beschluss vom 8. April 2020 die nachgesuchte VKH mit der Begründung versagt, die beabsichtigte
Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der geltend gemachte Anspruch auf
Zahlung der Brautgabe sei im Iran durch einen Vollstreckungstitel vom 3. Juli 2017 bereits tituliert worden.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt.
Sie rügt, die Titulierung der Brautgabe im Iran sei gänzlich anders strukturiert. Dort könne allein aus der
Heiratsurkunde selbst vollstreckt werden. Etwas anderes sei im Iran nicht versucht worden. Die
Vollstreckung sei jedoch unterblieben. Eine gesonderte Titulierung der Vollstreckung sei nicht erfolgt. Die
Heiratsurkunde könne in der Bundesrepublik Deutschland ohne gerichtliche Titulierung nicht vollstreckt
werden. Die Urkunde selbst erfülle die Voraussetzungen für eine Vollstreckung in der Bundesrepublik
Deutschland nicht. Anders wäre es, wenn es eine iranische Gerichtsentscheidung über die Höhe und die
Art und Weise der Zahlung der Brautgabe gegeben hätte. Diese wäre dann im Wege des
Anerkennungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland anerkennungsfähig und auch dann nach der
Anerkennung vollstreckbar. Diese Möglichkeit habe die Antragstellerin jedoch nicht. Sie könne ihre
Forderung in der Bundesrepublik Deutschland entsprechend nicht vollstrecken. Da der Antragsgegner
jedoch in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft und berufstätig sei, sei die Vollstreckung nur in der
Bundesrepublik Deutschland sinnig.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 17. Juli 2020 nicht abgeholfen und die Sache
dem Senat vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlage
Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Es kann nach der im VKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht davon ausgegangen werden,
dass die Antragstellerin bereits über einen in Deutschland vollstreckbaren Titel über die mit dem
Antragsgegner vereinbarte Brautgabe verfügt. Das Rechtsschutzbedürfnis für ihren beabsichtigten Antrag
ist daher zu bejahen.
Für Verfahren mit Auslandsbezug gelten vorrangig vor den Vorschriften des FamFG völkerrechtliche,
unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht gewordene Vereinbarungen sowie Regelungen in
Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft,
Niederlassungsabkommen zu beachten, weil beide Beteiligte ausschließlich die iranische
Staatsangehörigkeit besitzen und nicht als politische Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt sind (vgl.
Niederlassungsabkommen im Familien- und Erbrecht,
August 2011, Az.: 10 WF 73/11,
Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen enthält allerdings keine Regelung über die
Vollstreckbarkeit ausländischer Titel. Es gilt daher
nicht vollstreckbar ist, wenn sie nicht anzuerkennen ist.
Da das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen auch die Anerkennung nicht regelt, richtet sich diese
nach
Entscheidungen anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf, sofern die
Anerkennung nicht gem.
Eine Entscheidung i. S v. § 108 FamFG liegt nur dann vor, wenn ein Rechtsprechungsorgan – dies kann
neben einem Gericht auch eine Behörde oder ein Notariat sein – mit konstitutiver oder feststellender
Wirkung entschieden hat. Betroffen sind nur Sachentscheidungen, nicht auch Entscheidungen, die rein
verfahrensrechtliche Fragen zum Gegenstand haben. Maßgeblich ist, ob die entscheidende Stelle eine
inhaltliche Sachprüfung vorgenommen hat. Eine anerkennungsfähige Entscheidung liegt daher
grundsätzlich nicht vor, wenn eine ausländische Behörde lediglich ein materiell-rechtlich begründetes
familienrechtliches Rechtsverhältnis beurkundet oder registriert hat. Gerichtliche Vergleiche und
vollstreckbare Urkunden unterliegen nach überwiegend vertretener Auffassung nicht § 108 FamFG, da sie
regelmäßig keine anerkennungsfähigen Wirkungen zeigen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein
ausländisches Gericht die Vereinbarung der Parteien inhaltlich geprüft und durch eine Entscheidung in
seinen Willen aufgenommen hat (vgl. BGH
2018,
FamFG/Sieghörtner, 35. Ed. 1.7.2020,
1.
Bei der Heiratsurkunde vom 29. August 2014 dürfte es sich nicht um eine Entscheidung im vorgenannten
Sinn handeln, da in der Heiratsurkunde lediglich die Vereinbarung der Beteiligten über die Brautgabe
beurkundet worden ist.
2.
Auch der „Vollstreckungstitel“ der Organisation für die Registrierung von Urkunden und Immobilien vom 3.
Juli 2017 dürfte mangels inhaltlicher Sachprüfung der ausstellenden Behörde nicht die Qualität einer
Entscheidung haben. Dieser dürfte vielmehr rein verfahrensrechtlicher Natur sein, da er als Beweis auf die
Heiratsurkunde Bezug nimmt und offensichtlich lediglich zu deren vollstreckungsrechtlicher Durchsetzung
ausgestellt wurde. Dies dürfte nach deutschem Recht der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung (§
724 ZPO) als formelle Vollstreckungsvoraussetzung entsprechen.
3.
Zwar liegt in dem vom Antragsgegner über die Brautgabe erwirkten Urteil des Familiengerichts I. vom 10.
November 2019 zweifelsohne eine Entscheidung i. S. v. § 108 FamFG. Insoweit besteht jedoch das
Anerkennungshindernis des
ausländischen Entscheidung ausgeschlossen, wenn die Gerichte des anderen Staates nach deutschem
Recht nicht zuständig sind. Es gilt das sog. „Spiegelbildprinzip“. D. h., wenn die Gerichte des
ausländischen Staates nach deutschem Recht, gälte es dort, nicht international zuständig sind, ist die
Anerkennung ausgeschlossen (vgl. Keidel/Dimmler, FamFG, 20. Aufl., § 109 Rn 3).
Die nach deutschem Recht zu beurteilende internationale Zuständigkeit ist wiederum nicht im deutschiranischen
Niederlassungsabkommen geregelt. Dieses enthält für Familiensachen in Art. 8 Abs. 3 allein
materiell-rechtliches Kollisionsrecht (vgl. Rauscher, Internationales Privatrecht in der familiengerichtlichen
Praxis,
Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2017, § 11 Rn 13; Keidel/Dimmler, FamFG, 20. Aufl., § 99 Rn 3). Die
internationale Zuständigkeit hängt daher zunächst von der rechtlichen Einordnung der Brautgabe ab. Es
wären beispielsweise Art. 3 ff EUUnthVO anzuwenden, sofern es sich um eine unterhaltsrechtliche
Streitigkeit handeln würde, Art. 4 ff EuGüVO im Fall einer güterrechtlichen Angelegenheit.
Der Bundesgerichtshof hat die Brautgabe in seinen jüngsten insoweit ergangenen Entscheidungen als
einen den allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegenden familienrechtlichen Vertrag sui generis
qualifiziert, der Übereinstimmungen mit dem Rechtsinstitut der unbenannten Zuwendung aufweise.
Insbesondere von einer unterhaltsrechtlichen Anknüpfung könne zumeist schon deshalb nicht
ausgegangen werden, weil weder das Bestehen einer besonderen Bedürfnislage auf Seiten der Ehefrau
noch deren Bedürftigkeit eine Rolle spielten (vgl. BGH
Einordnung von Brautgaben unter die seit Januar 2019 geltende EuGüVO hat der Bundesgerichtshof
bislang offen gelassen (vgl. BGH a. a. O.).
Eine unterhaltsrechtliche Qualifikation dürfte demnach auch für die hier in Rede stehende Brautgabe
ausscheiden.
Bei Einordnung als vermögensrechtliche Vereinbarung i. S. d. EuGüVO (vgl. jeweils m. w. N. Schwab/Ernst
/Balschun, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl., § 17 Rn 12; BeckOK BGB/Wiedemann, 55. Ed. 1.8.2020,
EuGüVO Art. 3 Rn 3.2 m. w. N.) wären vorliegend gem. Art. 5 Abs. 1 EuGüVO aufgrund des bereits seit
Juni 2019 beim Amtsgericht Hannover anhängigen Scheidungsverfahrens die deutschen Gerichte
ausschließlich international zuständig gewesen und nicht das erst Mitte Juli 2019 vom Antragsgegner
angerufene Familiengericht I. (MüKoBGB/Looschelders, 8. Aufl. 2020, EuGüVO Art. 5 Rnn 15, 16, 18).
Sofern man den Anwendungsbereich der EuGüVO nicht für eröffnet halten wollte, würde sich für das als
sonstige Familienstreitsache i. S. v. § 266 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einzuordnende Verfahren (vgl. Zöller/Lorenz,
ZPO, 33. Aufl.,
gem.
Hannover ausschließlich zuständig. Das Familiengericht I. wäre daher auch außerhalb des
Anwendungsbereichs der EuGüVO nach deutschem Recht nicht international zuständig gewesen.
Im Übrigen dürfte der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe der Brautgabe nach dem gem. Art. 8
Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens maßgeblichen iranischen Sachrecht schlüssig
dargelegt sein; die Antragstellerin ist auch als bedürftig anzusehen.
Die angefochtene Entscheidung kann nach alledem keinen Bestand haben. Dies gilt umso mehr, als die
Beantwortung schwieriger bzw. zweifelhafter Rechtsfragen – vorliegend die Prüfung der Vollstreckbarkeit
iranischer Titel – nicht in das VKH-Verfahren verlagert werden darf (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. §
114 Rn 25 m. w. N.). Der Antragstellerin war die begehrte VKH nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen ratenfrei zu bewilligen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Celle
Erscheinungsdatum:25.09.2020
Aktenzeichen:10 WF 107/20
Rechtsgebiete:
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
FamFG §§ 108, 109 Abs. 1 Nr. 1