BGH 14. Juli 2011
V ZB 271/10
BGB § 1030

Kein Erfordernis eines berechtigten Interesses bei Bestellung eines Eigentümernießbrauchs

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Dokumentnummer: 10993
letzte Aktualisierung: 23.9.2011
BGH, 14.7.2011 - V ZB 271/10
BGB § 1030
Kein Erfordernis eines berechtigten Interesses bei Bestellung eines Eigentümernießbrauchs
Ein Nießbrauch kann an dem eigenen Grundstück bestellt werden; der Nachweis eines
berechtigten Interesses an der Bestellung ist nicht erforderlich.


BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 271/10
vom
14. Juli 2011
in der Grundbuchsache
betreffend das Grundbuch von Wangen Nr. 6063
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 1030
Ein Nießbrauch kann an dem eigenen Grundstück bestellt werden; der Nachweis
eines berechtigten Interesses an der Bestellung ist nicht erforderlich.
BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 - V ZB 271/10 - OLG Stuttgart
GBA Wangen i.A.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Oktober 2010 wird auf
Kosten der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
7.000 €.
Gründe:
I.
Die Beteiligte zu 1 ist Gläubigerin einer auf dem Grundstück des Beteiligten zu 2 lastenden, am 24. März 2010 in das Grundbuch eingetragenen
Zwangssicherungshypothek. Seit dem 26. Februar 2010 ist dort ein Nießbrauch
für den Eigentümer eingetragen.
Die Beteiligte zu 1 verlangt die Löschung des Nießbrauchs. Das Grundbuchamt hat den Antrag zurückgewiesen; die hiergegen gerichtete Beschwerde
ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die
Beteiligte zu 1 ihren Antrag weiter.
II.
Das Beschwerdegericht meint, der Nießbrauch sei zu Recht eingetragen
worden. Die Zulässigkeit der originären Bestellung eines Eigentümernießbrauchs an Grundstücken sei heute unumstritten. Dessen Wirksamkeit sei auch
nicht von einem schutzwürdigen Interesse des Eigentümers an der Bestellung
abhängig. Es sei ein Gebot der Rechtssicherheit und eines unkomplizierten
Grundbuchverfahrens, jeden Eigennießbrauch an Grundstücken als gültig anzuerkennen. Eine etwaige Gläubigerbenachteiligung müsse die Beteiligte zu 1
nach dem Anfechtungsgesetz geltend machen.
III.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Ohne Rechtsfehler geht das Beschwerdegericht von der Zulässigkeit
der Erstbeschwerde aus (§ 71 Abs. 1 GBO). Die Vorschrift des § 71 Abs. 2 Satz
1 GBO, nach der die Beschwerde gegen eine Eintragung unzulässig ist, steht
dieser nicht entgegen, denn sie findet keine Anwendung, wenn eine Eintragung
berichtigt werden soll, die nicht am öffentlichen Glauben des Grundbuchs teilnimmt (Senat, Beschluss vom 28. September 1989 – V ZB 17/88, BGHZ 108,
372, 375; Beschluss vom 19. Mai 2011 – V ZB 197/10, WM 2011, 1337 f.). So
verhält es sich hier. Da ein Nießbrauch - von der hier nicht einschlägigen Ausnahme des § 1059a BGB abgesehen - nicht übertragbar ist (§ 1059 Abs. 1
BGB), kann sich an dessen Eintragung kein gutgläubiger Erwerb anschließen
(vgl. Demharter, GBO, 27. Aufl., § 71 Rn. 43; KEHE/Briesemeister, Grundbuchrecht, 6. Aufl., § 71 Rn. 31; Baur/v. Oefele/Budde, GBO, 2. Aufl., § 71 Rn. 49).
2. Zutreffend nimmt das Beschwerdegericht ferner an, dass der eingetragene Eigentümernießbrauch wirksam und dessen Löschung von dem Grundbuchamt daher zu Recht verweigert worden ist.
a) Der Grundstückseigentümer kann einen Nießbrauch für sich selbst
bestellen. Die Schaffung eines Rechts am eigenen Grundstück ist im Gesetz
zwar nur für die Grundschuld und die Rentenschuld vorgesehen (§§ 1196, 1199
BGB). Die Vorschrift des § 889 BGB, die bestimmt, dass ein Recht an einem
fremden Grundstück bei nachträglicher Vereinigung von Eigentum und dinglichem Recht nicht erlischt, macht aber deutlich, dass dem Gesetz ein Ausschluss des Bestehens dinglicher Rechte an eigenen Grundstücken fremd ist.
Auch steht das in § 873 BGB aufgestellte Erfordernis einer Einigung zwischen
zwei Personen der Bestellung eines solchen Rechts nicht entgegen; die Vorschrift soll lediglich verhindern, dass jemand ein Recht gegen seinen Willen erwirbt. Der Senat hat deshalb die Bestellung einer Eigentümerdienstbarkeit für
zulässig erachtet (Senat, Urteil vom 11. März 1964 – V ZR 78/62, BGHZ 41,
209, 210 f.; Urteil vom 8. April 1988 – V ZR 120/87, NJW 1988, 2362, 2363).
Für einen Nießbrauch gilt nichts anderes. Zwar ist dieses Recht nach
seiner rechtlichen Konstruktion ebenfalls auf einen Dritten als Berechtigten
ausgerichtet. Wie bei der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit kann aber
auch bei einem Nießbrauch ein schutzwürdiges Interesse des Eigentümers bestehen, es zunächst als Eigenrecht entstehen zu lassen. Das zeigt sich insbesondere bei einer beabsichtigten Veräußerung des Grundstücks unter Nießbrauchsvorbehalt. Eine vorherige, von dem Eigentümer selbst geschaffene
dingliche Sicherung der ihm verbleibenden Nutzungsbefugnis bietet erhebliche
Vorteile gegenüber dem nur schuldrechtlichen Versprechen des Erwerbers,
unmittelbar im Anschluss an den Erwerb einen Fremdnießbrauch zu bestellen.
Auch wenn dieses Versprechen durch einen Rangvorbehalt des Eigentümers
(§ 881 BGB) und eine im Voraus abgegebene Eintragungsbewilligung des Erwerbers flankiert wird, ist der Eigentümer wegen der Möglichkeit von Verfügungsbeschränkungen des Erwerbers, die vor dem nach § 878 BGB maßgeblichen Zeitpunkt entstanden sind und wegen der Wirkung des Rangvorbehalts
nur für den jeweiligen Grundstückseigentümer (§ 881 Abs. 3 BGB) nicht in gleicher Weise geschützt (vgl. näher Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1030 Rn. 34;
Schön, Der Nießbrauch an Sachen, S. 223; v. Lübtow NJW 1962, 275, 277).
Die Bestellung eines Nießbrauchs am eigenen Grundstück wird daher heute zu
Recht allgemein als zulässig angesehen (vgl. BayObLG, MittBayNot 1979, 6, 8;
OLG Köln, NJW-RR 1999, 239; Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1030 Rn. 33;
Soergel/Stürner, BGB, 12. Aufl., § 1030 Rn. 3; MünchKomm-BGB/Pohlmann,
5. Aufl., § 1030 Rn. 22; Erman/Michalski, BGB, 12. Aufl., § 1030 Rn. 6;
RGRK/Rothe, BGB, 12. Aufl., § 1030 Rn. 5; Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl.,
§ 1030
Rn. 3;
NK-BGB/Lemke,
2. Aufl.,
§ 1030
Rn.
63;
Bamberger/Roth/Wegmann, BGB, 2. Aufl., § 1030 Rn. 12; PWW/Eickmann, 6. Aufl.,
§ 1030 Rn. 9; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, 2. Aufl., § 1 II 3 b; Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl., § 32 I 3 c; Weitnauer, DNotZ 1958, 352; 1964, 716; v. Lübtow, NJW 1962, 275; Harder, DNotZ 1970, 267, 269 f.; aA noch die ältere Judikatur: RGZ 47, 202, 208 ff.; KGJ 51, 291, 292; OLG Düsseldorf, NJW 1961,
561; vgl. aber auch RGZ 142, 231, 235).
b) Die Wirksamkeit eines Eigentümernießbrauchs ist nicht von dem
Nachweis eines berechtigten Interesses an dessen Bestellung im Einzelfall abhängig. Diese Frage ist allerdings umstritten. Während ein Teil des Schrifttums
ein berechtigtes Interesse an der Bestellung eines Nießbrauchs am eigenen
Grundstück für erforderlich erachtet (LG Stade, NJW 1968, 1678; LG Verden,
NdsRpfl 1970, 208; Soergel/Stürner, BGB, 12. Aufl., § 1030 Rn. 3; Erman/Michalski, BGB, 12. Aufl., § 1030 Rn. 6; RGRK/Rothe, BGB, 12. Aufl.,
§ 1030 Rn. 5; v. Lübtow, NJW 1962, 275, 276), spricht sich die inzwischen
überwiegende Auffassung dafür aus, den Eigennießbrauch an Grundstücken
unabhängig von dem Nachweis eines solchen Interesses zuzulassen (Staudinger/Frank, BGB [2009], § 1030 Rn. 35; MünchKomm-BGB/Pohlmann, 5. Aufl.,
§ 1030 Rn. 24; Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl., § 1030 Rn. 3; NKBGB/Lemke, 2. Aufl., § 1030 Rn. 63; PWW/Eickmann, 6. Aufl., § 1030 Rn. 9;
Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl., Rn. 1373; Westermann, Sachenrecht, 7. Aufl., § 121 II; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, S. 224; Weitnauer,
DNotZ 1958, 352, 358; 1964, 716, 718; Harder, DNotZ 1970, 267, 271 ff.). Diese Auffassung überzeugt.
Allerdings hat der Senat die Bestellung einer Eigentümerdienstbarkeit
bislang nur unter der Voraussetzung für zulässig erachtet, dass sie mit Rücksicht auf eine beabsichtigte Übertragung des Eigentums an dem belasteten
Grundstück geschieht und aus diesem Grund ein Bedürfnis an der Bestellung
zu bejahen ist (Urteil vom 11. März 1964 – V ZR 78/62, BGHZ 41, 209, 211).
Soweit dem zu entnehmen ist, dass ein solches Interesse Voraussetzung für
die wirksame Schaffung einer Eigentümerberechtigung ist, wird hieran nicht
festgehalten. Richtigerweise ist die Bestellung von Rechten am eigenen Grundstück bereits im Hinblick auf die bloße Möglichkeit eines solchen Interesses als
zulässig anzusehen; eines entsprechenden Nachweises bedarf es im Einzelfall
nicht. Das entspricht der Rechtslage bei der Eigentümergrundschuld, welche
ebenfalls ohne Darlegung des mit ihr verfolgten Zwecks bestellt werden kann.
Zugleich wird eine Überforderung des auf dem formellen Konsensprinzip und
der Beweismittelbeschränkung beruhenden Grundbuchverfahrens vermieden
(so zutreffend Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl., Rn. 1373) und dem
Gebot genügt, im Grundstücksverkehr klare und sichere Rechtsverhältnisse zu
schaffen (vgl. Senat, Urteil vom 20. Mai 1988 – V ZR 269/86, BGHZ 104, 298;
BGH, Urteil vom 9. Januar 1958 - II ZR 275/56, BGHZ 26, 225, 228). Wäre die
Wirksamkeit der Bestellung eines Eigennießbrauchs von dem Nachweis eines
gezogen werden, bei dessen Begründung habe es an einem solchen Interesse
des Eigentümers gefehlt (vgl. Weitnauer, DNotZ 1964, 716, 718).
c) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil ein Eigentümernießbrauch dazu genutzt werden kann, Gläubigern den Zugriff auf das
Grundstück zu erschweren. Diese Gefahr besteht bei der Eigentümergrundschuld ebenfalls; gleichwohl kann diese nach dem Gesetz ohne Nachweis eines
berechtigten Interesses am eigenen Grundstück bestellt werden. Der benachteiligte Gläubiger ist deshalb nicht schutzlos, denn die Bestellung dinglicher Rechte am eigenen Grundstück, welche die Zugriffslage für ihn verschlechtert und in
Benachteiligungsabsicht erfolgt, ist nach § 3 Abs. 1 AnfG anfechtbar (BFHE
229, 29, 35 Rn. 25 ff.; offengelassen in BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – IX ZR
81/94, BGHZ 130, 314, 321). Die Sonderregelungen der Gläubigeranfechtung
verdrängen im Regelfall die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, wie § 138
oder § 226 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1998 – IX ZR 22/97, BGHZ
138, 291, 299 f.; Urteil vom 4. März 1993 – IX ZR 151/92, NJW 1993, 2041
mwN). Damit steht es in Einklang, dass die Absicht der Gläubigerbenachteiligung Berücksichtigung grundsätzlich nur im Anfechtungsverfahren, nicht aber
im Rahmen der Grundbucheintragung findet.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Stresemann
Brückner
Roth
Weinland
Vorinstanzen:

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

14.07.2011

Aktenzeichen:

V ZB 271/10

Rechtsgebiete:

Dienstbarkeiten und Nießbrauch

Erschienen in:

DNotI-Report 2011, 152-154
RNotZ 2011, 624
notar 2012, 20-21
DNotZ 2012, 137-140
NJW 2011, 3517-3518
Rpfleger 2011, 659-660
ZNotP 2011, 386-387

Normen in Titel:

BGB § 1030