BGH 22. März 2021
NotSt (Brfg) 4/20
BNotO §§ 10a, 14 Abs. 3 S. 2

Beurkundung in den Räumlichkeiten einer Gemeinde; Anschein der Parteilichkeit

letzte Aktualisierung: 21.5.2021
BGH, Beschl. v. 22.3.2021 – NotSt (Brfg) 4/20

BNotO §§ 10a, 14 Abs. 3 S. 2
Beurkundung in den Räumlichkeiten einer Gemeinde; Anschein der Parteilichkeit

a) Der Notar verstößt gegen seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit
oder Parteilichkeit, wenn er – jedenfalls: wiederholt – Beurkundungen in den Räumen einer
Vertragspartei vornimmt, ohne dafür sachliche Gründe vorweisen zu können.
b) Die Beurkundung in Räumen der Gemeinde kann geeignet sein, den Anschein zu begründen, der
Notar stehe in einem unangemessenen Näheverhältnis zu dieser Gemeinde, und auf diese Weise die
notariellen Amtspflichten aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO verletzen.

Gründe:

I.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und wurde 2011 zum Notar bestellt. In den
Jahren 2016 bis 2018 beurkundete er insgesamt 38 Vereinbarungen und Erklärungen
im Zusammenhang mit Grundstücksübertragungen (darunter fünf Grundschuldbestellungen
und zwei Unterschriftsbeglaubigungen) in Räumlichkeiten
der Gemeinde B. , bei denen diese jeweils selbst Vertragspartei war. Aufgrund
dessen leitete der Beklagte ein Disziplinarverfahren ein und verhängte gegen
den Kläger durch Disziplinarverfügung wegen eines fahrlässigen Verstoßes
gegen die sich aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO ergebende Amtspflicht, jedes Verhalten
zu vermeiden, das den Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit erzeugt,
eine Geldbuße von 2.500 €. Zur Begründung führte er aus, mit der planmäßigen
und wiederholten Vornahme von Beurkundungen in den Räumen einer
Vertragspartei sei aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters der
Anschein einer gewissen Abhängigkeit, vor allem aber der Anschein der Parteilichkeit
zugunsten dieser Vertragspartei, hier der Gemeinde B. , entstanden.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Präsidentin des Oberlandesgerichts
C. zurück.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der Disziplinarverfügung
in Gestalt des Widerspruchsbescheids. Das Oberlandesgericht hat die
Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich
der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit der er seinen Klageantrag
weiterverfolgen möchte.

II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache
aber ohne Erfolg. Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2,
§ 124 Abs. 2 VwGO iVm § 64 Abs. 2 BDG iVm § 105 BNotO) liegt nicht vor.
Insbesondere kommt der Rechtssache - entgegen der Auffassung des Klägers -
keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und bestehen
auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist erfüllt, wenn es im konkreten Fall auf eine Tatsachen-
oder Rechtsfrage ankommt, die über den von der ersten Instanz entschiedenen
Fall hinausgeht und an deren Klärung daher im Interesse der Einheit oder
der Fortbildung des Rechts auch für vergleichbare Fälle ein Interesse besteht
(s. zB Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotSt(Brfg) 2/20, RNotZ 2020, 532
Rn. 14 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn die Streitfrage
bereits in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt ist (Senat aaO). Letzteres
ist hier der Fall.

aa) Im Ansatz zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass die Regelung
des § 10a BNotO, die den Notar hinsichtlich seiner Urkundstätigkeit grundsätzlich
auf den Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat, verweist, keine
weiteren örtlichen Einschränkungen vorsieht (s. BVerfG, NJW 2000, 3486, 3487).
Dies gilt insbesondere für die Frage, ob eine Beurkundung in der Geschäftsstelle
des Notars oder außerhalb davon - innerhalb des Amtsbezirks - vorgenommen
wird (BVerfG aaO). Bei der Wahl des Beurkundungsortes muss der Notar jedoch
darauf achten, dass hierdurch nicht der Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit
erzeugt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO; § 67 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 2 und
9 BNBotO in Verbindung mit Nr. IX. 2. der Richtlinien für die Amtspflichten und
sonstigen Pflichten der Mitglieder der Notarkammer C. ). Daraus, dass § 10a
BNotO eine Beurkundung außerhalb der Geschäftsstelle des Notars nicht untersagt,
darf nicht geschlossen werden, dass diese von vornherein mit der allgemeinen
Pflicht zu unabhängiger und unparteilicher Amtsführung vereinbar sei (vgl.
Senat, Beschluss vom 13. November 2017 - NotSt(Brfg) 3/17, DNotZ 2018, 550
Rn. 28). Ob die Unabhängigkeit des Notars und seine Verpflichtung zur Unparteilichkeit
durch Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle gefährdet werden
können, ist indessen eine Frage des Einzelfalls. Sofern die Gefahr des Anscheins
einer Parteilichkeit des Notars entstehen könnte, hat dieser allerdings von der
Auswärtsbeurkundung Abstand zu nehmen; berufswidriges Verhalten kann insoweit
geahndet werden (BVerfG aaO S. 3487 f).

bb) Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass der Notar gegen seine Amtspflicht
zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit verstößt,
wenn er - jedenfalls: wiederholt - Beurkundungen in den Räumen einer
Vertragspartei vornimmt, ohne dafür sachliche Gründe vorweisen zu können;
denn durch ein solches Verhalten erweckt er aus der maßgeblichen Sicht des
objektiven, mit den konkreten Gegebenheiten vertrauten Beobachters (vgl. Senat,
Beschluss vom 13. November 2017 aaO) den Eindruck, den Interessen dieser
Vertragspartei näher zu stehen als den Belangen der anderen Partei (so auch
OLG Celle, DNotZ 2020, 227 Rn. 25 ff mwN; Zimmer, ZfIR 2019, 244, 245;
BeckOK/Sander, BNotO, § 14 Rn. 70 [Stand: 1. Februar 2021]; enger: Uffmann,
DNotZ 2020, 232, 235 ff, nach deren Meinung der konkret gewählte Ort der Beurkundung
allein nicht ausreicht, um den bösen Schein im Sinne des § 14 Abs. 3
Satz 2 BNotO zu erzeugen). Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der solchermaßen
"begünstigten" Vertragspartei um eine Gemeinde (Gebietskörperschaft)
handelt, weil Gemeinden - etwa als Grundstücksverkäufer - durchaus in einem
Interessengegensatz zur anderen Vertragspartei stehen können (OLG Celle aaO
Rn. 28; Zimmer aaO; Sander aaO; Uffmann aaO S. 236; Raff, MittBayNot 2020,
74, 76). Die Beurkundung in Räumen der Gemeinde kann demnach geeignet
sein, den Anschein zu begründen, der Notar stehe in einem unangemessenen
Näheverhältnis zu dieser Gemeinde, und auf diese Weise die notariellen Amtspflichten
aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO (beziehungsweise den diese Regelung
konkretisierenden Richtlinien der örtlichen Notarkammer) verletzen.

b) Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nur gegeben, wenn der Antragsteller
im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder
eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten
in Frage gestellt hat (s. zB Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 aaO Rn. 5
mwN). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen
füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht
auch die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (Senat, Beschluss vom 20. Juli
2020 aaO mwN). Die hier angegriffene Entscheidung begegnet keinen solchen
Bedenken.

aa) Im Einklang mit den vorerwähnten Grundsätzen (s.o., a) hat das Oberlandesgericht
zu Recht angenommen, der Kläger habe fahrlässig seine Amtspflicht
zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit verletzt,
indem er in mindestens 31 Fällen (ohne Einbeziehung der Grundschuldbestellungen
und Unterschriftsbeglaubigungen) in den Räumen der Gemeinde
B. Beurkundungen vornahm, an denen die Gemeinde selbst als Vertragspartei
beteiligt war. Sachliche Gründe für diese Auswärtsbeurkundung hat der
Kläger nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.

bb) Auch im Hinblick auf die Auswahl der für das einheitliche Dienstvergehen
(§ 95 BNotO) verhängten Sanktion in Gestalt einer Geldbuße (§ 97 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BNotO) und die Bemessung ihrer Höhe bestehen keine Zweifel an
der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Auf die zutreffenden Ausführungen
des Oberlandesgerichts wird insoweit Bezug genommen.

c) Die Berufungszulassungsgründe der besonderen tatsächlichen und
rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der
Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO oder einen Verfahrensmangel
(§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) macht der Kläger nicht geltend; hierfür ist auch kein
Anhaltspunkt ersichtlich.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO iVm § 77
Abs. 1 BDG iVm § 109 BNotO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

22.03.2021

Aktenzeichen:

NotSt (Brfg) 4/20

Rechtsgebiete:

Notarielles Berufsrecht

Normen in Titel:

BNotO §§ 10a, 14 Abs. 3 S. 2