Kein Anspruch auf Versendung des Originaltestaments zur Einsichtnahme wegen Authentizitätsprüfung
letzte Aktualisierung: 07.05.2020
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.12.2019 – 3 Wx 224/19
FamFG §§ 13 Abs. 1 u. 4, 357 Abs. 1;
Kein Anspruch auf Versendung des Originaltestaments zur Einsichtnahme wegen Authentizitätsprüfung
Die Versendung des Originaltestaments zur Einsichtnahme im Wege der Rechtshilfe an das
örtlich zuständige Amtsgericht ist mit Blick auf die Verlustgefahr zu versagen, wenn die
Möglichkeit besteht, die Originalurkunde vor Ort beim Nachlassgericht einzusehen. (Leitsatz der
DNotI-Redaktion)
Gründe:
I.
Die Beteiligte ist die Schwester des Erblassers. Verfahrensgegenständlich ist ihr Antrag
vom 2. August 2019 auf Vorlage des vom Erblasser errichteten privatschriftlichen
Testaments im Original, dazu ihrer Verfahrensbevollmächtigten Einsicht in die
Nachlassakte zu gewähren und zu diesem Zweck die Nachlassakte im Wege der
Rechtshilfe an das Amtsgericht Kiel zu versenden. Zur Begründung ihres Interesses an
der Einsicht des Original-Testaments verweist die Beteiligte auf ernsthafte Bedenken an
der Wirksamkeit und Authentizität des eröffneten Testaments.
Das Nachlassgericht versandte sodann die Verfahrensakte sowie die weitere
Nachlassakte ........ (Verfahren über den Erbscheinsantrag der Beteiligten) an das
Amtsgericht Kiel. Vom Testament des Erblassers befand sich in der Verfahrensakte
lediglich eine Kopie versehen mit einem Beglaubigungsvermerk.
Zu dem von der Beteiligten sodann wiederholten Antrag auf Übersendung des
Originaltestaments wies das Nachlassgericht mit Verfügung vom 20. September 2019
darauf hin, dass wegen Verlustgefahr eine Übersendung des Original-Testaments nicht
erfolgen könne; das gelte auch für die Aktenübersendung an andere Gerichte. Einsicht in
das Original könne nur vor Ort beim Nachlassgericht erfolgen.
Den daraufhin von der Beteiligten erneut gestellten Antrag auf Einsicht in das Original-
Testament durch Übersendung der Nachlassakten an das Amtsgericht Kiel hat das
Nachlassgericht mit Beschluss vom 16. Oktober 2019 zurückgewiesen und sich zur
Begründung erneut auf Verlustgefahr gestützt.
Hiergegen wendet sich die Beteiligte mit ihrer Beschwerde vom 23. Oktober 2019. Zur
Begründung ihrer Auffassung zu einem Einsichtsrecht in das Original-Testament auch in
Form der Aktenversendung an ein anderes Gericht verweist sie darauf, dass ihre
Verfahrensbevollmächtige als Organ der Rechtspflege gesteigerte Loyalitätspflichten habe.
Auch einem Schriftsachverständigen würden Testamente im Original zur Begutachtung in
seinen Arbeitsräumen überlassen. Sinn und Zweck der Rechtshilfe sei es,
Verfahrensbevollmächtigten einen unverhältnismäßig hohen Zeit- und Kostenaufwand zu
ersparen; im hiesigen Verfahren wäre für eine Einsichtnahme beim Amtsgericht Ratingen
eine Fahrt mit einer einfachen Strecke von 500 km erforderlich, was einen Zeitaufwand
von 10 Stunden sowie Kosten für Verpflegung und Übernachtung verursache. Eine
Verlustgefahr sei bei Übermittlung von Akten von einem Gericht an ein anderes nicht
gegeben und dürfe auch nicht unterstellt werden; anderenfalls könnte auch im hiesigen
Beschwerdeverfahren die das Original-Testament enthaltende Akte nicht dem
Beschwerdegericht vorgelegt werden.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem
Oberlandesgericht Düsseldorf mit weiterem Beschluss vom 28. Oktober 2019 zur
Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie auf den
Inhalt der beigezogenen Akte über den Erbscheinsantrag der Beteiligten verwiesen.
II.
Das Rechtsmittel der Beteiligten ist dem Senat nach der vom Nachlassgericht mit
weiterem Beschluss vom 28. Oktober 2019 ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe zur
Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG.
Bedenken bestehen schon an der Zulässigkeit des als sofortige Beschwerde bezeichneten
Rechtsmittels.
Das Recht auf Akteneinsicht ist in § 13 FamFG geregelt und nach Absatz 1 der Vorschrift
können die Beteiligten eines Verfahren die Gerichtsakten auf der Geschäftsstelle des
Gerichts einsehen, wenn nicht schwerwiegende Interessen eines anderen Beteiligten oder
eines Dritten entgegenstehen. Soll die Akteneinsicht von einem Rechtsanwalt
wahrgenommen werden, können diesem die Akten in seine Kanzleiräume überlassen
werden,
Verfahrensakten zur Einsichtnahme in die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts liegt im
Ermessen des Gerichts, ein Anspruch auf Überlassung besteht nicht (BGH NJW 1961,
559 f.; Senat
Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019, Rn. 30.187). Entsprechendes ist in § 13 Abs. 4 Satz 2
FamFG für die Überlassung von Beweisstücken in § 13 Abs. 4 ausdrücklich festgehalten.
Zur Frage eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf
Akteneinsicht ist im Gesetz nur geregelt, dass die Entscheidung über eine
Aktenüberlassung an einen Verfahrensbevollmächtigten nicht anfechtbar ist, § 13 Abs. 4
Satz 3 FamFG. Die Anfechtbarkeit im übrigen ist streitig: überwiegend wird angenommen,
die Verletzung des Akteneinsichtsrechts könne der Betroffene nur zusammen mit der
Hauptsacheentscheidung im Wege der Beschwerde geltend machen; soweit die
Beschwerde für statthaft gehalten wird, werden unterschiedliche Auffassungen zum
anwendbaren Verfahrensrecht vertreten und entweder
oder
Aufl. 2017, § 13 Rn. 69 mit weiteren Nachweisen in Fn. 192; Groll/Steiner-Waxenberger,
a.a.O., Rn. 30.191).
Für Verfahren in Nachlassangelegenheiten – wie hier – gilt neben § 13 FamFG die
Vorschrift des
eröffnete Verfügung von Todes wegen, wenn ein rechtliches Interesse an der Einsicht
glaubhaft gemacht wird.
Zur Frage nach dem statthaften Rechtsbehelf gegen die Verweigerung der Einsicht in die
letztwillige Verfügung wird vertreten, richtiger Rechtsbehelf sei die befristete Beschwerde
nach
die Art und Weise der Einsichtsgewährung angegriffen werden solle, bestehe lediglich die
Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Das gelte auch dann, wenn – wie hier – die
Versendung einer Verfügung von Todes wegen an ein anderes Gericht im Wege der
Rechtshilfe abgelehnt worden sei (vgl. hierzu MüKoFamFG/Griwotz, 3. Aufl. 2019, § 357
Rn. 11 m.w.N.).
Eine Entscheidung darüber, welcher der vorstehend skizzierten Auffassungen für Fälle wie
den vorliegenden zu folgen ist, kann der Senat hier dahinstehen lassen, denn das
Rechtsmittel der Beteiligten ist jedenfalls unbegründet.
Das Nachlassgericht hat mit nicht zu beanstandender Begründung die Versendung des
Original-Testaments des Erblassers im Wege der Rechtshilfe an das örtlich zuständige
Amtsgericht Kiel abgelehnt und die Beteiligte deshalb richtigerweise auf die Möglichkeit
der Einsichtnahme am Ort des Nachlassgerichts selbst verwiesen.
Wie oben bereits dargestellt, ist zu
Überlassung der Verfahrensakten an einen Rechtsanwalt in dessen Kanzleiräume nicht
besteht, sondern dass die Entscheidung über die Art der Akteneinsicht im pflichtgemäßen
Ermessen des Gerichts liegt. In Betracht kommt neben der Überlassung der Akten an
einen Rechtsanwalt in dessen Geschäftsräume entweder die Akteneinsicht in der
Geschäftsstelle des aktenführenden Gerichts selbst oder die Akteneinsicht in der
Geschäftsstelle des um Rechtshilfe ersuchten Gerichts (vgl. BeckOK FamFG/Burschel, 32.
Edition, Stand: 1. Oktober 2019, § 13 Rn. 37). Zu berücksichtigen sind bei der vom Gericht
zu treffenden Ermessensentscheidung stets die Umstände des Einzelfalls und zu diesen
gehört auch die Gefahr des Verlustes unersetzlicher Akten (MüKo/Papst, a.a.O., § 13 Rn.
36). Dabei gilt für Nachlasssachen, dass die Gefahr eines Verlustes der Akten weit
schwerer wiegt als in sonstigen Zivilverfahren. Sie enthalten regelmäßig Urkunden im
Original, die sich im Falle des Aktenverlustes nicht mehr rekonstruieren lassen, so dass
ein solcher Verlust mit schwerwiegenden oder selbst unersetzlichen Nachteilen für die
Beteiligten verbunden sein kann (Senat
Die besondere Bedeutung von Originalurkunden kommt auch in § 13 Abs. 4 Satz 2
FamFG zum Ausdruck. Der Gesetzgeber hat im Zusammenhang mit der Reform des
Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit wegen der mit einem Verlust von Beweismitteln
(hierzu gehören handschriftliche Testamente als Originalurkunden) verbundenen Nachteile
dem Gericht die Möglichkeit geschaffen, bei seiner Entscheidung zwischen einer
Aktenüberlassung insgesamt und den in der Akte enthaltenen Beweismitteln zu
differenzieren und Beweismittel von der Überlassung an einen Rechtsanwalt
auszunehmen (vgl. BT Drucksache 16/6308, S. 364).
In Bezug auf das in
das Nachlassgericht die Einsichtnahme auch im Wege der Rechtshilfe ermöglichen und
dazu das Testament an ein anderes Amtsgericht versenden kann. Wegen der mit einer
Versendung verbundenen Gefahr des Verlustes des Testaments wird für Fälle der
Einsichtsgewährung im Wege der Rechtshilfe vertreten, dass regelmäßig nur die
Versendung von Kopien des Testaments in Betracht kommt. Deshalb wird die Empfehlung
ausgesprochen, zum Gerichtsort zu fahren, wenn das Original in Augenschein genommen
werden soll (so Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 357 Rn. 23).
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden hält die Entscheidung des Nachlassgerichts
einer Überprüfung durch den Senat stand.
Ein Anspruch der Beteiligten auf Aktenübersendung inklusive des Originaltestaments an
das Amtsgericht Kiel als Rechtshilfegericht besteht unter keinem Gesichtspunkt.
Die Weigerung der Übersendung auch des Originaltestaments an das Rechtshilfegericht
mit der Begründung des Verlustrisikos ist nicht zu beanstanden, eine fehlerhafte
Ermessensausübung ist nicht erkennbar. Dass das Verlustrisiko bzw. die Vermeidung
seines Eintritts ein beachtlicher Gesichtspunkt für die Ermessensausübung ist, wurde oben
bereits allgemein dargestellt. Auch liegt es auf der Hand, dass das Verlustrisiko bei einer
Herausgabe von Akten – gleiches gilt für Aktenbestandteile – regelmäßig deutlich höher
einzuschätzen ist als bei einem dortigen Verbleib (so schon Senat
Auch im hiesigen Verfahren ist die Gefahr eines Verlustes des Originaltestaments von
beachtlichem Gewicht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Versendung der das
Testament enthaltenden Verfahrensakte von Ratingen nach Kiel per Post erfolgen würde.
Für diesen Versendungsweg ist die Verlustgefahr vergleichsweise hoch. Es ist
gerichtsbekannt, dass per Post versandte Schriftstücke relativ häufig verloren gehen, sei
es auf dem Transport selbst, sei es, dass sie in einen falschen Briefkasten eingeworfen
werden, sei es, dass sie einem Dritten ausgehändigt werden, der sich nicht zuverlässig um
die Aushändigung an den Empfänger kümmert oder der das nicht an ihn adressierte
Schriftstück selbst öffnet. Diese so umrissene Verlustgefahr besteht nicht nur für einfache
Briefe, sondern auch – und ggfls. in sogar erhöhtem Maße – für Briefe, die ein Gericht als
Absender und ein anders Gericht als Adressaten ausweisen und von ihrem äußeren
Umfang her erkennbar Gerichtsakten enthalten. Es kann nicht ausgeschlossen werden,
dass ein solcher gerichtlicher Brief in die Hände eines Unbefugten gelangt, bei welchem
dann – aus welchem Grunde auch immer – die Akte oder Bestandteile abhandenkommen.
Soweit die Beteiligte darauf verweist, dass auch in Beschwerdeverfahren in
Nachlassangelegenheiten Gerichtsakten – diese mit Original-Testamenten – dem
Beschwerdegericht vorgelegt werden, verfängt dieser Gesichtspunkt im Ergebnis nicht.
Die Aktenvorlage an das Beschwerdegericht erfolgt nämlich nicht per Versendung durch
die Post, sondern die Verfahrensakten werden von den Wachtmeistern entweder des
Ausgangsgerichts oder des Beschwerdegerichts transportiert. Dieser „interne“
Transportweg ist zuverlässiger als die Versendung per Post und bietet einen
vergleichsweise hohen Schutz gegen die Gefahr eines Aktenverlusts.
Kein anderes Ergebnis rechtfertigt auch der von der Beteiligten gezogene Vergleich mit
einer Aktenübersendung an einen Schriftsachverständigen zum Zwecke der Begutachtung
eines Original-Testaments. Zum einen handelt es sich um in ihrer Anzahl deutlich
seltenere Fälle als die Fälle, in denen ein Verfahrensbeteiligter bzw. sein
Verfahrensbevollmächtigter um Akteneinsicht ersucht. Zum anderen erfolgt die
Versendung in solchen Fällen regelmäßig per Paket-Post mit der Möglichkeit einer
Sendungsverfolgung. Der Senat verkennt nicht das Bestehen einer Verlustgefahr auch in
derartigen Fällen, hält es aber für geboten, die Versendung von Original-Testamenten auf
solche Ausnahmefälle zu beschränken, in denen eine Versendung unumgänglich ist. Ein
solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor: der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand,
der für die Beteiligte bzw. ihre Verfahrensbevollmächtigte mit einer Einsichtnahme des
Original-Testaments in Ratingen verbunden ist, stellt sich als noch hinnehmbar dar und
muss bei einer Abwägung hinter dem Interesse der Vermeidung eines Verlustes eines
Original-Testaments zurücktreten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, da sich die Frage nach einem Recht auf
Übersendung von Nachlassakten, einschließlich des in der Nachlassakte enthaltenen
Originaltestaments, zur Einsichtnahme beim Rechtshilfegericht häufig stellt und bislang
höchstrichterlich nicht entschieden ist, § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG.
Die Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ergeht gemäß §§ 61, 36 Abs. 3
GNotKG.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Düsseldorf
Erscheinungsdatum:06.12.2019
Aktenzeichen:3 Wx 224/19
Rechtsgebiete:
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
FGPrax 2020, 79-80
NJW-RR 2020, 519-520
FamFG §§ 13 Abs. 1 u. 4, 357 Abs. 1; EGGVG § 23