BGH 20. Mai 2020
IV ZR 193/19
BGB § 2314 Abs. 1 S. 3

Anspruch auf Ergänzung eines notariellen Nachlassverzeichnisses

BGB § 2314 Abs. 1 S. 3
Anspruch auf Ergänzung eines notariellen Nachlassverzeichnisses

Der Pflichtteilsberechtigte kann die Ergänzung bzw. Berichtigung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auch dann verlangen, wenn dieses wegen unterbliebener Mitwirkung des Erben teilweise unvollständig ist (hier: verweigerte Zustimmung des Erben zu einem Kontendatenabruf des Notars bei einem ausländischen Kreditinstitut).

BGH, Urt. v. 20.5.2020 – IV ZR 193/19

Problem
Es geht um einen Pflichtteilsstreit zwischen der zur Alleinerbin eingesetzten Tochter (T) der 2010 verstorbenen Erblasserin und den beiden Enkelinnen (Töchter einer weiteren verstorbenen Tochter der Erblasserin). Die Enkelinnen nahmen ihre Tante in einem Verfahren vor dem AG Bonn im Wege der Stufenklage auf Zahlung des Pflichtteils in Anspruch. Durch Teilurteil des AG Bonn vom 23.11.2017 wurde die Tante verurteilt, gegenüber den Enkelinnen Auskunft gem. § 2314 BGB über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariell aufgenommenen und vollständigen Verzeichnisses zu erteilen und die Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme des Verzeichnisses zuzuziehen.

Die Erbin legte am 4.5.2018 ein notarielles Verzeichnis vor und meint – im Gegensatz zu den die Vollstreckung betreibenden Enkelinnen –, sie habe den titulierten Auskunftsanspruch erfüllt. Daher beantragte sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO), die Zwangsvollstreckung aus dem genannten Urteil des AG Bonn für unzulässig zu erklären.

In der Sache betrifft der Streit das Gemeinschaftskonto der Erblasserin bei der Raiffeisenbank M in Österreich, zu dem der Notar keine Ermittlungen angestellt und keine Angaben in das Nachlassverzeichnis aufgenommen hat. Die Erbin hatte dem Notar zwar nach Auftragserteilung eine Vollmacht dazu erteilt, Kontenauskünfte zur Errichtung des Nachlassverzeichnisses bei deutschen Kreditinstituten zu beantragen. Einen Kontendatenabruf des Notars für Kontenverbindungen in Österreich hatte die Erbin jedoch nicht ermöglicht.

Entscheidung
Der BGH entscheidet in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht, dass die Vollstreckungsabwehrklage der Klägerin (Erbin) gem. § 767 Abs. 1 ZPO unbegründet ist. Nach Ansicht des BGH ist der titulierte Anspruch der Beklagten auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses gem. § 2314 Abs. 1 S. 1 u. 3 BGB nicht durch Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses vom 4.5.2018 gem. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt worden.

Der BGH bekräftigt zunächst die mittlerweile ganz h. A., dass der Notar im Falle des notariellen Nachlassverzeichnisses den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig zu ermitteln habe und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck zu bringen habe, dass er den Inhalt verantworte. Der BGH betont auch die grundsätzliche Mitwirkungsverpflichtung des Erben (vgl. dazu auch BGH DNotZ 2019, 204 = FamRZ 2019, 141 m. Anm. Müller-Engels). Diese konkretisiert sich u. a. darin, dass der Erbe eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten oder sonstigen Dritten durchzusetzen oder die Dritten zu ermächtigen habe, die benötigten Auskünfte unmittelbar dem Notar zu erteilen (vgl. OLG Bamberg ZEV 2016, 580 Tz. 5 = MittBayNot 2017, 169 m. Anm. Braun). Ist das Nachlassverzeichnis dennoch unvollständig oder unrichtig, so kann der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich nicht Ergänzung oder Berichtigung des Verzeichnisses verlangen. In diesem Fall ist der Pflichtteilsberechtigte nach dem Gesetz vielmehr – soweit die Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB vorliegen – auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung verwiesen (ganz h. M.; vgl. nur Staudinger/Herzog, BGB, 2015, § 2314 Rn. 84).

Der BGH schließt sich allerdings der h. A. in Rechtsprechung und Literatur an, die von diesem Grundsatz verschiedene Ausnahmen anerkennt: So kann ein Anspruch auf Ergänzung oder Berichtigung eines Nachlassverzeichnisses bestehen, wenn darin eine unbestimmte Mehrheit von Nachlassgegenständen (etwa aufgrund eines Rechtsirrtums des Pflichtigen) nicht aufgeführt ist (vgl. BGH BeckRS 1952, 103508; OLG Düsseldorf BeckRS 2019, 33229, Tz. 11 ff.), wenn Angaben über den fiktiven Nachlass oder Schenkungen fehlen (vgl. OLG Oldenburg NJW-RR 1992, 777), wenn die Auskunft zwar dem Wissensstand des Verpflichteten entspricht, dieser sich jedoch fremdes Wissen trotz Zumutbarkeit nicht verschafft hat (vgl. OLG Saarbrücken ZEV 2011, 373, 375), oder wenn sich der Notar auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeit beschränkt (vgl. OLG Koblenz ZEV 2018, 413 Tz. 17).

Nach diesen Grundsätzen ist das notarielle Nachlassverzeichnis nach Ansicht des BGH im vorliegenden Fall unvollständig gewesen, weil es keine umfassenden Angaben über die Geschäftsbeziehungen der Erblasserin zur Raiffeisenbank M in Österreich enthält. Die vom Notar in Bezug genommenen Vermögenserklärungen im österreichischen Verlassenschaftsverfahren, die rein private Erklärungen des Erben darstellten, erachtet der BGH nicht für ausreichend oder gleichwertig. Der Anspruch der Pflichtteilsberechtigten gegen die Erbin besteht dementsprechend fort.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

20.05.2020

Aktenzeichen:

IV ZR 193/19

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Pflichtteil
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 110-111
RNotZ 2020, 387-390
BWNotZ 2020, 251-254
NJW 2020, 2187-2189

Normen in Titel:

BGB § 2314 Abs. 1 S. 3