Wechselbezüglichkeit der gesetzlichen Ersatzerbfolge nach § 2069 BGB
letzte Aktualisierung: 20.5.2019
OLG Hamm, Beschl. v. 15.2.2019 – 10 W 16/18
BGB §§ 1924 Abs. 3, 2069, 2270 Abs. 2, 2271 Abs. 2 S. 1, 2356
Wechselbezüglichkeit der gesetzlichen Ersatzerbfolge nach
Ergibt sich eine Ersatzerbfolge mangels Feststellbarkeit entsprechender Verfügungsinhalte allein aus
Verfügung auf Ersatzerbenbestimmung nur dann anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen
auf Einsetzung des oder der Ersatzerben gerichteten Willen der Erblasser feststellen lassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Enkelkinder des am XX.XX.2017 verstorbenen
Erblassers T, geboren am XX.XX.1924. Der Erblasser war verheiratet mit T2, geboren am
XX.XX.1920. Die Ehefrau ist am XX.XX.1989 vorverstorben. Aus der Ehe ist der Sohn T3,
der Vater der Antragsteller, als einziges Kind hervorgegangen. Der Antragsteller zu 1. ist
am XX.XX.1988 geboren, die Antragstellerin zu 2. am XX.XX.1990. T3 ist am XX.XX.1996
verstorben.
Die Eheleute T und T2 errichteten am 14.08.1986 ein notarielles Testament (Notar X in X2,
Urkundenrolle Nummer XXX/1986). Dort heißt es in Absatz 4:
"Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben ein. Erbe des Längstlebenden soll unser
Sohn T3 sein.
Weiteres haben wir nicht zu bestimmen."
Nach dem Tod seiner Ehefrau verfügte der Erblasser durch privatschriftliches Testament
vom 17.03.2008 wie folgt:
"Ich stelle klar, dass dieses Testament meinen letzten Willen enthält und widerrufe
gleichzeitig etwaige zuvor errichtete Testamente, insbesondere mein Testament vom
23.2.2005.
Meine Ehegattin und unser Sohn T3 sind vorverstorben.
Ich setze meine Lebensgefährtin Frau S C-Straße XX in XXXX4 X2 und das Altenheim St.
K N-Straße XX in X2 XXXX4 zu meinen alleinigen Erben je zu gleichen Teilen ein.
Ich ordne Testamentsvollstreckung an und bestimme zum Testamentsvollstrecker Herrn
Rechtsanwalt N, geschäftsansässig L-Straße XX in XXXX9 C...."
Nach dem Tod des Erblassers wurde dem Beteiligten zu 5. auf seinen Antrag am
14.02.2017 ein Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt. Die Antragsteller zu 1. und 2.
beantragten mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 08.03.2017 die Erteilung
eines Erbscheins, der sie als Erben zu je 1/2 ausweist. Der Antrag ist am 04.10.2017 zu
Protokoll der Geschäftsstelle des Nachlassgerichts Halle (Westf.) wiederholt worden. Die
Antragsteller haben die Richtigkeit ihrer Angaben an Eides statt versichert. Sie haben das
privatschriftliche Testament vom 17.03.2008 für unwirksam gehalten. Der Erblasser sei
durch das gemeinschaftliche notarielle Testament vom 14.08.1986 gebunden gewesen.
Gemäß
Schlusserben als Ersatzerben anzusehen und demgemäß Erben ihres verstorbenen
Großvaters geworden.
Der Beteiligte zu 5. hat seinerseits als Testamentsvollstrecker mit Schriftsatz vom
05.04.2017 die Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligten zu 4. und 5. als Erben zu je
1/2 beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, dass das privatschriftliche Testament vom
17.03.2008 wirksam sei. Der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche Testament nicht
gebunden gewesen, weil die Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als Schlusserbe nicht
wechselbezüglich sei. Das Testament enthalte dazu keine Anordnung. Der vorgesehen
Schlusserbe sei vor Eintritt des Schlusserbfalls verstorben. Der Eintritt der Beteiligten zu 1.
und 2. als Ersatzerben ergebe sich nicht aus einer Auslegung des Testaments, zumal
beide Enkelkinder bei dessen Errichtung noch nicht geboren seien. Es komme lediglich die
gesetzliche Vermutung gemäß
auch auf die Ersatzerben lasse sich selbst bei Annahme der Wechselbezüglichkeit
hinsichtlich des Sohnes als Schlusserben nicht feststellen.
Das Amtsgericht - Nachlassgericht - hat mit dem am 06.12.2017 erlassenen Beschluss die
Tatsachen, die zur Begründung des Antrages der Beteiligten zu 1. und 2. erforderlich sind,
für festgestellt erachtet und den Antrag des Beteiligten zu 5. zurückgewiesen. Dabei ist es
davon ausgegangen, dass die Beteiligten zu 1. und 2. als Enkelkinder des Erblassers
dessen Erben geworden sind. Der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche notarielle
Testament vom 14.08.1986 gebunden gewesen. Nach der Auslegungsregel des § 2270
BGB sei die Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als wechselbezüglich anzusehen. Der
Erblasser habe deshalb nach dem Tod seiner Ehefrau nicht mehr frei testieren können. Er
sei offensichtlich davon ausgegangen, dass die Bindungswirkung nach dem Tod des
Sohnes entfallen sei. Dass anstelle seines Sohnes nunmehr dessen inzwischen geborene
Kinder erbberechtigt sein würden, habe er offensichtlich nicht bedacht. Diese seien als
Erben gemäß § 1924 Abs. 3 BGB an die Stelle ihres Vaters getreten. Aus dem Testament
selbst ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute für den Fall, dass ihr
Sohn vor dem überlebenden Ehegatten versterben würde, die Wechselbezüglichkeit des
Testaments aufheben und dem überlebenden Ehegatten wieder vollständige Testierfreiheit
einräumen wollten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den
angefochtenen Beschluss (Bl. 29 - 31 d.A.) Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 5., mit dem er sein
bisheriges Ziel der Zurückweisung des Antrages der Beteiligten zu 1. und 2. und Erteilung
eines Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 3. und 4. weiter verfolgt. Er wiederholt und
vertieft sein bisheriges Vorbringen und meint weiterhin, es sei schon fraglich, ob die
Einsetzung des Sohnes in dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute T überhaupt
wechselbezüglich sei. Jedenfalls ergebe sich nicht, dass in dem Testament Ersatzerben
eingesetzt worden seien. Das könne nur aus der gesetzlichen Regelung des
folgen. Insoweit sei die Einsetzung der Enkelkinder als Ersatzerben aber nicht mehr von
dem Willen der Erblasser in Bezug auf eine etwaige Wechselbezüglichkeit und damit
Bindung des überlebenden Ehegatten erfasst.
Das Nachlassgericht hat an seiner Auffassung festgehalten, der Beschwerde mit dem am
22.01.2018 erlassenen Beschluss nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht
zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig, sie ist insbesondere form- und
fristgemäß eingelegt worden. In der Sache hat das Rechtsmittel - derzeit nur zum Teil -
Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang.
1.
Die Erbfolge nach dem am XX.XX.2017 verstorbenen Erblasser folgt aus dem am
17.03.2008 errichteten privatschriftlichen Testament. Dieses Testament ist wirksam. Erben
sind die Beteiligten zu 4. und 5. Der Erblasser war durch die Regelungen des am
14.08.1986 gemeinsam mit seiner Ehefrau errichteten notariellen Testaments nicht
gebunden, über die Erbfolge nach seiner Person anderweitig zu verfügen und zugunsten
der Beteiligten zu 3. und 4. zu testieren.
Allerdings bestand - entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 5. - nach dem Tod der
Ehefrau zunächst gemäß §§ 2271 Abs. 2 S. 1, 2270 Abs. 2 BGB eine Bindung des
Erblassers an die Einsetzung des Sohnes T3 als Schlusserben. Diese ist
wechselbezüglich im Sinne des
gemeinschaftlich errichteten Testament sind wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist,
dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden
wäre. Dabei ist jede Verfügung gesondert zu prüfen. Im Verhältnis einer
Schlusserbeneinsetzung einerseits und der Einsetzung des jeweils anderen Ehegatten als
einzigen Erben andererseits unter Ausschluss des gemeinsamen Kindes beim Tod des
zuerst versterbenden Ehegatten spricht für eine Wechselbezüglichkeit, dass sich die
Ehegatten nur deshalb gegenseitig als Alleinerben beim Tod des zuerst Versterbenden
eingesetzt haben, weil auch der Überlebende den gemeinsamen Sohn zu seinem
Alleinerben berufen hat (s. dazu auch BGH Beschluss vom 16.01.2002 - IV ZB 20/01- juris
Rn. 8). Soweit sich aus dem Testament - wie hier - dazu nichts Weiteres ergibt, enthält §
2270 Abs. 2 BGB eine Zweifelsregel, die im vorliegenden Fall eingreift. Auf die
Wechselbezüglichkeit der Einsetzung des gemeinsamen Sohnes als Schlusserben kommt
es jedoch nicht an. Er hat den Erbfall, für den er berufen war, nicht mehr erlebt (§ 1923
Abs. 1 BGB). Das privatschriftliche Testament vom 17.03.2008 widerspricht deshalb
insoweit dem Ehegattentestament vom 14.08.1986 nicht.
Entscheidend ist vielmehr, ob für den vorverstorbenen Sohn Ersatzerben eingesetzt sind
und ob der Erblasser daran gebunden war. Aus dem gemeinschaftlichen Testament ergibt
sich dazu nichts. Eine Einsetzung der Beteiligten zu 1. und 2. als Ersatzerben für den
vorgesehenen Schlusserben ist auch eher fernliegend, weil beide Enkelkinder im Zeitpunkt
der Errichtung des Testaments noch nicht geboren waren. Es sind weder aus dem
Testament selbst noch aus anderen Umständen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die
Eheleute für den Fall des Vorversterbens des Sohnes an eine Erbfolge durch eventuell
später hinzukommende Enkel gedacht haben. Es kommt deshalb die Regel des § 2069
BGB zum Zuge, die auch bei Einsetzung eines Schlusserben in einem gemeinschaftlichen
Testament gilt (BGH a.a.O. juris Rn. 11 m.w.N.). Danach sind Ersatzerben die zur
gesetzlichen Erbfolge nach dem weggefallenen Sohn berufenen Abkömmlinge geworden,
das sind hier die Beteiligten zu 1. und 2..
Da jede Einsetzung eines Ersatzerben im Verhältnis zur Einsetzung des zunächst
bedachten Erben eine selbständige, gesonderte Verfügung darstellt, ist die Frage einer
Bindungswirkung nicht für die Einsetzung von Schlusserben oder Ersatzerben generell zu
bestimmen; vielmehr ist sie für jede dieser Verfügungen gesondert zu klären (OLG
München
gemeinschaftlich testierenden Eheleute die Schlusserbeneinsetzung als
wechselbezügliche und bindende Verfügung ausgestaltet haben, ist kein ausreichendes
und zwingendes Indiz dafür, dass auch die Ersatzerbeneinsetzung nach
bindend sein sollte. Die Bindung kann in diesem Kontext nicht durch einen Rückgriff auf
die Auslegungsregel des
Ersatzerbfolge mangels Feststellbarkeit entsprechender Verfügungsinhalte allein aus §
2069 BGB, dann ist die Vermutung aus
wechselbezüglich gewollten Verfügung auf Ersatzerbenbestimmung nur anwendbar, wenn
sich Anhaltspunkte für eine auf Einsetzung des oder der Ersatzerben gerichteten Willen
der Erblasser feststellen lassen (BGH a.a.O. juris Rn. 15; OLG München a.a.O. Rn. 23;
BayObLG 2004, 244).
Hier sind solche Anhaltspunkte nicht ersichtlich dafür, dass die testierenden Eheleute den
Willen hatten, über ihren zum Schlusserben eingesetzten Sohn hinaus auch dessen
zukünftige Abkömmlinge zu bedenken, zumal sie deren mögliche Existenz offenbar nicht
in ihre Überlegungen einbezogen haben. Es ist nicht fernliegend und auch nicht von der
Hand zu weisen, dass die Eheleute T - wenn sie diesen Fall bedacht hätten - dem
Überlebenden von ihnen die Möglichkeit offen lassen wollten, seine Erbfolge zukünftig
anderweitig neu zu regeln. Eine zur Bindung des Erblassers erforderliche
Wechselbezüglichkeit der allein aus
ist nach alledem nicht erkennbar.
Der allein auf der vermeintlich bindenden Ersatzerbenberufung fußende Erbscheinsantrag
der Beteiligten zu 1. und 2. war deshalb unter Abänderung des angefochtenen
Beschlusses zurückzuweisen.
2.
Die Feststellung der Tatsachen, die zur Begründung des Antrages des Beteiligten zu 5. für
die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 3. und 4. erforderlich sind, ist
zur Zeit noch nicht möglich. Insoweit fehlt es an den förmlichen Voraussetzungen gemäß
dem Beteiligten zu 5. als Testamentsvollstrecker ausnahmsweise die Abgabe einer
eidesstattlichen Versicherung erlassen werden kann, bleibt dabei dem Nachlassgericht
vorbehalten.
III.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG.
Ein Regelbeispiel gemäß § 81 Abs. 2 FamFG liegt nicht vor. Es entspricht auch nicht
billigem Ermessen, im vorliegenden Erbscheinsverfahren einzelnen Verfahrensbeteiligten
die Erstattung außergerichtlicher Kosten der anderen Beteiligten aufzuerlegen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2
FamFG sind nicht gegeben.
Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den
Angaben der Beteiligten zu 1. und 2. in dem Antrag vom 04.10.2017 (Bl. 24 d.A.) zum
geschätzten Wert des Nachlasses (§§ 36 Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG).
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:15.02.2019
Aktenzeichen:10 W 16/18
Rechtsgebiete:
Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Gesetzliche Erbfolge
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
NJW-RR 2019, 718-719
ZEV 2019, 372
Zerb 2019, 126-128
BGB §§ 1924 Abs. 3, 2069, 2270 Abs. 2, 2271 Abs. 2 S. 1, 2356