OLG Schleswig 15. April 2023
7 U 202/22
BGB §§ 744 Abs. 2, 921, 922

Feldgehölzhecke als gemeinsame Grenzanlage i. S. d. § 921 BGB

letzte Aktualisierung: 5.9.2023
OLG Schleswig, Urt. v. 15.4.2023 – 7 U 202/22

BGB §§ 744 Abs. 2, 921, 922
Feldgehölzhecke als gemeinsame Grenzanlage i. S. d. § 921 BGB

1. Bei einer auf der Grundstücksgrenze stehenden, freiwachsenden Feldgehölzhecke handelt es sich
um eine gemeinsame Grenzanlage i. S. d. § 921 BGB.
2. Gem. §§ 922 Satz 2, 744 Abs. 2 BGB ist jeder Teilhaber einer gemeinsamen Grenzanlage
berechtigt, die zur Erhaltung des Gegenstands notwendigen Maßregeln ohne Zustimmung der
anderen Teilhaber zu treffen.
3. Eine freiwachsende Feldgehölzhecke, bestehend aus landschaftstypischen Laubgehölzen (Flieder,
Weißdorn, Schlehe, Hainbuche), ist aus ökologischen Gründen zur Erfüllung der Gehölzfunktion in
der Regel alle 10 bis 15 Jahre „auf-den-Stock“ zu setzen. Es wäre unfachmännisch, die Gehölzhecke
ständig nur auf eine Höhe von 1,5 bis 2 m zu kappen oder lediglich in ihrer seitlichen Ausdehnung
einzukürzen („schlägeln“).

Gründe

I.
Die Parteien streiten - mit wechselseitigen Berufungen - um Schadensersatzansprüche nach dem
Rückschnitt einer Anpflanzung, die sich auf der Grenze zwischen dem Hausgrundstück der
Kläger und einer gemeindlichen Grünfläche befindet.

Die Kläger sind Eigentümer der Immobilie W. Nr. 1 im Bereich der beklagten Gemeinde. Es
handelt sich um ein Eckgrundstück. Entlang des Grundstücks verläuft u.a. auf einer Länge von
etwa 60 Metern die Straße „G.“, die von einem im Eigentum der Gemeinde stehenden
Grünstreifen gesäumt ist. Auf der Grenze zwischen dem Grundstück der Kläger und dem
Grünstreifen befindet sich eine aus verschiedenen Pflanzen bestehende Anpflanzung
(nachfolgend: „Hecke“).

Über die Pflege bzw. den Rückschnitt der Hecke bestand zwischen den Parteien schon länger
Streit. Am 08.12.2016 veranlasste die Beklagte auf dem ihr gehörenden Grundstücksteil einen
radikalen Rückschnitt (sog. „auf den Stock setzen“), was aus Sicht der Kläger zu einer
Beeinträchtigung der Hecke in ihrer Funktion als natürliche Barriere und Blickschutz führte.
Die Hecke ist inzwischen - bis auf vier Lücken von insgesamt 15 Meter Länge - nachgewachsen.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, ihnen stehe Schadensersatz zu wegen der
ersatzweise erforderlichen Errichtung eines Metallzauns in Höhe von 3.709,11 € sowie für die -
noch nicht erfolgte - Installation eines Sichtschutzes in Höhe von 2.560,46 € netto.
Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.269,57 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem
Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
an sie 413, 64 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit
Rechtshängigkeit zu zahlen,
festzustellen, dass die Beklagte in Zukunft nicht berechtigt ist bzw. es zu unterlassen hat, die
gemeinsame Grundstückshecke in der Straße „G“ ohne Zustimmung der Kläger auf „den
Knick“ zu setzen.

Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Maßnahme sei im Hinblick auf die bestehende
Verkehrssicherungspflicht erforderlich gewesen.

Das Landgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten des Landschaftsarchitekten
Dipl.-Ing B. eingeholt und den Sachverständigen sein Gutachten im Termin zur mündlichen
Verhandlung am 23.06.2022 erläutern und ergänzen lassen; auf Gutachten und Protokoll wird
Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil vom 08.09.2022 verurteilt, an
die Kläger Schadensersatz in Höhe von 2.000,00 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in
Höhe von 255,85 € zu zahlen, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2018. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:
Den Klägern stehe ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1004, 922
S. 3, 249 S. 1 BGB zu. Bei der Hecke handele es sich - unstreitig - um eine Grenzanlage i.S.d. §
921 BGB; sie diene mit ihrer Grenzscheidungsfunktion dem Interesse beider Seiten und bestehe
mit zumindest konkludenter ursprünglicher Zustimmung beider Parteien. Es liege auch ein
fortbestehendes Interesse der Kläger am Erhalt der Heckenanlage i.S.d. § 922 S. 3 BGB vor.
Dies beinhalte den Wunsch nach einer Beibehaltung der bisherigen Grenzanlage in ihrer
bisherigen Gestaltung. Auch ein rein ästhetisches Interesse werde geschützt.
Die Beklagte habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten. Die Beklagte treffe gemäß § 31 BGB
ein Organverschulden, weil die Entscheidung zum radikalen Rückschnitt durch den
Bürgermeister bewusst und vorsätzlich getroffen worden sei. Rechtlich erhebliche
Rechtfertigungsgründe seien nicht ausreichend dargetan. Der Verweis auf
Verkehrssicherungspflichten genüge nicht, weil diese zu vage geblieben seien.

Der Ersatzanspruch sei gerichtet auf Wiederherstellung durch Neuanpflanzung. Der Anspruch
sei durch den Aspekt der Zumutbarkeit begrenzt. Die Kosten für einen Drahtzaun und
künstlichen Sichtschutz seien danach nicht ersatzfähig. Der Aufwand für Ersatzpflanzungen
werde auf 2.000,00 € geschätzt. Der Sachverständige habe insoweit zwar nur 900,00 € netto
angegeben, dies stehe einer höheren Schätzung jedoch nicht entgegen. Der Sachverständige gehe
nämlich von einer Anwuchszeit von 3 bis 5 Jahren aus. Dies sei zu lang, so dass größere und
kräftigere Pflanzen zu verwenden seien, die eine intensivere Anwuchsbegleitung erforderten.
Hieraus lasse sich der höhere Betrag rechtfertigen.

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten seien demgemäß aus einer begründeten Forderung von
2.000,00 € ersatzfähig.

Hinsichtlich des - als Unterlassungsantrag auszulegenden - Feststellungsantrages fehle es an der
gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB erforderlichen Wiederholungsgefahr. Nach dem in der
mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck von der Beklagtenseite sei eine erneute
Abkürzung von Klärungsprozesses durch das Schaffen von Fakten nicht zu erwarten und damit
die Vermutung der Wiederholungsgefahr widerlegt. Davon abgesehen wäre es auch unzulässig,
der Beklagten generalisiert den Rückschnitt zu verbieten.

Die Kläger verfolgen mit ihrer Berufung ihr ursprüngliches Klagebegehren - Verurteilung zur
Zahlung von 6.269,57 € in voller Höhe zzgl. weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten -
fort. Die Schätzung durch das Landgericht sei fehlerhaft. Das Landgericht habe sich zu sehr auf
die beschönigende und die Beklagte begünstigende Beurteilung des Sachverständigen bezogen
und bei der Schätzung lediglich eine Erhöhung vorgenommen, ohne diese im Einzelnen zu
begründen. Es hätte eine Berechnung nach der „Methode Koch“ erfolgen müssen. Der
Sachverständige halte 45 Stück Landschaftsgehölze - drei pro laufenden Meter - mit einer Höhe
von 60 bis 100 cm für erforderlich. Dies sei unzureichend, tatsächlich seien mehr und höhere
Pflanzen zu verwenden, nämlich 130 Pflanzen mit einer Höhe von 150 bis 200 cm.

Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
an sie 6.269,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
an sie weitere 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen
sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen
sowie die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

Die Beklagten verfolgen mit ihrer Berufung ihren ursprünglichen Klageabweisungsantrag weiter.
Das Landgericht habe fehlerhaft eine Pflichtverletzung der Beklagten durch den Rückschnitt der
Hecke angenommen und einen Schadensersatzanspruch der Kläger bejaht. Die Grenzanlage sei
nicht beschädigt worden. Vielmehr sei die Hecke, soweit sie auf dem Grund der Beklagten
wachse, in üblicher Weise und fachgerecht „auf den Stock gesetzt“ worden. Diese Maßnahme
diene der dichteren Entwicklung und letztlich dem Erhalt der Gehölze. Eine optische
Veränderung sei nicht als Beschädigung zu werden, da sie nur vorübergehend bestanden habe.
Inzwischen sei der vorübergehend reduzierte Sichtschutz wieder gegeben. Ein vollständiger
Sichtschutz habe ohnehin nicht bestanden.

Eine etwaige Pflichtverletzung hätte die Beklagte auch nicht zu vertreten. Die Beklagte habe im
Interesse der Allgemeinheit sowie im beiderseitigen Parteiinteresse gehandelt. Die
Verkehrssicherheit sei beeinträchtigt gewesen, indem Autos zerkratzt worden seien. Es habe
auch bereits Anwohnerbeschwerden gegeben. Von der ihnen eingeräumten Möglichkeit, einen
Rückschnitt selbst durchzuführen, hätten die Kläger keinen Gebrauch gemacht. Die Beklagte sei
zum Handeln verpflichtet gewesen.

Auch die Bemessung der Schadenshöhe durch das Landgericht sei fehlerhaft und nicht
nachvollziehbar. Nachdem der Sachverständige den erforderlichen Aufwand mit 900,00 €
beziffert habe, habe das Landgericht bei seiner Schadensschätzung auf 2.000,00 € weder die
erforderliche eigenen Sachkunde, noch die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung mitgeteilt.
Vielmehr vermittle das Urteil den Eindruck einer willkürlichen Bestimmung der Schadenshöhe.
Der Senat hat die Parteien vorab mit der Ladungsverfügung vom 12.01.2023 auf die mögliche
Rechtfertigung des Rückschnitts gem. §§ 922,744 Abs. 2 BGB hingewiesen. Im Termin am
28.03.2023 hat der Senat den Kläger zu 2) persönlich gehört sowie Lichtbilder von der Hecke in
Augenschein genommen.

II.
Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Die ebenfalls zulässige Berufung der
Beklagten ist hingegen begründet. Die Kläger haben keinerlei Anspruch auf Schadensersatz
gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1004, 922 S. 3, 249 Abs. 1 BGB.
Unstreitig handelt es sich bei der streitgegenständlichen Anpflanzung um eine gemeinsame
Grenzanlage i.S.d. § 921 BGB, zu deren Benutzung die Parteien als jeweils anteilige Eigentümer
gemeinschaftlich berechtigt sind. Daraus ergibt sich gemäß § 922 S. 1 BGB, dass jede Partei die
Anlage zu dem Zweck, der sich aus ihrer Beschaffenheit ergibt, insoweit benutzen kann, als
nicht die Mitbenutzung der anderen Partei beeinträchtigt wird. Gemäß § 922 S. 3 BGB darf die
Anlage, solange einer der Nachbarn an ihrem Fortbestand ein Interesse hat, nicht ohne dessen
Zustimmung beseitigt oder geändert werden. Im Übrigen bestimmt sich das Rechtsverhältnis
zwischen den Nachbarn gemäß § 922 S. 4 BGB nach den Vorschriften über die Gemeinschaft
(§§ 741 bis 758 BGB).

Es kann vorliegend dahinstehen, ob der im Dezember 2016 erfolgte Rückschnitt eine
zweckentsprechende, die Kläger nicht beeinträchtigende Nutzung i.S.d. § 922 S. 1 BGB darstellt
oder aber eine zustimmungsbedürftige Änderung i.S.d. § 922 S. 3 BGB. Denn unabhängig davon
ist die Haftung ausgeschlossen, wenn es sich bei dem Rückschnitt um eine Maßnahme der
notwendigen Verwaltung gemäß § 744 Abs. 2 BGB handelte. So liegt es hier.
Nach §§ 922 S. 2, 744 Abs. 2 BGB ist jeder Teilhaber berechtigt, die zur Erhaltung des
Gegenstands notwendigen Maßregeln ohne Zustimmung der anderen Teilhaber zu treffen.
Unter Zugrundelegung der Darlegungen der Parteien und der Ausführungen des
Sachverständigen war es Ende 2016 im Sinne einer fachgerechten Pflege sowohl aus
ökologischen Gründen als auch aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht geboten, die Hecke
„auf den Stock“ zu setzen. Trotz der Bemühungen der Beklagten, sich im Vorfeld insoweit mit
den Klägern zu einigen, haben sich die Kläger dagegen bis zuletzt beharrlich gewehrt.
Die Pflanzen führten jedenfalls im Herbst 2016 unstreitig zu einer Beeinträchtigung des
Verkehrs in der Straße „G.“, weil sich entgegenkommende Fahrzeuge nicht ausweichen
konnten, ohne Gefahr zu laufen, von Ästen oder Zweigen der Hecke zerkratzt zu werden.

Insoweit war es bereits zu mindestens einer Beschwerde eines Anwohners gekommen. Der
Kläger zu 2) hatte sich diesbezüglich u.a. mit E-Mail vom 23.11.2016 an das Amt und mit EMail
vom 28.11.2016 an die Beklagte gewandt. In der mündlichen Verhandlung vom 01.11.2023
hat der Kläger zu 2) noch einmal bestätigt, dass es zu Verkehrsbehinderungen gekommen sei.
U.a. hat er ausgeführt, dass wegen des Bewuchses bereits im Jahr zuvor der Fahrer des
Müllwagens nicht mehr bereit gewesen sei, rückwärts in die Straße „G.“ zu fahren. Vor diesem
Hintergrund war die Beklagte schon aus Gründen der gebotenen Verkehrssicherung
verpflichtet, einen fachgerechten Rückschnitt der Hecke vorzunehmen, um Gefahren für den
Straßenverkehr zu vermeiden.

Es war aber auch aus ökologischen Gründen gerechtfertigt, die Hecke „auf den Stock“ zu
setzen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen B., der die Hecke am 26.05.2020 selbst
besichtigt hat, handelt es sich bei der „Hecke“ eigentlich um eine „freiwachsende
Feldgehölzreihe“ aus landschaftstypischen Laubgehölzen (Flieder, Weißdorn, Schlehe,
Hainbuche). Sie sei straßenseitig auf eine Höhe von 10 bis 20 cm zurückgeschnitten worden,
was fachlich als „auf den Stock gesetzt“ bezeichnet werde. An vier Stellen seien zwar noch
Lücken vorhanden, deren Gesamtlänge sich auf ca. 14,5 m erstrecke. Mit Ausnahme der Lücken
sei die Anpflanzung insgesamt jedoch arttypisch und üblich entwickelt. Die zurückgeschnittenen
Laubgehölze hätten sich bis zur Ortsbesichtigung am 26.05.2020 regeneriert und erreichten
Wuchshöhen von 2 bis 2,5 m. Die übliche Gehölzfunktion sei erfüllt, die Gehölze wiesen eine
gute Vitalität und Entfaltung auf. Es bestünden nur geringe mechanische Schäden und Fäulen.
Durch die vier Lücken sei die Abschirmungsfunktion allenfalls leicht eingeschränkt und nur
beschränkt auf den hinteren Gründstücksteil. Eine Zerstörung liege nicht vor und es müssten
auch keine Gehölze entfernt werden. Unmittelbar nach dem Rückschnitt sei die Gehölzfunktion
zwar zweifelsfrei vermindert gewesen. Laubgehölze tolerierten Rückschnitte jedoch und
benötigten sie sogar regelmäßig, um sich dicht zu entwickeln. Der erfolgte Rückschnitt, wie er
sich aus den eingereichten Lichtbildern ergebe, werde als üblich und fachgerecht bewertet. Der
bodennahe Rückschnitt - also ein „Auf-den-Stock-setzen“ - sei im Rahmen der üblichen
Pflegemaßnahmen meistens alle 10 bis 15 Jahre notwendig und fachgerecht. Es wäre
unfachmännisch, die Gehölze beispielsweise auf einer Höhe von 1,5 bis 2 m zu kappen oder
ständig nur in ihrer seitlichen Ausdehnung einzukürzen („schlägeln“). Auch der einseitige
straßenseitige Rückschnitt sei als fachgerecht zu bewerten, weil hierdurch die Gehölzfunktion
für den verbliebenen Heckenbereich auf dem Grundstück der Kläger erhalten bliebe. In
Zukunft sei nicht mit einem Verlust oder einer Verminderung der Gehölzfunktion zu rechnen,
sondern die Dichte und Entwicklung der Anpflanzung werde zunehmen.

Der Senat vermag sich den Ausführungen des Sachverständigen in eigener kritischer Würdigung
anzuschließen. Der Sachverständige ist studierter Landschaftsarchitekt und von der Industrieund
Handelskammer öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Gebiete
Garten- und Landschaftsbau, Wertermittlung von Freianlagen, Gärten, Grünanlagen und
Gehölze sowie Baumpflege, Verkehrssicherheit von Bäumen und Baumwertermittlung ist. Für
die Beantwortung der Beweisfragen ist der Sachverständige damit fachlich gut qualifiziert. Seine
Ausführungen sind nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Die Einholung eines neuen
Gutachtens (§ 412 Abs. 1 ZPO) war danach nicht veranlasst.

Die Augenscheinseinnahme der eingereichten aktuellen Lichtbilder von der Hecke ergab, dass
die Gehölzfunktion der Hecke inzwischen wieder vollständig hergestellt ist.

Unerheblich ist, ob der Kläger zu 2) selbst vor Dezember 2016 einen gewissen Rückschnitt
vorgenommen hat. Denn seine Maßnahmen beschränkten sich auf ein „Schlägeln“ o.ä., was
nach den Ausführungen des Sachverständigen gerade nicht ausreichend und fachgerecht war.
Unerheblich ist auch, ob tatsächlich im Dezember 2016 noch Verkehrsbehinderungen durch die
Hecke bestanden. Unabhängig davon, dass ein fachgerechter Rückschnitt geboten war, dessen
Erforderlichkeit nicht mit der Durchführung nicht fachgerechter Maßnahmen entfällt, kommt es
nicht nur darauf an, ob zum Zeitpunkt des Rückschnitts Verkehrsbehinderungen bestanden,
sondern auch darauf, ob Behinderungen im Laufe der folgenden Vegetationszeit bis zum Herbst
des Folgejahres zu erwarten waren. Denn der fachgerechte Rückschnitt wäre nur bis Ende
Februar eines Jahres zulässig gewesen. Schon deshalb musste die Beklagte den Rückschnitt
rechtzeitig und unabhängig vom Vorliegen aktueller Verkehrsbehinderungen veranlassen, um
ihrer Verkehrssicherungspflicht ordnungsgemäß nachzukommen. Danach bedurfte es keiner
weiteren Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen zum Zustand der Hecke im
November 2016; diesbezügliche Beweisanträge sind unerheblich.

Es ist unstreitig, dass ein „auf den Stock setzen“ in den vergangenen (mindestens) 15 Jahren vor
Dezember 2016 nicht erfolgt war; vielmehr war die Hecke bereits bei Erwerb des Grundstücks
durch die Kläger über 10 Jahre vor dem streitgegenständlichen Rückschnitt hoch gewachsen.
Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus den Lichtbildern des Anlagenkonvoluts K 18
(Anlagenband). Die Maßnahme erfolgte deshalb auch zu einem fachlich korrekten Zeitpunkt.
Nachdem ein Schadensersatzanspruch der Kläger schon dem Grunde nach nicht besteht,
kommt es auf die Höhe eines etwaigen Schadens nicht mehr an. Ausführungen zur (fehlenden)
Ersatzfähigkeit der Kosten für einen Zaun und einen Sichtschutz erübrigen sich deshalb. Der
Umstand, dass zeitweise Lücken in der Hecke verblieben sind, ist nicht auf eine
Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen, sondern allenfalls eine - der Beklagten nicht
zurechenbare - Folge der fachgerechten Pflegemaßnahme. Dieser Zustand ist durch die Kläger
im Rahmen der nach § 922 BGB zulässigen Maßnahmen der „notwendigen Verwaltung“
hinzunehmen. Ganzjähriger Blickschutz war ohnehin schon aufgrund der Gehölzart
(Laubgehölze, Flieder, Weißdorn, Schlehe und Hainbuche) zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Schleswig

Erscheinungsdatum:

15.04.2023

Aktenzeichen:

7 U 202/22

Rechtsgebiete:

Verein
Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB §§ 744 Abs. 2, 921, 922