BGH 16. November 2022
XII ZB 212/22
BGB a. F. § 1896 Abs. 2 S. 2

Keine Verpflichtung des Vorsorgebevollmächtigten zur persönlichen Betreuung des Vollmachtgebers

letzte Aktualisierung: 12.1.2023
BGH, Beschl. v. 16.11.2022 – XII ZB 212/22

BGB a. F. § 1896 Abs. 2 S. 2
Keine Verpflichtung des Vorsorgebevollmächtigten zur persönlichen Betreuung des
Vollmachtgebers

Soweit in einer Vorsorgevollmacht keine anderweitigen Regelungen enthalten sind, berechtigt die
Vorsorgevollmacht den Bevollmächtigten nur zur rechtlichen Vertretung, verpflichtet aber nicht zur
persönlichen Betreuung des Vollmachtgebers. Der Vorsorgebevollmächtigte hat nur die notwendigen
tatsächlichen Hilfen zu besorgen, nicht jedoch selbst zu leisten.

Gründe:

I.
Die Betroffene und ihr Ehemann (Beteiligter zu 1) wenden sich gegen die
Einrichtung einer Betreuung und die Bestellung der Beteiligten zu 2 zur Berufsbetreuerin.
Die Betroffene ist an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt. Zudem leidet
sie an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und an einer
chronischen Schmerzstörung. Im Februar 2019 wurde die Beteiligte zu 2 zu ihrer
Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über
Unterbringungen und freiheitsentziehende Maßnahmen, Gesundheitssorge, Vermögensangelegenheiten,
Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern
sowie Wohnungsangelegenheiten bestellt. In der Zeit vom 23. September
2020 bis 23. März 2022 war die Betroffene auf Antrag ihrer Betreuerin mit
betreuungsgerichtlicher Genehmigung geschlossen untergebracht. Am 4. August
2021 erteilte sie ihrem Ehemann eine umfassende Vorsorgevollmacht, in
der sie auch anordnete, dass im Fall der Erforderlichkeit einer Betreuung ihr Ehemann
zum Betreuer bestellt werden soll. Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten
vom selben Tag beantragte sie, im Hinblick auf diese Vorsorgevollmacht
die Betreuung aufzuheben oder ihren Ehemann zum Betreuer zu bestellen.
Nach Anhörung der Betroffenen und der weiteren Beteiligten hat das
Amtsgericht mit zwei getrennten Beschlüssen vom 22. September 2021 sowohl
die Aufhebung der Betreuung als auch den beantragten Betreuerwechsel abgelehnt.
Gegen beide Beschlüsse haben die Betroffene und ihr Ehemann Beschwerde
eingelegt. Nach erneuter Anhörung der Betroffenen und der weiteren
Beteiligten hat das Landgericht in einem einheitlichen Beschluss die Beschwerden
zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Betroffene und ihr Ehemann
mit ihren Rechtsbeschwerden.

II.
Die Rechtsbeschwerden sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der
angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht stehe der Bestellung eines Betreuers
zwar grundsätzlich entgegen. Dies gelte jedoch dann nicht, wenn der Bevollmächtigte
ungeeignet sei, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen.
Das Amtsgericht sei vorliegend mit Blick auf die Vorgeschichte und die Anhörung
vom 22. September 2021 zum Zeitpunkt seiner Entscheidung mit zutreffender
Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Ehemann der Betroffenen ungeeignet
sei, ihre Interessen wahrzunehmen.

Für die anstehende Entscheidung, ob die Betreuung in Anbetracht der erteilten
Vorsorgevollmacht aufzuheben sei, sei allerdings der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung
maßgeblich. Dafür, dass bei dem Ehemann der Betroffenen
ein gewisser Lernprozess stattgefunden habe, könnte sprechen, dass er
mittlerweile größeres Verständnis für die Erkrankung der Betroffenen habe und
sich eigenen Angaben zufolge nach Rücksprache mit der Betroffenen nunmehr
in der Lage sehe, gegebenenfalls notwendige Maßnahmen wie die Beantragung
der Genehmigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu
veranlassen.

Dies könne jedoch letztlich dahinstehen, denn der Ehemann der Betroffenen
sei davon unabhängig nach wie vor ungeeignet, die Angelegenheiten der
Betroffenen zu besorgen und ihre Interessen diesbezüglich zu wahren. Die Betroffene
wolle nach der Entlassung aus der Klinik ihren Lebensmittelpunkt weiterhin
in die Nähe der Klinik verlagern. Die Kontakte zwischen der Betroffenen und
ihrem Ehemann fänden ausschließlich telefonisch statt. Dies sei nicht ausreichend,
um eine plötzliche Verschlechterung des psychischen Zustands der Betroffenen
zuverlässig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen in den Aufgabenbereichen
Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitssorge zu ergreifen.

Zwischen dem Wohnort des Ehemanns der Betroffenen und dem Wohnort der
Betroffenen liege eine Fahrzeit von mehreren Stunden. Die Betroffene bedürfe
jedoch eines Vorsorgebevollmächtigten oder Betreuers vor Ort, gerade auch vor
dem Hintergrund, dass ihre alltagspraktischen Fähigkeiten nach den Einschätzungen
der Fachärzte nicht besonders gut ausgeprägt seien. Es stehe zu befürchten,
dass die Betroffene im Fall einer Verschlechterung ihres psychischen
Zustands bei einer Betreuung durch ihren Ehemann auf die Distanz nicht ausreichend
versorgt wäre. Hilfestellung für sie sei vor Ort notwendig.

Aus den gleichen Gründen sei auch die Beschwerde gegen die Ablehnung
eines Betreuerwechsels zurückzuweisen. Auch hier sei der Ehemann nicht gleich
geeignet im Sinne des § 1908 b Abs. 3 BGB, so dass ein Betreuerwechsel ausscheide.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Auffassung des Landgerichts,
die Bestellung eines Betreuers sei trotz des Vorliegens einer wirksamen
Vorsorgevollmacht erforderlich, fehlt es bislang an einer rechtlich tragfähigen
Grundlage.

a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden,
soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit
die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso
gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2
BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich
entgegen. Steht die - hier vom Landgericht nicht in Zweifel gezogene -
Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich
sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des
Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung
der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für
das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte
mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner
Redlichkeit als ungeeignet erscheint (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom
15. Juni 2022 - XII ZB 85/22 - FamRZ 2022, 1647 Rn. 9 mwN).

Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten
durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem
Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle
auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob das Tatgericht alle maßgeblichen
Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat und die Würdigung auf einer ausreichenden
Sachaufklärung beruht (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 15. Juni
2022 - XII ZB 85/22 - FamRZ 2022, 1647 Rn. 10 mwN).

b) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hat die
angefochtene Entscheidung keinen Bestand.

aa) Das Beschwerdegericht hat es - anders als das Amtsgericht - dahinstehen
lassen, ob der Ehemann der Betroffenen deshalb für die Ausübung der
Vorsorgevollmacht ungeeignet ist, weil er kein ausreichendes Verständnis für die
Schwere der Erkrankung der Betroffenen besitzt und er deshalb Entscheidungen,
die zum Wohl der Betroffenen erforderlich sind, möglicherweise nicht treffen wird.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen nur darauf abgestellt,
dass aufgrund der räumlichen Entfernung zwischen dem beabsichtigten
Wohnort der Betroffenen und dem Wohnort ihres Ehemanns deren ausreichende
Versorgung im Bereich der Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung nicht
gewährleistet wäre.

Die hierbei angestellten Erwägungen sind indes nicht frei von Rechtsfehlern.
Zwar hat das Beschwerdegericht im Ansatz zutreffend erkannt, dass allein
die räumliche Entfernung des Vorsorgebevollmächtigten vom Wohnort des Vollmachtgebers
grundsätzlich nicht ausreicht, um trotz Vorliegens einer wirksamen
Vorsorgevollmacht für Aufgabenbereiche, die von der Vollmacht erfasst werden,
einen Betreuer zu bestellen. Die Auswahl des Bevollmächtigten obliegt allein der
Entscheidung des Vollmachtgebers, die auch dann zu respektieren ist, wenn - bei
objektiver Betrachtung - die zu regelnden Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten
oder Betreuer, der sich in räumlicher Nähe zum Betroffenen befindet,
möglicherweise effektiver erledigt werden könnten. Denn in der Regel kann davon
ausgegangen werden, dass der Vollmachtgeber bei der Auswahl der Person,
der er eine Vorsorgevollmacht erteilen möchte, die räumliche Entfernung des Bevollmächtigten
und die sich möglicherweise hieraus ergebenden Probleme bei
der Ausübung der Vorsorgevollmacht bedacht hat. Deshalb kann ein Bevollmächtigter,
der nicht in der Nähe des Vollmachtgebers wohnhaft ist, nur dann als
ungeeignet angesehen werden und deshalb die Bestellung eines Betreuers gerechtfertigt
sein, wenn tragfähige Gründe dafür festgestellt werden können, dass
er aufgrund der räumlichen Entfernung zum Betroffenen die Vollmacht nicht zu
dessen Wohl ausüben kann oder will (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Oktober
2018 - XII ZB 230/18 - FamRZ 2019, 140 Rn. 10).

bb) Solche Umstände hat das Beschwerdegericht bislang nicht festgestellt.
Soweit es in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass es im vorliegenden
Fall aufgrund der Erkrankung der Betroffenen in besonderem Maße eines
persönlichen Kontakts bedürfe, um Verschlechterungen des Gesundheitszustands
der Betroffenen frühzeitig wahrzunehmen und entsprechend zu handeln,
verkennt es, dass ein Vorsorgebevollmächtigter zwar zu einem regelmäßigen
persönlichen Kontakt zum Vollmachtgeber verpflichtet ist, schon um die Informationen
zu erhalten, die für Ausübung seiner Tätigkeit erforderlich sind. Soweit in
einer Vorsorgevollmacht - wie hier - keine anderweitigen Regelungen enthalten
sind, berechtigt die Vorsorgevollmacht den Bevollmächtigten jedoch nur zur
rechtlichen Vertretung, verpflichtet ihn aber nicht zur persönlichen Betreuung des
Vollmachtgebers. Seine Rechtsstellung unterscheidet sich insoweit nicht von der
eines Betreuers, der nach § 1901 Abs. 1 BGB nur zur Erbringung solcher Tätigkeiten
verpflichtet ist, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betroffenen
rechtlich zu besorgen. Es ist nicht Aufgabe des Betreuers, die tatsächlichen
Lebens- und Pflegebedürfnisse des Betroffenen in eigener Person zu befriedigen
(MünchKommBGB/Schneider 8. Aufl. § 1901 Rn. 6 mwN). Gleiches gilt in der
Regel auch für den Vorsorgebevollmächtigten. Dieser hat wie ein Betreuer nur
die notwendigen tatsächlichen Hilfen zu besorgen, nicht jedoch selbst zu leisten
(vgl. BGH Beschluss vom 2. Dezember 2010 - III ZR 19/10 - FamRZ 2011, 293
Rn. 19 mwN). Insbesondere ist er zur Erbringung tatsächlicher Pflegeleistungen
oder zur persönlichen Hilfe im Alltag nicht verpflichtet (vgl. Senatsbeschluss vom
17. Februar 2016 - XII ZB 498/15 - FamRZ 2016, 704 Rn. 24). Dass der Ehemann
der Betroffenen deren Versorgung durch die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen
Dritter - etwa eines Pflegedienstes oder anderer ambulanter Hilfen -
nicht gewährleisten kann oder will, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.

cc) Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung die
Betroffene im Rahmen ihrer Anhörung nur die Absicht geäußert hatte, nach ihrer
Entlassung aus der geschlossenen Unterbringung ihren Lebensmittelpunkt in die
Nähe der Klinik zu verlagern. Ob der beabsichtigte Wohnsitzwechsel tatsächlich
vollzogen worden ist, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Die Entscheidung
des Beschwerdegerichts, trotz der wirksam zugunsten ihres Ehemanns erteilten
Vollmacht der Betroffenen einen Betreuer zu bestellen, beruht daher nur
auf der Annahme, dass es tatsächlich zu dem von der Betroffenen angestrebten
Wohnsitzwechsel kommt. Deshalb fehlt es auch insoweit an tragfähigen Feststellungen
dafür, dass die Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen durch ihren
Ehemann eine konkrete Gefahr für ihr Wohl begründet.

dd) Schließlich ergibt sich aus den Entscheidungsgründen auch nicht,
warum das Beschwerdegericht trotz der umfassenden Vorsorgevollmacht eine
Betreuung für die Bereiche Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber
Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten für
erforderlich gehalten hat. Denn der angefochtene Beschluss verhält sich nur zu
der Frage, weshalb der Ehemann der Betroffenen zur Wahrnehmung der Gesundheitssorge
und - in diesem Zusammenhang - der Aufenthaltsbestimmung
nicht geeignet ist. Bei Vorliegen einer wirksamen Vorsorgevollmacht darf aber
gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Betreuung nur für die Angelegenheiten
des Betroffenen eingerichtet bzw. aufrechterhalten werden, die der Bevollmächtigte
nicht in ausreichenden Maß wahrnehmen kann. Insbesondere für die Aufgabenbereiche
Vermögensangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten hat
das Beschwerdegericht hierzu keine tragfähigen Feststellungen getroffen, zumal
eine größere räumliche Entfernung zwischen dem Wohnsitz der Betroffenen und
dem ihres Ehemanns für die Erfüllung dieser Aufgaben keine entscheidende
Rolle spielen dürfte.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist
an das Landgericht zurückzuverweisen, weil diese noch nicht zur Endentscheidung
reif ist (§ 74 Abs. 5, 6 Satz 2 FamFG).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil
sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung,
zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

16.11.2022

Aktenzeichen:

XII ZB 212/22

Rechtsgebiete:

Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB a. F. § 1896 Abs. 2 S. 2