OLG Hamm 30. April 1997
15 W 91/97
GmbHG § 60; Art. 52, 54, 58, 200 EWGV

Sitzverlegung über die Grenzen

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Dokumentnummer: 608
letzte Aktualisierung: 15. September 1997
OLG HAMM
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
15 W 91/97 OLG Hamm
30.04.1997
BESCHLUSS
Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 30. April 1997 auf die
weitere Beschwerde der beteiligten Gesellschaft vom 18. Februar 1997 gegen den
Beschluß der V. Kammer für Handelasachen des Landgerichts Bielefeld vom 19.
Oktober 1993 durch ... b e s c h l o s s e n :
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 5.000,00 DM
festgesetzt.
Gründe
Die betroffene Gesellschaft ist seit dem 28. Februar 1984 mit einem Stammkapital
von 50.000,00 DM im Handelsregister des Amtsgerichts Bielefeld eingetragen.
Geschäftsführerin ist seit Ende des Jahres 1984 Frau...
In einer Gesellschafterversammlung vom 9. Februar 1993 haben die Gesellschafter,
nämlich die Geschäftsführerin und ihr Ehemann, den Beschluß gefaßt, den Sitz der
Gesellschaft von Bielefeld nach ~ /Luxemburg zu verlegen und die Gesellschaft in
eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung luxemburgischen Rechts umzuwandeln.
Über diese Gesellschafterversammlung ist eine notarielle Urkunde durch den Notar
.. .. in Luxemburg errichtet worden. Die Gesellschaft ist sodann im Handels- und
Gesellschaftsregister des Bezirksgerichts Luxemburgs am 24. März 1993
eingetragen worden.
Unter Bezugnahme auf die in beglaubigter Ablichtung vorgelegte notarielle
Urkunde nebst Auszug aus dem Handels- und Gesellschaftsregister hat die
Geschäftsführerin in notariell beglaubigter Erklärung vom 10. Juni 1993 (UR-NR.
520 Notar ... in ..) die Eintragung der Sitzverlegung der Gesellschaft nach
Luxemburg und ihre Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung
luxemburgischen Rechts angemeldet. Diese Anmeldung hat der Richter des
Amtsgerichts durch Beschluß vom 1. August 1993 zurückgewiesen. Gegen diesen
Beschluß hat die beteiligte Gesellschaft mit Schriftsatz ihrer
Verfahrensbevollmächtigten vom 26. August 1993 Beschwerde eingelegt, die das
Landgericht - Kammer für Handelssachen - durch Beschluß vom 19. Oktober 1993
zurückgewiesen hat.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der beteiligten
Gesellschaft, die sie mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18.
Februar 1997 bei dem Ober landesgericht eingelegt hat.


Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft so wie formgerecht
eingelegt. Beschwerdebefugt ist die betroffene Gesellschaft selbst, da die
Anmeldung eine Satzungsänderung zum Gegenstand (vgl. BHZ 105, 326 = NJW 1989,
295).
In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des
Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 27 Abs. 1 Satz 1
FGG).
Der Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 9. Februar 1993 ist inhaltlich
darauf gerichtet, den Sitz der Gesellschaft nach Luxemburg zu verlegen. Der
Beschluß umfaßt damit inhaltlich sowohl eine Verlegung des statutarischen als
auch des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft. Aufgrund der in dem
Gesellschafterbeschluß angegebenen neuen Geschäftsadresse in Luxemburg ist davon
auszugehen, daß die Geschäftsührerschaft tatsächlich von dort aus weitergeführt
werden sollen. Es bedarf deshalb keiner näheren Erörterungen der Frage, wie die
Verlegung allein des satzungsmäßigen Sitzes zu behandeln wäre, wenn der
effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft in Bielefeld beibehalten worden wäre.
Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer im Inland gegründeten
Gesellschaft mit beschränkter Haftung ins Ausland führt nach deutschem Recht zu
ihrer Auflösung; die Sitzverlegung kann demzufolge nicht in das Handelsregister
eingetragen werden. Diese Rechtsfolge ist das Ergebnis der in der Rechtsprechung
einheitlich, in der Literatur überwiegend vertretenen Sitztheorie. Danach
bestimmt sich das Personalstatut einer mit eigener Rechtspersönlichkeit
ausgestatteten Gesellschaft nach ihrem effektiven Verwaltungssitz (BGHZ 53, 181
= NJW 1970, 998; 97, 269 = NJW 1986, 2194; BayObLGZ 1985, 272 = IPRax 1986, 161;
1992, 113 = NJW-RR 1993, 43; OLG Frankfurt NJW 1990, 2204; MK/BGB-Ebenroth, 2.
Auflage, nach Art. 10, Rdnr. 177; Staudinger/Großfeld, Internationales
Gesellschaftsrecht, 1993, Rdnr. 33 ff.). Dieser Sitztheorie hat sich der Senat
bereits angeschlossen (FGPrax 1995, 5 = NJW-RR 1995, 469); er sieht weiterhin
keinen Anlaß, von der gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
Die Verlegung des Verwaltungssitzes der Gesellschaft führt zu einer Änderung
ihres Personalstatuts. Die Gesellschaft untersteht nunmehr luxemburgischen
Recht. Dieses enthält keine Rückverweisung (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB) auf das
deutsche Recht, da das luxemburgische Recht seinerseits der Sitztheorie folgt
(vgl. Staudinger/Großfeld, a.a.O., Rdnr. 146). Die Gesellschaft kann deshalb nur
fortbestehen, wenn altes und neues Gesellschaftsstatut zusammenwirken. Nach
deutschem Recht führt indessen der Wechsel des Gesellschaftsstatuts zwingend zur
Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft. Weder eine Satzungsbestimmung noch
ein entgegenstehender Wille der Gesellschafter können dies verhindern (BGHZ 25,
134, 144; BayObLGZ 1992, a.a.O.; Staudinger/Großfeld, a.a.O. Rdnr. 557).
Dementsprechend ist die Eintragung einer Sitzverlegung in dem im Inland
geführten Handelsregister ausgeschlossen.
Diesem Ergebnis steht entgegen dem Standpunkt der weiteren Beschwerde das Recht
der Europäischen Gemeinschaft nicht entgegen. Dies ergibt eine Auswertung der
Urteils des EuGH vom 27. September 1988 (NJW 1989, 2186 = IPRax 1989, 381 Daily Mail). In der Begründung dieser Entscheidung hebt der EuGH zwar zunächst
die Niederlassungsfreiheit nach Art. 52, 58 EWGV als Gemeinschaftsprinzip hervor
und bekräftigt dessen unmittelbare Wirkung. Zugleich betont der EuGH jedoch den
fundamentalen Gegensatz zwischen natürlichen Personen und Gesellschaften, deren
Existenz ausschließlich auf der jeweiligen nationalen Rechtsordnung beruht. Der
EuGH hat sodann die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen hinsichtlich der
Verknüpfung einer Gesellschaft mit dem nationalem Recht, auf dessen Grundlage
sie gegründet worden ist, hervorgehoben. Der EuGH hat betont, der EWGV trage
diesen Unterschieden in der nationalen Rechtsordnungen Rechnung. Der EWGV habe
die daraus resultierenden Probleme nicht durch die Regelung zum
Niederlassungsrecht lösen wollen, sondern in Art. 54 Abs. 3 lit. g EWGV und Art.
220 unter Abs. 3 EWGV nur die Rechtsgrundlagen für gesetzgeberische Maßnahmen
oder Übereinkommen geschaffen, die allerdings noch nicht vorliegen. Nach
Auffassung des EuGH gewähren die Art. 52, 58 EWGV demgemäß Gesellschaften
nationalen Rechts kein Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Wahrung
ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen
anderen Mitgliedsstaat zu verlegen. Diese Ausführungen belegen die Auffassung
des EuGH, daß dem jeweiligen nationalen Recht der Vorrang gegenüber der
Auswanderungsfreiheit von Gesellschaften zukommt.
Der Senat folgt der bereits herangezogenen Entscheidung des BayObLG auch in der
Beurteilung, daß durch die genannte Entscheidung des EuGH die Anwendung des
Gemeinschaftsrechts in einer vernünftig Zweifel ausschließenden Weise geklärt
einer mit dem vorliegenden Fall nicht ohne weiteres vergleichbaren
Sachverhaltsgestaltung ergangen ist. Ausschlaggebend ist, daß der EuGH seine
Entscheidung mit tragenden Erwägungen begründet hat, die die wiedergegebenen
grundsätzlichen Ausführungen zum Verhältnis zwischen dem Gemeinschaftsrecht und
den unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen enthalten. Dem Senat steht es
nicht an, eine kritische Würdigung der Entscheidung im Hinblick darauf
vorzunehmen, ob die dem EuGH vorliegende Sachverhaltsgestaltung zwingenden Anlaß
zu diesen grundsätzlichen Erwägungen gab (in diesem Sinn kritisch etwa Behrens
? IPRax 1989, 354, 357; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 331 ff. ). Der Senat
stimmt vielmehr mit dem BayObLG und weiteren Stimmen im Schrifttum (vgl. etwa
Großfeld JZ 1989, 386 sowie in Staudinger/Großfeld, a.a.O., Rdnr. 116;
Ebenroth/Auer JZ 1993, 374, 376) darin überein, daß die Ausführungen des EuGH
entsprechend ihrer eindeutigen Formulierung so zu verstehen sind, daß sie auch
für die hier vorliegende Fallgestaltung der Sitzverlegung einer im Inland
gegründeten Gesellschaft ins Ausland dem nationalen Recht den Vorrang einräumt.
Dementsprechend sieht der Senat zu einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 177
EWGV keinen Anlaß. Entgegen dem Vorbringen der weiteren Beschwerde hat sich
durch den Vertrag von Maastricht an dieser Beurteilung nichts geändert. Denn
dieser Vertrag hat an den hier maßgeblichen Bestimmungen des EWGV und damit an
dem Erfordernis, eine Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts, sei es
auf der Grundlage von Richtlinien (Art. 54 Abs. 3 lit. g EWGV), sei es auf der
Grundlage eines Übereinkommens (Art. 220 EWGV) erst noch herbeizuführen, nichts
geändert.
Die Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf den §§
131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

30.04.1997

Aktenzeichen:

15 W 91/97

Erschienen in:

DNotI-Report 1997, 198
MittBayNot 1997, 307-309
MittRhNotK 1997, 365-366
FGPrax 1997, 193-194
NJW-RR 1998, 615

Normen in Titel:

GmbHG § 60; Art. 52, 54, 58, 200 EWGV