BGH 18. März 2004
IXa ZB 229/03
ZPO § 829 Abs. 1

Pfändung auf gut Glück für Ansprüche gegen örtliche Kreditinstitute

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 9azb229_03
letzte Aktualisierung: 20.04.2004
BGH, 19.03.2004 - IXa ZB 229/03
ZPO § 829 Abs. 1
Pfändung auf gut Glück für Ansprüche gegen örtliche Kreditinstitute
Der Formularantrag eines Gläubigers, näher bezeichnete Ansprüche des Schuldners gegen nicht
mehr als drei bestimmte Geldinstitute am Wohnort des Schuldners zu pfänden, ist grundsätzlich
nicht rechtsmißbräuchlich.


BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IXa ZB 229/03
vom
19. März 2004
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
BGHZ:
ja
nein
ZPO § 829 Abs. 1
Pfändung auf gut Glück für Ansprüche gegen örtliche Kreditinstitute
Der Formularantrag eines Gläubigers, näher bezeichnete Ansprüche des
Schuldners gegen nicht mehr als drei bestimmte Geldinstitute am Wohnort
des Schuldners zu pfänden, ist grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich.
BGH, Beschluß vom 19. März 2004 - IXa ZB 229/03 - LG Chemnitz
AG Freiberg
Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Kreft, die Richter Raebel, Athing, Dr. Boetticher und Zoll
am 19. März 2004
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Gläubigers werden der Beschluß der
3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 25. Juli 2003 und
der Beschluß des Amtsgerichts Freiberg vom 24. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
der Rechtsmittelverfahren, an das Amtsgericht Freiberg zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Gläubiger beantragte beim Amtsgericht den Erlaß eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses wegen einer titulierten Hauptforderung in Höhe
von 502,97 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten. In einem vorformulierten
Beschlußformular benannte er als Drittschuldner drei Geldinstitute, die am
Wohnort des Schuldners einen Geschäftsbetrieb unterhalten. Nachdem das
Amtsgericht den Gläubiger erfolglos aufgefordert hatte, zum Bestehen der zu
pfändenden Forderungen nähere Angaben zu machen, hat es den Erlaß eines
Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit der Begründung abgelehnt, es
liege eine unzulässige Ausforschungspfändung vor. Die vom Gläubiger gegen
diese Entscheidung eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des
Gläubigers, mit der er den Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen will.
II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im
übrigen zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Beschlüsse des Landsowie des Amtsgerichts und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
1. Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die Pfändung zu
Recht als unzulässige Ausforschungspfändung abgelehnt, weil der Gläubiger
keine ausreichenden Tatsachen für das Bestehen der zu pfändenden Forderungen und deren Pfändbarkeit vorgetragen habe. Da die Schlüssigkeitsprüfung
Schuldner in gleicher Art und Weise mit der Benennung von drei Geldinstituten
als Drittschuldner vorgegangen sei - Anhaltspunkte dafür ergeben habe, die
Pfändung könne wegen Nichtbestehens der Forderungen ins Leere gehen, hätte der Gläubiger nach Aufforderung durch den Rechtspfleger darlegen müssen,
aus welchen Gründen er das Bestehen der zu pfändenden Ansprüche des
Schuldners gegen die benannten drei Drittschuldner behaupte. Dies folge aus
der Pflicht des Vollstreckungsgerichts, auch die Interessen des Schuldners und
der Drittschuldner zu wahren. Der Gläubiger müsse sich durch das Verfahren
auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, welches das Gesetz für die Ausforschung vorsehe, die für die Forderungspfändung notwendigen Kenntnisse
verschaffen. Jede andere Vollstreckungsmaßnahme mit identischer Zweckbestimmung sei rechtsmißbräuchlich.
2. Die Rechtsbeschwerde vertritt die Auffassung, die Angaben im Antrag
auf Pfändung und Überweisung seien als hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag anzusehen. Eine unzulässige Ausforschung liege nicht vor; auch
sei das Vorgehen des Gläubigers nicht rechtsmißbräuchlich.
3. Die von der Rechtsbeschwerde vertretene Meinung ist überzeugend.
a) Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erlaß eines Pfändungsund Überweisungsbeschlusses prüft das zuständige Vollstreckungsgericht
nicht, ob die zu pfändende Forderung besteht; es prüft nur, ob diese nach dem
Sachvortrag des Gläubigers dem Schuldner gegen den Drittschuldner zustehen
kann und ob sie nicht unpfändbar ist (BGH, Beschl. v. 27. Juni 2003 - IXa ZB
62/03, WM 2003, 1875, 1876; vgl. Musielak/Becker, ZPO 3. Aufl. § 819 Rn. 8;
ZöIIer/Stöber, ZPO 23. Aufl. § 829 Rn. 4, 5; Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl. § 829
Rn. 20). Der Sachvortrag des Gläubigers ist dabei als wahr zu unterstellen. Da
der zu pfändende Anspruch nicht begründet, sondern lediglich bezeichnet wird,
darf der Rechtspfleger den Antrag nur ausnahmsweise ablehnen, wenn dem
Schuldner der Anspruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen offenbar
nicht zustehen kann oder ersichtlich unpfändbar ist. Deshalb pfändet das Vollstreckungsgericht auch nur die "angebliche Forderung" des Schuldners gegen
den Drittschuldner (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger
Rechtsschutz 3. Aufl. § 829 ZPO Rn. 32; Musielak/Becker aaO; Zöller/Stöber
aaO).
b) Die Frage, ob von einem schlüssigen Sachvortrag ausgegangen werden kann, wenn der Gläubiger in einem Formular gleichzeitig die Pfändung und
Überweisung von mehreren Forderungen des Schuldners gegen eine Vielzahl
von an seinem Wohnort ansässigen Geldinstituten beantragt, ist streitig.
Zum Teil wird die Meinung vertreten, der sich das Beschwerdegericht
angeschlossen hat, daß in einem solchen Fall der Gläubiger lediglich unsubstantiierte Behauptungen und Vermutungen aufstelle, die auf die Ausforschung von Erkenntnisquellen zielten und die beantragte Pfändung nicht rechtfertigen könnten (vgl. Zöller/Stöber, aaO Rn. 5, Stöber, Forderungspfändung
13. Aufl. Rn. 485 d; Alisch DGVZ 1985, 107 ff.). Eine solche unzulässige Ausforschungspfändung ist von der Rechtsprechung bejaht worden bei der Benennung von 20 (LG Hannover, JurBüro 1985, 789) oder 264 Geldinstituten (OLG
München, DB 1990, 1916) ohne einen weiteren Tatsachenvortrag für konkrete
Geschäftsbeziehungen.
Nach der Gegenmeinung (vgl. Schulz DGVZ 1985, 105 ff; Münzberg ZZP
102 [1989], 129, 131 ff), auf die sich die Rechtsbeschwerde beruft, ist der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß zu erlassen, weil der Antrag genügend bestimmt sei, nicht der Ausforschung diene und auch nicht als rechtsmißbräuchlich zu bewerten sei.
c) Für den zu entscheidenden Fall, in dem in einem vorformulierten Antrag zu pfändende Ansprüche des Schuldners gegen drei an seinem Wohnort
ansässige Geldinstitute als Drittschuldner benannt sind, ist der zuletzt dargestellten Rechtsauffassung zu folgen.
Der Gläubiger hat zum Bestehen der zu pfändenden Forderungen
schlüssig vorgetragen, weil diese nach Schuldner, Drittschuldner und Schuldgrund bestimmt bezeichnet sind. Zwar ist es nach der Lebenserfahrung wenig
wahrscheinlich, daß dem Schuldner, der es wegen einer Forderung in geringer
Höhe zu Vollstreckungsmaßnahmen kommen läßt, die in dem Antrag auf Erlaß
eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bezeichneten Ansprüche insgesamt oder zumindest überwiegend zustehen (vgl. LG Aurich Rpfleger 1993,
357). Dies genügt jedoch für die Antragsablehnung nicht, weil damit das Nichtbestehen jedes der bezeichneten Ansprüche weder positiv feststeht noch offenkundig ist (vgl. Schulz aaO S. 106; Münzberg aaO S. 132). Denn es ist nach der
allgemeinen Lebenserfahrung ebenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen, daß der
Schuldner mit den drei Geldinstituten an seinem Wohnort in Geschäftsbeziehungen steht und insoweit die zu pfändenden Ansprüche bestehen. Die Unterhaltung von bis zu drei örtlichen Bankverbindungen bezeichnet allerdings auch
die Obergrenze, die im allgemeinen bei nicht gewerblich tätigen Schuldnern in
Betracht kommt.
Mit seinem weit gefaßten Antrag auf Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses verstößt der Gläubiger nicht gegen die Wahrheitspflicht
des § 138 Abs. 1 ZPO, die es lediglich verbietet, Erklärungen gegen besseres
Wissen abzugeben (Thomas/Putzo, aaO § 138 Rn. 3). Er darf Tatsachen behaupten, über die er keine positive Kenntnis hat und im Regelfall auch nicht
haben kann, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich und möglich
hält (vgl. BGH, Urt. v. 19. September 1985 - IX ZR 138/84, NJW 1986, 246, 247
und ständig). Nur eine willkürliche, "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptung
einer Forderung ohne jeden Anhaltspunkt für ihr Bestehen ist unbeachtlich. Davon kann bei der Bezeichnung von Ansprüchen des Schuldners gegen drei an
seinem Wohnsitz tätige Geldinstitute nicht gesprochen werden.
Soweit das Vollstreckungsgericht aufgrund des gleichartigen Vorgehens
des Gläubigers gegen verschiedene Schuldner in Parallelverfahren am Bestehen der zu pfändenden Forderungen gezweifelt und deshalb ergänzende Angaben verlangt hat, beruht dies auf einer unzulässigen Amtsermittlung. Die
§§ 829 ff ZPO sehen - wie oben unter 3. a) dargestellt worden ist - eine materielle Prüfung der zu pfändenden Ansprüche nicht vor, wenn diese nach dem
Sachvortrag des Gläubigers im konkreten Zwangsvollstreckungsverfahren bestehen und pfändbar sein können.
Eine "Forderungspfändung auf Verdacht" ist bis zur Grenze einer Ausforschungspfändung wegen des durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Befriedigungsrechts des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung (vgl. BGHZ 141, 173,
177) nicht rechtsmißbräuchlich. Zwar könnte der Gläubiger zunächst die Sachpfändung durchführen und nach deren Fruchtlosigkeit im Rahmen des Verfahrens auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§§ 807, 900 ff ZPO) ausforschen, ob und welche Ansprüche dem Schuldner gegen Geldinstitute zustehen.
Bei einem solchen Vorgehen besteht aber - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist - die Gefahr, daß der Schuldner, der nach der Bezeichnung
seiner Konten im Vermögensverzeichnis mit Pfändungen rechnen muß, diese
räumt, so daß die spätere Pfändung ins Leere geht (vgl. Schulz aaO S. 107).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts werden dadurch weder
die schützenswerten Interessen der als Drittschuldner beteiligten Geldinstitute
noch die des Schuldners in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Wer als Geldinstitut Konten führt, muß und wird sich auf Pfändungen von Guthaben einstellen.
Im Normalfall ist für ein Geldinstitut, das über einen voll eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt, die Drittschuldnererklärung (§ 840 ZPO) nicht mit einem
ins Gewicht fallenden zusätzlichen personellen und sachlichen Aufwand verbunden, weil es die erforderlichen Erklärungen mit Hilfe moderner Datentechnik
leicht abgeben kann (vgl. Schulz aaO S. 106). Der Schuldner, der die Ursache
für die Zwangsvollstreckung gesetzt hat, muß die für ihn durch ins Leere gehende Pfändungen möglicherweise eintretenden Nachteile im vorrangigen Interesse des Gläubigers hinnehmen.
4. Nach alledem können die angefochtenen Entscheidungen keinen Bestand haben. Gemäß § 577 Abs. 5, § 572 Abs. 3 ZPO ist die Sache an das
Amtsgericht zurückzuweisen.
Kreft
Raebel
Boetticher
Athing
Zoll

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

18.03.2004

Aktenzeichen:

IXa ZB 229/03

Rechtsgebiete:

Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Erschienen in:

MittBayNot 2004, 463-464
NJW 2004, 2096-2098
Rpfleger 2004, 427-428
Rpfleger 2004, 572

Normen in Titel:

ZPO § 829 Abs. 1