OLG Köln 12. Juli 2021
7 U 139/20
EStG § 23 Abs. 1 S. 1; BNotO § 19 Abs. 1 S. 1

Notarhaftung bei unzutreffender Auskunft über Steuerpflicht – § 23 EStG

letzte Aktualisierung: 22.12.2021
OLG Köln, Beschl. v. 12.7.2021 – 7 U 139/20

EStG § 23 Abs. 1 S. 1; BNotO § 19 Abs. 1 S. 1
Notarhaftung bei unzutreffender Auskunft über Steuerpflicht – § 23 EStG

Zur Haftung des Notars bei unzutreffender Auskunft über die Steuerpflicht gemäß § 23 EStG bei
der Veräußerung von Grundstücken.

Gründe:

I.
Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates keine
Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer
Rechtsverletzung beruht, § 546 ZPO, oder nach § 529 ZPO zugrundezulegenden
Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, § 513 Abs. 1 ZPO. Die Sache hat auch
weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur
Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erforderlich, weswegen der Senat beabsichtigt, eine Entscheidung durch Beschluss zu
treffen, § 522 Abs. 2 ZPO.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten
gegen das angefochtene Urteil hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit
insgesamt überzeugender Begründung, der sich der Senat in vollem Umfange anschließt,
hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung von 48.972,05 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.05.2019 verurteilt. Der der Klägerin
durch das Urteil zuerkannte Anspruch ergibt sich, worauf das Landgericht zu Recht
erkannt hat, aus § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO.

Die hiergegen von dem Beklagten mit der Berufungsbegründung erhobenen
Einwendungen haben keinen Erfolg.

1.
Entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung weist die Beweiswürdigung des
Landgerichts keine Rechtsfehler auf. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen
(§ 529 Abs. 1 S. 1 ZPO) und aus Sicht des Senats eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür
begründen, dass sich bei erneuter Beweiserhebung die Unrichtigkeit der Feststellungen
herausstellt, hat der entsprechende Berufungsangriff Erfolg und gebietet die Erneuerung
der Beweisaufnahme (OLG Hamm Urt. v. 9.6.2020 – 28 U 65/19, BeckRS 2020, 18028 Rn.
24, beck-online). Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder
Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber
dagegen ausschließen (vgl. BGH, Urt. vom 08.06.2004 - VI ZR 230/03, juris Rn. 13, 16
mwN).

Derartige konkrete Anhaltspunkte ergeben sich jedoch aus dem Vorbringen des Beklagten
in der Berufungsbegründung nicht. Der Senat ist deshalb gemäß § 529 Abs. 1 ZPO an die
vom Landgericht als Ergebnis seiner Beweiswürdigung festgestellte Tatsachengrundlage
gebunden und hat diese gemäß § 529 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Zum einen begegnet es keinen Bedenken, dass sich die Aussagen der Zeugen A und B,
bezogen auf das Kerngeschehen, inhaltlich entsprechen. Es liegt keine solche
umfangreiche Übereinstimmung vor, dass von abgesprochenen Zeugenaussagen
ausgegangen werden könnte oder müsste. So hat die Zeugin B ausgesagt, der Beklagte
habe sinngemäß geäußert, das würde die Klägerin nicht betreffen, weil die Frist
abgelaufen sei. Der Zeuge A hingegen hat bekundet, der Beklagte habe sinngemäß nach
dem Hinweis auf die Spekulationssteuer geäußert: „Das trifft ja dann auf Sie nicht zu.“
Beide Aussagen entsprechen sich zwar inhaltlich zum Kerngeschehen, was sich
nachvollziehbar daraus erklärt, dass die beiden Zeugen Teilnehmer derselben
Beurkundung waren. Die Aussagen sind aber in der Schilderung der sonstigen Umstände
und auch in der Wortwahl nicht derart übereinstimmend, dass auch nur der Verdacht von
miteinander abgesprochenen Aussagen bestünde. Gegen eine Absprache spricht auch,
dass die Zeugen ersichtlich kein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreites haben.
Die Zeugen haben von der Klägerin die Wohnung bereits zu Eigentum erworben und sind
dementsprechend nunmehr weder wirtschaftlich noch aufgrund privater Beziehungen von
der Klägerin oder deren Wohlverhalten ihnen gegenüber abhängig. Es kann daher nicht
davon ausgegangen werden, dass die Zeugen „im Lager der Klägerin“ stehen. Auch dass
die Zeugen noch nach einem Zeitraum von mehr als 3 Jahren konkrete Erinnerungen an
den Verlauf des Beurkundungstermins hatten, verwundert in Anbetracht der
wirtschaftlichen Bedeutung des Termins für die Zeugen nicht. Es handelt sich um ein
isoliertes, einmaliges Ereignis, welches für die Lebensführung und die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Zeugen erhebliche Bedeutung hatte.

Anders als der Beklagte meint, spricht auch nicht gegen die Zeugen, dass diese sich an
die Erörterungen betreffend die Spekulationssteuer noch erinnerten, obwohl diese Frage
lediglich die Klägerin und nicht sie selbst betraf. Es ist nachvollziehbar, dass die Zeugen
sich dieses Thema gerade deshalb bewusst machten, um sich den möglichen Anfall einer
Spekulationssteuer für den Fall einer eigenen Verkaufsabsicht binnen eines Zeitraums von
10 Jahren zu merken.

Den von dem Beklagten unter Z. 3 der Berufungsbegründung (Seite 4 der
Berufungsbegründung, Bl. 78 GA) konstruierten Widerspruch in der Aussage des Zeugen
A vermag der Senat nicht zu erkennen. Entgegen der vom Beklagten vertretenen
Auffassung hat der Zeuge nicht ausgesagt, dass ein konkretes Datum thematisiert worden
wäre. Er hat vielmehr ausgesagt, dass ein Verweis darauf erfolgt sei, „dass das Datum des
Verkaufs der Wohnung ja außerhalb der Zehnjahresfrist liegen würde“. Ein konkretes
Datum wurde von dem Zeugen in diesem Zusammenhang laut dem Protokoll der
Beweisaufnahme gerade nicht genannt.

2.
Ebenfalls beanstandungsfrei ist das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
zu dem Schluss gelangt, es könne ausgeschlossen werden, dass der Vertrag ohne die
aufgrund der geschilderten Zeugenaussagen bewiesene fehlerhafte Aussage des
Beklagten zu Stande gekommen wäre. Soweit der Beklagte sich in diesem
Zusammenhang auf die Entscheidung des OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.11.2005 – 4 U
489/04, BeckRS 2006, 903, beck-online beruft, verkennt er, dass in dem dortigen Fall die
Kläger unabhängig vom beurkundenden Notar rechtzeitig durch einen Dritten, einem von
ihnen mit der Prüfung des Vertragsentwurfs beauftragten Rechtsanwalt, „ausführlich,
korrekt und umfassend über alle rechtlich relevanten Aspekte des Vertrages aufgeklärt“ (so
OLG Saarbrücken Urt. v. 15.11.2005 – 4 U 489/04, BeckRS 2006, 903 Rn. 34, beck-online)
worden waren und der von ihnen eingeschaltete Rechtsanwalt den dortigen Klägern auch
die bestehenden Möglichkeiten der Abhilfe für die von ihm gesehenen Risiken rechtzeitig
ausführlich mitgeteilt hatte.

Der Fall unterscheidet sich mithin deutlich von dem hier vorliegenden, in dem der Beklagte
nicht eine Aufklärung unterlassen, sondern eine falsche Auskunft erteilt hat. Gerade in der
unrichtigen, nicht in der unterlassenen Auskunft des Beklagten liegt die
Amtspflichtverletzung. Der Senat schließt sich der Auffassung des Landgerichts an,
wonach es der Lebenserfahrung entspricht, dass die Klägerin für den Fall, dass ihr die
falsche Auskunft nicht erteilt worden wäre, wegen der Bedeutung der Steuerlast im Termin
nochmals sicherheitshalber nachgefragt und dann bei zutreffender Auskunft die
Beurkundung abgebrochen hätte, wie dies die Klägerin auch im Rahmen ihrer
Parteivernehmung bekundet hat. Rechtsfehler vermag der Senat in dieser Würdigung
seitens des Landgerichts nicht zu erkennen.

Der Senat schließt sich auch der lebensnahen Würdigung des Landgerichtes an, soweit
dieses im angefochtenen Urteil davon ausgegangen ist, dass die Beurkundung des
Kaufvertrages hätte verschoben werden können. In Anbetracht des hier vorliegenden
Sachverhalts, bei dem die Mieter das von ihnen selbst bereits bewohnte Objekt erwerben
wollten, mithin nicht die Kündigung eines anderen Mietverhältnisses und ein fester
Auszugstermin im Raume standen, ist nicht ersichtlich, weshalb es in Anbetracht der Höhe
der drohenden Spekulationssteuer nicht zu einer Verschiebung um wenige Wochen hätte
kommen können.

Auch ein haftungsausschließendes Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht zu
Recht nicht angenommen. Denn selbst wenn der Klägerin unstreitig die Thematik des
Anfalls der Spekulationssteuer allgemein bekannt war, konnte sie sich darauf verlassen,
dass eine ihr im Notartermin erteilte Auskunft des Beklagten richtig sein würde. Wie bereits
vorstehend ausgeführt, liegt die Amtspflichtverletzung des Beklagten nicht in einer
unterlassenen Aufklärung, so dass es nicht darauf ankommt, ob er zu einem Hinweis im
Hinblick auf die Spekulationssteuer verpflichtet war, sondern in einer erteilten, jedoch der
Sache nach unrichtigen Auskunft, die die Klägerin von weiteren Nachfragen abhielt.

3.
Zu Recht hat das Landgericht schließlich auch das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Haftungsausschlusses nach § 839 Abs. 3 BGB bzw. einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit
nach § 839 Abs. 1 S. 2 BGB, jeweils i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 3 BNotO, verneint.
Der Beklagte ist insoweit der Auffassung, aufgrund der nach dem Kaufvertrag notwendigen
Genehmigung des Hausverwalters sei der Vertrag bis zur Erteilung der Zustimmung
gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 WEG schwebend unwirksam gewesen. Bei der Berechnung der
Frist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG sei daher nicht auf den Zeitpunkt des
schuldrechtlichen Geschäfts abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Genehmigung,
eine Rückwirkung scheide aus. Der Beklagte meint deshalb, die Klägerin habe
erfolgversprechend Einspruch gegen den ihr gegenüber ergangenen Steuerbescheid
einlegen können. Soweit der von ihr beauftragte Steuerberater diese Möglichkeit als
ungeeignet verworfen habe, habe der Klägerin sodann ein Schadensersatzanspruch
gegen ihren Steuerberater zugestanden, der eine anderweitige Ersatzmöglichkeit im Sinne
des § 19 Abs. 1 S. 2 BNotO darstelle.

Dieser Auffassung des Beklagten kann nicht gefolgt werden.

Notwendige privatrechtliche Genehmigungen nicht am Urkundsgeschäft Beteiligter wirken
in aller Regel auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäftes zurück, so dass
auch die Genehmigung nach § 12 WEG rückwirkend zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Rechtsgeschäftes die Steuerpflicht begründet, jedenfalls dann, wenn sie zeitnah zum
Abschluss des Rechtsgeschäftes beantragt wurde (vergleiche BeckNotar-HdB, § 29.
Steuerrecht für Notare Rn. 157, 159 beck-online). Denn im Sinne des § 23 EStG
zivilrechtlich wirksam sind auch Erklärungen, die unter einer Bedingung abgegeben
wurden. Ein aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft wird zwar erst mit dem Eintritt der
Bedingung voll wirksam, bindet jedoch die Beteiligten bereits mit der Abgabe
übereinstimmender Erklärungen. Demzufolge ist es unerheblich, wenn die Bedingung erst
nach Ablauf der Haltefrist eintritt, denn die Vertragspartner konnten sich schon vor Eintritt
der Bedingung nicht mehr einseitig lösen. In diesen Fällen kommt es deshalb auf den
Zeitpunkt der Einigung an (vgl. BFH IX R 23/13 v. 10.2.15, BStBl II 15, 487; so
Blümich/Ratschow, 156. EL März 2021, EStG § 23 Rn. 168, 169).

Anderes gilt nur für den Fall, dass es sich um eine notwendige privatrechtliche
Genehmigung eines an dem Rechtsgeschäft Beteiligten handelt. In diesem Falle hat der
Beteiligte es in der Hand, sich durch die Verweigerung der Genehmigung noch einseitig
vom Rechtsgeschäft zu lösen. Dies ist jedoch in dem hier vorliegenden Fall der
notwendigen privatrechtlichen Genehmigung einer Hausverwaltung gemäß § 12 WEG
nicht gegeben. Der Klägerin selbst stand eine einseitige Lösungsmöglichkeit vom
notariellen Kaufvertrag nach der Beurkundung nicht zur Verfügung.

II.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Hinweisen des Gerichts binnen der
genannten Frist. Auf die Möglichkeit der kostenrechtlichen Privilegierung der Rücknahme
der Berufung (KV Nr. 1220, 1222 zu § 3 Abs. 2 GKG) wird hingewiesen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Köln

Erscheinungsdatum:

12.07.2021

Aktenzeichen:

7 U 139/20

Rechtsgebiete:

Einkommens- und Körperschaftssteuer
Notarielles Berufsrecht
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

EStG § 23 Abs. 1 S. 1; BNotO § 19 Abs. 1 S. 1