BGH 23. April 2024
II ZR 99/22
BGB § 138; GmbHG § 6

Nachvertragliches Wettbewerbsverbot eines GmbH-Geschäftsführers; rückwirkender Verfall einer Karenzentschädigung

letzte Aktualisierung: 9.8.2024
BGH, Urt. v. 23.4.2024 – II ZR 99/22

BGB § 138; GmbHG § 6
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot eines GmbH-Geschäftsführers; rückwirkender Verfall
einer Karenzentschädigung

Zur Wirksamkeit eines mit einem GmbH-Geschäftsführer vereinbarten nachvertraglichen
Wettbewerbsverbots, das bei Zuwiderhandlung den rückwirkenden Verfall einer Karenzentschädigung
vorsieht.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt im zugelassenen Umfang
zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte
könne von der Klägerin für die Zeit von seiner Abberufung zum 31. Mai 2012 an
bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit für die C. am 17. Juni 2013 die Zahlung
einer monatlichen Karenzentschädigung , für zwölfeinhalb Monate
Der Beklagte habe mit seiner Tätigkeit
für die C. zwar gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen,
an dem die Klägerin zum Schutz ihrer Kundenverbindungen ein berechtigtes Interesse
habe. Die vertragliche Regelung, wonach der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot
aus § 6.3 zum rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigung
("ex tunc") führe (§ 6.6 des Anstellungsvertrags), verstoße allerdings gegen das
Übermaßverbot. Denn insoweit könnte sich der Arbeitnehmer veranlasst sehen,
mit zunehmendem Zeitablauf nach seinem Ausscheiden, auf eine neue berufliche
Tätigkeit und damit auf sein berufliches Fortkommen zu verzichten, weil er
zu befürchten habe, die komplette Entschädigung auch für die Zeit seiner vorhergehenden
Untätigkeit zu verlieren. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote seien
jedoch nur zulässig, wenn sie den Schutz eines berechtigten Interesses des
Unternehmens dienten und nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung
und wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers nicht unbillig erschwerten.

II. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Anspruch
des Beklagten auf Karenzentschädigung ist nach § 6.6 des Anstellungsvertrags
weggefallen, weil er gegen das in § 6.3 des Vertrags geregelte Wettbewerbsverbot
verstoßen hat.

1. Das in § 6.3 des Anstellungsvertrags vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbots
ist wirksam.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind nachvertragliche
Wettbewerbsverbote mit Rücksicht auf die grundgesetzlich geschützte
Berufsausübungsfreiheit nur dann gerechtfertigt und nicht nach § 138 BGB sittenwidrig,
wenn und soweit sie notwendig sind, um einen Vertragspartner vor einer
illoyalen Verwertung der Erfolge seiner Arbeit durch den anderen Vertragspartner
zu schützen. Sie sind nur wirksam, wenn sie in räumlicher, gegenständlicher
und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreiten (BGH,
Urteil vom 26. März 1984 - II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 5; Urteil vom 28. April 1986
- II ZR 254/85, ZIP 1986, 1056, 1057; Urteil vom 14. Juli 1986 - II ZR 296/85,
WM 1986, 1282; Urteil vom 16. Oktober 1989 - II ZR 2/89, ZIP 1990, 586, 588;
Urteil vom 14. Juli 1997 - II ZR 238/96, WM 1997, 1707, 1708; Urteil vom
30. November 2009 - II ZR 208/08, ZIP 2010, 324 Rn. 13; Beschluss vom 7. Juli
2008 - II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 Rn. 3; Urteil vom 20. Januar 2015
- II ZR 369/13, ZIP 2015, 472 Rn. 8). Ob ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot
diesen Anforderungen entspricht, ist aufgrund einer Abwägung der
beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des
Einzelfalls, insbesondere des mit dem Wettbewerbsverbot verfolgten Zwecks, zu
beurteilen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1986 - II ZR 296/85, WM 1986, 1282; Urteil
vom 30. November 2009 - II ZR 208/08, ZIP 2010, 324 Rn. 14).

Entgegen der Auffassung des Beklagten unterliegt das Wettbewerbsverbot
keiner Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt,
dass es sich bei dem Wettbewerbsverbot um eine Allgemeine Geschäftsbedingung
handelt. Dagegen hat sich der Beklagte nicht mit einer Verfahrensrüge
gewendet.

b) Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze die Wirksamkeit
des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots in § 6.3 des Anstellungsvertrags
bejaht. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird vom Beklagten auch
nicht angegriffen. Wäre es nicht wirksam, fehlte es von vornherein an einer Anspruchsgrundlage
für die Karenzentschädigung (vgl. BGH, Beschluss vom
7. Juli 2008 - II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 Rn. 4).

2. Auch der in § 6.6 vorgesehene rückwirkende Wegfall der Karenzentschädigung
belastet den Beklagten nicht unbillig.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats muss dem Geschäftsführer einer
GmbH, mit dem ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wird, keine
Karenzentschädigung versprochen und später gezahlt werden (BGH, Urteil vom
26. März 1984 - II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 3; Urteil vom 4. März 2002
- II ZR 77/00, ZIP 2002, 709, 710; Urteil vom 28. April 2008 - II ZR 11/07,
ZIP 2008, 1379 Rn. 6; Beschluss vom 7. Juli 2008 - II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719
Rn. 3, 5). Wird dennoch eine Entschädigung versprochen, können die Vertragsparteien
ihre Höhe frei vereinbaren (BGH, Urteil vom 28. April 2008 - II ZR 11/07,
ZIP 2008, 1379 Rn. 6). Dementsprechend kann auch der rückwirkende Wegfall
einer versprochenen Karenzentschädigung wirksam für den Fall vereinbart werden,
dass der Geschäftsführer gegen das Wettbewerbsverbot verstößt.

b) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist eine andere Beurteilung
hier nicht deshalb geboten, weil die Regelung keine "Konsequenz für das Wettbewerbsverbot
im Falle einer Pflichtverletzung der Klägerin statuiert". Insoweit
bleibt schon unklar, welche denkbare Pflichtverletzung der Klägerin im Gleichbehandlungsinteresse
sanktionierungsbedürftig sein soll. Ein Missverhältnis, das
dem, wie der Beklagte meint, zwischen § 75 Abs. 1 und Abs. 3 HGB bestehenden
(BAGE 29, 30) gleichkommt, ist nicht erkennbar.

c) Dem Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Karenzentschädigung
in § 6.3 des Anstellungsvertrags "erkennbar" als Einkommensersatzleistung
ausgestaltet sei, die ihm billigerweise nicht rückwirkend genommen
werden dürfe. Dem ist schon im Ausgangspunkt entgegenzuhalten, dass es der
Klägerin nach der Vertragsbestimmung erlaubt war, einseitig auf das Wettbewerbsverbot
zu verzichten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1992 - II ZR 140/91,
ZIP 1992, 543).

3. Davon abgesehen hat das Berufungsgericht, indem es isoliert den rückwirkenden
Wegfall der Karenzentschädigung für unwirksam erachtet hat, in der
Sache eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion des in § 6 Nr. 3 und 6 des
Anstellungsvertrags geregelten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots vorgenommen.

a) Dabei hat es zum einen verkannt, dass im Wege der geltungserhaltenden
Reduktion ausschließlich ein die zeitlichen Schranken übersteigendes Wettbewerbsverbot
auf das noch zu billigende zeitliche Maß zurückgeführt werden
kann (BGH, Urteil vom 28. April 1986 - II ZR 254/85, ZIP 1986, 1056; Urteil vom
29. Oktober 1990 - II ZR 241/89, WM 1990, 2121, 2122; Urteil vom 14. Juli 1997
- II ZR 238/96, WM 1997, 1707, 1708; Urteil vom 25. Oktober 2012 - VII ZR 56/11,
BGHZ 195, 207 Rn. 34). Bei einer nicht nur zeitlichen Überschreitung der zulässigen
Grenzen müsste das Gericht den übrigen Inhalt der Vereinbarung rechtsgestaltend
festlegen, was den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum überdehnt.
Zudem widerspricht eine weitergehende geltungserhaltende Reduktion
dem mit § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko der Nichtigkeit
ihrer Vereinbarung zuzuweisen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1997 - II ZR 238/96,
WM 1997, 1707, 1708; Urteil vom 25. Oktober 2012 - VII ZR 56/11, BGHZ 195,
207 Rn. 34).

b) Zum anderen wäre auch bei Nichtigkeit nur des rückwirkenden Wegfalls
der Karenzentschädigung entsprechend § 139 BGB im Zweifel auch das gesamte
nachvertragliche Wettbewerbsverbot hinfällig. Das Berufungsgericht hat
nicht festgestellt, dass die Parteien das Wettbewerbsverbot auch ohne die Verfallsregelung
vereinbart hätten. Eine Verfahrensrüge hat der Beklagte insoweit
nicht erhoben. Ein derartiger übereinstimmender Parteiwille ist auch nicht ohne
Weiteres anzunehmen, da die Klägerin, wie ausgeführt, ein solches Verbot
rechtswirksam auch ohne Zusage einer Karenzentschädigung hätte vereinbaren
können.

4. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Tätigkeit
des Beklagten für die C. gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot
verstieß. Die dagegen erhobenen Verfahrensrügen des Beklagten hat der Senat
geprüft und erachtet sie nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

5. Schließlich ist es der Klägerin auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich
auf rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigung zu berufen. Hierfür genügt
entgegen der Auffassung des Beklagten nicht, dass die Klägerin die monatlich
fälligen Entschädigungszahlungen nicht leistete. Allenfalls bei einer ernsthaften
und endgültigen Zahlungsverweigerung könnte davon gesprochen werden, dass
die Klägerin den Beklagten zur Aufnahme der Konkurrenztätigkeit "herausgefordert"
hat. Im Streitfall ist indes schon nicht festgestellt, dass der Beklagte die
Entschädigung eingefordert hat.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

23.04.2024

Aktenzeichen:

II ZR 99/22

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
AGB, Verbraucherschutz
GmbH
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB § 138; GmbHG § 6