BGH 08. Januar 2019
II ZR 364/18
AktG § 179a; GmbHG § 37 Abs. 1

Gesamtvermögensgeschäft einer GmbH im Liquidationsstadium; keine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die GmbH

AktG § 179a; GmbHG § 37 Abs. 1
Gesamtvermögensgeschäft einer GmbH im Liquidationsstadium; keine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die GmbH

a) § 179a AktG ist auf die GmbH nicht analog anwendbar.

b) Die Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH ist ein besonders bedeutsames Geschäft, zu dessen Vornahme der Geschäftsführer einen zustimmenden Beschluss der Gesellschafterversammlung herbeiführen muss, selbst wenn der Gesellschaftsvertrag einen entsprechenden Zustimmungsvorbehalt nicht enthält.

c) Missachtet der Geschäftsführer bei der Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH einen im Gesellschaftsvertrag geregelten oder aus der besonderen Bedeutsamkeit des Geschäfts abgeleiteten Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung, kann der Vertragspartner der GmbH aus dem formal durch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen herleiten, wenn er den Missbrauch der Vertretungsmacht kennt oder er sich ihm geradezu aufdrängen muss, selbst wenn das Geschäft der Gesellschaft nicht zum Nachteil gereicht.

BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18

Problem
Die Entscheidung des BGH befasst sich mit der Frage, ob zum Gesamtvermögensgeschäft einer GmbH ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist und welche Konsequenzen das Fehlen eines Beschlusses für den von der GmbH abgeschlossenen Vertrag hat.

Das Vermögen der betroffenen Zwei-Personen-GmbH bestand im Wesentlichen aus einem Betriebsgrundstück. Die Gesellschafter beschlossen die Auflösung der GmbH. Der Liquidator veräußerte das Betriebsgrundstück an einen Dritten. Der BGH musste klären, ob die Wirksamkeit des Vertrags einen Gesellschafterbeschluss verlangt hätte.

Entscheidung
Im ersten Teil der Entscheidung erörtert der BGH die Frage, ob der Vertrag über das Betriebsgrundstück gem. § 179a Abs. 1 S. 1 AktG analog unwirksam ist. Nach dieser Vorschrift bedarf ein Vertrag, durch den sich eine Aktiengesellschaft zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens verpflichtet, eines Beschlusses der Hauptversammlung. Ohne den Gesellschafterbeschluss ist der Vertrag schwebend unwirksam.

Entgegen der bisher ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum lehnt der BGH eine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die GmbH ab: Die Interessenlagen der Gesellschafter im Aktien- und GmbH-Recht seien nicht miteinander vergleichbar. In der GmbH hätten die Gesellschafter größere Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die Geschäftsführung. Dies zeige sich insbesondere im Weisungsrecht, in der Abberufungskompetenz und den Kontroll- und Informationsrechten (§§ 37 Abs. 1, 46 Nr. 5, 6 u. 8, 51a GmbHG). Mit der stärkeren Machtposition korrespondiere eine geringere Schutzbedürftigkeit der GmbH-Gesellschafter. Außerdem führe § 179a AktG zu einer systemfremden Beschränkung der Vertretungsmacht im Außenverhältnis und zu einer Beeinträchtigung des redlichen Rechtsverkehrs. Die Abwägung zwischen den Interessen von Gesellschaftern und redlichen Dritten falle zugunsten der Interessen des redlichen Dritten aus.

Der Geschäftsführer sei im GmbH-Recht unabhängig von einer analogen Anwendung des § 179a AktG verpflichtet, bei besonders bedeutsamen Geschäften die Zustimmung der Gesellschafterversammlung von sich aus einzuholen (vgl. § 49 Abs. 2 GmbHG). Die Gesellschafter seien zudem über das Rechtsinstitut des Missbrauchs der Vertretungsmacht im Außenverhältnis geschützt. Missachte der Geschäftsführer bei der Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einen im Gesellschaftsvertrag geregelten oder aus der besonderen Bedeutsamkeit des Geschäfts abgeleiteten Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung, so könne der Vertragspartner der GmbH aus dem Geschäft wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht u. U. keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen herleiten. Die Versagung des Verkehrsschutzes wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht setze nicht zusätzlich voraus, dass Geschäftsführer und Vertragspartner zum Nachteil der Gesellschaft handelten.

Bestehe ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung, so sei zusätzlich erforderlich, dass der Vertragspartner von der fehlenden Zustimmung Kenntnis habe oder dass sich ihm das Fehlen eines Zustimmungsbeschlusses aufdränge. Bei der Veräußerung eines Einzelgegenstands könne sich der Missbrauch aufdrängen, wenn der Vertragspartner erfahre, dass ein maßgebender Gesellschafter mit dem Geschäft nicht einverstanden sei. Der Gesellschafter könne das Vertrauen des Vertragspartners auf die unbeschränkte Vertretungsmacht des Geschäftsführers zerstören, indem er den vorgesehenen Vertragspartner darüber informiere, dass der für die Übertragung erforderliche Gesellschafterbeschluss fehle.

Im zweiten Teil der Entscheidung setzt sich der BGH mit der Frage auseinander, ob der Vertragsschluss durch den Liquidator im konkreten Fall wirksam ist: Die Vertretungsmacht des Liquidators sei unbeschränkt (§§ 71 Abs. 4, 37 Abs. 2 GmbHG). Vor der Durchführung einzelner Verwertungsmaßnahmen könne der Liquidator, ähnlich wie der Geschäftsführer der werbenden GmbH bei Vornahme besonders bedeutsamer Geschäfte, verpflichtet zur Einholung einer Gesellschafterentscheidung sein. Dies sei konkret der Fall gewesen. Maßgeblich sei damit, ob es sich dem Vertragspartner habe aufdrängen müssen, dass der Liquidator den Widerspruch seines Mitgesellschafters missachtet und ohne vorherige Einholung eines notwendigen Gesellschafterbeschlusses das Betriebsgrundstück an ihn verkauft habe. Für die entsprechenden Feststellungen verweist der BGH den Fall an das Berufungsgericht zurück.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

08.01.2019

Aktenzeichen:

II ZR 364/18

Rechtsgebiete:

Unternehmenskauf
Aktiengesellschaft (AG)
GmbH

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 68-69
RNotZ 2019, 397-407
ZNotP 2019, 201-212
NJW 2019, 1512-1519

Normen in Titel:

AktG § 179a; GmbHG § 37 Abs. 1