BGH 14. November 2022
NotSt(Brfg) 1/22
BNotO §§ 14 Abs. 3 S. 2, 18 Abs. 1

Anschein der Parteilichkeit des Notars bei Beurkundung eines Testaments

letzte Aktualisierung: 5.1.2023
BGH, Beschl. v. 14.11.2022 – NotSt(Brfg) 1/22

BNotO §§ 14 Abs. 3 S. 2, 18 Abs. 1
Anschein der Parteilichkeit des Notars bei Beurkundung eines Testaments

a) Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven, mit den konkreten Gegebenheiten vertrauten
Beobachters kann der böse Schein der Parteilichkeit entstehen, wenn der Notar aktiv an der
Entscheidungsfindung des Erblassers mitwirkt, dass ein Verein, in dem der Notar, dessen Ehefrau
und deren Kinder selbst Mitglieder sind, zum Erben eingesetzt wird.
b) Erhebliche Gefahren für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars können sich auch
aus Gründen ergeben, die weder § 3 BeurkG noch §§ 6,7 BeurkG unterfallen. Auch außerhalb
spezifischer Tätigkeitsverbote und -beschränkungen ist dem Notar in § 14 Abs. 3 S. 2 BNotO
auferlegt, jegliches Verhalten zu vermeiden, durch das der Anschein der Abhängigkeit oder der
Parteilichkeit entstehen könnte.

(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung der Beklagten in
Gestalt des Widerspruchsbescheids der Präsidentin des Oberlandesgerichts,
durch die wegen Verstoßes gegen seine Amtspflichten aus § 14 Abs. 1 und
Abs. 3 BNotO (unzulässige Aufspaltung von Angebot und Annahme in zwei Fällen),
§ 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO (Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit
und Parteilichkeit) und § 18 Abs. 1 BNotO (Verschwiegenheitspflicht) eine Geld-
Oberlandesgericht hat die
dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung hat es nicht zugelassen.
Der Kläger beantragt die Zulassung des Rechtsmittels.

II.
Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2, § 124
Abs. 2 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 2 BDG und § 105 BNotO) ist nicht gegeben

1. Es bestehen nach den dafür geltenden Maßgaben (dazu zuletzt Senat,
Beschluss vom 11. Juli 2022 - NotZ(Brfg) 3/22, WM 2022, 2097, Rn. 12 mwN)
keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung
(§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Zu Recht hat das Oberlandesgericht angenommen, dass der Kläger
durch die Beurkundung des Testaments des A. (nachfolgend: Erblasser) den Anschein
der Abhängigkeit und Parteilichkeit gesetzt hat. Soweit der Kläger eine
unzureichende Ermittlung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts
rügt, greift das nicht durch.

aa) Der Kläger meint, das Oberlandesgericht zitiere unrichtig und verfälschend
aus dem Protokoll der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht - Nachlassgericht
- vom 1. März 2018. Es lasse unberücksichtigt, dass der Kläger schriftsätzlich
Berichtigung dieses Protokolls beantragt und zudem erneut vor dem
Amtsgericht ausgesagt habe.

bb) Eine erhebliche Tatsachenfeststellung stellt der Kläger mit seinem
Vorbringen aber nicht in Frage. Auch seinen Vortrag in der Zulassungsbegründung
zugrunde gelegt, hatte der nach einem Schlaganfall an Sprachschwierigkeiten
leidende Erblasser, dessen Lebensgefährtin am 31. März 2017 durch einen
von ihm verschuldeten Unfall zu Tode gekommen war, sich vom Kläger bei
einem Gespräch über die Person des einzusetzenden Erben am 3. April 2017
verschiedene Organisationen und Stiftungen - darunter auch den als Erben eingesetzten
Verein - namentlich benennen lassen, wobei die Person des Erben bei
Beginn der Beurkundung am 6. April 2017 noch nicht feststand und handschriftlich
eingefügt wurde. Mitglieder des am 4. Dezember 2015 von 10 Personen gegründeten
Vereins waren der Kläger, seine Ehefrau und deren Söhne, wobei
diese 1. Vorsitzender und Schatzmeister des Vereins waren. Die Ehefrau des
Klägers war bis drei Wochen vor der Beurkundung als Schriftführerin tätig. Sitz
des Vereins war die Privatanschrift des Klägers und Mitgliederversammlungen
wurden mehrfach in der Kanzlei des Klägers abgehalten. Die Wertung des Oberlandesgerichts,
zwischen dem Verein und dem Kläger und seiner Familie habe
eine ganz besondere Nähe bestanden, und der Kläger habe sich mit dem Verein
in großem Maße identifiziert sowie an der Entscheidungsfindung des Erblassers
aktiv mitgewirkt, ist auf der Grundlage des vom Kläger selbst vorgetragenen
Sachverhalts auch nach Ansicht des Senats zutreffend. Die Annahme, dass aus
der maßgeblichen Sicht eines objektiven, mit den konkreten Gegebenheiten vertrauten
Beobachters (dazu BGH, Beschluss vom 22. März 2021 - NotSt(Brfg)
4/20, WM 2021, 1255 Rn. 6 mwN) der böse Schein der Abhängigkeit und Parteilichkeit
entstanden ist, ist daher nicht zu beanstanden.

b) Der Rüge des Klägers, das Oberlandesgericht habe den entscheidungserheblichen
Sachverhalt in Bezug auf die Verschwiegenheitspflicht unzutreffend
festgestellt, ist kein Erfolg beschieden. Der Kläger meint, das Oberlandesgericht
gehe unrichtig davon aus, Hintergrund für den vom Kläger erteilten
Auftrag an den Schriftsachverständigen vom 19. Dezember 2017 sei die in dem
Nachlassverfahren erhobene Behauptung gewesen, dass die Unterschrift unter
dem Testament nicht von dem Erblasser stammen könne. Richtig sei, dass der
Kläger den Auftrag erteilt habe, um sich gegen die Presseveröffentlichungen vom
16. und 18. Dezember 2017 zur Wehr zu setzen. Eine erhebliche Tatsachenfeststellung
stellt der Kläger mit diesem Vorbringen nicht in Frage. Das Oberlandesgericht
setzt sich mit dem Vortrag des Klägers, er habe sich veranlasst gesehen,
wegen der Presseveröffentlichungen seine Rechtsverteidigung vorzubereiten,
ausdrücklich auseinander. Es nimmt an, dass eine Wahrnehmung berechtigter
Interessen (§ 193 StGB) nicht in Betracht komme, weil eine Notwendigkeit zur
Offenbarung der von dem Kläger dem Schriftsachverständigen preisgegebenen
Information nicht bestanden habe. Dem tritt der Kläger nicht entgegen.

c) Aus den genannten Gründen ist eine Zulassung auch nicht wegen eines
vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO)
geboten.

2. Der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen
Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nach den dafür
geltenden Maßgaben (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 3/20, WM
2021, 1245 Rn. 17 mwN) nicht gegeben.

a) Der Kläger macht geltend, besonders schwierig sei die Frage, ob ein
Verstoß gegen § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO bejaht werden könne, auch wenn kein
Mitwirkungsverbot gemäß § 3 BeurkG, kein Ausschließungsgrund gemäß §§ 6,
7 BeurkG und zudem auch kein in den Richtlinien der zuständigen Notarkammer
geregelter Fall vorgelegen habe. Diese Frage stellt sich so indes nicht.
aa) Wie der Senat bereits entschieden hat (Senat, Beschluss vom 13. November
2017 - NotSt(Brfg) 3/17, BGHZ 216, 368 Rn. 25 f. mwN), können sich
erhebliche Gefahren für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notars auch
aus anderen, nicht durch besondere Tätigkeitsbeschränkungen erfassten Gründen
ergeben. Aus dem Vorhandensein spezifischer, jeweils der Sicherung der
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit notarieller Tätigkeit dienender gesetzlicher
Regelungen in Gestalt von Tätigkeitsbeschränkungen kann daher nicht rückgeschlossen
werden, von solchen ausdrücklichen Beschränkungen nicht erfasste
Verhaltensweisen bei der Ausübung der notariellen Amtstätigkeit seien mit der
allgemeinen Pflicht zu unabhängiger und unparteilicher Amtsführung von vornherein
vereinbar. Der Gesetzgeber hat durch das Anscheinsverbot in § 14 Abs. 3
Satz 2 BNotO dem Notar auch außerhalb von spezifischen Tätigkeitsverboten
und -beschränkungen auferlegt, jegliches Verhalten zu vermeiden, durch das der
Anschein der Abhängigkeit oder der Parteilichkeit entstehen könnte. Bei der
Frage, ob aus der maßgeblichen Sicht des objektiven, mit den konkreten Gegebenheiten
vertrauten Beobachters ein solcher Anschein entstehen kann, sind allerdings
die in die gesetzlichen Tätigkeitsverbote und -beschränkungen eingeflossenen
gesetzgeberischen Wertungen über die mit der fraglichen Tätigkeit generell
verbundenen Gefahren für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des
Notars zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. September 2003
- 1 BvR 1717/00, DNotZ 2003, 65, 67). Darüber hinaus fließen in die aus dem
Anscheinsverbot folgenden Verhaltensanforderungen Konkretisierungen durch
die jeweiligen Richtlinien der Notarkammern ein.

bb) Zutreffend hat das Oberlandesgericht in Anwendung dieser Grundsätze
angenommen, dass Nummer II. Satz 1 der Richtlinien der zuständigen
Notarkammer, wonach der Notar das Beurkundungsverfahren so zu gestalten
hat, dass die vom Gesetz mit dem Beurkundungserfordernis verfolgten Zwecke
erreicht werden, insbesondere die Schutz- und Belehrungsfunktion der Beurkundung
gewahrt und der Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit vermieden
wird, eine solche Konkretisierung enthält. Im Hinblick auf die Vielzahl der Fallgestaltungen,
in denen der Anschein der Abhängigkeit und Parteilichkeit entstehen
kann, ist eine darüberhinausgehende Konkretisierung weder möglich noch geboten.
§ 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO in Verbindung mit Nummer II. Satz 1 der Richtlinie
lässt sich vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Bestrebens, die Unabhängigkeit
des Notaramts so weit wie irgend möglich zu sichern und jeder Beeinflussung
der Unparteilichkeit durch wirtschaftliche Interessen entgegenzuwirken (zur
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit als Fundament des Notarberufs Senat, Beschluss
vom 13. November 2017, aaO Rn. 25), mit ausreichender Klarheit entnehmen,
welche Verhaltensweisen dem Anscheinsverbot unterfallen. Im vorliegenden
Fall bestehen angesichts der festgestellten Umstände - insbesondere der
großen Nähe zwischen dem Verein und dem Notar sowie dessen Familie, der
geringen Mitgliederzahl des erst 16 Monate vor der Beurkundung gegründeten
Vereins, der Aufgabe des die Beurkundung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 6 BeurkG hindernden
Amts der Schriftführerin durch die Ehefrau des Notars lediglich drei Wochen
vor der Beurkundung wie auch der persönlichen und gesundheitlichen Verfassung
des Erblassers nach einem Schlaganfall und dem wenige Tage zuvor
von ihm verschuldeten Tod seiner Lebensgefährtin und der Höhe seines Vermögens
- keine Zweifel, dass für einen objektiven Beobachter der Anschein der Abhängigkeit
und Parteilichkeit entstehen musste. Aus diesem Grund stehen auch
die gesetzgeberischen Wertungen der §§ 3, 6 und 7 BeurkG der Annahme eines
Verstoßes gegen § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO nicht entgegen.

b) Der Kläger macht ferner geltend, der ihm gegenüber erhobene Vorwurf
der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht des § 18 Abs. 1 BNotO weise besondere
Schwierigkeiten auf. Er habe den Schriftsachverständigen nur zur
Rechtsverteidigung gegen die Presseveröffentlichungen beauftragt, wobei lediglich
Einzelheiten erkennbar geworden seien, aus denen auf Beteiligte habe geschlossen
werden können. Damit zeigt der Kläger indes besondere Schwierigkeiten
im obigen Sinn nicht auf. Der Annahme des Oberlandesgerichts, dass eine
Notwendigkeit zur Offenbarung der von dem Kläger dem Schriftsachverständigen
preisgegebenen Information nicht bestanden habe, tritt der Kläger - wie bereits
ausgeführt - nicht entgegen.

3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO). Wie sich aus den obigen Ausführungen zu 2. ergibt, liegen die dafür
bestehenden Voraussetzungen (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg)
3/20, WM 2021, 1245 Rn. 18 mwN) im Hinblick auf die von dem Kläger als grundsätzlich
angesehene Rechtsfrage, ob die unmittelbare Anwendung der Generalklausel
des § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO ohne weitere konkretisierende Richtlinien
der zuständigen Notarkammer zulässig sei, nicht vor. Aus dem gleichen Grund
ist auch die von dem Kläger gerügte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) nicht
gegeben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 BNotO, § 77 Abs. 1 BDG
i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Wertfestsetzung ist nicht veranlasst (§ 109
BNotO, § 78 Satz 1 BDG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

14.11.2022

Aktenzeichen:

NotSt(Brfg) 1/22

Rechtsgebiete:

Notarielles Berufsrecht
Beurkundungsverfahren

Normen in Titel:

BNotO §§ 14 Abs. 3 S. 2, 18 Abs. 1