BGH 28. September 2023
IX ZA 14/23
InsO §§ 83, 84; BGB §§ 1954, 1956

Insolvenzschuldner als Miterbe einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft; Erbauseinandersetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens; Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nur durch den Insolvenzschuldner

letzte Aktualisierung: 22.2.2024
BGH, Beschl. v. 28.9.2023 – IX ZA 14/23

InsO §§ 83, 84; BGB §§ 1954, 1956
Insolvenzschuldner als Miterbe einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft;
Erbauseinandersetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens; Anfechtung der Versäumung
der Ausschlagungsfrist nur durch den Insolvenzschuldner

1. Ist der Schuldner Miterbe in einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft, erfolgt die
Auseinandersetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuchs.
2. Ist dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Erbschaft angefallen oder
geschieht dies während des Verfahrens, so steht neben der Annahme oder Ausschlagung der
Erbschaft auch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nur dem Schuldner zu.

Gründe:

I.
Der Kläger begehrt als Treuhänder in dem Insolvenzverfahren über das
Vermögen der G. L. (nachfolgend: Schuldnerin) die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für die vom Berufungsgericht zugelassene Revision.
Die Beklagte ist die Ehefrau des im Juli 2013 verstorbenen Erblassers. Die
Schuldnerin ist die Tochter des Erblassers aus erster Ehe. Über das Vermögen
der Schuldnerin wurde am 22. Juli 2010 das Insolvenzverfahren eröffnet und der
Kläger nach § 313 InsO in der damals geltenden Fassung des Gesetzes vom
26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710, 2713) zum Treuhänder bestellt. Am 13. September
2016 wurde der Schuldnerin die beantragte Restschuldbefreiung erteilt.

Nach dem Tod des Erblassers trat zunächst die gesetzliche Erbfolge ein,
nachdem die Erbinnen die Frist für die Ausschlagung der Erbschaft hatten verstreichen
lassen. Im März 2016 stellte das Finanzamt gegen die Erbinnen Steu-
Diese
Verbindlichkeiten überstiegen den Wert der Aktiva des Nachlasses. In der Folge
erklärte die Schuldnerin gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung der Versäumung
der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums über die Existenz der Steuerverbindlichkeiten.
Der Kläger begehrt im Rahmen einer Erbenfeststellungsklage die Feststellung,
dass die Schuldnerin Erbin mit einem Erbanteil zu ¾ geworden sei, weil sie
die Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht wirksam habe anfechten können.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung ist ohne Erfolg geblieben.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen zur Klärung der Frage,
ob eine Nachlassverbindlichkeit bei Insolvenz des Erben als Neuverbindlichkeit,
Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu qualifizieren ist. Der Kläger begehrt
nun, ihm Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Revision zu bewilligen.

II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet,
§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision wäre
durch Beschluss nach § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Unbeschadet der Bindung des Revisionsgerichts an die Zulassung der Revision
durch das Berufungsgericht nach § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Revi-
sion nach § 552a Satz 1 ZPO zurückgewiesen werden, wenn ein Zulassungsgrund
nachträglich weggefallen ist oder von vornherein nicht gegeben war und
die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

1. Ein Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

a) Die Zulassung der Revision kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsfrage,
wegen der die Zulassung erfolgen soll, entscheidungserheblich ist (BGH,
Beschluss vom 7. Januar 2003 - X ZR 82/02, NJW 2003, 1125, 1126). Daran fehlt
es hier.

Die vom Berufungsgericht herausgearbeitete streitige Rechtsfrage, ob
eine Nachlassverbindlichkeit bei Insolvenz des Erben als Neuverbindlichkeit,
Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu qualifizieren ist, muss - auch
nach eigener Auffassung des Berufungsgerichts - im anhängigen Rechtsstreit
nicht entschieden werden. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass
sich die Frage nicht stellt, wenn der Schuldner, wie hier, Miterbe in einer nicht
auseinandergesetzten Erbengemeinschaft ist.

Miterben erwerben den Nachlass zur gesamten Hand mit der Folge, dass
ein Miterbe bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft über seinen Anteil
an den Nachlassgegenständen nicht verfügen kann, §§ 2032, 2033 Abs. 2
BGB. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft richtet sich nach
§§ 2042 ff BGB. Im Zuge der Auseinandersetzung sind gemäß § 2046 Abs. 1
Satz 1 BGB aus dem Nachlass zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen.
Dies gilt auch im Fall der Insolvenz eines der Miterben, wie durch § 84
Abs. 1 Satz 1 InsO, der nach einhelliger Auffassung auch für die Erbengemeinschaft
gilt (Jaeger/Eckardt, InsO, § 84 Rn. 29; MünchKomm-InsO/Gehrlein,
4. Aufl., § 84 Rn. 17; HK-InsO/Kayser, 11. Aufl., § 84 Rn. 18; Lüke in Kübler/Prütting/
Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 84 Rn. 25), klargestellt wird.

§ 84 Abs. 1 Satz 1 InsO trägt dem Umstand Rechnung, dass das Insolvenzverfahren
nur das Vermögen des Schuldners einschließlich des Neuerwerbs
erfasst. Besteht zwischen dem Schuldner und Dritten eine Gemeinschaft nach
Bruchteilen, eine andere Gemeinschaft oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit,
so fällt nur der ideelle Anteil des Schuldners an der Gemeinschaft
oder Gesellschaft in die Insolvenzmasse, nicht aber das Vermögen selbst (vgl.
BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206 Rn. 20).
Denn Anteile an den einzelnen Gegenständen des Gesamthandsvermögens sind
rechtlich nicht verselbständigungsfähig. § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO verweist den
Insolvenzverwalter auf die Teilung und sonstige Auseinandersetzung nach den
Regeln der entsprechenden Gemeinschaft. Erst nach der Auseinandersetzung
der Gesamthandsgemeinschaft hört das vormalige Gesamthandsvermögen als
Sondervermögen auf zu existieren. Der Insolvenzmasse steht dann nur das auf
den Schuldner entfallende Auseinandersetzungsguthaben zur Verfügung (Jaeger/
Eckardt, InsO, § 84 Rn. 29; HK-InsO/Kayser, 11. Aufl., § 84 Rn. 1; Lüke in
Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 84 Rn. 38; vgl. auch BGH, Urteil vom
14. Dezember 2006, aaO Rn. 21).

Die hier maßgeblichen Fragen zu § 84 InsO sind in der Rechtsprechung
des Senats bereits geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR
194/05, BGHZ 170, 226 zur Auseinandersetzung einer ARGE), so dass auch insoweit
eine Zulassung der Revision nicht erforderlich ist.

b) Die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Insolvenzschuldner
zur Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nach §§ 1956, 1954
BGB berechtigt ist, erfordert ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Die
Frage wird in der Literatur und Rechtsprechung nicht streitig diskutiert; ihre Beantwortung
ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Nach dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO steht zwar ausdrücklich
nur die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft dem Schuldner zu. Die Vorschrift
erfasst aber gleichermaßen die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist
nach §§ 1956, 1954 BGB. Dies folgt schon daraus, dass die Anfechtung
der Versäumung der Ausschlagungsfrist gemäß § 1957 Abs. 1 BGB als
Ausschlagung der Erbschaft gilt. Der Zweck des § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO, dem
Schuldner wegen der höchstpersönlichen Natur des Rechts über die Ausschlagung
oder Annahme der Erbschaft die Entscheidung und Ausübung dieser
Rechtsakte vorzubehalten (MünchKomm-InsO/Schumann, 4. Aufl., § 83 Rn. 1;
HK-InsO/Kayser, 11. Aufl., § 83 Rn. 6), kann nur erreicht werden, wenn auch die
Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist von dem Anwendungsbereich
der Norm erfasst wird.

2. Die beabsichtigte Revision hätte auch keine Aussicht auf Erfolg, weil
sich die Entscheidung des Berufungsgerichts, wie sich aus den vorstehenden
Ausführungen ergibt, im Ergebnis als richtig erweist.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

28.09.2023

Aktenzeichen:

IX ZA 14/23

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Erbteilsveräußerung
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Insolvenzrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

InsO §§ 83, 84; BGB §§ 1954, 1956