Fristbeginn bei Ausübung des Vorkaufsrechts und Verhältnis zur Präzisierung von Sanierungszielen
letzte Aktualisierung: 26.1.2022
VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 30.9.2021 – 3 S 2595/20
BauGB §§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 u. Abs. 3 S. 1, 28 Abs. 2 S. 1, 144, 145 Abs. 1 S. 1
Fristbeginn bei Ausübung des Vorkaufsrechts und Verhältnis zur Präzisierung von
Sanierungszielen
1. Die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts nach
wenn der Gemeinde alle Wirksamkeitsvoraussetzungen, insbesondere auch die Erteilung der
erforderlichen sanierungsrechtlichen Genehmigung oder der Eintritt der Genehmigungsfiktion,
durch den Verkäufer oder Käufer mitgeteilt worden sind. Dies gilt aus Gründen der
Rechtssicherheit auch dann, wenn bei kleineren Gemeinden alle maßgeblichen Informationen
vorhanden sind oder die Zuständigkeiten in einer Hand liegen (wie VGH Baden-Württemberg, Urt.
v. 01.03.1996 – 3 S 13/94).
2. Der mit der Vorkaufsrechtsausübung verbundene Eingriff in die Privatautonomie kann es
erfordern, zum Ausübungszeitpunkt höhere Anforderungen an die Präzisierung der Sanierungsziele
zu stellen als bei Erlass der Sanierungssatzung. Der Gemeinderatsbeschluss über die Ausübung des
Vorkaufsrechts ersetzt nicht ohne weiteres die Willensbildung der Gemeinde über die
Fortschreibung und Konkretisierung der Sanierungsziele, auch wenn beide Entscheidungen
zeitgleich ergehen können.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch Senatsbeschluss vom 25.08 2020 statthaft und auch
sonst zulässig, insbesondere rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des
worden.
II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage der Kläger zu Recht
stattgegeben.
1. Die Anfechtungsklage der Kläger ist zulässig; insbesondere sind die Kläger als Adressaten eines
belastenden privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts klagebefugt i. S. des
Beschl. v. 30.11.2009 - 4 B 52/09 -, juris Rn. 5).
2. Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2017 und der
Widerspruchsbescheid des Main-Tauber-Kreises vom 28.06.2017 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Es kann dahinstehen, ob der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufrechts an einem Verfahrensfehler
leidet, weil den Klägern keine weitere Akteneinsicht gewährt wurde.
Die Kläger haben allerdings im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein per Fax übersandtes Schreiben ihres
Prozessbevollmächtigten an die Beklagte vom 22.02.2017 einschließlich Sendeprotokoll vorgelegt, in dem sie
um Übersendung der Voruntersuchungsbericht der STEG bitten, da sich hieraus noch weitere Erkenntnisse für
die Anhörung und für die Abgrenzung des Sanierungsgebiets ergeben könnten, sowie eine weitere
Stellungnahme angekündigt. Dieses Schreiben befindet sich nicht bei den Originalakten der Beklagten; der
Zugang wird von ihr bestritten. Bei der Übermittlung einer Telefaxnachricht stellt das Vorliegen eines
„OK“-Vermerks im Sendebericht zwar keinen Beweis, aber ein gewichtiges Indiz für dessen Zugang dar. Der
Empfänger ist daher gehalten, substantiiert - etwa durch Vorlage eines Fax-Eingangsjournals - darzulegen,
dass er das Telefax nicht erhalten hat (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 01.02.2013 - 2 U 1249/11 -, juris m.w.N. zur
Rspr. des BGH). Der Senat neigt zudem zu der Auffassung, dass der Voruntersuchungsbericht als Bestandteil
der Satzung zum Inhalt der Akten in materieller Hinsicht gehörte und dass eine Heilung, wie sie in
entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG grundsätzlich möglich ist, vorliegend nicht ohne
weiteres angenommen werden kann.
b) Diese Fragen können jedoch offen bleiben, weil die angefochtenen Bescheide an materiellen Rechtsfehlern
leiden.
Maßgeblich für die Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl.
OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 29.01.2009 - 1 LA 117/08 -, juris Rn. 15), hier also des
Widerspruchbescheids vom 28.06.2017.
aa) Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht zu beim Kauf von
Grundstücken in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet. Das streitgegenständliche Grundstück liegt im
förmlich festgelegten Sanierungsgebiet „Ortskern III“ der Beklagten. Bedenken gegen die Wirksamkeit der
Sanierungssatzung sind nicht geltend gemacht und auch sonst nicht ersichtlich.
bb) Die Beklagte hat das Vorkaufsrecht mit Bescheiden vom 05.04.2017 gegenüber den Beigeladenen als
Verkäufern (ebenso wie gegenüber den Klägern als Käufern) fristgemäß ausgeübt.
Nach
Vorkaufsrecht nur binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags durch Verwaltungsakt gegenüber dem
Verkäufer ausgeübt werden. Diese Frist beginnt mit der Mitteilung des Inhalts des Kaufvertrags im Sinne des §
28 Abs. 1 Satz 1 BauGB an die Gemeinde durch den Verkäufer oder den Käufer. Der Gemeinde ist der Inhalt
des Vertrags unter Hinweis auf das Vorkaufsrecht und den Zweck der Vorlage mitzuteilen. Mitzuteilen sind auch
alle Wirksamkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Erteilung der nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 3 BauGB
erforderlichen sanierungsrechtlichen Genehmigung. Wird ein noch genehmigungsbedürftiger Kaufvertrag
übersandt, muss zu gegebener Zeit die Erteilung der Genehmigung oder der Eintritt der Genehmigungsfiktion
nach § 145 Abs. 1 Satz 1 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB mitgeteilt werden; erst dann beginnt die Frist
zu laufen. Dies gilt entgegen der Auffassung der Kläger auch dann, wenn die für die Erteilung der
Genehmigung zuständige Behörde eine Dienststelle der vorkaufsberechtigten Gemeinde ist, da diese insoweit
keine eigenen Ermittlungen anzustellen braucht (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urt. vom
01.03.1996 - 3 S 13/94 -, juris Rn. 34 ff.; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 27.05.2008 - 1 ME 77/08 -, juris Rn.
5).
Der Umstand, dass die Beklagte eine kleine Kommune ist und mit der Übersendung des notariellen Vertrags
über alle Umstände informiert war, die für die Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung und für die
Ausübung des Vorkaufsrechts von Belang waren, macht eine Mitteilung der Genehmigung bzw. der
Genehmigungsfiktion nicht entbehrlich. Da durch die Mitteilung des Inhalts des Kaufvertrags eine
Ausschlussfrist in Gang gesetzt wird, sind insoweit aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
strenge Anforderungen zu stellen. Damit wäre es aber nicht vereinbar, wenn von der für die Bearbeitung der
Vorkaufsrechtsfälle zuständigen Stelle verlangt würde, dass sie den Vorgang aktenmäßig unter Kontrolle hält
und von sich aus Erhebungen darüber anstellt, ob die - ggf. von anderen Dienststellen zu erteilenden -
Genehmigungen ausgesprochen oder fingiert worden sind. Vielmehr hat das Gesetz dem Verkäufer bzw. Käufer
die Verantwortung für die Mitteilung der für die Ausübung des Vorkaufsrechts erforderlichen Voraussetzungen
auferlegt, wozu auch die Mitteilung der zur Wirksamkeit des Vertrags erforderlichen Genehmigungen gehört.
Solange der Kaufvertrag noch schwebend unwirksam ist, beginnt die Frist mithin nicht zu laufen (VGH Baden-
Württemberg, Urt. v. 01.03.1996 - 3 S 13/94 -, juris Rn. 36; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger,
BauGB, Stand Mai 2021, § 28 Rn. 27 m.w.N.).
Daraus folgt, dass die vom Notariat in Auftrag der Vertragsparteien am 21.12.2016 vorgenommene
Übersendung des Vertrags an die Beklagte nicht geeignet war, die Frist des § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB
auszulösen. Denn der Vertrag war damals mangels Vorliegens der sanierungsrechtlichen Genehmigung (§ 144
Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 BauGB) noch nicht wirksam. Die Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung
kann auch nicht in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 Nr. 1 BauGB als entbehrlich angesehen
werden (vgl. dazu im Einzelnen VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 01.03.1996 - 3 S 13/94 - juris Rn. 27 ff.).
Auf die umstrittene Frage, ob die Gemeinde bei einem schwebend unwirksamen Vertrag das Vorkaufsrecht
bereits ausüben darf (bejahend Stock a.a.O. § 28 Rn. 27 mit Nachweisen zur Rspr. des BGH; a.A. noch
Senatsurteil vom 01.03.1996 - 3 S 13/94 - juris Rn. 27 ff.), kommt es vorliegend nicht an. Im Zeitpunkt der
Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Beklagte mit Bescheiden vom 05.04.2017 war bereits die
Genehmigungsfiktion nach § 145 Abs. 1 Satz 1 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB eingetreten. Darüber
hinaus war die sanierungsrechtliche Genehmigung am 22.02.2017 nochmals ausdrücklich erteilt worden.
cc) Die Beklagte war aber nicht nach § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB zur Ausübung des Vorkaufsrechts berechtigt.
Nach dieser Regelung darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies
rechtfertigt.
(1) Der Begriff des Wohls der Allgemeinheit ist ähnlich wie im Bereich des verfassungsrechtlichen
Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 2 und 3 GG) und den speziellen Enteignungsvorschriften (§ 87 Abs. 1 BauGB)
nicht mit dem Begriff des öffentlichen Interesses gleichzusetzen. Erst ein qualifiziertes, sachlich objektiv
öffentliches Interesse als Ergebnis einer Abwägung der im Einzelfall miteinander in Widerstreit stehenden
privaten und öffentlichen Interessen kann mit dem Wohl der Allgemeinheit identifiziert werden. An die Ausübung
des Vorkaufsrechts werden jedoch gegenüber einer Enteignung, die nur zulässig ist, wenn das Wohl der
Allgemeinheit diese erfordert, qualitativ geringere Anforderungen gestellt. Es genügt, wenn der Erwerb des
Grundstücks im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen zu den vom Gesetzgeber gebilligten
bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile
für die Allgemeinheit angestrebt werden. Das Vorliegen dieser Voraussetzung unterliegt im vollen Umfang der
gerichtlichen Nachprüfung und richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
In förmlich festgesetzten Sanierungsgebieten muss sich die Ausübung des Vorkaufsrechts grundsätzlich an den
konkreten Erfordernissen der Sanierung orientieren. Die Sanierungsziele müssen dabei nicht in der
Sanierungssatzung selbst festgelegt sein. Sie können sich auch aus ihrer Begründung, aber auch aus den
Ergebnissen der vorbereitenden Untersuchungen ergeben. An die Konkretisierung dieser Ziele dürfen dabei bei
Erlass der Sanierungssatzung nur relativ geringe Anforderungen gestellt werden. Doch werden die
Anforderungen mit fortschreitendem Sanierungsverfahren höher. Die erforderliche Konkretisierung kann
insbesondere in einem Sanierungsbebauungsplan, einem sonstigen Bebauungsplan oder sogar durch eine
informelle städtebauliche Planung erfolgen. Ist dies geschehen, können die Sanierungsziele auch nach einem
längeren Zeitraum die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschl. v.
15.02.1990 - 4 B 245/89 -,
BVerwG, Urt. v. 04.03.1999 - 4 C 8/98 -,
1881/86 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.09.2019 - 5 S 1733/17 -, juris; Bayerischer VGH, Urt. v.
02.10.2013 - 1 BV 11.1944 -, juris; Bayerischer VGH, Urt. v. 06.02.2014 - 2 B 13.2570 -, juris Rn. 16 f.; jeweils
m.w.N.).
In diesem Zusammenhang ist ferner zu beachten, dass zwischen der Regelung des § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB,
wonach das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden darf, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt, und
den in
der in
Allgemeinwohl die Ausübung des Vorkaufsrechts typischerweise nicht rechtfertigt. Er bietet für die Anwendung
des § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB ebenfalls einen gewichtigen Orientierungspunkt (VGH Baden-Württemberg, Urt. v.
01.03.1996 - 3 S 13/94 -, juris Rn. 43 f., m.w.N.).
(2) Der Ausschlusstatbestand des § 26 Nr. 4 2. Alternative BauGB liegt nicht vor, wie die Kläger in der Sache
einräumen. Danach ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend
den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und keine städtebaulichen
Missstände oder Mängel im Sinne des
ob derartige Missstände oder Mängel vorliegen. Denn der Ausschlusstatbestand setzt voraus, dass sowohl die
Nutzungsabsichten der Eigentümer des Kaufgrundstücks als auch die Zielvorstellungen und Zwecke der
Sanierungsmaßnahme hinreichend präzisiert und konkretisiert worden sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt.
v. 01.03.1996 - 3 S 13/94 -, juris Rn. 46 ff.). Das ist vorliegend noch nicht der Fall (dazu sogleich).
(3) Der Voruntersuchungsbericht der STEG schlägt die Erhaltung und Instandsetzung der Wohngebäude auf
dem Kaufgrundstück vor. Stellplätze sind im hier in Rede stehenden Bereich des Ortskerns nicht vorgesehen.
Auch sonst wird ein Mangel an Parkplätzen im Ortskern nicht als städtebaulicher Missstand aufgezeigt; die
Schaffung von Parkplätzen wird auch nicht als Mittel zur Behebung anderer Missstände oder zur Verwirklichung
der Sanierungsziele empfohlen.
Die Beklagte weist aber zutreffend darauf hin, dass es sich bei den Voruntersuchungen und dem von der STEG
darin entwickelten Neuordnungskonzept um eine erste Zielvorgabe handelt. Der Gemeinderat der Beklagten hat
sich im Beschluss vom 21.07.2011 lediglich auf die allgemeinen grundsätzlichen Sanierungsziele bezogen.
Dass er sich bereits die parzellenscharfen und standortbezogenen Nutzungsvorschläge der STEG zu eigen
gemacht hat, ist nicht erkennbar und würde die Bedeutung und Bindungswirkung des Neuordnungskonzepts
überspannen. Die Gemeinde darf und muss die Sanierungsziele im Verlauf des Sanierungsverfahrens
präzisieren und fortentwickeln; sie darf auch auf eventuell neu eingetretene städtebauliche Missstände
reagieren und neue Sanierungsziele entwickeln. Dies beinhaltet, dass für einzelne Grundstücke auch von der
ursprünglichen Zielvorstellung abweichende Nutzungszwecke verfolgt werden dürfen.
(4) Allerdings muss eine solche Fortentwicklung in irgendeiner Weise planerisch formuliert sein. Vorliegend ist
nicht erkennbar, dass die Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung das
Nutzungskonzept in einer Weise fortgeschrieben und konkretisiert hatte, die die Ausübung des Vorkaufsrechts
zur Verwendung des Grundstücks als Parkplatz rechtfertigt.
Förmliche, das Kaufgrundstück betreffende Planungen wie etwa ein Bebauungsplan lagen im maßgeblichen
Zeitpunkt nicht vor. Auch vom Gemeinderat beschlossene informelle Planungen sind nicht ersichtlich. Die 1.
Fortschreibung des Neuordnungskonzepts vom 19.09.2017, in der auf dem umstrittenen Grundstück ein
Parkplatz ausgewiesen wird, wurde erst im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom Gemeinderat
beschlossen. Es mag sein, dass - wie die Beklagte geltend macht - eine solche Fortschreibung durch ein
Planungsbüro in der Praxis nur eine bereits erfolgte Willensbildung der Gemeinde nachvollzieht und umsetzt.
Dass vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt eine solche Konkretisierung der Sanierungsziele durch den
Gemeinderat der Beklagten erfolgt war, vermag der Senat aber nicht zu erkennen.
Entgegen dem Vortrag der Beklagten ergibt sich aus dem Gemeinderatsbeschluss über die Errichtung des
Kulturkellers keine Konkretisierung der Sanierungsziele dahingehend, dass die Schaffung zusätzlicher
Parkplätze im Ortskern erfolgen soll. Aus der von der Beklagten vorgelegten Niederschrift über die
Gemeinderatssitzung vom 21.07.2016, in der das Bauvorhaben „Sanierung des Gewölbekellers der
Zehntscheune und Nutzungsänderung zu einem Kulturkeller“ vorgestellt und beschlossen wurde, wurde die
Schaffung zusätzlichen Parkraums nicht thematisiert. Der in der Sitzung anwesende Architekt erklärte vielmehr,
dass Parkplätze in der Burgstraße vorhanden seien, von der eine direkte Verbindung über eine Treppe zum
Kulturhaus bestehe. Weitere Parkmöglichkeiten bestünden am Friedhof, in der Harthäuser Straße und im
Bereich der Kirche. Der Ortsvorsteher mahnte eine gute Beschilderung der bestehenden Parkmöglichkeiten an.
Lediglich einer der Gemeinderäte sah größere Probleme in der Parkplatzsituation; ein weiterer Gemeinderat
regte ein Parkleitsystem an (S. 5 f.). Eine Beschlussfassung über die Errichtung weiterer Parkplätze im
Zusammenhang mit der Stärkung und Belebung der Ortsmitte durch Einrichtung des Kulturkellers erfolgte nicht;
noch weniger sind konkrete standortbezogene Aussagen im Hinblick auf das Kaufgrundstück gemacht worden.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Schaffung von Parkplätzen für die Nutzung des Kulturkellers lediglich im
Hinblick auf die - jetzt wegfallenden - Stellplätze auf dem Möhlerplatz als entbehrlich angesehen wurde; auf den
Möhlerplatz wurde in der Diskussion nicht Bezug genommen.
Dass weitere Gemeinderatsbeschlüsse betreffend die sanierungsrechtliche Neuordnung des Gemeindegebiets
vor der Ausübung des Vorkaufsrechts gefasst wurden, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Der Gemeinderatsbeschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts als solcher vermag die Fortschreibung des
Sanierungskonzepts im vorliegenden Fall nicht zu ersetzen. Zwar muss es infolge der kurzen Ausübungsfrist
entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zulässig sein, die Sanierungsziele noch im Zeitpunkt des
Ausübungsbeschlusses zu konkretisieren. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass eine Fortschreibung ohne
weiteres noch im Laufe der Ausübungsfrist erfolgen könnte, erscheint aus den von der Beklagten dargelegten
Gründen nicht praktikabel. Allerdings ist geklärt, dass der Kern der Sanierungsziele von der
Gemeindevertretung beschlossen werden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.01.1982 - 4 C 94.72 - juris Rn. 35;
Bayerischer VGH, Beschl. v. 17.12.1979 - 14 N 838/79 -
Ziele und Zwecke der Sanierung nach § 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB von einer sachgerechten Abwägung
getragen sein muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.5.2006 - 4 C 9.04 -, juris Rn. 25). Damit genügt die bloße
Vorstellung geplanter oder möglicher Maßnahmen oder die bloße Information des Gemeinderats nicht für eine
Festlegung, Änderung oder hinreichende Konkretisierung der Sanierungsziele (Bayerischer VGH, Beschl. v.
30.07.2018 - 9 ZB 16.1068 -, juris Rn. 11, 20).
Nach der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung vom 16.03.2017, in der die Ausübung des Vorkaufsrechts
beschlossen wurde, ist nicht erkennbar, dass der Gemeinderat zugleich über den sanierungsrechtlichen
Verwendungszweck des Kaufgrundstücks beschließen und damit konkludent das Sanierungskonzept
fortschreiben und präzisieren wollte. Ausweislich des Gemeinderatsprotokolls ging die Beklagte offenbar im
Vorfeld des Kaufvertrages schon davon aus, dass ihr ein Vorkaufsrecht ohne weiteres zusteht. Dem
Gemeinderat wurde die Verwendung des Grundstücks als Parkplatz als (offenbar an anderer Stelle
beschlossene) Absicht der Gemeinde durch die Verwaltungsvorlage vorgestellt. Es ist nicht ersichtlich, dass
sich der Gemeinderat der Beklagten bewusst war, dass die Errichtung eines Parkplatzes auf dem Grundstück
nicht im Einklang mit den standortbezogenen Vorschlägen des bisherigen Neuordnungskonzepts von 2011
steht und insoweit eine Änderung bzw. Präzisierung in Rede steht. Allein der von der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung geltend gemachte Umstand, dass der Gemeinderat die Ausübung des Vorkaufsrechts
nicht beschlossen hätte, wenn er keinen Parkplatz auf dem Kaufgrundstück gewollt hätte, vermag eine - auch
informelle - planerische Formulierung der Fortschreibung nicht zu ersetzen. Auch die Verwendung des Begriffs
„Absicht“ genügt nicht den Anforderungen an eine Konkretisierung der Sanierungsziele. Denn der Beschluss
über die Festlegung bzw. Konkretisierung der Ziele und Zwecke einer Sanierung unterliegt anderen
Anforderungen als die Ermessensentscheidung zur Ausübung des Vorkaufsrechts. Ein solcher Beschluss
erfordert die Einstellung aller abwägungserheblicher öffentlicher und privater Belange (vgl. § 136 Abs. 4 Satz 3
BauGB). Dies hätte eine Abwägung des Für und Wider der Schaffung eines Parkplatzes im Ortskern durch
Abbruch von Wohngebäuden anstelle ihrer Instandsetzung erfordert. Denn selbst wenn die Schaffung eines
Parkplatzes für den Kulturkeller mittelbar der Belebung der Ortsmitte dienen sollte, steht dies in einem
Spannungsverhältnis zu anderen Sanierungszielen wie etwa der Erhaltung und Verbesserung der Wohnqualität
in der Ortsmitte und der Revitalisierung vorhandener Flächenpotentiale (Innenentwicklung vor
Außenentwicklung). Auch mögliche Alternativen, etwa die Errichtung eines Parkplatzes auf anderen, noch
unbebauten oder frei werdenden Grundstücken wären zu berücksichtigen gewesen. Entsteht erst bei
Gelegenheit eines Grundstücksverkaufs die Vorstellung, das Grundstück als Gemeinbedarfsfläche zu nutzen,
ist zumindest im Zeitpunkt der Vorkaufsrechtsausübung eine Befassung des Gemeinderats mit diesem
Sanierungsziel unter Abwägung der betroffenen Belange erforderlich, insbesondere dann, wenn es sich - wie
vorliegend - um die Änderung der Nutzung eines Grundstücks im Eigentum Privater handelt, die ggf. gegen
deren Willen durchgesetzt werden soll, und die Änderung des Sanierungskonzepts in Bezug auf den
Verwendungszweck des Kaufgrundstücks bislang nicht offengelegt war. Das Erfordernis einer Konkretisierung
der Sanierungsziele würde obsolet, wenn sie durch die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts
ohne weiteres ersetzt werden könnte.
Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat auch der Auffassung, dass die allgemeinen Ziele und Zwecke der
Sanierungssatzung wie Stärkung der Ortsmitte und Schaffung von Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum die
Ausübung des Vorkaufsrechts für das Kaufgrundstück für sich genommen nicht zu rechtfertigen vermögen. Es
besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den Anforderungen, die sich aus dem
Tatbestandsmerkmal des Wohls der Allgemeinheit ergeben, und dem Stand der Konkretisierung der
Sanierungsziele sowie dem Fortschritt bei der Verwirklichung der Sanierung (Stock a.a.O., § 24 BauGB Rn. 70).
Vorliegend steht nicht in Rede, ob die Errichtung des Kulturkellers und die Umgestaltung des Möhlerplatzes den
genannten grundsätzlichen Sanierungszielen dienen und hierfür weiterer Parkraum erforderlich ist; diese
Entscheidungen stehen im Planungsermessen der Beklagten. Die genannten, sehr allgemein formulierten
Sanierungsziele können aber durch eine Vielzahl von Nutzungszwecken verwirklicht werden, insbesondere
auch durch die von den Klägern beabsichtigte Instandsetzung und Wohnnutzung des Kaufgrundstücks. Der mit
der Vorkaufsrechtsausübung verbundene Eingriff in die Privatautonomie erfordert es daher, zu diesem Zeitpunkt
höhere Anforderungen an die Präzisierung der Sanierungsziele zu stellen als bei Erlass der Sanierungssatzung.
Denn durch die Ausübung des Vorkaufsrechts wird das Kaufgrundstück dem Käufer gegen seinen Willen
entzogen und einem abweichenden Verwendungszweck zugeführt. Das Erfordernis einer fortschreitenden
Konkretisierung der Sanierungsziele besteht daher gerade im Hinblick auf die in einem förmlich festgelegten
Sanierungsgebiet erforderlichen grundstücksbezogenen Einzelentscheidungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.03.1999
- 4 C 8/98 -, juris Rn. 13 zur sanierungsrechtlichen Genehmigung).
Den dargelegten Anforderungen wird der Gemeinderatsbeschluss vom 16.03.2017 nicht gerecht.
dd) Nach alledem bedarf es keiner Vertiefung, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts ermessensfehlerfrei erfolgt
ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit, der Beklagten
auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese keinen Antrag gestellt und damit
kein Kostenrisiko übernommen haben (vgl.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des
Entscheidung, Urteil
Gericht:VGH Mannheim
Erscheinungsdatum:30.09.2021
Aktenzeichen:3 S 2595/20
Rechtsgebiete:Öffentliches Baurecht
Normen in Titel:BauGB §§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 u. Abs. 3 S. 1, 28 Abs. 2 S. 1, 144, 145 Abs. 1 S. 1