Rücktritt vom Erbvertrag gegenüber Vorsorgebevollmächtigtem des geschäftsunfähigen Vertragspartners
BGB §§ 2296 Abs. 2, 1896 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 1, 164 Abs. 3
Rücktritt vom Erbvertrag gegenüber Vorsorgebevollmächtigtem des geschäftsunfähigen Vertragspartners
a) Zur Beschwerdeberechtigung eines Dritten gegen die Ablehnung einer Betreuung, der geltend macht, zur Ausübung eines materiellen Rechts gegenüber dem Betroffenen auf die Betreuerbestellung angewiesen zu sein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10,
b) Dass der andere Vertragsschließende geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.
c) Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.
BGH, Beschl. v. 27.01.2021 – XII ZB 450/20
Problem
Die im Jahr 1940 geborene Betroffene und ihr späterer Ehemann schlossen vor ihrer Heirat im Jahr 2006 einen notariellen Erbvertrag. Hierin bedachten sie sich wechselseitig vertragsmäßig mit Vermächtnissen und behielten sich ein Rücktrittsrecht vor. Anfang 2015 erteilte die Betroffene ihren beiden Kindern eine umfassende Vorsorgevollmacht. In notarieller Urkunde vom 15.4.2020 erklärte der Ehemann seinen Rücktritt vom Erbvertrag. Die Urkunde wurde der Betroffenen sowie einem ihrer beiden Kinder zugestellt. Da der Ehemann Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen hatte, beantragte er beim Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene zur Entgegennahme seiner Rücktrittserklärung. Das Amtsgericht lehnte die Bestellung eines Betreuers mit der Begründung ab, dass dies mit Blick auf die von der Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei. Das Landgericht wies die Beschwerde des Ehemannes gegen den ablehnenden Beschluss zurück. Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
Entscheidung
Der BGH hält das Rechtsmittel für zulässig, aber unbegründet. Zunächst befasst sich der BGH kurz mit der Beschwerdeberechtigung des Ehemannes und bejaht diese im Ergebnis. Der Ehemann könne in eigenen Rechten i. S. von § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigt sein, wenn in Folge Geschäftsunfähigkeit der Rücktrittsgegnerin ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden müsste, um einen wirksamen Zugang der Rücktrittserklärung zu bewerkstelligen.
Aus Sicht des BGH ist die Rechtsbeschwerde jedoch unbegründet, da das Landgericht die Bestellung eines Betreuers im Hinblick auf die den Kinder der Betroffenen erteilte umfassende Vorsorgevollmacht zu Recht mangels Erforderlichkeit i. S. v.
Der BGH entscheidet des Weiteren, dass der – trotz Testierunfähigkeit des anderen Vertragsteils weiterhin mögliche – Rücktritt des Erblassers nicht zwingend gegenüber einem gesetzlichen Vertreter (Betreuer) erfolgen muss, sondern grundsätzlich auch gegenüber einem Bevollmächtigtem (im konkreten Fall: dem Vorsorgebevollmächtigtem) erfolgen kann. Auch insoweit schließt sich der BGH der einzigen hierzu bislang vorliegenden Gerichtsentscheidung und herrschenden Literatur an (vgl. nur LG Leipzig
Der BGH räumt ein, dass mit der Zulassung der gewillkürten Stellvertretung ein höheres Risiko für den Vertretenen verbunden sein kann als im Falle der gesetzlichen Vertretung, namentlich dann, wenn im konkreten Fall eine Interessenskollision gegeben ist (z. B. wenn der Bevollmächtigte der andere Vertragschließende ist, der zugleich vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit wurde; denn dann besteht die Gefahr, dass der – noch testierfähige – Vollmachtgeber vom Rücktritt keine Kenntnis erlangt und eine neue Verfügung unterlässt). Dennoch sei die passive gewillkürte Stellvertretung auch an dieser Stelle grundsätzlich zuzulassen, zumal dies auch der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen und der gesetzgeberischen Konzeption einer Stärkung der Vorsorgevollmacht entspräche.
Der BGH weist in seiner Entscheidung jedoch auch klar darauf hin, dass das Betreuungsgericht eine Betreuerbestellung vornehmen kann, wenn im konkreten Einzelfall mit der vorliegenden Vollmacht die Angelegenheiten des Betroffenen nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:27.01.2021
Aktenzeichen:XII ZB 450/20
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Testierfähigkeit
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
DNotI-Report 2021, 46-47
NJW 2021, 1455-1458
BGB §§ 2296 Abs. 2, 1896 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 1, 164 Abs. 3