BGH 27. Januar 2021
XII ZB 450/20
BGB §§ 2296 Abs. 2, 1896 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 1, 164 Abs. 3

Rücktritt vom Erbvertrag gegenüber Vorsorgebevollmächtigtem des geschäftsunfähigen Vertragspartners

BGB §§ 2296 Abs. 2, 1896 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 1, 164 Abs. 3
Rücktritt vom Erbvertrag gegenüber Vorsorgebevollmächtigtem des geschäftsunfähigen Vertragspartners

a) Zur Beschwerdeberechtigung eines Dritten gegen die Ablehnung einer Betreuung, der geltend macht, zur Ausübung eines materiellen Rechts gegenüber dem Betroffenen auf die Betreuerbestellung angewiesen zu sein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10, FamRZ 2011, 465).

b) Dass der andere Vertragsschließende geschäftsunfähig geworden ist, schließt den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.

c) Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragschließenden jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigtem erfolgen.

BGH, Beschl. v. 27.01.2021 – XII ZB 450/20

Problem
Die im Jahr 1940 geborene Betroffene und ihr späterer Ehemann schlossen vor ihrer Heirat im Jahr 2006 einen notariellen Erbvertrag. Hierin bedachten sie sich wechselseitig vertragsmäßig mit Vermächtnissen und behielten sich ein Rücktrittsrecht vor. Anfang 2015 erteilte die Betroffene ihren beiden Kindern eine umfassende Vorsorgevollmacht. In notarieller Urkunde vom 15.4.2020 erklärte der Ehemann seinen Rücktritt vom Erbvertrag. Die Urkunde wurde der Betroffenen sowie einem ihrer beiden Kinder zugestellt. Da der Ehemann Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen hatte, beantragte er beim Amtsgericht die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene zur Entgegennahme seiner Rücktrittserklärung. Das Amtsgericht lehnte die Bestellung eines Betreuers mit der Begründung ab, dass dies mit Blick auf die von der Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei. Das Landgericht wies die Beschwerde des Ehemannes gegen den ablehnenden Beschluss zurück. Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.

Entscheidung
Der BGH hält das Rechtsmittel für zulässig, aber unbegründet. Zunächst befasst sich der BGH kurz mit der Beschwerdeberechtigung des Ehemannes und bejaht diese im Ergebnis. Der Ehemann könne in eigenen Rechten i. S. von § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigt sein, wenn in Folge Geschäftsunfähigkeit der Rücktrittsgegnerin ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden müsste, um einen wirksamen Zugang der Rücktrittserklärung zu bewerkstelligen.

Aus Sicht des BGH ist die Rechtsbeschwerde jedoch unbegründet, da das Landgericht die Bestellung eines Betreuers im Hinblick auf die den Kinder der Betroffenen erteilte umfassende Vorsorgevollmacht zu Recht mangels Erforderlichkeit i. S. v. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB abgelehnt hat. Der nach § 2296 Abs. 2 S. 1 BGB erfolgende Rücktritt vom Erbvertrag muss dem nicht anwesenden Erklärungsgegner gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugehen, um wirksam zu werden. Nach Auffassung des BGH schließt die Geschäftsunfähigkeit des Vertragspartners den Rücktritt ihm gegenüber nicht aus. An dieser Stelle zieht der BGH Parallelen zur Diskussion im Rahmen des Widerrufs wechselbezüglicher Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments. Bei diesen geht mittlerweile die Rechtsprechung und die ganz herrschende Literaturansicht davon aus, dass das Widerrufsrecht erst mit dem Tod des anderen Ehegatten und nicht bereits mit Eintritt seiner Geschäfts- bzw. Testierunfähigkeit erlischt (vgl. OLG Hamm BeckRS 2014, 943; OLG Nürnberg ZEV 2013, 450 m. Anm. Keim). Der BGH schließt sich für den Erbvertrag dieser herrschenden Ansicht an und bezeichnet auch dort den Tod des anderen Vertragsschließenden als maßgebliche zeitliche Zäsur für die Ausübung des Rücktrittsrechts (vgl. § 2298 Abs. 2 S. 2 BGB). Der Umstand, dass es dem testierunfähig gewordenen anderen Vertragsschließenden wegen § 2229 Abs. 4 BGB nicht möglich ist, auf die infolge Rücktritts veränderte erbrechtliche Lage (nach § 2298 Abs. 2 S. 1 BGB werden durch den Rücktritt im Zweifel alle vertragsmäßigen Verfügungen – auch die des Vertragspartners – unwirksam) mittels neuer letztwilliger Verfügung zu reagieren, stelle ein allgemeines Lebensrisiko dar und ändere hieran nichts.

Der BGH entscheidet des Weiteren, dass der – trotz Testierunfähigkeit des anderen Vertragsteils weiterhin mögliche – Rücktritt des Erblassers nicht zwingend gegenüber einem gesetzlichen Vertreter (Betreuer) erfolgen muss, sondern grundsätzlich auch gegenüber einem Bevollmächtigtem (im konkreten Fall: dem Vorsorgebevollmächtigtem) erfolgen kann. Auch insoweit schließt sich der BGH der einzigen hierzu bislang vorliegenden Gerichtsentscheidung und herrschenden Literatur an (vgl. nur LG Leipzig BeckRS 2009, 88176; BeckOGK-BGB/Braun, Std.: 15.7.2020, § 2271 Rn. 50; BeckOGK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.1.2021, § 2296 Rn. 10; Hausmann, notar 2014, 58, 61 f.; Keim, ZEV 2010, 358, 360; a. A. Eickelberg, ZEV 2019, 557, 562 f; Zimmer, ZEV 2013, 307, 309 f.). § 131 Abs. 1 BGB (Zugang beim gesetzlichen Vertreter) stehe dem Rücktritt gegenüber einem (Vorsorge-)Bevollmächtigtem nicht entgegen, da die Möglichkeit der Empfangsvertretung i. S. v. § 164 Abs. 3 BGB hiervon unberührt bleibe. Bei der Entgegennahme der Rücktrittserklärung handelt es sich nach Ansicht des BGH auch nicht um eine höchstpersönliche Angelegenheit (a. A. Eickelberg, ZEV 2019, 557, 563).

Der BGH räumt ein, dass mit der Zulassung der gewillkürten Stellvertretung ein höheres Risiko für den Vertretenen verbunden sein kann als im Falle der gesetzlichen Vertretung, namentlich dann, wenn im konkreten Fall eine Interessenskollision gegeben ist (z. B. wenn der Bevollmächtigte der andere Vertragschließende ist, der zugleich vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit wurde; denn dann besteht die Gefahr, dass der – noch testierfähige – Vollmachtgeber vom Rücktritt keine Kenntnis erlangt und eine neue Verfügung unterlässt). Dennoch sei die passive gewillkürte Stellvertretung auch an dieser Stelle grundsätzlich zuzulassen, zumal dies auch der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen und der gesetzgeberischen Konzeption einer Stärkung der Vorsorgevollmacht entspräche.

Der BGH weist in seiner Entscheidung jedoch auch klar darauf hin, dass das Betreuungsgericht eine Betreuerbestellung vornehmen kann, wenn im konkreten Einzelfall mit der vorliegenden Vollmacht die Angelegenheiten des Betroffenen nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB), beispielsweise weil eine Interessenskollision gegeben ist oder eine Missbrauchsgefahr besteht. Dem entspricht der einschränkende Zusatz des dritten Leitsatzes, der den Rücktritt gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten des geschäftsunfähigen Vertragspartners nur „grundsätzlich“ zulässt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

27.01.2021

Aktenzeichen:

XII ZB 450/20

Rechtsgebiete:

Erbvertrag
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Testierfähigkeit
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 46-47
NJW 2021, 1455-1458

Normen in Titel:

BGB §§ 2296 Abs. 2, 1896 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 1, 164 Abs. 3