OLG Karlsruhe 29. Mai 2013
11 Wx 40/13
GBO § 12

Zum berechtigten Interesse des Nachbarn auf Grundbucheinsicht bei drohenden Nachbarschaftskonflikten wegen künftig angrenzender Wohnbebauung

9. Notarrecht – Zum berechtigten Interesse des Nachbarn auf Grundbucheinsicht bei drohenden Nachbarschaftskonflikten wegen künftig angrenzender Wohnbebauung
(OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. 5. 2013 – 11 Wx 40/13)
GBO § 12
Der Nachbar kann ein berechtigtes Interesse auf Grundbucheinsicht i. S. d. § 12 Abs. 1 S. 1 GBO darlegen, wenn eine Wohnbebauung in der Nähe zu seinem lärmintensiven Unternehmen geplant ist und rechtliche Auseinandersetzungen mit den künftigen Bewohnern zu befürchten sind.
(RNotZ-Leitsatz)
Zur Einordnung:
Nach § 12 Abs. 1 S. 1 GBO ist die Einsicht in das Grundbuch jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ein berechtigtes Interesse hat derjenige, der ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse verfolgt (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 525). Das berechtigte Interesse braucht sich – im Gegensatz zum rechtlichen Interesse – nicht auf ein bereits vorhandenes Recht oder konkretes Rechtsverhältnis zu stützen (BayObLG DNotZ 1999, 739). Auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse kann genügen (BayObLG NJW-RR 1998, 1241; DNotZ 1999, 739).
Das OLG Karlsruhe sah diese Voraussetzung als erfüllt an. Der Ast. hatte dargelegt, dass er ein Interesse an der Kenntnis des Eigentümers habe, um einen bei einer geplanten Wohnbebauung drohenden Nachbarschaftskonflikt durch Gespräche mit dem derzeitigen Eigentümer zu vermeiden. Es sei zu befürchten gewesen, dass eine Rechtsbeziehung zu dem Eigentümer des von der Auskunft betroffenen Grundstücks in naher Zukunft entstehen werde, wenn dieser die Nutzung seines Grundstücks veränderte und es sodann zu Auseinandersetzungen über mögliche Lärmimmissionen des Ast. komme.
Zu diesem Zweck darf aber nur eine beglaubigte Grundbuchabschrift (vgl. § 45 Abs. 1 GBV) erteilt werden, die den derzeitigen Eigentümer ausweist. Ein berechtigtes Interesse an Auskünften über frühere Eigentümer, sowie Eintragungen in Abteilung II und III bestehen jedoch nicht. Der Ast. hat nur Anspruch auf Einsicht in diejenigen Teile des Grundbuches, auf die sich das Interesse bezieht.
Der Ast. hat sein berechtigtes Interesse auf Einsicht in das Grundbuch darzulegen. Das erfordert Vortrag von Tatsachen, die überzeugenden Anhalt für die Richtigkeit des Vorbringens geben (KG; RNotZ 2004, 464). Eine Glaubhaftmachung (§ 31 FamFG; § 294 ZPO) ist nicht vorgesehen. Allerdings kann bei begründeten Bedenken aber die Vorlage von Unterlagen, gegebenenfalls auch Glaubhaftmachung verlangt werden (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 526).
Gem. § 133 a Abs. 1 S. 1 GBO in der Fassung des Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare dürfen Notare demjenigen, der ihnen ein berechtigtes Interesse
i. S. d. § 12 GBO darlegt, den Inhalt des Grundbuchs mitteilen. Dadurch wurde klargestellt, dass die Befugnis des Notars zur Mitteilung des Grundbuchinhalts auch die Fälle der von jeglicher Beratung losgelösten sog. „isolierten Grundbucheinsicht“ umfasst. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Grundbucheinsicht trifft der Notar, der im Fall der „isolierten Grundbucheinsicht“ über die Mitteilung des Grundbuchinhaltes grundsätzlich ein Protokoll zu führen hat.
Die Schriftleitung (AG)
Zum Sachverhalt:
I. Die Bet. wendet sich gegen die Entscheidung des GBA, ihr eine teilweise Grundbuchabschrift für das im Rubrum näher bezeichnete Grundstück zu verweigern.
Die Bet. ist Eigentümerin eines Grundstücks in der Stadt B., das sich – durch eine Straße getrennt [. . .] – in der Nähe des angefragten Flurstücks 3079 befindet. Mit einem am 8. 4. 2013 eingegangenen Schreiben beantragte sie die Überlassung eines unbeglaubigten Grundbuchauszugs. Das Flurstück 3079 solle bebaut werden; sie wolle mit dem Grundstückseigentümer Kontakt aufnehmen. Der Ratschreiber wies den Antrag mit Verfügung vom 8. 4. 2013 zurück. Eine direkte Nachbarschaft zu dem angefragten Grundstück bestehe nicht; auch eine solche rechtfertige eine Einsichtnahme in das Grundbuch zudem nicht ohne weiteres. Mit der dagegen eingelegten Erinnerung hat die Bet. geltend gemacht, durch die auf dem Flurstück 3079 geplante Wohnbebauung werde sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Sie betreibe ein lärmintensives Unternehmen und müsse rechtliche Auseinandersetzungen mit den künftigen Bewohnern befürchten. Sie habe daher Anspruch auf einen Grundbuchauszug ohne die Angaben in Abteilung III. Der Grundbuchrechtspfleger hat der Erinnerung mit dem angefochtenen Beschluss nicht abgeholfen. Eine direkte Nachbarschaft fehle. Im Übrigen sei die Erteilung von unbeglaubigten Abschriften nur eines Teils des Grundbuchblattes – hier ohne die Abteilung III – nicht zulässig. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Bet., der das GBA nicht abgeholfen hat. Mit der Rechtsmittelbegründung macht die Bet. ergänzend geltend, die Stadt B. plane auf der zwischen den Grundstücken gelegenen Straße die Anlage eines Parkstreifens; dies könne zur Folge haben, das Lastkraftwagen das Grundstück der Bet. nicht mehr ohne weiteres anfahren könnten.
Das zunächst vom GBA mit der Beschwerde befasste LG K. hat die Sache im Hinblick auf Artikel 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG mit Beschluss vom 8. 5. 2013 an das OLG K. abgegeben.
Aus den Gründen:
II. Die Beschwerde ist nach §§ 12 c Abs. 4 S. 2, 71 Abs. 1 GBO i. V. m. § 33 Abs. 1 LFGG, § 11 Abs. 1 RPflG zulässig; sie hat in der Sache insoweit Erfolg, als die Bet. Anspruch auf Erteilung einer beglaubigten Abschrift der Eintragung über den derzeitigen Grundstückseigentümer hat.
1. Der Rechtspfleger hat zutreffend seine Zuständigkeit für eine die Instanz abschließende Entscheidung angenommen. Zwar spricht § 12 Abs. 4 S. 1 GBO davon, dass gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten
– hier des Ratschreibers (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 LFGG) – auf Entscheidung des „Grundbuchrichters“ angetragen werden könne. „Grundbuchrichter“ in diesem Sinne ist aber nach § 3 Nr. 1 h) RPflG der Rechtspfleger (vgl. OLG Schleswig BeckRS 2011, 1850 m. w. N. und einer Auseinandersetzung mit der Gegenauffassung).
Ein „berechtigtes Interesse“ an Grundbucheinsicht hat derjenige, der ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse verfolgt
2. Ein „berechtigtes Interesse“ an Grundbucheinsicht hat nach allgemeiner Auffassung, wer ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse verfolgt (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl., Rn. 525); ausreichend ist, dass sachliche Gründe vorgetragen werden, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (Demharter, GBO, 28. Aufl., § 12 Rn. 7 m. w. N.). Dabei sind auch bloß tatsächliche, insbesondere wirtschaftliche Interessen ausreichend (Bauer/von Oefele/Maaß, GBO, 3. Aufl., § 12 Rn. 9; BeckOK/Wilsch, Edition 17, § 12 GBO Rn. 2). Für Einsichtsanträge von Nachbarn hat das OLG Köln (RNotZ 2010, 203) entschieden, dass es der Darlegung konkreter Umstände bedürfe, welche ein gegenwärtiges berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme begründeten; das Nachbarschaftsverhältnis als solches sei nicht ausreichend. Nach diesem zutreffenden Maßstab ist ein berechtigtes Interesse hier anzunehmen.
Die Vermeidung eines bei einer geplanten Wohnbebauung drohenden Nachbarschaftskonflikts ist ein durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse
a) Die Bet. hat dargelegt, dass sie ein Interesse an der Kenntnis des Eigentümers habe, um einen bei einer geplanten Wohnbebauung drohenden Nachbarschaftskonflikt durch Gespräche mit dem derzeitigen Eigentümer zu vermeiden. Das ist ein durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse. Zwar entspricht es der ganz überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. etwa Bay-ObLG MDR 1991, 1172, juris-Rn. 12), dass etwa ein Kaufinteressent nur dann Anspruch auf Grundbucheinsicht hat, wenn er darlegt, dass er bereits in Kaufverhandlungen eingetreten ist. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Grundbucheinsicht nicht gewährt werden soll, wenn Rechtsbeziehungen zwischen dem Ast. und dem Betroffenen weder bereits bestehen noch in naher Zukunft zu erwarten sind. Eine dem vergleichbare Situation liegt hier indes nicht vor. Nach der Darlegung des Ast. ist zu befürchten, dass eine Rechtsbeziehung zu dem Eigentümer des Grundstücks 3079 in naher Zukunft entstehen wird, wenn dieser die Nutzung seines Grundstücks verändert und es sodann zu Auseinandersetzungen über mögliche Lärmimmissionen des Ast. kommen wird. In derartigen Fällen haben die Grundstücksnachbarn ein nachvollziehbares Interesse daran, durch frühzeitige Gespräche mit den Eigentümern drohende Konflikte nach Möglichkeit zu vermeiden.
Eine im Rechtssinne eine unmittelbare Grundstücksnachbarschaft muss nicht bestehen
b) Dass eine im Rechtssinne unmittelbare Nachbarschaft nicht besteht – das angefragte Grundstück also nicht direkt an dasjenige der Bet. angrenzt – rechtfertigt keine andere Beurteilung. Ob ein Nachbarschaftskonflikt im Falle der Wohnbebauung droht, hängt nicht davon ab, ob im Rechtssinne eine unmittelbare Grundstücksnachbarschaft besteht; ein verständliches Interesse vielmehr besteht, wenn die Entfernung zwischen den Grundstücken – wie hier – so gering ist, dass bei einer Veränderung der Nutzung Konflikte wegen Lärmbelastungen konkret zu besorgen sind.
2. Der Glaubhaftmachung des geltend gemachten Interesses ist nicht erforderlich. § 12 Abs. 1 GBO verlangt ausdrücklich nur die Darlegung des Interesses; eine Glaubhaftmachung kann nur gefordert werden, wenn im Einzelfall begründete Bedenken ausgeräumt werden sollen (BeckOK/Wilsch, GBO, Edition 17, § 12 Rn. 7).
Es genügt eine Grundbuchabschrift, die den derzeitigen Eigentümer des Grundstücks ausweist
3. Der Ast., der sein berechtigtes Interesse erfolgreich dargelegt hat, hat nach ganz überwiegender Auffassung (vgl. etwa Bauer/von Oefele/Maaß, GBO, 3. Aufl., § 12 Rn. 59) – für die der gebotene Schutz der Interessen der Eigentümer spricht – nur Anspruch auf Einsicht in diejenigen Teile des Grundbuches, auf die sich das Interesse bezieht, also unter Umständen nur in das aktuelle Blatt, in einzelne Eintragungen oder einzelne Abteilungen. Um in Gespräche mit dem Grundstückseigentümer über die geplante künftige Nutzung eintreten zu können, genügt hier eine Grundbuchabschrift, die den derzeitigen Eigentümer des Grundstücks ausweist. Ein berechtigtes Interesse, Auskünfte über frühere Eigentümer oder Eintragungen in der Abteilung II zu erhalten – auf diese bezieht sich der Antrag, der nur die Abteilung III ausnimmt
– seinem Wortlaut nach ebenfalls, hat die Bet. nicht.
4. Abschriften eines Teils des Grundbuchs dürfen nach § 45 Abs. 1 GBV nur in beglaubigter und nicht – wie von der Bet. beantragt – in unbeglaubigter Form erteilt werden. Der Antrag kann indes – trotz der damit verbundenen Mehrkosten (§ 73 KostO) – dahin ausgelegt werden, dass er sich hilfsweise auf die Erteilung einer beglaubigten Abschrift bezieht. Der Bet. kommt es ersichtlich nicht darauf an, die Auskunft oder Abschrift in einer bestimmten Form zu erhalten; für sie ist vielmehr entscheidend, die Information über den derzeitigen Grundstückseigentümer zu erhalten.
[. . .]

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Karlsruhe

Erscheinungsdatum:

29.05.2013

Aktenzeichen:

11 Wx 40/13

Rechtsgebiete:

Grundbuchrecht

Erschienen in:

RNotZ 2014, 70-71

Normen in Titel:

GBO § 12