Zum Vorliegen einer Anstandsschenkung
letzte Aktualisierung: 01.07.2020
OLG Celle, Urt. v. 13.2.2020 – 6 U 76/19
Zum Vorliegen einer Anstandsschenkung
Bei Schenkungen der Großmutter an ihre Enkel spricht der Umstand, dass es sich um langjährige
monatliche Zahlungen auf ein Sparkonto („Bonussparen“) handelt, gegen die Anwendung von § 534
BGB.
Gründe
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagten übergeleitete Schenkungsrückforderungsansprüche geltend.
Die am 29. Mai 2017 verstorbene Großmutter der Beklagten, Frau A. H., hatte für die beiden Beklagten
jeweils ein Bonussparkonto auf deren Namen angelegt, auf das sie jeweils bis Ende des Jahres 2014
monatlich 50 € überwies, und zwar im Falle des am …. 2001 geborenen Beklagten zu 2 Zahlungen seit
dem 1. Februar 2003 und im Falle der am …. 2004 geborenen Beklagten zu 1 seit dem 1. April 2005.
Ab dem 1. Januar 2015 konnte die Großmutter, die seit diesem Zeitpunkt bis zu ihrem Ableben
vollstationär in einer Pflegeeinrichtung untergebracht war, die nicht durch die Pflegekasse gedeckten
Heimkosten nicht mehr aus eigenen Mitteln aufbringen, sodass die Klägerin mit ergänzenden Leistungen
der Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege eintrat.
Die Großmutter verfügte im Jahr 2015 über ein Renteneinkommen von insgesamt rund 1.250 €, darunter
seit dem Tod ihres Ehemannes im Juni 2012 Witwenrente in Höhe von rund 540 €. Die Klägerin erbrachte
bis August 2017 Sozialleistungen in Höhe von 25.040,93 €. Die Klägerin hörte mit Schreiben vom 24. Juni
2015 die Beklagten über ihre Eltern zu den Rückforderungsansprüchen an und leitete diese mit
bestandskräftigen Bescheiden vom 7. September 2015 auf sich über. Gegen den Beklagten zu 2 machte
sie wegen der 10-Jahres-Frist (
für die Beklagte zu 1 einen solchen in Höhe von 5.850 € geltend, worauf jeweils 137,10 € gezahlt wurden.
Die Guthaben wurden im Jahr 2016 von den Konten abgehoben (Protokoll der mündlichen Verhandlung
des Landgerichts vom 22. August 2019).
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu 1 zu verurteilen, an die Klägerin 5.712,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2016 zu zahlen,
2. den Beklagten zu 2 zu verurteilen, an die Klägerin 5.862,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2016 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben, sich auf Entreicherung berufen und gemeint,
dass es sich bei den monatlichen Zahlungen um Anstandsschenkungen gehandelt habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Zwar könnten sich die Beklagten weder auf die Einrede der Verjährung noch auf Entreicherung berufen.
Die Rückforderungsansprüche seien jedoch gemäß § 534 2. Alt. BGB ausgeschlossen, weil es sich um
Anstandsschenkungen handele.
Dagegen wendet die Klägerin sich mit der Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlich gestellten Anträge
weiterverfolgt.
Das landgerichtliche Urteil sei insoweit falsch, als das Landgericht die monatlichen Zahlungen der
Großmutter an die Enkelkinder für Anstandsschenkungen gehalten habe. Sowohl in der Rechtsprechung
wie auch Literatur sei es einhellige Ansicht, dass unter den Begriff der Anstandsschenkung gebräuchliche
Gelegenheitsgeschenke des täglichen Lebens i. S. v.
üblichen Gelegenheitsgaben zu besonderen Tagen oder Anlässen und das Trinkgeld zu subsumieren sind.
Regelmäßige Zahlungen, wie sie die Beklagten erhalten haben, unterfielen schon dem Grunde nach nicht
dem Begriff der Anstandsschenkung. Soweit das Landgericht die monatlichen Zahlungen
Taschengeldzahlungen gleichgestellt habe, verfange dieses Argument nicht, weil das Geld nicht zum
Verbrauch bestimmt, sondern mit dem Bonussparen ein Kapitalaufbau bezweckt gewesen sei.
Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung.
Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, die Protokolle
der mündlichen Verhandlungen sowie das angefochtene Urteil verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, ihr steht der geltend gemachte Anspruch aus §§ 528
Abs. 1 S. 1, 812 BGB i. V. m. § 93 SGB XII zu.
1.
Nach dieser Vorschrift unterliegen solche Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den
Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, nicht der Rückforderung.
Die langjährigen monatlichen Zahlungen der Großmutter der Beklagten auf ein Bonussparkonto stellen
keine nach
Für die Annahme einer sittlichen Pflicht zur Schenkung reicht es nicht aus, dass der Schenker nach den
Geboten der Sittlichkeit aus Nächstenliebe dem Beschenkten hilft. Eine Rückforderung nach
vielmehr nur dann ausgeschlossen, wenn dem Schenker eine besondere Pflicht für die Zuwendung
oblegen hat, eine Pflicht, die aus den konkreten Umständen des Falles erwachsen ist und in den Geboten
der Sittlichkeit wurzelt, wobei das Vermögen und die Lebensstellung der Beteiligten sowie ihre
persönlichen Beziehungen untereinander zu berücksichtigen sind. Eine sittliche Pflicht ist nur zu bejahen,
wenn das Handeln geradezu sittlich geboten ist (BGH, IVa ZR 125/ 84, Urteil vom 9. April 1986, zit. nach
juris). Ein solcher (Ausnahme-)Fall einer „Pflichtschenkung“ liegt hier nicht vor.
Mit den Schenkungen hat die Großmutter der Beklagten auch nicht einer auf den Anstand zu nehmenden
Rücksicht entsprochen. Zwar beruhen Anstandsschenkungen im Vergleich zu den „Pflichtschenkungen“
auf einer geringeren moralischen Verpflichtung. Bei den langjährigen Zahlungen, die die in beschränkten
finanziellen Verhältnissen lebende Großmutter auf jeweils ein Bonussparkonto vorgenommen hat, hat es
sich aber nicht um ein übliches Gelegenheitsgeschenk oder ein gebräuchliches Geschenk unter nahen
Verwandten gehandelt, das schon vom Wert oder Anlass her als Anstandsschenkung zu gelten hätte (vgl.
BGH, V ZR 280/84, Urteil vom 18. April 1986, zit. nach juris). Der jährliche Wert der Schenkung übersteigt
jedenfalls in Anbetracht der finanziellen Verhältnisse der Großmutter den Wert eines
Gelegenheitsgeschenkes. Der Charakter der monatlichen Zahlung über einen langen Zeitraum, um ein
Vermögen zugunsten der beschenkten Enkelkinder aufzubauen, spricht ebenfalls gegen eine
Anstandsschenkung. Das Ausbleiben monatlichen Kapitalansparens für Enkelkinder führt auch nicht zu
einem Verlust von Anerkennung, zumal sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt hat,
dass die Beklagten von ihrer Großmutter zu Weihnachten und zum Geburtstag Geschenke erhalten haben,
mögen diese auch nicht übermäßig wertvoll gewesen sein, was in Anbetracht der finanziellen Verhältnisse
der Großmutter ohnehin nicht aussagekräftig ist. Eine nähere Aufklärung hat sich in der mündlichen
Verhandlung ungeachtet der Verfügung des Vorsitzenden vom 20. Februar 2019 nicht erzielen lassen.
Das (Berufungs-)Urteil des LG Aachen vom 14. Februar 2017 (3 S 127/16) hält der Senat nicht für
überzeugend. Dabei kann dahinstehen, ob es tatsächlich heute üblich ist, dass Großeltern ihren Enkeln ein
monatliches Taschengeld zukommen lassen. Das Argument des LG Aachen, es sei zu berücksichtigen,
dass bei Beginn der Zuwendungen nicht absehbar gewesen sei, dass der Zuwendende einmal
pflegebedürftig werden würde, hält der Senat nicht für entscheidend; darauf kommt es für die Anwendung
von
vorliegend gerade nicht der Fall; die Großmutter hat den Beklagten das Geld nicht monatlich zum Zwecke
des Verbrauchens ausgehändigt. Das in Rede stehende Bonussparen war für beide Beklagte jeweils für 25
Jahre angelegt. Überdies begannen die Zahlungen an die Beklagten bereits im Kleinkindalter, und kommt
für diese Zeit die Einordnung der Zahlungen als Taschengeld ohnehin nicht in Betracht.
2. Auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB können sich die Beklagten nicht berufen, §§ 818 Abs. 4, 819
Abs. 1 BGB.
3. Die Klägerin hat die 10-Jahres-Frist des
4. Der Zinsanspruch ist aus Verzug begründet (s. Anlagen K 17 ff.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Vollstreckbarkeit richtet sich nach
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des
vorliegen. Der Senat hat nur den konkreten Einzelfall entschieden und insbesondere keinen Obersatz
dergestalt gebildet, dass Schenkungen in Gestalt regelmäßiger Zahlungen
können. Von der angeführten Entscheidung des LG Aachen weicht der Senat nicht ab, da es vorliegend
nicht um die Anwendbarkeit von
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Celle
Erscheinungsdatum:13.02.2020
Aktenzeichen:6 U 76/19
Rechtsgebiete:
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Grundstücksübergabe, Überlassungsvertrag
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
NJW-RR 2020, 497-498
Normen in Titel:BGB § 534