Nachweis der Geschäftsunfähigkeit; Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Rechtsgeschäfts
letzte Aktualisierung: 18.8.2022
BGH, Urt. v. 26.4.2022 – X ZR 3/20
BGB §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2, 138 Abs. 1
Nachweis der Geschäftsunfähigkeit; Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Rechtsgeschäfts
1. Zur substantiierten Darlegung von Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2,
genügt der Vortrag konkreter Anhaltspunkte, aufgrund derer die Möglichkeit der
Geschäftsunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen ist.
2. Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß
aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven
des Zuwendungsempfängers.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Hinsichtlich einer Nichtigkeit des Übertragungsvertrags vom 30. August
2018 wegen Geschäftsunfähigkeit lägen keine Anhaltspunkte vor. Soweit der
Kläger hierfür auf einzelne Untersuchungen im Krankenhaus abstelle, verfange
dies nicht. Aus den weiteren medizinischen Unterlagen ergebe sich, dass sich
der Zustand des Klägers schon am 28. August wieder gebessert habe. Ausweislich
einer Stellungnahme des Chefarztes gegenüber der Polizei vom 26. November
2018 sei im Rahmen der ab 21. August erfolgten neuropsychologischen Behandlung
keine massive kognitive Beeinträchtigung beschrieben worden. Zudem
sei davon auszugehen, dass der Kläger bei auch nur zeitlich bestehender Geschäftsunfähigkeit
nicht ohne weiteres am 13. September 2018 nach Hause entlassen
worden wäre. Nach alledem lägen objektive Anhaltspunkte nicht vor, so
dass eine Beweisaufnahme zu Recht unterblieben sei.
Das Landgericht habe ferner zu Recht angenommen, dass keine Umstände
vorlägen, die die Annahme einer Sittenwidrigkeit rechtfertigten.
Ein Anspruch gemäß
an eine Gegenleistung geknüpft gewesen sei und nicht unter einer Bedingung
gestanden habe. Eine Rückübertragungsklausel sei ausdrücklich nicht gewünscht
gewesen.
II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht durfte die Geschäftsfähigkeit des Klägers
nicht ohne Beweisaufnahme bejahen.
a) Der Kläger hat hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen, die auf
eine Geschäftsunfähigkeit am 30. August 2018 hindeuten.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft
die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Frage, ob eine Person bei Abgabe
einer Willenserklärung (vorübergehend) geschäftsunfähig im Sinne von
§ 104 Nr. 2,
beruft.
Substantiiert dargelegt ist dieser Umstand, wenn das Gericht auf der
Grundlage des Parteivorbringens zu dem Ergebnis gelangen muss, die
Voraussetzungen der § 104 Nr. 2,
des Vortrags kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 5. Dezember
1995 - XI ZR 70/95,
- VI ZR 225/16,
- XI ZR 74/17,
Frage der Prozessunfähigkeit (dazu BGH, Urteil vom 24. September 1955
- IV ZR 162/54,
- III ZR 344/20,
Anhaltspunkte, aufgrund derer die Möglichkeit der Geschäftsunfähigkeit nicht von
der Hand zu weisen ist.
bb) Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers im Streitfall
gerecht.
Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat der Kläger vorgetragen, aus
einem am 29. August 2018 durchgeführten Uhrentest, aus seiner damaligen Situation
im Krankenhaus, aus dem Krankheitsverlauf und aus den erhobenen Befunden
ergebe sich, dass er am 30. August 2018 seine Entscheidungen nicht
mehr von vernünftigen Erwägungen habe abhängig machen können. Er hat
hierzu ein Attest seines behandelnden Arztes vom 12. Dezember 2018 vorgelegt,
nach dessen Einschätzung eine deutliche kognitive Beeinträchtigung und erhebliche
Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit vorgelegen haben, und ergänzend
die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie die Vernehmung der ihn
behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen beantragt.
Damit sind, wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat,
konkrete Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Geschäftsunfähigkeit zumindest
während des Aufenthalts auf der Intensivstation, also vom 22. bis 28. August
2018 als naheliegend erscheinen lassen.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war bei dieser
Ausgangslage eine Beweisaufnahme zur Frage der Geschäftsunfähigkeit am
30. August 2018 erforderlich.
Wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, bedarf es
zur Beurteilung der Frage, ob die vom Kläger vorgetragenen Anhaltspunkte die
Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er während des Aufenthalts auf der Intensivstation
geschäftsunfähig war, besonderer Sachkunde.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt für die Frage, ob dieser
Zustand in der Folgezeit angedauert hat, angesichts des kurzen Zeitraums,
um den es im Streitfall insoweit geht, nichts anderes.
Das Berufungsgericht hat dies der Sache nach erkannt und sich mit der
Frage befasst, welche Schlussfolgerungen aus den vom Kläger vorgetragenen
Indizien gezogen werden können. Diese Frage durfte es jedoch allenfalls dann
ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beurteilen, wenn es selbst
über die erforderliche Sachkunde verfügt und die Parteien darauf hingewiesen
hätte. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können aus dem
Verhalten der behandelnden Ärzte keine Schlussfolgerungen gezogen werden,
die die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbehrlich machen.
Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Frage der Geschäftsunfähigkeit des Klägers im Fokus
der Behandlung stand. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein
Krankenhaus von der zeitnahen Entlassung eines geschäftsunfähigen Patienten
absieht.
d) Wie die Revision ebenfalls zu Recht geltend macht, durfte das Berufungsgericht
seine Beurteilung zudem nicht auf eine schriftliche Äußerung des
behandelnden Chefarztes stützen, ohne diesen als Zeugen zu vernehmen.
Die Verwertung der Niederschrift einer Zeugenaussage aus einem anderen
Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist zwar grundsätzlich zulässig.
Sie vermag die Vernehmung dieser Person als Zeugen aber nicht zu ersetzen,
wenn eine Partei diese gegenbeweislich beantragt (BGH, Urteil vom 12. Juli 2013
- V ZR 85/12,
- VI ZR 443/16,
Im Streitfall hat der Kläger den behandelnden Chefarzt als sachverständigen
Zeugen dafür benannt, dass er am 30. August 2018 geschäftsunfähig war.
Wenn das Berufungsgericht die Wahrnehmungen dieses Zeugen als erheblich
ansah, durfte es dessen schriftliche Äußerungen nicht zum Nachteil des Klägers
verwerten, ohne den Zeugen vernommen zu haben.
2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich
auch die Sittenwidrigkeit des Übertragungsvertrags nicht verneinen.
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht den Vertrag als Schenkung der
beiden Grundstücke angesehen.
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts, der das Berufungsgericht
beigetreten ist, ist die Sittenwidrigkeit des Vertrags nicht allein deshalb zu
verneinen, weil der Kläger die Beklagte als Kind annehmen und finanziell absichern
wollte und weil Zuwendungen an Partner einer Liebesbeziehung für sich
gesehen nicht sittenwidrig sind.
aa) Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne von
wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl
aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die
grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches
Verhalten des Handelnden hinzukommen, das diesem zum Vorwurf gemacht
werden kann (BGH, Urteil vom 16. Juli 2019 - II ZR 426/17, NJW 2019,
3636 Rn. 24). Hierbei ist der aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und
Beweggrund zu entnehmende Gesamtcharakter des Verhaltens maßgeblich
(BGH, Urteil vom 4. Juni 2013 - VI ZR 288/12,
nach Einzelfall kann sich die Sittenwidrigkeit bereits aus einem dieser Elemente
oder aus einer Kombination mehrerer Elemente und deren Summenwirkung ergeben
(BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - III ZR 60/11,
Die Sittenwidrigkeit eines unentgeltlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1
BGB kann sich nicht nur aus Motiven des Zuwendenden ergeben, sondern auch
und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers. So kann
es sich um einen Fall handeln, in dem aus fremder Bedrängnis in sittenwidriger
Weise Vorteile gezogen werden. Hierfür kann von Bedeutung sein, ob der Schenker
sich den Wünschen des Beschenkten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur
nicht oder kaum hätte entziehen können, ob der Beschenkte dies wusste oder
sich einer derartigen Erkenntnis leichtfertig verschloss und ob er die fehlende
oder geschwächte Widerstandskraft des Schenkers eigensüchtig ausgenutzt
oder es sogar darauf angelegt hat (BGH, Urteil vom 4. Juli 1990 - IV ZR 121/89,
Abs. 2 BGB besonders hervorgehobenen Gesichtspunkte auch im Rahmen des
- VI ZR 107/90,
bb) Das Landgericht und das Berufungsgericht haben sich lediglich mit
der Motivation des Klägers und dessen Vortrag zum Verhalten der Beklagten
nach Vertragsschluss befasst. Dies hält einer Überprüfung anhand des aufgezeigten
Maßstabs nicht stand, weil sich die Sittenwidrigkeit auch aus dem Verhalten
der Beklagten im Vorfeld des Vertragsschlusses ergeben kann.
Wie die Revision zutreffend geltend macht, können die Umstände, aus denen
der Kläger seine Geschäftsunfähigkeit ableiten will, auch im Zusammenhang
mit
Wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers oder sonstige
Umstände des Krankenhausaufenthalts zu einem Zustand der Willensschwäche
oder der leichten Beeinflussbarkeit geführt haben, kann dies entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts auch dann die Nichtigkeit des Vertrags begründen,
wenn die freie Willensbildung nicht vollständig ausgeschlossen war. Das
Berufungsgericht hätte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen müssen,
ob die Beklagte den Zustand des Klägers bewusst und gezielt ausgenutzt hat,
um diesen noch während des Krankenhausaufenthalts zum Abschluss eines Vertrags
zu veranlassen, den er außerhalb dieser besonderen Situation nicht abgeschlossen
hätte.
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Sie ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO).
1. Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht
zu klären haben, ob der Kläger seine Willenserklärung im Zustand einer
Störung seiner Geistestätigkeit gemäß § 104 Nr. 2,
hat.
a) Wie bereits oben dargelegt wurde, wird das Berufungsgericht bei
der Beurteilung dieser Frage die Unterstützung durch einen Sachverständigen in
Anspruch nehmen müssen.
b) Falls das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten zu einem
Telefonat mit dem Steuerberater des Klägers als relevant ansehen sollte, wird es
dieses Vorbringen nicht als unbestritten ansehen dürfen.
Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe sofort zugesagt, die Schenkungsteuer
zu übernehmen, und die Beklagte gebeten, seinen Steuerberater anzurufen,
um diesen Punkt professionell abzuklären.
Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat der Kläger diesen Vortrag
bereits in erster Instanz bestritten.
Der Kläger hat sich zum behaupteten Telefonat mit dem Steuerberater
zwar nicht ausdrücklich geäußert. Aus seinem Vorbringen, er sei völlig überrascht
gewesen, dass er Schenkungsteuer für die Beklagte zu zahlen habe, und habe
dies auch so bei Abfassung des Vertrags nicht verstanden, ergibt sich aber implizit,
dass er der Schilderung der Beklagten auch in Bezug auf das Telefongespräch
entgegentritt. Wenn der Kläger die Schenkungsteuer nicht tragen wollte
und aus seiner Sicht kein Anhaltspunkt dafür bestand, dass er sie nach dem Vertrag
zu tragen hat, bestand für ihn auch kein erkennbarer Anlass, Kontakt zu seinem
Steuerberater aufzunehmen.
2. Sollte das Berufungsgericht erneut nicht zu der Überzeugung gelangen,
dass beim Kläger eine Störung der Geistestätigkeit im Sinne von § 104
Nr. 2,
ob der Vertrag aus den oben dargelegten Gründen als sittenwidrig anzusehen
ist.
Im Rahmen der hierbei anzustellenden Gesamtwürdigung wird sich das
Berufungsgericht gegebenenfalls auch mit der Frage befassen müssen, ob die
Behauptung des Klägers, die Beklagte habe gedroht, ihn zu verlassen und aus
der Immobilie auszuziehen, falls er den Vertrag nicht unterzeichne, aufgrund aller
für die Beweiswürdigung relevanten Umstände (
als bewiesen anzusehen ist.
Das Berufungsgericht wird in diesem Zusammenhang ferner zu beachten
haben, dass die Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts nicht ohne weiteres
die Sittenwidrigkeit der Übereignung zur Folge hat (BGH, Urteil vom 9. Mai
2014 - V ZR 305/12,
Gelegenheit zur Stellung sachdienlicher Anträge geben müssen, die diesem Umstand
Rechnung tragen.
3. Ein Anspruch auf Rückübertragung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage
kommt auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands demgegenüber
nicht in Betracht.
Die im Vertrag enthaltene Angabe, die Übertragung erfolge im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge unter Anrechnung auf etwaige Pflichtteilsansprüche,
spricht zwar dafür, dass beide Parteien davon ausgingen, die Beklagte
werde den Kläger beerben oder zumindest Pflichtteilsansprüche erwerben. Weder
hieraus noch aus dem sonstigen Vorbringen der Parteien ergeben sich aber
hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die vereinbarte Übertragung mit dem
Eintritt dieser Erwartung stehen und fallen sollte. Der Umstand, dass der Vertrag
unabhängig von dem Adoptionsantrag beurkundet worden ist, spricht eher gegen
eine solche Verknüpfung.
4. Sofern das Berufungsgericht den Vertrag nicht als sittenwidrig ansieht,
wird es sich ferner mit der Frage befassen müssen, ob das Rückforderungsbegehren
schon in den Vorinstanzen darauf gestützt war, die Beklagte
habe sich des groben Undanks im Sinne von
Wie die Revisionserwiderung im Ansatz zu Recht geltend macht, kann die
Widerrufserklärung vom 6. November 2018 allerdings schon deshalb nicht auf
die von der Revision insoweit als relevant angeführten Barabhebungen gestützt
sein, weil diese erst einen Tag später stattgefunden haben.
Zu prüfen bleibt aber, ob der Klageschrift vom 12. November 2018 hinreichend
deutlich zu entnehmen ist, dass der Kläger die Rückabwicklung der Schenkung
auch wegen der Barabhebungen vom 7. November 2018 begehrt, der Klagevortrag
also als Widerrufserklärung im Sinne von
ist.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:26.04.2022
Aktenzeichen:X ZR 3/20
Rechtsgebiete:
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Grundstücksübergabe, Überlassungsvertrag
NJW 2022, 3147-3149
Normen in Titel:BGB §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2, 138 Abs. 1