Vermögenszuordnung für in West-Berlin belegene Vermögenswerte
letzte Aktualisierung: 16.2.2022
VG Berlin, Urt. v. 23.9.2021 – 29 K 8/21
EV Art. 22 Abs. 1 S. 1; VZOG §§ 1 Abs. 3 S. 2, 7 Abs. 3, 8 Abs. 4, 11 Abs. 3; RTrAbwG § 27
Abs. 3;
Vermögenszuordnung für in West-Berlin belegene Vermögenswerte
In West-Berlin belegene Vermögenswerte, als deren Eigentümer ehemalige Gebietskörperschaften
im Beitrittsgebiet eingetragen sind oder waren, unterliegen der Vermögenszuordnung.
Entscheidungsgründe
Die rechtzeitigen Klagen sind auch im Übrigen zulässig. Auch nach der Veräußerung des
Grundstückes kann die Entscheidung in Rechte der Kläger eingreifen, da sie Ansprüchen
etwa nach § 8 Abs. 4 VZOG oder § 988 i.V.m. §§ 812 ff. BGB ausgesetzt sein können.
Die Klagen sind jedoch unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und die
Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (
den Eigentumsübergang auf den Bund nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EV festgestellt.
I. Das Grundstück unterliegt ungeachtet seiner Lage außerhalb des Beitrittsgebietes
grundsätzlich der Vermögenszuordnung. An dem Hinweis des Vorsitzenden in den
Eingangsverfügungen, aus dem Bezug auf Art. 3 EV in Art. 22 EV ergebe sich die
Unzulässigkeit der Zuordnung, hält die Kammer nicht fest. Zum einen ist das Argument der
Beigeladenen überzeugend, der Verweis auf Art 3 EV betreffe die Belegenheit der fraglichen
Rechtsträger und nicht diejenige der Vermögenswerte. Zum anderen ist auch der
Gesetzgeber mit der durch das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz eingefügten
Zuständigkeitsregelung in § 1 Abs. 3 Satz 2 VZOG davon ausgegangen, dass es auch im
Altbundesgebiet zuordnungsfähiges Vermögenswerte gebe (BT-Drs. 12/5553 S. 160).
Der Anwendung des Art. 22 EV steht nicht entgegen, dass an dem Grundstück kein
Volkseigentum entstanden ist. Dies wäre zwar im Beitrittsgebiet selbst ohne Weiteres der
Fall gewesen. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass spätestens mit Inkrafttreten des
Gesetzes über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der
staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik vom 23. Juli
1952 (GBl. DDR S. 613) alle Kreise und Gemeinden in der DDR als selbständige
Körperschaften zu existieren aufgehört haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 2009 –
BVerwG 3 B 8.09 –, Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 64 = juris Rn. 4 f.) und dem
entsprechend nicht mehr fähig waren, Eigentum innezuhaben. Dies führte dazu, dass ihr bis
dahin bestehendes Eigentum Eigentum des Volkes wurde. Die vom
Bundesverwaltungsgericht angesprochene, hinsichtlich der Gemeinden zunächst
unterlassene förmliche Umsetzung (Beschluss vom 9. März 2009 a.a.O. Rn. 5) wurde
schließlich durch die Gemeinsame Anweisung des Ministers der Finanzen und des Ministers
des Innern über die Berichtigung der Grundbücher und Liegenschaftskataster für
Grundstücke des ehem. Reichs-, Preußen-, Wehrmachts-, Landes-, Kreis- und
Gemeindevermögens vom 11. Oktober 1961 vollzogen (Fieberg/Reichenbach, Enteignung
und Offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, RWS-Dokumentation 7,
Ergänzungsband Nr. 4.7a). Nach dessen Nr. A.1. und 2. waren für alle derartigen
Grundstücke die Eigentumseintragungen zu löschen, die betreffenden Grundbuchblätter zu
schließen und im Liegenschaftskataster Eigentum des Volkes einzutragen. Auch wenn der
Anweisung keine Gesetzeskraft zukam, spiegelt sie jedoch die Rechtswirklichkeit der DDR
wieder, in der mangels sonstiger Rechtspersönlichkeiten keine andere Eigentumsform für
öffentliches Eigentum möglich war.
Zutreffend hat zwar der Mitarbeiter des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung
ausgeführt, dass die Bundesrepublik die DDR jedenfalls noch bei Erlass des Rechtsträger-
Abwicklungsgesetzes nicht anerkannt hatte und es ausgeschlossen erscheint, dass die
Entstehung von Volkseigentum respektiert oder dieses gar im Grundbuch eingetragen
worden wäre. Anders als bei in der DDR verstorbenen natürlichen Personen, die auch für
West-Berlin tot waren, ergibt sich dies für in der DDR aufgelöste Gebietskörperschaften
gerade nicht. Dies steht jedoch der Zuordnungsfähigkeit nicht entgegen. Insbesondere folgt
aus den Regelungen des Rechtsträger-Abwicklungsgesetzes nichts anderes. Nach § 27 Abs.
3 Satz 1 RTrAbwG gingen im Geltungsbereich dieses Gesetzes belegene
Vermögensgegenstände, die am 8. Mai 1945 Gebietskörperschaften mit Sitz außerhalb des
Geltungsbereiches dieses Gesetzes, jedoch in den Gebieten innerhalb der Grenzen des
Deutschen Reichs nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 zustanden, zur
Sicherstellung und Erhaltung des Bestandes der Vermögensgegenstände in die
treuhänderische Verwaltung des Bundes über. Nach § 27 Abs. 3 Satz 6 RTrAbwG durfte
über Vermögensgegenstände nach Satz 1 nicht zum Zwecke der Erfüllung von
Verbindlichkeiten der Gebietskörperschaften verfügt werden, und nach § 27 Abs. 3 Satz 7
RTrAbwG galten die sonstigen Bestimmungen des Gesetz wie etwa die in § 4 Abs. 1
RTrAbwG eingeräumte Verwertungsbefugnis nicht. Nach § 27 Abs. 3 Satz 8 i.V.m. Abs. 1
Satz 4 RTrAbwG endete die treuhänderische Verwaltung erst mit einer endgültigen
Regelung der Rechtsverhältnisse an diesen Vermögensgegenständen im Rahmen der
Wiedervereinigung Deutschlands oder einer friedensvertraglichen Regelung. Diese
Bestimmung, die auf den Stichtag 8. Mai 1945 abstellt, zeigt, dass der Gesetzgeber damals
weder von einem Untergang noch von einem Fortbestand der früheren Kommunen
ausgehen, sondern die Klärung einer Regelung nach der Wiedervereinigung vorbehalten
wollte; der Sache nach handelt es sich somit um ein Moratorium. Der bei der
Wiedervereinigung vorgefundene Zustand bestand – auch wenn dies erst später geklärt
wurde – darin, dass die bis 1952 als Gebietskörperschaften bestanden habenden
Rechtsträger nicht mehr existierten. Die durch die Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990
gebildeten Gebietskörperschaften sind weder identisch mit den 1952 aufgelösten
Gebietskörperschaften noch deren Rechtsnachfolger (BVerwG, Urteil vom 25. Februar
2010 – BVerwG 3 C 18.09 –, Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 36 = juris Rdnr. 10 m.w.N.;
ebenso – ungeachtet des Umstandes, dass sie sich dabei auf das Gesetz über die örtlichen
Organe der Staatsmacht vom 18. Januar 1957 (GBl. DDR I S. 65) stützt – auch die
Zivilrechtsprechung: BGH, Urteil vom 4. November 1994 – LwZR 12/93 –, BGHZ 127,
285 = juris Rdnr. 10 ff., und Urteil vom 25. Oktober 2005 – XI ZR 353/04 –, BGHZ 164,
361 = juris Rdnr. 25 ff.; vgl. auch KG, Beschluss vom 15. August 1995 a.a.O.). Scheidet
somit das Institut der Rechtsnachfolge und damit die Möglichkeit der
Grundbuchberichtigung aus, ist keine andere Regelung im Zuge der Wiedervereinigung
ersichtlich als diejenige in Artt. 21, 22 EV; zudem verwendet Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EV nicht
den Begriff „Volkseigentum“, sondern „Öffentliches Vermögen“. Folglich entspricht es
Sinn und Zweck dieser Regelung, das Vermögen eines im Beitrittsgebiet befindlichen
(ehemaligen) Rechtsträgers dem nunmehr passenden Zuordnungssubjekt zuzuordnen.
II. Aus der fehlenden Identität alter und neuer Kommunen ergibt sich zudem, dass die
Kläger nicht als Rechtsnachfolger Miteigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks
geworden sind. Auch konnte die DtA den (neuen) Gebietskörperschaften durch die
Übergabe der bis dahin treuhänderisch verwalteten Grundstücke kein Eigentum an den
Grundstücken verschaffen. Weder der – nur auf Bestandssicherung ausgerichteten –
Regelung des § 27 Abs. 3 RTrAbWG noch anderen anlässlich der Wiedervereinigung
erfolgten Regelungen der Rechtsverhältnisse ist eine derartige Befugnis des
treuhänderischen Verwalters zu entnehmen. Es ist auch keine Regelung ersichtlich, auf
Grund derer ein Rechtsübergang kraft Gesetzes auf die neue Gemeinde stattgefunden hätte,
der nur noch durch tatsächliche Übergabe zu erfüllen gewesen wäre. Soweit Beteiligte von
einer automatischen Wiederherstellung der tatsächlichen Sachherrschaft auf Grund einer
unveränderten Rechtsposition ausgegangen sind, beruhte dies auf der – wie dargestellt –
irrigen Annahme der Identität von aufgelösten und neu errichteten Kommunen. Schließlich
ist ein Übergang kraft Gesetzes nicht durch den Eckwert 12 der Gemeinsamen Erklärung
der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen
Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 erfolgt. Die
Gemeinsame Erklärung gewinnt als Bestandteil des Einigungsvertrages gemäß Art. 41 Abs.
1 EV insofern rechtsverbindlichen Charakter, als Rechtsvorschriften, die zur Regelung
offener Vermögensfragen erlassen werden, den Eckwerten entsprechen müssen, die sich aus
der Gemeinsamen Erklärung ergeben (BVerfG, Beschluss vom 29. April 1996 – 2 BvG
1/93 –,
Einigungsvertrag, BT-Drs. 11/7760, S. 355 [377]). Dem entsprechend ist die in Nr. 12
enthaltene Formulierung „wird zurückgegeben“ nicht anders zu verstehen als die identische
Formulierung etwa in Nr. 3, waren mithin die Rückgabemodalitäten noch einer besonderen
Regelung vorbehalten, die für den Bereich kommunalen Vermögens im Wesentlichen durch
Art. 21 und 22 EV, das nach Anlage II Kap IV Abschnitt III Nr. 2 EV mit Maßgaben
übernommene Kommunalvermögensgesetz sowie das Vermögenszuordnungsgesetz erfolgt
ist. Somit zeigt der genannte Eckwert 12 ebenso wie der Umstand, dass das
Rechtsträgerabwicklungsgesetz im Beitrittsgebiet gemäß Anlage I Kapitel IV Sachgebiet A
Abschnitt I Nr. 14 nicht in Kraft getreten ist, dass der Gesetzgeber diese Fallgruppe
gesehen und gleichwohl keiner gesonderten Regelung unterworfen hat (so bereits Urteil der
Kammer vom 13. März 2014 – VG 29 K 260.12 –, juris Rn. 24 ff.).
III. Der Zuordnung an die Beigeladene stehen auch keine eigenen Zuordnungsansprüche
der Kläger entgegen. Eine Zuordnung der Grundstücke an die Kläger als Verwaltungs- oder
Finanzvermögen i.S.v. Artt. 21 und 22 EV kommt nicht in Betracht, weil die Vorgänger der
Kläger keine Möglichkeit hatten, das Grundstück für eigene Zwecke zu nutzen. Soweit sich
ein Anspruch aus den Vorschriften des Kommunalvermögensgesetzes ergeben haben
könnte, sollte zwar dessen Kommunalisierungsauftrag ursprünglich auch weiteres
Vermögen erfassen. Jedoch ist diese Ausweitung durch die einschränkende, auf die Art. 21
und 22 verweisende Maßgabe in Anlage II Kapitel IV Abschnitt III Nr. 2 EV
zurückgenommen worden.
Die Kläger können auch keinen Anspruch auf Restitution der Grundstücke nach Art. 22
Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 EV geltend machen. Dabei kommt es nicht darauf an,
dass sie innerhalb der nach § 7 Abs. 3 VZOG i.V.m. § 1 AnFrV am 31. Dezember 1995
abgelaufenen Anmeldefrist keinen entsprechenden Antrag gestellt haben. Voraussetzung
dieses Anspruches wäre, dass der Kreis Teltow – als Rechtsvorgänger der Kläger i.S.v. § 11
Abs. 3 VZOG – das Grundstück dem Zentralstaat unentgeltlich zur Verfügung gestellt
hätte. Das ist aber schon deshalb nicht der Fall, weil der Kreis Teltow, der seit 1952 nicht
mehr existierte, 1986 kein Eigentum mehr erwerben konnte. Aber selbst wenn – wie die
Kläger meinen – durch § 27 Abs. 3 Satz 1 RTrAbwG die fortdauernde Existenz des Kreises
Teltow in einer Weise fingiert worden wäre, dass er auch weiterhin Rechte hätte erwerben
können, fehlte es an einem Zur-Verfügung-Stellen, denn die Deutsche Demokratische
Republik kann mangels eines sonstigen Übertragungsaktes Eigentum nur entweder
(unerkannt) unmittelbar durch die Eintragung der nicht mehr existierenden Körperschaften
oder gar nicht erworben haben.
Es besteht auch kein Bedürfnis, die Vorschrift dahin gehend analog anzuwenden, dass die
Kläger das Grundstück (bzw. den Erlös) behalten dürfen. Zwar meinen die Kläger das
daraus ableiten zu können, dass das Grundstück mit Mitteln des Kreises, nämlich den
Einnahmen aus anderen ihm früher gehörenden Grundstücken erworben wurde. Für solche
Grundstücke gibt es ihrerseits einen – auch tatsächlich durchgesetzten –
Restitutionsanspruch, der sich aber gerade nicht auf die nach dem Verlust gezogenen
Erträge erstreckt, so dass es auch keine Rechtfertigung dafür gibt, mit Hilfe dieser Erträge
erworbene weitere Vermögenswerte auf die Kläger zu übertragen bzw. ihnen zu belassen.
Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass offenbar die DtA nach 1990 bei hier
vorhanden Miet- und Pachtkonten an die vermeintlichen Rechtsnachfolger ausgeschüttet
hat, denn dafür fehlte ebenso wie für die Übergabe eine Rechtsgrundlage. Schließlich geht
das Argument der Kläger, der Bund bereichere sich hier auf Kosten der Körperschaften des
Beitrittsgebiets, fehl, denn nicht individuelle zu kommunalisierende Vermögenswerte sollen
gemäß Art. 22 Abs. 1 Satz 4 bis 6 EV zumindest zur Hälfte den Gebietskörperschaften des
Beitrittsgebiets zu Gute kommen.
IV. Danach ist das Grundstück, da andere Prätendenten nicht in Betracht kommen, gemäß
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV am 3. Oktober 1990 in die Treuhandverwaltung des Bundes
übergangen. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben (BImAG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3235) ist mit ihrer
Errichtung die Beigeladene zuordnungsberechtigt.
1. Das Bescheidungsinteresse der Beigeladenen ist nicht deshalb entfallen, weil wegen der
Veräußerung in Betracht kommende Ansprüche nach § 8 Abs. 4 VZOG ausgeschlossen
wären.
Erlösauskehransprüche nach § 8 Abs. 4 VZOG bestehen auch dann, wenn die verfügende
Stelle als eingetragener Eigentümer und nicht als Verfügungsberechtigter i.S.v. § 8 Abs. 1
Satz 1 VZOG gehandelt hat, sofern die Eintragung als Eigentümer zu Unrecht erfolgte
(BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – BVerwG 3 C 21.11 –
Rn. 29 f.). Dies ist hier der Fall, da die Kläger zu Unrecht als Eigentümer im Grundbuch
eingetragen worden sind.
Das Bescheidungsinteresse der Beigeladenen ist nicht durch den Verzicht des Bundes auf
Erlösauskehransprüche nach § 8 Abs. 4 VZOG in Art. 6 des Finanzvermögen-
Staatsvertrages (BGBl. 2013 I S. 1858) entfallen. Unbehelflich ist dabei allerdings der
Einwand der Beklagten, für Streitigkeiten über den Erlösauskehranspruch sei der
Verwaltungsrechtsweg gegeben. Dies trifft zwar zu (BVerwG, Beschluss vom 8. August
2007 – BVerwG 3 B 19.07 –, juris), doch besagt dies gerade nicht, dass für diese Frage ein
gesondertes Verfahren erforderlich wäre. Im Gegenteil folgt daraus, dass diese Frage ohne
Zuständigkeitszweifel im vorliegenden Verfahren mit zu prüfen wäre, wenn sie denn
entscheidungserheblich sein sollte. Sie ist es allerdings nicht, denn unabhängig von der
Frage, ob der Verzicht auch den vorliegenden Fall erfasst, sollte durch Art. 6 ausdrücklich
nicht auf die Auskehr von Mieten, Pachten und Zinsen gemäß § 988 i.V.m. §§ 812 ff. BGB
verzichtet werden (BT-Drs. 17/12639 S. 18). Soweit sich die Kläger auf Verjährung berufen,
ist es nicht Aufgabe der Zuordnungsbehörde zu prognostizieren, ob der ggf. Verpflichtete
von dieser Einrede auch Gebrauch machen wird.
2. Die Beigeladene hat ihren Anspruch nicht verwirkt.
Die Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben (
die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat. Sie bildet einen Anwendungsfall des venire
contra factum proprium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) und besagt, dass ein Recht
nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere
Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete
Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist
insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des
Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr
geltend machen werde (sog. Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich
darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (sog. Vertrauenstatbestand)
und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass
ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen
würde (BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 – BVerwG 3 B 36.11 –,
= juris Rn. 5 m.w.N.). Auch die Beteiligten als öffentlich-rechtliche Körperschaften bzw.
Anstalt können sich darauf berufen (BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2001 – BVerwG 3 C
7.00 –,
a) Eine solche Vertrauensgrundlage hat die Beigeladene oder die Bundesfinanzverwaltung,
aus der sie hervorgegangen ist, nicht gesetzt. Allein der Zeitablauf reicht für eine
Verwirkung nicht aus (BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2009 – BVerwG 8 B 73.09 –,
Rn. 9, juris, und Urteil vom 12. Dezember 2001 – BVerwG 8 C 17/01 –, BVerwGE 115,
302 = juris Rn. 44). Zudem hat die Beigeladene unwidersprochen und nachvollziehbar
vorgetragen, sie habe die Kenntnis der verschiedenen Grundstücke erst nach aufwendigen
Ermittlungen erlangt.
b) Verwirkung könnte der Beigeladenen ggf. dann entgegen gehalten werden, wenn ihr das
Verhalten des BMI sowie der dieses vertretenden DtA anlässlich der „Rückgabe“ 1991/92
zugerechnet werden könnte. Der Beklagte verweist dazu auf eine Entscheidung zu der
Frage, inwieweit sich öffentliche Stellen sich hinsichtlich des Beginns einer Verjährungsfrist
gemäß § 166 BGB das Wissen anderer zurechnen lassen müssen. Dabei ist zutreffend, dass
sich das BMI das Wissen der von ihr beauftragten DtA zurechnen lassen müsste (BVerwG,
Urteil vom 12. März 2015 – BVerwG 3 C 6.14 –, Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 30 = juris
Rn. 17 m.w.N.). Dies ist jedoch der Ausnahmefall, denn grundsätzlich hat die Beurteilung
behördlichen Handelns nur auf das bei der zuständigen Behörde vorhandene Wissen
abzustellen (BVerwG a.a.O. Rn. 16). Es ist allerdings fraglich, ob sich dies auf die Frage der
Verwirkung übertragen lässt, denn grundsätzlich ist eine Verwirkung nicht dadurch
ausgeschlossen, dass dem Berechtigten der ihm zustehende Anspruch unbekannt war
(Böttcher in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020,
dürfte es zu beurteilen sein, wenn der Berechtigte von einem ihn ggf. bindenden Verzicht
oder eben einem von anderer Stelle gesetzten Vertrauenstatbestand nichts weiß.
c) Unabhängig davon ist aber das Vertrauen der Kläger deshalb nicht schutzwürdig, weil sie
zum maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensbetätigung nicht mehr darauf hätte vertrauen
dürfen, dass jedwede Stelle des Bundes – die Beigeladene eingeschlossen – Rechte in Bezug
auf das fragliche Grundstück nicht mehr geltend machen würde.
Der Vertrauenstatbestand ergibt sich nicht bereits daraus, dass die
Grundbuchumschreibung von den Klägern (mit-)betrieben wurde. Diese diente, wie auch
die Bezeichnung „Grundbuchberichtigung“ zeigt, lediglich der Bestandssicherung. Erst die
Veräußerung und mutmaßliche Zuführung des Erlöses zum jeweiligen Haushalt kann eine
Vertrauensbetätigung darstellen. Zu diesem Zeitpunkt war den Klägern aber bekannt, dass
die Rechtsauffassung des BMI und der DtA, die zur Rückgabe geführt und die
Grundbuchumschreibung ermöglicht hat, unzutreffend war. Auf das in Unkenntnis der
Rechtslage gesetzte Umstandsmoment können sich die Kläger aber nicht berufen, denn es
fehlt an dem für die Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand, wenn der Schuldner
davon ausgehen muss, dass der Berechtigte von den ihm zustehenden Ansprüchen nichts
weiß (Böttcher in: Erman a.a.O.).
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene keinen
Antrag gestellt hat, entspricht es nicht der Billigkeit, ihr gemäß § 162 Abs. 3 VwGO einen
Kostenerstattungsanspruch zuzuerkennen, denn sie ist kein eigenes Kostenrisiko
eingegangen (§ 154 Abs. 3 VwGO). Der Vollstreckungsausspruch folgt aus
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO. Die Berufung gegen dieses Urteil ist gemäß § 6
Abs. 2 Satz 2 VZOG ausgeschlossen. Gründe, gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 VZOG, §§ 135, 132
Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:VG Berlin
Erscheinungsdatum:23.09.2021
Aktenzeichen:29 K 8/21
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
EV Art. 22 Abs. 1 S. 1; VZOG §§ 1 Abs. 3 S. 2, 7 Abs. 3, 8 Abs. 4, 11 Abs. 3; RTrAbwG § 27 Abs. 3; BImAG § 2 Abs. 2 S. 3; FinVermStVtr BE Art. 6