Klauselerteilungsverfahren; Eintragung einer Verschmelzung im Handelsregister
letzte Aktualisierung: 21.9.2023
BGH, Beschl. v. 24.5.2023 – VII ZB 69/21
ZPO §§ 291, 727
Klauselerteilungsverfahren; Eintragung einer Verschmelzung im Handelsregister
Die im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem
elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung zweier
Rechtsträger ist eine allgemeinkundige Tatsache im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen
zweier Versäumnisurteile sowie eines Kostenfestsetzungsbeschlusses jeweils
mit einer Rechtsnachfolgeklausel.
Die E. GmbH (nachfolgend: Titelgläubigerin) erwirkte
gegen den Antragsgegner ein Versäumnisurteil; nach Einspruchseinlegung
erging ein - rechtskräftiges - Zweites Versäumnisurteil. Mit Beschluss vom
27. August 2020 setzte das Amtsgericht die von dem Antragsgegner an die Titelgläubigerin
nach beiden Versäumnisurteilen zu erstattenden Kosten fest.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2021 hat der Verfahrensbevollmächtigte der
Titelgläubigerin dem Amtsgericht mitgeteilt, die Titelgläubigerin sei nach Maßgabe
eines Verschmelzungsvertrages mit Wirkung zum 31. Mai 2021 als übertragender
Rechtsträger mit der EM. GmbH (im Folgenden:
Antragstellerin) als übernehmendem Rechtsträger verschmolzen worden.
Die Gesamtrechtsnachfolge sei in den beiden dem Schriftsatz beigefügten unbeglaubigten
Handelsregisterauszügen betreffend die Titelgläubigerin (Amtsgericht
H. , HRB ) sowie die Antragstellerin (Amtsgericht H. ,
HRB ) dokumentiert und offenkundig im Sinne von § 727 Abs. 2 ZPO. Hierauf
gestützt hat der Verfahrensbevollmächtigte beantragt, der Antragstellerin jeweils
eine vollstreckbare Ausfertigung der beiden Versäumnisurteile sowie des
Kostenfestsetzungsbeschlusses mit Rechtsnachfolgeklausel zu erteilen.
Das Amtsgericht - Rechtspflegerin - hat die Titelumschreibung von der
Vorlage öffentlich beglaubigter Handelsregisterauszüge abhängig gemacht.
Nachdem die Antragstellerin solche nicht vorgelegt und an ihrer Auffassung fest-
gehalten hat, die Offenkundigkeit sei auch dann gegeben, wenn die Rechtsnachfolge
sich aus dem im Internet allgemein zugänglichen Handelsregister
(www.handelsregister.de) ergebe, auf das die Justiz jederzeit und kostenlos Zugriff
nehmen könne, hat das Amtsgericht - Rechtspflegerin - den Antrag auf Erteilung
einer Rechtsnachfolgeklausel für die drei Vollstreckungstitel zurückgewiesen.
Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin hat es nicht abgeholfen und
sie dem Landgericht als Beschwerdegericht vorgelegt. Das Landgericht hat die
sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt
die Antragstellerin ihren in den Vorinstanzen erfolglos gebliebenen Antrag weiter.
II.
Die gemäß
auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung
der angefochtenen Beschlüsse sowie zur Zurückverweisung der Sache an
das Amtsgericht. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann
der Antrag auf Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen der beiden Versäumnisurteile
sowie des Kostenfestsetzungsbeschlusses gemäß § 727 Abs. 1 ZPO nicht
abgelehnt werden.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Eine Offenkundigkeit im Sinne des § 727 ZPO "hinsichtlich des öffentlich
im Internet zugänglichen Handelsregisters" liege nicht vor. Tatsachen seien
offenkundig, wenn sie der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde
- auch durch Information aus allgemein zugänglichen Quellen - wahrnehm-
bar (allgemeinkundig) oder den zur Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel
berufenen Gerichtspersonen aus ihrer jetzigen oder früheren amtlichen
Tätigkeit bekannt (gerichtskundig) seien. Bezüglich der Allgemeinkundigkeit
schließe das Beschwerdegericht sich der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte
Karlsruhe (
Das Oberlandesgericht Karlsruhe habe ausgeführt, für die Offenkundigkeit reiche
eine etwaige Veröffentlichung im Internet unter www.handelsregister.de nicht
aus, weil der Zugang zu Informationen auf dieser Seite eine umfangreiche Registrierung
voraussetze und kostenpflichtig sei. Die Möglichkeit zur Registereinsicht
begründe auch keine Gerichtskundigkeit, da dies voraussetze, dass die Tatsache
bei dem für die Erteilung der Rechtsnachfolgeklausel zuständigen Gericht
aufgrund seiner jetzigen oder früheren amtlichen Tätigkeit, jedoch nicht erst aus
Anlass des aktuellen Antrags bekannt geworden sei, was vorliegend nicht der
Fall sei.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Bei einer (Gesamt-)Rechtsnachfolge durch Verschmelzung ist diese zunächst
im Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers und sodann in
das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers einzutragen
(§§ 2, 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 UmwG). Dazu, ob die hiernach erforderlichen Eintragungen
sich aus dem Handelsregister betreffend die Titelgläubigerin (Amtsgericht
H. , HRB ) sowie die Antragstellerin (Amtsgericht H. ,
HRB ) ergeben, haben die Vorinstanzen - von ihrem Rechtsstandpunkt
aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren
ist dies daher zugunsten der Antragstellerin zu unterstellen.
b) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht angenommen, die Veröffentlichung
der in Rede stehenden Eintragungen im Internetportal www.handelsregister.
de vermöge die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge im Sinne von
§ 727 Abs. 1 und 2 ZPO nicht zu begründen
.
aa) Der Begriff der Offenkundigkeit nach § 727 Abs. 1 und 2 ZPO entspricht
demjenigen des § 291 ZPO (BGH, Beschluss vom 26. August 2020
- VII ZB 39/19 Rn. 21,
- V ZB 174/15 Rn. 9,
die die Rechtsnachfolge begründenden Tatsachen bei Gericht allgemeinkundig
oder gerichtskundig sind (BGH, Beschluss vom 26. August 2020
- VII ZB 39/19 Rn. 21,
Rn. 26,
Sinne ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann ausgehend
von dem Maßstab nach
nicht geltend gemachten Verfahrensfehlern bei der Feststellung der maßgeblichen
tatsächlichen Verhältnisse abgesehen - nur prüfen, ob die Beurteilung des
Sachverhalts durch das Beschwerdegericht auf einer Verkennung der Rechtssätze
über die Offenkundigkeit beruht (BGH, Beschluss vom 26. August 2020
- VII ZB 39/19 Rn. 21,
bb) Das Beschwerdegericht hat bei der Beurteilung der Frage, ob die Veröffentlichung
der Eintragungen im elektronisch geführten Handelsregister im Internetportal
www.handelsregister.de die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge im
Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO zu begründen vermag, unzutreffende Anforderungen
an die Voraussetzungen der Allgemeinkundigkeit von Tatsachen gestellt
und dadurch die Rechtssätze über die Offenkundigkeit verkannt.
(1) Ob der Umstand, dass die Eintragungen im Handelsregister über das
Internetportal www.handelsregister.de öffentlich zugänglich sind, es gestattet,
eine dort ausgewiesene Rechtsnachfolge für offenkundig im Sinne von § 727
Abs. 1 und 2 ZPO zu erachten, ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum
umstritten.
Teilweise wird - mit im Einzelnen unterschiedlicher Begründung - die Annahme
von Offenkundigkeit abgelehnt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom
15. Dezember 2020 - 10 W 6/20,
OLG Naumburg, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 10 W 74/11,
- 20 T 26/20,
§ 726 Rn. 16.1; Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl., § 727 Rn. 20), teilweise hingegen
bejaht (OLG Hamburg, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 6 W 24/20,
- 5 T 158/21, n. v.; MünchKommZPO/Wolfsteiner, 6. Aufl. 2020, § 726 Rn. 61;
BeckOK ZPO/Bacher, Stand: 1. März 2023, § 291 Rn. 5; BeckOGK HGB/
Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9 Rn. 55; Winkler,
im Grundsatz auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 31. Januar 2023
- 7 W 12/23,
Rn. 16 sowie Nober in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 291 Rn. 10).
Der Bundesgerichtshof hat bisher offengelassen, ob Eintragungen in
öffentlichen Registern "per se" offenkundig im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO
sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2012 - V ZB 124/12 Rn. 7,
allerdings grundsätzlich davon aus, dass das Internet eine allgemein zugängliche
Quelle ist (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2020 - IX ZB 84/19 Rn. 15,
§ 291 ZPO auch solche gehören können, die das Gericht dem Internet entnehmen
kann (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2022 - III ZR 195/20 Rn. 8,
1820). Soweit der erkennende Senat die öffentlichen Bekanntmachungen auf der
Webseite www.insolvenzbekanntmachungen.de für die Annahme von Offenkundigkeit
im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO nicht hat ausreichen lassen (BGH,
Beschluss vom 5. Juli 2005 - VII ZB 16/05,
er dies mit dem nach den insoweit maßgeblichen Rechtsgrundlagen beschränkten
Umfang der vorzunehmenden Veröffentlichungen - im betreffenden Fall: der
fehlenden Möglichkeit, eine etwaige spätere Entlassung des einmal bestellten
Insolvenzverwalters anhand der Webseite zu ermitteln - begründet. Vergleichbare
Beschränkungen bestehen hinsichtlich des Internetportals
www.handelsregister.de nicht.
(2) Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass die im Internet über
das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem
elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung
zweier Rechtsträger eine allgemeinkundige Tatsache im Sinne von § 727
Abs. 1 und 2 ZPO ist.
Tatsachen sind allgemeinkundig, wenn sie zumindest am Gerichtsort der
Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde - auch durch Information
aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen - wahrnehmbar sind (BGH,
Beschluss vom 26. August 2020 - VII ZB 39/19 Rn. 23 m.w.N.,
Die Tatsache muss nicht jedermann gegenwärtig sein, es genügt vielmehr, dass
man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere
Fachkunde über sie sicher unterrichten kann. Diese Voraussetzungen
sind vorliegend erfüllt.
(a) Der Inhalt des von den Registergerichten geführten Handelsregisters
(§ 8 HGB) ist eine zuverlässige Informationsquelle.
Sinn und Zweck des Handelsregisters liegen darin, als technisches
Medium für die Verlautbarung der für den Rechtsverkehr wesentlichen Tatsachen
und Rechtsverhältnisse der Kaufleute und Handelsgesellschaften zu sorgen
(Informations- und Publizitätsfunktion; vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015
- II ZB 12/14 Rn. 18 m.w.N.,
wird dadurch gewährleistet, dass die Anmeldungen zur Eintragung der registergerichtlichen
Kontrolle unterliegen (vgl. Koch/Harnos in Staub, HGB, 6. Aufl., § 8
Rn. 2 f.; vgl. § 8 Abs. 1 HGB, §§ 23 ff. HRV) und an das Vertrauen in die Richtigkeit
der enthaltenen Eintragungen in dem durch
materiell-rechtliche Wirkungen knüpfen. Mit Rücksicht darauf hat der Gesetzgeber
im grundbuchamtlichen Verfahren ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, den
Nachweis rechtserheblicher Umstände, die sich aus dem Handelsregister ergeben,
anhand des Registerinhalts zu führen (vgl. § 32 GBO).
(b) Das elektronisch geführte Handelsregister (§ 8 Abs. 1 HGB i.V.m.
§ 48 HRV) ist eine allgemein zugängliche Informationsquelle.
(aa) Gemäß
Handelsregister als einem staatlichen öffentlichen Register, das aufgrund des
Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie
das Unternehmensregister (BGBl. I 2006, 2553) seit dem 1. Januar 2007 von
den Gerichten elektronisch geführt wird (§ 8 Abs. 1 HGB), sowie in die zum Handelsregister
eingereichten Dokumente zu Informationszwecken gestattet, ohne
dass es der Darlegung eines besonderen Interesses bedarf. Das Einsichtsrecht
kann zum einen gemäß § 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HRV auf der Geschäftsstelle
des zuständigen Registergerichts über ein Datensichtgerät oder durch Einsicht
in einen aktuellen oder chronologischen Ausdruck (§ 10 Abs. 2 Satz 1, § 30a
Abs. 1, 4 HRV) ausgeübt werden. Zum anderen hat der Gesetzgeber in § 9
Abs. 1 Satz 2 HGB vorgesehen, dass der Rechtsverkehr über ein von den
Landesjustizverwaltungen bestimmtes elektronisches Informations- und Kommunikationssystem,
in dem die Daten aus den Handelsregistern abrufbar sind, in
den Datenbestand sämtlicher Handelsregister Einsicht nehmen kann. Er ist dabei
davon ausgegangen, dass das Internet jedermann frei zur Verfügung steht, sei
es über einen eigenen Anschluss oder über öffentliche Zugänge, etwa in Bibliotheken
(vgl. BT-Drucks. 16/690, S. 44). Zur Verwirklichung der Einsicht über ein
elektronisches Informations- und Kommunikationssystem haben die Bundesländer,
gestützt auf § 9 Abs. 1 Satz 4 und 5 HGB, unter der Internetadresse
www.handelsregister.de ein länderübergreifendes, elektronisches Informationssystem
(Gemeinsames Registerportal der Länder) eingerichtet. Über dieses
Portal kann unter anderem der Inhalt der von den Registergerichten elektronisch
geführten Registerblätter (
des Einsichtsrechts insgesamt BeckOGK HGB/Beurskens, Stand:
15. August 2022, § 9 Rn. 19 ff.).
Die hierdurch vermittelte Form der Kenntnisnahme steht in rechtlicher Hinsicht
der Möglichkeit der Kenntnisnahme des Registerinhalts auf der Geschäftsstelle
des Registergerichts - die ihrerseits in der Regel gleichfalls elektronisch,
nämlich über das Datensichtgerät erfolgt - gleich (vgl. BT-Drucks. 16/960,
S. 34, 42; BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9 Rn. 39 ff.;
MünchKommHGB/Krafka, 5. Aufl., § 9 Rn. 4; Oetker/Preuß, HGB, 7. Aufl., § 9
Rn. 4 f.). Der Allgemeinheit ist es daher möglich, den Inhalt des elektronisch geführten
Handelsregisters (§ 48 HRV) entweder vor Ort auf der Geschäftsstelle
des jeweiligen Registergerichts oder online über einen beliebigen Internetzugang
zu Auskunftszwecken zur Kenntnis zu nehmen (vgl. auch Wolfsteiner, Die vollstreckbare
Urkunde, 4. Aufl., Rn. 46.65).
Soweit demgegenüber die Auffassung vertreten wird, eine hinreichende
Überzeugung hinsichtlich der Tatbestände des § 727 ZPO könne dem Klausel-
organ - abgesehen von einem amtlichen Registerausdruck oder einer beglaubigten
Registerabschrift bzw. Bescheinigung gemäß § 21 BNotO - allein der
"Originalregisterinhalt" vermitteln, der über das Internetportal www.handelregister.
de nicht einsehbar sei, sondern nur vergleichbar einer Kopie oder Abschrift
wiedergegeben werde (BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726
Rn. 16.1), verfängt dieser Einwand nicht. Darauf, dass eine durch Ausdruck der
Bildschirmansicht am eigenen Computer erstellte Kopie der aufgerufenen Datei
nicht einem amtlichen Ausdruck nach § 30a HRV gleichsteht (§ 52 HRV), kommt
es nicht an. Denn bei Einsicht in das ausschließlich elektronisch geführte Handelsregister
wird auf den stets identischen Datenbestand zugegriffen, unabhängig
davon, auf welchem Weg - sei es durch Einsichtnahme mittels Datensichtgeräts
beziehungsweise in einen Ausdruck (§ 30a Abs. 1, 4 HRV) auf der Geschäftsstelle
des Registergerichts, sei es online über das Gemeinsame Registerportal
der Länder - dieser Zugriff erfolgt. Daher ist auch nicht der Schluss gerechtfertigt,
nur die Einsicht in ein "Originalregister" auf der Geschäftsstelle des
jeweiligen Registergerichts könne die Basis für die Überzeugungsbildung vom
Eintritt eines Rechtsnachfolgetatbestandes sein.
(bb) Einer Einsichtnahme in das elektronisch geführte Handelsregister stehen
keine Hindernisse entgegen, die es rechtfertigen, an der allgemeinen Zugänglichkeit
dieser Informationsquelle zu zweifeln.
Dies gilt zunächst für den vom Beschwerdegericht unter Verweis auf
obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom
15. Dezember 2020 - 10 W 6/20,
Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726 Rn. 16.1) angeführten Gesichtspunkt, es fehle
deshalb an der allgemeinen Zugänglichkeit des Registers, weil bei der Einsicht
über das Gemeinsame Registerportal der Länder Kosten für den Datenabruf entstünden.
Dem lässt sich allerdings, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht
schon entgegenhalten, der Abruf "durch das Gericht" sei kostenlos. Denn die in
§ 2 Abs. 1 JVKostG unter anderem speziell für den Bund und die Länder angeordnete
Kostenfreiheit ist ein (Gebühren-)Sondertatbestand, der bei der Beurteilung
der Allgemeinzugänglichkeit außer Betracht bleiben muss. Indes ist der bis
zum 31. Juli 2022 geltende Kostentatbestand des § 4 Abs. 1 JVKostG i.V.m.
KV Nr. 1140, wonach für den Abruf von Daten aus dem Handelsregister eine Gebühr
in Höhe je Registerblatt erhoben wurde, gemäß Art. 11 Nr. 4 des
Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie vom 5. Juli 2021 - DiRUG
(BGBl. I S. 3338) mit Wirkung ab dem 1. August 2022 ersatzlos entfallen; nach
der seither geltenden Rechtslage, die vom Rechtsbeschwerdegericht zu
beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1988 - IVb ZB 80/86,
kostenlos. Jedenfalls aus diesem Grund kann die Gebührenpflicht des Datenabrufs
bei der Beurteilung der Allgemeinkundigkeit keine Rolle (mehr) spielen. Ob
in der bis Ende Juli 2022 bestehenden Kostenpflicht des Datenabrufs über das
Registerportal www.handelsregister.de eine beachtliche Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit
des elektronisch geführten Handelsregisters als Informationsquelle
lag (vgl. dazu eingehend - im Ergebnis verneinend - LG Bonn, Beschluss
vom 7. November 2014 - 6 T 308/14,
keiner Entscheidung mehr.
Der Offenkundigkeit einer aus dem elektronisch geführten Handelsregister
ersichtlichen, über das Registerportal www.handelsregister.de abrufbaren Eintragung
steht ferner nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts
die Nutzung des Gemeinsamen Registerportals der Länder die Durchführung
eines Registrierungsprozesses unter Preisgabe persönlicher Daten
voraussetzt und der Registrierungsantrag auf dem Postweg an die Servicestelle
des Registerportals zu übermitteln ist (a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom
15. Dezember 2020 - 10 W 6/20,
BeckOK ZPO/Ulrici, Stand: 1. März 2023, § 726 Rn. 16.1). Die Ausgestaltung des
Registrierungsprozesses, insbesondere das Erfordernis eines postalisch zu
übermittelnden Registrierungsantrags an die für die Freischaltung zuständige
Stelle, mag die Attraktivität einer Einsichtnahme in das Handelsregister über das
Registerportal mindern (so BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 1. Oktober 2021,
§ 9 Rn. 44) und einer spontanen Onlineabfrage der Registerdaten vor erfolgter
Registrierung entgegenstehen. Bei wertender Betrachtung liegt darin aber noch
keine beachtliche Beschränkung der Nutzung des Registers als Informationsquelle
durch die Allgemeinheit, zumal weder festgestellt noch sonst ersichtlich
ist, dass bei Zugrundelegung üblicher Postlauf- und Bearbeitungszeiten eine Einsichtnahme
nicht zeitnah nach Antragstellung möglich ist. Darüber hinaus bleibt
eine Einsicht für jedermann auf der für die Führung des Handelsregisters zuständigen
Geschäftsstelle möglich (
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im Zuge der Registrierung
persönliche Daten wie der Wohnsitz beziehungsweise die Postanschrift der
Personen erhoben werden, die das Gemeinsame Registerportal der Länder zur
Einsicht in das Register nutzen wollen. Der Sachverhalt unterscheidet sich insoweit
nicht wesentlich von einer Einsichtnahme in das Grundbuch, dessen Eintragungen
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als offenkundige Informationen
anzusehen sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2012
- VII ZA 11/12 Rn. 2, juris; Urteil vom 28. März 2000 - XI ZR 184/99, NJW-RR
2000, 1358, juris Rn. 15). Auch die Wahrnehmung dieses Einsichtsrechts, das
nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO die Darlegung eines berechtigten Interesses
voraussetzt, ist grundsätzlich mit der Preisgabe persönlicher Daten verbunden
(vgl. auch § 12 Abs. 4 GBO, § 46a Abs. 1 GBV). Ferner wird - was das Beschwerdegericht
nicht erwogen hat - bei einer Registereinsicht auf der Geschäftsstelle
des Registergerichts die Identität der Einsicht nehmenden Person grundsätzlich
nicht geprüft (vgl. BeckOGK HGB/Beurskens, Stand: 15. August 2022, § 9
Rn. 29).
(c) Die Feststellungen des Beschwerdegerichts belegen auch nicht, dass
zur Einsichtnahme in das elektronische Handelsregister eine besondere, der Annahme
von Offenkundigkeit entgegenstehende Fachkunde erforderlich ist.
Zwar ist nach den tatrichterlichen Feststellungen für die Einsicht in das
Register über das Gemeinsame Registerportal der Länder ein Grundverständnis
über den Aufbau und die Funktionsweise der Webseite sowie die damit verbundenen
Recherchemöglichkeiten erforderlich. Es ist indessen weder festgestellt
noch ersichtlich, dass die Erlernung der Nutzung des Registerportals zu Informationszwecken
für einen verständigen Teilnehmer des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs
mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden ist oder besonderen
Sachverstand voraussetzt. Ein solches Verständnis wäre nicht nur unzeitgemäß,
weil es im Widerspruch zum hohen Verbreitungsgrad des Internets als einem
zentralen Informations- und Kommunikationsmedium in allen Lebensbereichen
stünde, sondern es widerspräche auch der erklärten Vorstellung des Gesetzgebers,
der davon ausgegangen ist, dass die elektronische Handelsregisterführung
die freie Zugänglichkeit der Eintragungen für jedermann und von überall her online
ermöglicht (vgl. BT-Drucks. 16/960, S. 34, 44).
(d) Die gegenteilige Auffassung des Beschwerdegerichts steht schließlich
auch im Widerspruch dazu, dass das Gesetz in § 32 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Satz 1 GBO - der Sache nach - Eintragungen im elektronisch geführten Handelsregister
wie offenkundige Tatsachen behandelt. Nach diesen Vorschriften kann
im grundbuchamtlichen Verfahren der Nachweis der im Handels-, Genossenschafts-,
Partnerschafts- oder Vereinsregister eingetragenen Vertretungsberechtigungen,
Sitzverlegungen, Firmen- oder Namensänderung sowie das Bestehen
juristischer Personen und Gesellschaften durch Bezugnahme auf das Register
geführt werden, soweit das Register - wie im Falle des Handelsregisters -
elektronisch geführt wird. Der Gesetzgeber hat insoweit die Bezugnahme als
Form des Nachweises zugelassen, weil das Grundbuchamt auf ein elektronisch
geführtes öffentliches Register direkt und mit geringem Aufwand durch eine
Onlineabfrage zugreifen und sich über den Registerinhalt informieren kann (vgl.
BT-Drucks. 16/12319, S. 21, 47).
Soweit die Möglichkeit der Bezugnahme auf ein elektronisch geführtes
Handelsregister durch § 32 Abs. 2 Satz 1 GBO auf die in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift
genannten Fälle beschränkt worden ist und daher insbesondere der Nachweis
einer Umwandlung (
werden kann, folgt hieraus nichts anderes. Denn die betreffende Differenzierung
beruht nicht auf dem - in § 32 GBO ohnehin nicht tatbestandlich vorausgesetzten
- Merkmal der Offenkundigkeit, sondern auf der Absicht des Gesetzgebers,
den Rechercheaufwand für das Grundbuchamt auf ein Mindestmaß zu begrenzen,
weil in der grundbuchamtlichen Praxis ein Nachweis der Vertretungsbefugnis
zumeist im Zusammenhang mit der Löschung oder Abtretung eines Grundpfandrechts
zu führen sei, seit dessen Eintragung in der Regel mehrere Jahre
oder Jahrzehnte vergangen seien (BT-Drucks. 16/12319, S. 21, 47). § 32 Abs. 2
Satz 1 GBO gestattet daher nicht den Schluss, eine aus dem elektronisch geführten
Handelsregister ersichtliche Rechtsnachfolge durch Verschmelzung
zweier Rechtsträger könne nicht offenkundig i.S.v. § 727 Abs. 1, 2 ZPO sein.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist hiernach aufzuheben (§ 577 Abs. 4
Satz 1 Halbsatz 1 ZPO). Der Senat macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von
der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben
und die Sache unmittelbar an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen
(vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 - VII ZB 87/17 Rn. 30,
Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kommt im Streitfall nicht
in Betracht. Die Feststellung, ob der von der Antragstellerin geltend gemachte
Rechtsnachfolgetatbestand sich aus dem elektronisch geführten Handelsregister
ergibt, muss den Tatsacheninstanzen überlassen bleiben (§ 577 Abs. 2 Satz 4,
§ 559 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1990 - V ZR 21/89,
juris Rn. 19 für das Revisionsverfahren).
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:24.05.2023
Aktenzeichen:VII ZB 69/21
Rechtsgebiete:
Handelsregisterrecht und allgemeines Gesellschaftsrecht
Beurkundungsverfahren
Grundbuchrecht
Umwandlungsrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
NJW 2023, 2489-2493
Normen in Titel:ZPO §§ 291, 727