OLG Hamm 04. November 2022
10 W 125/21
BGB §§ 119, 1954 Abs. 1

Keine Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Rechtsfolgenirrtum

letzte Aktualisierung: 30.11.2022
OLG Hamm, Beschl. v. 4.11.2022 – 10 W 125/21

BGB §§ 119, 1954 Abs. 1
Keine Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Rechtsfolgenirrtum

1. Zwar kann ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1., 1. Alt. BGB auch darin gesehen werden, dass der
Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von
ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein
derartiger Rechtsirrtum berechtigt jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene
Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht
erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und
eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern
ein unbeachtlicher Motivirrtum.
2. Derjenige, der bei der Annahme einer Erbschaft über die Höhe des zu seinen Gunsten greifenden
Steuerfreibetrages irrt, befindet sich nicht in einem Irrtum über den Eintritt wesentlich anderer
Rechtsfolgen, sondern nur über die Höhe der ihn treffenden Erbschaftssteuer als einer mittelbaren
Rechtswirkung. Der Irrtum darüber, dass es steuerlich günstiger gewesen wäre, die Erbschaft nach
dem Bruder auszuschlagen, damit diese der gemeinsamen Mutter zufällt, um nach deren künftigen
Tod als deren Alleinerbe deutlich höhere Steuerfreibeträge in Anspruch nehmen zu können, stellt als
Irrtum über die günstigste steuerliche Gestaltung der Annahme der Erbschaft keinen zur
Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigenden relevanten Rechtsfolgenirrtum im Sinne des
§ 119 Abs. 1 BGB dar.

Gründe:

I.
Der Beteiligte zu 1) ist der Bruder, die Beteiligte zu 2) die Mutter des ohne Hinterlassung
einer letztwilligen Verfügung zwischen dem 00. und 00.00.2021 verstorbenen Erblassers

A.
Auf Antrag des Beteiligten zu 1) vom 21.07.2021 und nach Anhörung der Beteiligten zu 2)
erteilte das Amtsgericht – Nachlassgericht – Arnsberg unter dem 04.08.2021 einen
Erbschein, nach dem der Erblasser von den Beteiligten je zu 1/2 beerbt worden ist.
Am 17.08.2021 erklärte der Beteiligte zu 1) in notariell beglaubigter Form die Anfechtung
der Erbschaftsannahme wegen Irrtums gem. §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 1 BGB mit der
Begründung, im Zeitpunkt der Beantragung des Erbscheins sei er von wesentlich anderen
Steuerfreibeträgen zu seinen Gunsten bzgl. der Erbschaft nach seinem Bruder
ausgegangen. Der Notar reichte die Anfechtungserklärung am Folgetag bei dem
Nachlassgericht ein und bat um Benachrichtigung, dass gegen die Beantragung eines
neuen Erbscheins durch die Beteiligte zu 2) keine Bedenken bestünden.

Das Nachlassgericht legte dies als Antrag auf Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021
aus, den es mit Beschluss vom 14.09.2021 zurückwies. Zur Begründung ist ausgeführt, bei
dem Irrtum über die Höhe der Erbschaftssteuer handele es sich um einen unbeachtlichen
Motivirrtum, so dass der richtige Erbschein nicht einzuziehen sei.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde vom 20.09.2021. Er ist
der Ansicht, ein Irrtum über die Rechtsfolgen der Annahme oder Anfechtung der Erbschaft
sei ein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB.

Mit Beschluss vom 24.09.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen
und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.
Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist
unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Nachlassgericht die
sinngemäß beantragte Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 abgelehnt, weil dieser
nicht unrichtig im Sinne des § 2361 S. 1 BGB ist.

1.
Der Erbschein ist nicht durch die am 17.08.2021 erklärte Anfechtung der
Erbschaftsannahme unrichtig geworden, denn ein Grund, der den Beteiligten zu 1) zur
Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigen würde, liegt nicht vor, insbesondere
befand sich der Beteiligte zu 1) am 21.07.2021 nicht in einem relevanten
Rechtsfolgenirrtum.

Zwar kann ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1., 1. Alt. BGB auch darin gesehen werden,
dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das
Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern
solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt nach
ständiger Rechtsprechung jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene
Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist
der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den
gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der
Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urteil vom 29.06.2016, IV
ZR 387/15, NJW 2016, 2954 ff. m. w. N.).

Indem der Beteiligte zu 1) nach eigenen Angaben über die Höhe des zu seinen Gunsten
greifenden Steuerfreibetrages zum einen nach dem Tod des Erblassers – seinem Bruder –
als auch nach dem dereinstigen Ableben der Beteiligten zu 2) – seiner Mutter – irrte, irrte
er nicht über den Eintritt wesentlich anderer Rechtsfolgen, sondern nur über die Höhe der
ihn treffenden Erbschaftssteuer als einer mittelbaren Rechtswirkung. Er irrte nach den
ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 21.10.2021 darüber, dass es für ihn
steuerlich günstiger gewesen wäre, die Erbschaft nach seinem Bruder auszuschlagen,
damit diese der gemeinsamen Mutter zufällt, um nach deren künftigen Tod als deren
Alleinerbe deutlich höhere Steuerfreibeträge in Anspruch nehmen zu können. Ein solcher
Irrtum über die günstigste steuerliche Gestaltung bei Annahme einer Erbschaft stellt
jedoch keinen zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigenden relevanten
Rechtsfolgenirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss
vom 08.12.2019, 20 W 325/09, Rn. 9).

Mangels eines zur Anfechtung berechtigenden Grundes hat die Anfechtungserklärung
nicht die Wirkung des § 1957 Abs. 1 BGB erzeugt, so dass der Beteiligte zu 1) weiter
Miterbe seines Bruders zu 1/2 neben der Beteiligten zu 2) ist.

2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die hierfür nach § 70 Abs. 2 FamFG
erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GNotKG und den
Angaben des Beteiligten zu 1) zur Höhe des Nachlasswertes in dem Wertermittlungsbogen
vom 10.09.2021.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

04.11.2022

Aktenzeichen:

10 W 125/21

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Kostenrecht
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 119, 1954 Abs. 1