Formbedürftigkeit der Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages nach Entstehung eines Anwartschaftsrechts für den Käufer
Rechtsprechung
1. Schuldrecht - Formbedürftigkeit der Aufhebung eines
Grundstückskaufvertrages nach Entstehung eines Anwartschaftsrechts für den Käufer
(BGH, Urteil vom 30. 9. 1993- IX ZR 211/92)
BGB §§ 313; 675
1. Zur Frage, inwieweit ein Rechtsanwalt auf den Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung vertrauen
darf.
2. Zur Formbedürftigkeit eines Vertrages über die Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages, wenn der
Käufer durch die Erklärung der Auflassung und die Eintragung einer Auflassungsvormerkung bereits eine Anwartschaft erworben hat.
(Zweiter Leitsatz nicht amtlich)
Zum Sachverhalt:
Die KI. nimmt die Bekl. wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten, den
Beki. zu 1) hilfsweise wegen Verletzung von Amtspflichten als Notar auf
Schadensersatz in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29. 11. 1979 verkaufte die KI.
ein ihr gehörendes Grundstück an die Ärztezentrum Neu W. GmbH
(fortan: Käuferin) zu einem Kaufpreis von 76.000,- DM. Zugleich erklärten die Vertragsparteien die Auflassung. Eine entsprechende Vormerkung für die Käuferin wurde im Grundbuch eingetragen. Die Käuferin
hinterlegte bei dem beurkundenden Notar auf den Kaufpreis 46.000,DM. Zur Hinterlegung des restlichen Kaufpreises wurde sie durch Urteil
des OLG Düsseldorf vom 20. 5.1961 rechtskräftig verurteilt. Die
Zwangsvollstreckung gegen die Käuferin blieb erfolglos. In der Folgezeit
beauftragte die KI. die Bekl. mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Am
9. 2. 1982 kam es zwischen den Vertragsparteien im Beisein des Bekl.
zu 2), der den Text entworfen hatte, zu einer privatschriftlichen Vereinbarung. Diese lautet auszugsweise wie folgt:
„1. Herr U. B.... ist (von seiten der Käuferin) ... autorisiert, sämtliche
Rechtsgeschäfte abzuschließen im Zusammenhang mit der Abwicklung
bzw. Rückabwicklung des notariellen Kaufvertrages vom 29. November
1979...
2. Die ... (Käuferin) erteilt die Löschungsbewilligung bzgl. der im
Grundbuch von ... eingetragenen Auflassungsvormerkung.
3. Die. . . (KI.) erklärt die Freigabe der beim Notar ... hinterlegten Teilkaufpreissumme einschließlich angefallener Zinsen mit der Maßgabe,
daß ein Betrag von 21.500,- DM. . . an ... (Käuferin) ausgezahlt wird.
Der verbleibende Restbetrag wird an die ... (KI.) ausgezahlt.
4. Mit Erfüllung dieses Vergleiches sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien ausgeglichen."
Am selben Tag bewilligte B. für die Käuferin in getrennter Urkunde die
Löschung der Auflassungsvormerkung; seine Unterschrift wurde von
dem Bekl. zu 1) beglaubigt. Mit Schreiben vom 23.2. 1982, das am
25. 2. 1982 beim GBA einging, stellte dieser den Antrag auf Löschung
der Auflassungsvormerkung. Mit Schreiben vom 26. 2. 1982 wies das
GBA den Bekl. zu 1) darauf hin, daß dem Löschungsantrag noch nicht
entsprochen werden könne, weil ein beglaubigter Handelsregisterauszug neuesten Datums über die Käuferin fehle. Ebenfalls am 26. 2. 1982
erwirkte der Kaufmann W. L. einen Arrestbefehl und Pfändungsbeschluß, durch den die der Käuferin gegen die KI. angeblich zustehende
Forderung auf Übertragung des Eigentums gem. Kaufvertrag vom
29. 11. 1979 sowie das Anwartschaftsrecht der Käuferin in bezug auf
den Erwerb des Eigentums an dem Grundstück gepfändet wurden. Am
6. 10. 1982 erging zugunsten des Angestellten K. 1., aufgrund eines
rechtskräftigen Vollstreckungsbescheids ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der dieselben Rechte der Käuferin betraf. Am 2. 4. 1982
(L.) und am 7. 3. 1983 (1.) wurde im Grundbuch eingetragen, daß „der
durch Vormerkung gesicherte Auflassungsanspruch" der Käuferin für die
beiden Gläubiger gepfändet sei. Der Antrag des Bekl. zu 1) auf Löschung der Auflassungsvormerkung wurde zurückgewiesen. Im Jahre
1984 erwirkte I. weitere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse,
durch die das Anwartschaftsrecht der Käuferin auf Erwerb des Eigentums an dem verkauften Grundstück gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurde. Daraufhin wurde die Käuferin am 18. 12. 1984 als
Eigentümerin des gekauften Grundstücks im Grundbuch eingetragen.
Ferner wurden zugunsten von L. eine Höchstbetragshypothek und zugunsten von I. zwei Sicherungshypotheken eingetragen. I. betrieb die
Zwangsversteigerung des Grundstücks. Ihm wurde im Februar 1986 der
Zuschlag erteilt; am 3. 4. 1987 wurde er als Eigentümer im Grundbuch
eingetragen.
Die KI. wirft den Bekl. vor, sie nicht darauf hingewiesen zu haben, daß
die Vereinbarung vom 9. 2. 1982 wegen des zugunsten der Käuferin begründeten Anwartschaftsrechts nach nahezu unbestrittener Literaturmeinung, die durch die Entscheidung des BGH vom 30. 4. 1982 (BGHZ
83, 395 =
26. 2. 1964 - V ZR 154/62 -
der notariellen Beurkundung bedurft habe. Bei einer Wirksamkeit der
Vereinbarung wäre der Auflassungsanspruch und mit ihm das Anwartschaftsrecht der Käuferin entfallen, die späteren Pfändungen wären ins
Leere gegangen, und die KI. hätte das Eigentum an dem Grundstück
nicht verloren. Dem Bekl. zu 1) macht die KI. darüber hinaus zum Vorwurf, die ihm ihr gegenüber bestehenden Amtspflichten als Notar verletzt
zu haben. Er habe den Antrag auf Löschung der Auflassungsvormerkung verspätet gestellt. Bei unverzüglicher Antragstellung wäre die Vormerkung noch vor Eingang des von dem Gläubiger L. erwirkten Pfändungsbeschlusses beim GBA gelöscht worden.
Mit ihrer Klage begehrt die KI. noch 106.874,32 DM nebst Zinsen. Die
Bekl. haben eine schuldhafte Pflichtverletzung in Abrede gestellt und
sich unter anderem auf Verjährung berufen. LG und OLG haben die
Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die KI. ihre Berufungsanträge weiter.
Aus den Gründen:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I. Das Berufungsgericht meint, der Bekl. zu 2) habe nicht
schuldhaft gehandelt, als er objektiv pflichtwidrig die Kaufvertragsparteien veranlaßt habe, zur Vermeidung sonst anfallender Beurkundungskosten die entsprechend
formbedürftige Vereinbarung vom 9. 2. 1982 über die Aufhebung des Grundstückskaufvertrages nur privatschriftlich zu
treffen und allein die Löschungsbewilligung der Käuferin durch
den Bekl. zu 1) notariell beglaubigen zu lassen. Maßgeblich sei
damals nach wie vor die Entscheidung des BGH aus dem
Jahre 1964 gewesen. Daß in der Literatur überwiegend die gegenteilige Auffassung vertreten worden sei, der sich der BGH
später angeschlossen habe, stehe dem nicht entgegen. Vor
einer Änderung der Rechtsprechung habe der Bekl. zu 2) darauf vertrauen dürfen, daß die Gerichte von der Wirksamkeit der
privatschriftlichen Aufhebung des Kaufvertrages ausgehen
würden. Er sei auch nicht gehalten gewesen, die Kl. auf die abweichenden Literaturmeinungen hinzuweisen.
Auch eine Haftung des Bekl. zu 1) als Notar scheide aus. Zwar
habe er den Löschungsantrag verspätet gestellt und deshalb
seine ihm der KI. gegenüber obliegenden Amtspflichten verletzt. Es könne aber nicht festgestellt werden, daß bei einer alsbaldigen Antragstellung die Vormerkung bis zum Wirksamwerden der Pfändung des Anwartschaftsrechts der Käuferin durch
den Gläubiger L. am 1. oder 2. 3. 1982 gelöscht worden wäre.
Vielmehr wäre die Löschung auch bei einem rechtzeitigen Antrag nicht vor dem 2. 3. 1982 eingetragen worden und die KI.
hätte ihr Eigentum aufgrund der Pfändung später ohnehin verloren.
II. Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht die Klage
abgewiesen, soweit sie auf eine Verletzung des zwischen den
Parteien geschlossenen Anwaltsvertrages gestützt ist.
1. Das Berufungsgericht geht im Anschluß an
399 f. =
9. 2. 1982 habe entsprechend
angezogene Entscheidung des BGH erst nach Abschluß der
Vereinbarung ergangen ist, einiges für eine schuldhafte Pflichtverletzung der Bekl. sprechen.
Ein Rechtsanwalt ist aufgrund des Anwaltsvertrages verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen seines
erteilten Mandats nach jeder Richtung umfassend wahrzunehmen. Er muß sein Verhalten so einrichten, daß er Schädigun310 Heft Nr. 12 - MittRhNotK • Dezember 1993
gen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von
einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, tunlichst vermeidet. Sind mehrere Wege möglich, um einen erstrebten Erfolg zu erreichen, hat er denjenigen zu wählen, auf
dem dieser am sichersten erreichbar ist. Will er einen weniger
sicheren Weg wählen, muß er zumindest seinen Auftraggeber
zuvor über die insoweit bestehenden Gefahren belehren und
sein weiteres Verhalten von dessen Entscheidung abhängig
machen. Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen
Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten
Mandat und den Umständen des Falles (vgl. BGH WM 1986,
199, 202; 1988, 382, 385; 1990, 1917, 1918f.; 1992, 742, 743;
1993, 1508, 1509).
Im Streitfall wird den Bekl. der Vorwurf gemacht, im Anschluß
an die Entscheidung des BGH vom 26. 2. 1964 (
510) ohne Berücksichtigung der an ihr geübten Kritik und der
zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung angenommen zu haben,
ein notariell beurkundeter Grundstückskaufvertrag könne vor
seinem Vollzug im Grundbuch auch dann ohne Wahrung dieser
Form wieder aufgehoben werden, wenn zugunsten des Käufers
ein Anwartschaftsrecht begründet worden sei. Der Bekl. zu 2)
hätte nicht ohne weiteres auf den Fortbestand der Rechtsprechung vertrauen dürfen, sondern hätte die KI., zumindest auf
die entgegenstehenden Stimmen in der Literatur hinweisen und
ihr im Hinblick auf die bestehende Rechtsunsicherheit die notarielle Beurkundung empfehlen müssen. Dies gelte um so mehr,
als ihm die Zahlungsunfähigkeit der Käuferin bekannt gewesen
sei und er mit einem Zugriff von Gläubigern auf die Rechte aus
dem Kaufvertrag hätte rechnen müssen.
Wegen der richtungweisenden Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Rechtswirklichkeit zukommt, hat
sich ein Rechtsanwalt bei der Wahrnehmung eines Mandats
grundsätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten (vgl.
BGH
ihren Fortbestand vertrauen (vgl. E. Schneider, MDR 1972,
745, 747). Das gilt insbesondere in den Fällen einer gefestigten
höchstrichterlichen Rspr., weil von einer solchen nur in besonderen Ausnahmefällen abgegangen zu werden pflegt (vgl.
für neuere Entscheidungen zutreffen, in denen die jeweilige
Problematik behandelt und in einem bestimmten Sinn entschieden worden ist. Auch entgegenstehende Judikatur von Instanzgerichten und abweichende Stimmen im Schrifttum verpflichten
den Rechtsanwalt dann regelmäßig nicht, bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben die abweichende Meinung zu berücksichtigen. Die Entscheidung des VII. Zivilsenats in BGHZ 60,
98, 101, die eine andere Auffassung nahelegen könnte, betrifft
das Verjährungsrecht und ist für das anwaltliche Haftungsrecht
nicht unmittelbar einschlägig.
Gleichwohl gibt es Grenzen anwaltlichen Vertrauens auf den
Fortbestand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Anwalt darf sich auf ihre Fortdauer nicht blind verlassen. So hat er
die Auswirkungen neuer Gesetze auf eine zu dem alten
Rechtszustand ergangene Judikatur zu erwägen. Auch hat er
Hinweise eines obersten Gerichts auf die Möglichkeit einer
künftigen Änderung seiner Rechtsprechung zu berücksichtigen. Ferner hat er nach Möglichkeit neue Entwicklungen in
Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, namentlich das Entstehen neuer Rechtsfiguren zu verfolgen und im Rahmen des
ihm Zumutbaren deren mögliche Auswirkungen auf eine ältere
Rechtsprechung im Bereich der jeweiligen Problemfelder zu
bedenken. Dies kann unter bestimmten Umständen dazu
führen, daß der Anwalt dann, wenn es auf einem Rechtsgebiet
mit dogmatischem Wandel zu einer bestimmten Frage an neueren höchstrichterlichen Entscheidungen fehlt, die dem gewandelten Verständnis Rechnung tragen konnten, nicht mehr ohne
weiteres auf den Fortbestand einer alten Rechtsprechung vertrauen darf, sondern wegen seiner Pflicht zur Wahl des relativ
sichersten Weges gehalten ist, eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Rechnung zu stellen. Allgemeine
Heft Nr. 12 • MittRhNotK - Dezember 1993
Regeln lassen sich insoweit kaum finden. Entscheidend sind
stets die besonderen Umstände des Einzelfalls. Grundsätzlich
wird darauf abzustellen sein, mit welchem Grad an Deutlichkeit
(Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte
Richtung weist und eine neue Antwort auf eine bisher anders
entschiedene Frage nahelegt. Ferner wird ins Gewicht fallen,
mit welchem Aufwand — auch an Kosten — der neuen Rechtsentwicklung im Interesse des Mandanten Rechnung getragen
werden kann. Insbesondere wird zu bedenken sein, ob der Anwalt bei einer Berücksichtigung der neuen Rechtsentwicklung
sich für den Fall, daß die bisherige Rechtsprechung nicht geändert wird, dem Vorwurf aussetzen kann, diese Rechtsprechung
nicht beachtet und deshalb einen Schaden seines Mandanten
verursacht zu haben (vgl. Rehbinder, FS Stimpel, 47, 55 ff.).
Regelmäßig wird es sich um besonders zu begründende, eng
umgrenzte Ausnahmefälle handeln, in denen es als schuldhafte
Pflichtverletzung des Anwalts zu werten ist, daß er seiner Beratung die Möglichkeit einer Änderung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zugrunde gelegt hat.
Im Streitfall könnte von Bedeutung sein, daß in dem gängigen
Kommentar von Palandt, dessen 23. Aufl. der BGH in der Entscheidung vom 26. 2. 1964 (
Beleg für seine Rechtsmeinung aufgeführt hatte, seit der
39. Aufl. (Erscheinungsjahr 1980,
Hinweis auf die 1979 erschienene 1. Aufl. des MünchKomm
und die in demselben Jahr erschienene 12. Aufl. des Kommentars von Staudinger unter ausdrücklicher Abweichung von der
Entscheidung des BGH
Kaufvertrages nach Auflassung ebenfalls formbedürftig sei,
weil sie das Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers
wieder aufhebe. Nach MünchKomm/Kanzleiter, 1. Aufl., § 313
BGB, Rd.-Nrn. 16, 49 und Staudinger/Wufka, 12. Aufl., § 313
BGB, Rd.-Nrn. 19, 66, bedarf die Aufhebung des Kaufvertrages
der notariellen Beurkundung, wenn für den Käufer bereits ein
Anwartschaftsrecht begründet wurde. Bei einer Lektüre des Urteils in
daß hier die Möglichkeit einer Differenzierung zwischen der
Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages vor und nach Begründung eines Anwartschaftsrechts nicht einmal angedeutet
wird. Ferner könnte ins Gewicht fallen, daß die grundlegenden
Entscheidungen des BGH vom 25. 2. 1966 (
und vom 18. 12. 1967 (
des Auflassungsempfängers noch nicht ergangen waren. Aus
Übertragung des Anwartschaftsrechts die (gern.
notariellen Beurkundung bedürftige) Auflassung verlangt. Gewichtige Stimmen der Literatur vertraten schon vor 1982 die
Auffassung, daß auch die Verpflichtung zur Übertragung des
Anwartschaftsrechts gern.
sei (MünchKomm/Kanzleiter,
Palandt/Heinrichs, ab 39. Aufl.,
201) begründet werden konnte, sondern auch durch Auflassung und Eintragung einer Auflassungsvormerkung, entsprach
einer weithin vertretenen, wenngleich nicht unumstrittenen und
höchstrichterlich noch nicht bestätigten Auffassung (OLG
Hamm
1981, 130; Palandt/Bassenge, ab 39. Aufl.,
B bb; RGRK/Augustin, 12. Aufl. [1976],
Rd.-Nr. 34; vgl. auch bereits
Bei diesem relativ leicht erkennbaren Stand der Rechtsentwicklung könnte einiges dafür sprechen, daß der Bekl. zu 2) im Februar 1982 in Rechnung stellen mußte, der BGH werde — wie
dies tatsächlich kurz darauf im Urteil vom 30. 4. 1982 (BGHZ
83, 395 =
Anwartschaftsrechts der Form des
ein Anwartschaftsrecht auch annahm, wenn nach erklärter Auflassung eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen wurde. Für diesen Fall dürfte die Annahme nicht fernliegen,
daß der Bekl. zu 2) wegen seiner Verpflichtung zur Wahl des
den Umständen nach sichersten Weges gehalten war, der KI.
eine notarielle Beurkundung der Vereinbarung vom 9. 2. 1982
zu empfehlen. Eine solche Beurkundung wäre hier mit verhältnismäßig geringen Kosten und ohne sonstigen größeren Aufwand möglich gewesen, und die Gefahr, daß der KI. infolge
einer Abweichung von der Entscheidung von 1964 ein Schaden
entstehen könnte, bestand nicht.
Gegen eine schuldhafte Pflichtverletzung des Bekl. zu 2) ließe
sich insbesondere anführen, daß nicht endgültig geklärt war, ob
durch Auflassung und Eintragung einer Auflassungsvormerkung ein Anwartschaftsrecht entsteht, und daß mit einigem
Recht die Auffassung vertreten werden konnte, die Verpflichtung zur Aufhebung eines Anwartschaftsrechts sei derjenigen
zu seiner Übertragung nicht gleichzusetzen und deshalb — anders als diese — einer notariellen Beurkundung nicht bedürftig
(vgl. etwa Reinicke/Tiedtke,
2. Letztlich bedarf die Frage, ob der Bekl. zu 2) gleichwohl eine
Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Formbedürftigkeit einer Vereinbarung über die Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages bei einem Anwartschaftsrecht des Käufers
bedenken mußte, keiner abschließenden Beantwortung. Auch
wenn man dies bejahen wollte, fällt dem Bekl. zu 2) im Streitfall
eine schuldhafte Verletzung seiner Anwaltspflichten nicht zur
Last. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist nämlich davon auszugehen, daß die Vereinbarung vom 9. 2. 1982
auch bei Zugrundelegung der mit der Entscheidung BGHZ 83,
395 eingeleiteten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl.
auch BGH
1988, 560) nach der seinerzeit einhellig und noch heute ganz
überwiegend vertretenen Meinung der notariellen Beurkundung
nicht bedurfte.
Dem Text der vom Berufungsgericht nicht näher ausgelegten
Vereinbarung ist mit hinreichender Klarheit zu entnehmen, daß
mit ihr nicht nur der schuldrechtliche Kaufvertrag über das
Grundstück, sondern sämtliche in der notariellen Urkunde enthaltenen Erklärungen der Vertragsparteien mit Einschluß der
Auflassung aufgehoben werden sollten. In Nr. 1 der Vereinbarung ist von sämtlichen Rechtsgeschäften im Zusammenhang
mit der Rückabwicklung des notariellen Kaufvertrages die
Rede. In Nr. 2 wird die Löschung der Auflassungsvormerkung
bewilligt, in Nr. 3 die Freigabe der hinterlegten Teilkaufpreissumme erklärt, die der Käuferin zustehen sollte. Schließlich
wird in Nr. 4 bekräftigt, daß mit der Erfüllung dieses Vergleiches
sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien ausgeglichen seien. Aus alledem ist zu schließen, daß die Vertragsparteien mit der Vereinbarung vom 9. 2. 1982 ihre durch den Kaufvertrag begründeten Rechtsbeziehungen soweit wie rechtlich
irgend möglich rückgängig machen wollten. Es bestand kein ersichtlicher Grund, die Auflassung von dieser Rückgängigmachung auszunehmen. Dies gilt um so mehr, als der KI., die vergeblich versucht hatte, aus dem Urteil des OLG Düsseldorf vom
20. 5. 1981 zu vollstrecken, sowohl ein vertragliches als auch
ein gesetzliches Recht zum Rücktritt von dem Kaufvertrag zustand, mit dessen Ausübung der der Auflassungsvormerkung
zugrundeliegende vertragliche Anspruch und damit zugleich
das (insoweit akzessorische) Anwartschaftsrecht der Käuferin
vernichtet worden wäre (vgl. Reinicke/Tiedtke, NJW 1982,
2281, 2285).
Die Aufhebung der Auflassung ist vor Umschreibung des Eigentums im Grundbuch grundsätzlich formlos möglich (vgl. KG
HRR 1930 Nr. 42;
= S. 248; Staudinger/Ertl, 12. Aufl.,
Dabei wurde und wird Von der h. A., deren Berechtigung hier
dahingestellt bleiben kann, nicht unterschieden, ob ein Anwartschaftsrecht besteht oder nicht (vgl. Reinicke/Tiedtke, NJW
1982, 2281, 2286; Tiedtke,
1991, 1, 4; Erman/Hagen, 9. Aufl.,
MünchKomm/Kanzleiter, 2. Aufl.,
Bekl. zu 2) davon ausgehen, daß die in der notariellen Urkunde
von 1979 erklärte Auflassung formlos aufgehoben werden
konnte. Er durfte ferner annehmen, daß bei gleichzeitiger Aufhebung von Kaufvertrag und Auflassung auch die Aufhebung
des Kaufvertrages ohne Wahrung der notariellen Form wirksam
sei. Der Grund dafür, daß die Verpflichtung zur Aufhebung
eines Anwartschaftsrechts der notariellen Beurkundung bedarf,
liegt darin, daß der Inhaber des Anwartschaftsrechts damit gezwungen wird, eine gesicherte Rechtsposition in bezug auf das
Grundstück zugunsten des Verkäufers wieder aufzugeben
(
mit dem Verkäufer vor Abschluß eines Aufhebungsvertrages
oder zugleich mit ihm die Aufhebung der Auflassung vereinbart,
wird ein derartiger Zwang nicht begründet, so daß es des mit
der notariellen Beurkundung bezweckten Schutzes vor Übereilung nicht bedarf (vgl. Reinicke/Tiedtke,
2286; Tiedtke,
Dem Bekl. zu 2) ist mithin in keinem Fall als schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten, daß er nicht für eine notarielle Beurkundung der Vereinbarung vpm 9. 2. 1982 Sorge getragen hat.
3. Den Bekl. könnte allenfalls vorgeworfen werden, nach der
Pfändung der angeblichen Rechte der Käuferin nicht alle ihnen
zumutbaren verfahrensrechtlichen Möglichkeiten genutzt zu
haben, um den Eigentumsverlust der KI. zu vermeiden. Diese
Frage kann indessen auf sich beruhen; ein solcher Vorwurf ist
nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits (wird ausgeführt).
2. Schuldrecht — Umfang der Mitteilungspflichten des Vorkaufsrechtsverpfl ic hteten
(BGH, Urteil vom 29. 10. 1993 — V ZR 136/92 — mitgeteilt von
Notar Dr. Siegmar Rothstein, Düsseldorf-Benrath)
BGB § 510 Abs. 1 S. 1
Der Vorkaufsrechtsverpflichtete genügt auch im Fall des
Verkaufs einer Grundstücksteilfläche (eines größeren, mit
dem Vorkaufsrecht belasteten Grundstücks) seiner Mittellungspflicht dadurch, daß er dem Vorkaufsberechtigten die
notarielle Urkunde über den wirksam schuldrechtlichen
Vertrag vorlegen läßt. Die Mitteilung der zum dinglichen
Vollzug notwendigen Teilungsgenehmigungen (§ 19
BauGB, § 8 NWBauO) ist nicht erforderlich, um die Ausübungsfrist in Lauf zu setzen.
Zum Sachverhalt:
Die KI. ist Käuferin eines Grundstücks, das mit einem dinglichen Vorkaufsrecht zugunsten der Bekl. belastet ist. Dieses Vorkaufsrecht erstreckte sich auf ein größeres Gesamtgrundstück (Flur 2 Nr. 82), seine
Ausübungsfrist betrug sechs Monate. Dessen Eigentümer ließen am
14. 6. 1989 ein notarielles Angebot zum Abschluß eines Kaufvertrages
beurkunden. Danach sollte das Grundstück in mehrere näher beschriebene Teilflächen aufgeteilt werden, darunter auch die Parzelle, um die
es im vorliegenden Rechtsstreit geht (Flur 2, Flurstück Nr. 517). Im Angebot heißt es dazu im Abschnitt „Dienstbarkeiten, Baulasten":
„Sollte die Gemeinde zur Erschließung oder Bebauung der Kaufgrundstücke die Eintragung von Baulasten verlangen, so verpflichten sich die
Beteiligten, alle hierfür erforderlichen Erklärungen abzugeben."
Das Angebot richtete sich an Interessenten, die von dem Mitarbeiter
einer Bank noch benannt werden sollten. Dieser bezeichnete in notarieller Verhandlung vom 7. 7. 1989 die KI. als Angebotsempfängerin unter
anderem hinsichtlich der hier interessierenden Teilfläche; sie nahm das
Kaufangebot gleichzeitig an.
Heft Nr. 12 - MittRhNotK - Dezember 1993
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:30.09.1993
Aktenzeichen:IX ZR 211/92
Erschienen in: Normen in Titel:BGB §§ 313, 675