BGH 08. März 2024
V ZR 80/23
WEG §§ 23 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 24

Gemeinschaft der Wohnungseigentümer; Beschlussfassung während der Corona-Pandemie; Vertreterversammlung; Bevollmächtigung des Verwalters zur Stimmabgabe; keine Nichtigkeit des Beschlusses infolge der Ausladung der Eigentümer

letzte Aktualisierung: 22.3.2024
BGH, Urt. v. 8.3.2024 – V ZR 80/23

WEG §§ 23 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 24
Gemeinschaft der Wohnungseigentümer; Beschlussfassung während der Corona-Pandemie;
Vertreterversammlung; Bevollmächtigung des Verwalters zur Stimmabgabe; keine
Nichtigkeit des Beschlusses infolge der Ausladung der Eigentümer

Während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
sind nicht deshalb nichtig, weil die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch
Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten.

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Kläger hätten die einmonatige
Klagefrist des § 45 Satz 1 WEG versäumt. Die innerhalb der Anfechtungsfrist bei
Gericht eingegangene Klage sei entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG in der seit
dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung nicht gegen die GdWE, sondern gegen
die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet gewesen. Der erst in der mündlichen
Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärte Parteiwechsel habe die Klagefrist
nicht gewahrt. Das sei jedoch unschädlich, weil die am 24. November 2020
gefassten Beschlüsse gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nichtig seien. Die Nich-
tigkeit folge aus einer Verletzung des individuellen Rechts eines jeden Wohnungseigentümers
auf persönliche Teilnahme an einer Eigentümerversammlung.

Das Einladungsschreiben der Verwalterin habe von den Wohnungseigentümern
nur so verstanden werden können, dass eine persönliche Teilnahme an der
Eigentümerversammlung unmöglich sei und die Ausübung des Teilhabe- und
Stimmrechts allein durch die Bevollmächtigung der Verwalterin erfolgen könne.
Darin sei eine Ausladung der Eigentümer zu sehen, die in den unantastbaren
Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts eingreife. Dieser Eingriff sei nicht
mit der COVID-19-Pandemie (nachfolgend: Corona-Pandemie) und den damit
einhergehenden Kontaktbeschränkungen aufgrund der Gesetze und Verordnungen
zum Infektionsschutz zu rechtfertigen. Zur Bewältigung der Auswirkungen
der pandemiebedingten Beschränkungen habe der Gesetzgeber in § 6 des Gesetzes
über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs-
und Wohnungseigentumsrecht lediglich die Fortgeltung einer Verwalterbestellung
und eines beschlossenen Wirtschaftsplans geregelt. Für die Durchführung
von Eigentümerversammlungen habe er keine Regelungen getroffen.
Die Wohnungseigentümer müssten sich an die geltenden Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes
und die darauf gestützten landesrechtlichen Verordnungen
einerseits und die wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben andererseits halten.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht allerdings
an, dass allein Nichtigkeitsgründe (§ 23 Abs. 4 Satz 1 WEG) zu prüfen sind, weil
die Kläger die Klagefrist des § 45 Satz 1 WEG nicht gewahrt haben (vgl. Senat,
Urteil vom 27. November 2020 - V ZR 71/20, NJW-RR 2021, 667 Rn. 31). Die
nach dem 30. November 2020 eingegangene und entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1
WEG nicht gegen die GdWE, sondern gegen die übrigen Wohnungseigentümer
gerichtete Beschlussanfechtungsklage war unzulässig und konnte die Frist des
§ 45 Satz 1 WEG nicht wahren (vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 2023
- V ZR 43/22, NJW 2023, 1884 Rn. 20 ff., 27 ff. mwN). Der in der mündlichen
Verhandlung vor dem Amtsgericht erklärte Parteiwechsel erfolgte nach Ablauf
der Anfechtungsfrist.

2. Rechtsfehlerhaft sieht das Berufungsgericht die Beschlüsse der GdWE
als nichtig an.

a) Richtig ist noch die Annahme des Berufungsgerichts, dass am 24. November
2020 eine Versammlung stattgefunden hat, in der Beschlüsse gefasst
worden sind.

aa) Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 WEG - bzw. nach § 23 Abs. 1 WEG aF als
dem maßgeblichen im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Recht (vgl.
etwa Senat, Urteil vom 10. Februar 2023 - V ZR 246/21, NJW 2023, 2190 Rn. 7
mwN) - werden Angelegenheiten, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz
oder nach einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer die Wohnungseigentümer
durch Beschluss entscheiden können, grundsätzlich durch Beschlussfassung
in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet.

bb) Eine Versammlung in diesem Sinne setzt grundsätzlich ein physisches
Zusammentreffen der Wohnungseigentümer voraus (allgemeine Auffassung, vgl.
nur Staudinger/Häublein, BGB [2023], § 23 Rn. 124 mwN). Die Ausübung des
mit dem Wohnungseigentum verbundenen Teilnahme- und Mitwirkungsrechts erfordert
regelmäßig und vorbehaltlich einer anders als im Vereinsrecht (§ 38 Satz
2 BGB) grundsätzlich möglichen Stellvertretung im Sinne der §§ 164 ff. BGB (vgl.
bereits Senat, Beschluss vom 11. November 1986 - V ZB 1/86, BGHZ 99, 90, 93)
eine persönliche Anwesenheit der Wohnungseigentümer in der Versammlung;
außerhalb einer Versammlung kann das Stimmrecht nur im Anwendungsbereich
von § 23 Abs. 3 WEG (sog. Umlaufverfahren) ausgeübt werden. Die Teilnahme
an der Versammlung ermöglicht es den Wohnungseigentümern, auf die Willensbildung
der GdWE durch Rede und Gegenrede Einfluss zu nehmen (vgl. Senat,
Urteil vom 10. Dezember 2010 - V ZR 60/10, NJW 2011, 679 Rn. 8) und durch
Stimmabgabe (§ 25 Abs. 1 und 2 WEG) an der Gestaltung der Gemeinschaftsangelegenheiten
mitzuwirken (vgl. Senat, Urteil vom 14. Oktober 2011
- V ZR 56/11, BGHZ 191, 198 Rn. 10). Eine Eigentümerversammlung ohne Teilnahmemöglichkeit
in Präsenz sieht das Wohnungseigentumsgesetz - anders als
neuerdings das Aktienrecht in § 118a AktG - jedenfalls derzeit nicht vor.
cc) Dass die Eigentümer - wie hier - an der Versammlung nur teilnehmen
können, indem sie von dem allein anwesenden Verwalter vertreten werden, ändert
gleichwohl nichts daran, dass es sich um eine Eigentümerversammlung handelt.
Denn auch eine sogenannte Vertreterversammlung, in der nur eine Person
anwesend ist, die neben der Versammlungsleitung die Vertretung der abwesenden
Eigentümer übernommen hat, ist eine Versammlung, in der Beschlüsse gefasst
und verkündet werden können (vgl. BayObLGZ 1995, 407, 411; OLG München,
NZM 2008, 577; Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 23 Rn. 60; Staudinger/
Häublein, BGB [2023], § 23 Rn. 133, 273; Elzer in Zehelein, COVID-19, Miete
in Zeiten von Corona, 2. Aufl., § 5 Rn. 55; DNotI-Gutachten, Abruf-Nr. 177331
S. 2). Die Beschlüsse müssen zwar von dem Verwalter in einer Niederschrift aufgenommen
werden (§ 24 Abs. 6 WEG), die von ihm zu unterzeichnen ist (vgl.
Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 23 Rn. 60; Staudinger/Häublein, BGB [2023],
§ 23 Rn. 273). Dabei handelt es sich aber nicht um ein Gültigkeitserfordernis.
Soweit als Mindestanforderung einer Beschlussfassung gefordert wird, dass eine
Kundgabe der Stimmabgabe in der Versammlung etwa durch schriftliche Niederlegung
der Abstimmung oder durch vorläufige Aufzeichnung auf einem Ton- oder
Datenträger zu erfolgen habe (vgl. BayObLGZ 1995, 407, 411; OLG München,
NZM 2008, 577, 578), findet ein solches Erfordernis im Gesetz keine Stütze (vgl.
Bärmann/Dötsch aaO; Staudinger/Häublein, aaO).

b) Richtig ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass die
Einberufung und Abhaltung der Eigentümerversammlung vom 24. November
2020 nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes entsprach.

aa) Eine Vertreterversammlung ist wegen des Rechts jedes Wohnungseigentümers,
physisch an der Versammlung teilzunehmen, nur dann zulässig,
wenn sämtliche Wohnungseigentümer in ein solches Vorgehen eingewilligt und
den Verwalter zu der Teilnahme und Stimmabgabe bevollmächtigt haben (vgl.
Rüscher in Münchener Handbuch des Wohnungseigentumsrecht, 8. Aufl., § 18
Rn. 217; Elzer in Zehelein, COVID-19, Miete in Zeiten von Corona, 2. Aufl., § 5
Rn. 55; DNotI-Gutachten, Abruf-Nr. 177331 S. 5). Daran fehlt es hier. Nur fünf
von vierundzwanzig Wohnungseigentümern hatten der Verwalterin eine Vollmacht
erteilt.

bb) Eine Pflicht der Wohnungseigentümer, die Verwalterin für die Teilnahme
und Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung zu bevollmächtigen,
bestand auch während der Corona-Pandemie nicht. Aufgrund der fehlenden Zustimmung
aller Wohnungseigentümer hätte die Versammlung wohnungseigentumsrechtlich
in Präsenz der Wohnungseigentümer stattfinden müssen.

(1) Allerdings war am 24. November 2020 wegen der Corona-Pandemie
die Durchführung einer Eigentümerversammlung aufgrund infektionsschutzrechtlicher
Bestimmungen verboten (vgl. hier: § 1 der hessischen Verordnung zur Beschränkung
von sozialen Kontakten und des Betriebes von Einrichtungen und
von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie vom 7. Mai 2020 - Corona-Kontakt-
und Betriebsbeschränkungsverordnung; GVBl. S. 736). Das änderte jedoch
nichts an den wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben für die Abhaltung einer
Eigentümerversammlung. Der Gesetzgeber hat in § 6 des Gesetzes über Maßnahmen
im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht
zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
(BGBl I S. 569, 570; nachfolgend: COVMG) zur Bewältigung der Auswirkungen
der pandemiebedingten Beschränkungen lediglich angeordnet, dass der zuletzt
bestellte Verwalter der GdWE bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung
eines neuen Verwalters im Amt bleibt (§ 6 Abs. 1 COVMG), und dass der
zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan bis zum
Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fortgilt (§ 6 Abs. 2 COVMG). Für die
Durchführung von Eigentümerversammlungen hat er dagegen keine von §§ 23,
24 WEG abweichenden Regelungen getroffen, so dass diese auch während der
Corona-Pandemie galten.

(2) Die Vorschriften der §§ 23, 24 WEG hat die Verwalterin insgesamt bewusst
außer Acht gelassen, indem sie die Versammlung ohne Teilnahmemöglichkeit
aller Eigentümer geplant und alleine durchgeführt hat. Die Anwesenheit
der Wohnungseigentümer war nicht vorgesehen; auch bestand nicht die Möglichkeit,
einen Vertreter - gegebenenfalls im Rahmen zulässigerweise vereinbarter
Beschränkungen - frei zu bestimmen (vgl. dazu Bärmann/Merle, WEG, 15. Aufl.,
§ 25 Rn. 97 mwN).

c) Das führt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aber nicht zur
Nichtigkeit der Beschlüsse.

aa) Gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG ist ein Beschluss nichtig, der gegen
eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet
werden kann. Solche unabdingbaren Rechtsvorschriften ergeben sich entweder
aus den zwingenden Vorschriften und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes
oder aus den Normen des übrigen Privat- oder öffentlichen Rechts,
insbesondere aus §§ 134, 138 BGB (vgl. Senat, Beschluss vom 23. September
1999 - V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 294; Urteil vom 20. Juli 2012
- V ZR 235/11, NJW 2012, 3571 Rn. 5; Urteil vom 10. Oktober 2014
- V ZR 315/13, BGHZ 202, 346 Rn. 15).

bb) Ob ein Beschluss der GdWE nichtig ist, der während der Corona-Pandemie
in einer Eigentümerversammlung gefasst wurde, an der die Wohnungseigentümer
nur durch (verpflichtende) Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter
teilnehmen konnten, wird unterschiedlich beurteilt. Nach verbreiteter, insbesondere
in der amtsgerichtlichen Rechtsprechung vertretener Ansicht, der sich das
Berufungsgericht angeschlossen hat, stellt die mit der Aufforderung zur Vollmachtserteilung
verbundene Einladung zur Versammlung der Sache nach eine
Ausladung dar, die in den Kernbereich des Mitgliedschaftsrechts eingreift und zur
Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse führt (vgl. AG Hamburg-St. Georg, ZMR
2022, 255, 256; ZWE 2022, 326 Rn. 18 f.; AG Hannover, ZMR 2021, 686; AG
Bad Schwalbach, ZMR 2021, 347; AG Lemgo, ZMR 2021, 158; AG München,
ZMR 2021, 159, 160; AG Kassel, ZfIR 2020, 787 Rn. 16; BeckOGK/G. Hermann,
WEG [1.12.2023], § 23 Rn. 159.1; BeckOK WEG/Bartholome [1.1.2024], § 24
Rn. 220; Schultzky in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 24 Rn. 69; Rüscher in Münchener
Handbuch des Wohnungseigentumsrecht, 8. Aufl., § 18 Rn. 217; so wohl
auch Riecke, MDR 2021, 213, 214). Nach anderer Ansicht sind derartige Bebeuren,
ZMR 2022, 331, 332; AG Augsburg, Urteil vom 30. September 2021
- 31 C 2231/20 WEG, juris Rn. 35).

cc) Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend. Während der Corona-
Pandemie gefasste Beschlüsse einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
sind nicht deshalb nichtig, weil die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung
nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen
konnten.

(1) Mit seiner Annahme, die Nichtigkeit der Beschlüsse folge aus der
Rechtsprechung des Senats, wonach Beschlüsse, die in den unantastbaren
Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts eingreifen, unwirksam sind, nimmt
das Berufungsgericht nicht hinreichend in den Blick, dass es hier nicht um inhaltliche
Beschlussmängel, sondern um die Art und Weise des Zustandekommens
von Beschlüssen geht.

(a) Richtig ist zwar, dass sich nach der von dem Berufungsgericht herangezogenen
Rechtsprechung des Senats die Nichtigkeit eines Beschlusses daraus
ergeben kann, dass er in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreift,
wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören.
Diese Rechtsprechung bezieht sich aber auf Beschlüsse, die auf der Grundlage
einer Öffnungsklausel in der Gemeinschaftsordnung gefasst werden und eine gemeinschaftliche
Angelegenheit unter Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte dauerhaft
regeln sollen. Was selbst durch Vereinbarung nicht geregelt werden könnte,
entzieht sich auch einer Regelung im Beschlusswege; ein gleichwohl gefasster
Beschluss ist nichtig (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2014 - V ZR 315/13,
BGHZ 202, 346 Rn. 15 mwN). Deshalb ist ein auf der Grundlage einer Öffnungsklausel
gefasster Beschluss nichtig, mit dem ein Wohnungseigentümer von dem
Stimmrecht ausgeschlossen wird, wenn er das Hausgeld nicht zahlt (vgl. Senat,
Urteil vom 10. Dezember 2010 - V ZR 60/10, NJW 2011, 679 Rn. 8).
(b) Um eine solche inhaltliche Schranke der Beschlussfassung geht es
hier aber nicht, sondern um die Verletzung der Individualrechte bei dem Zustandekommen
der Beschlüsse. Bei der Beschlussfassung ist das Teilnahme- und
Mitwirkungsrecht verzichtbar. Die Wohnungseigentümer sind im Grundsatz weder
zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung noch zur Mitwirkung an der
Willensbildung verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 17. Oktober 2014 - V ZR 9/14,
BGHZ 202, 375 Rn. 24).

(2) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die in § 24
WEG für die Einberufung einer Eigentümerversammlung geregelten Formvorschriften
nicht zu den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes
gehören, weil sie dispositiv sind und durch Vereinbarungen
abgeändert werden können. Die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer
führt deshalb regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung
gefassten Beschlüsse, nicht aber zu deren Nichtigkeit (vgl. Senat, Beschluss
vom 23. September 1999 - V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 294). Der Senat hat die
Nichtigkeit der Beschlüsse, ohne dass es darauf ankam, lediglich für den Fall
erwogen, dass ein Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der
Teilnahme ausgeschlossen werden soll (vgl. Urteil vom 20. Juli 2012
- V ZR 235/11, NJW 2012, 3571 Rn. 8). Ob an dieser Ausnahme festzuhalten ist
und ob - was vor dem Hintergrund der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit
problematisch sein könnte (vgl. nachfolgend Rn. 27) - eine Nichtigkeit der Beschlüsse
auch dann in Betracht kommen könnte, wenn unter normalen Umständen
allen Wohnungseigentümern die persönliche Teilnahme an der Versammlung
verweigert wird, kann dahinstehen. Jedenfalls während der Corona-Pandemie
begangene Rechtsverstöße dieser Art führen schon deshalb nicht zur Nichigentümerversammlung
unter Einhaltung der §§ 23, 24 WEG zum maßgeblichen Zeitpunkt unmöglich
war.

(a) Während der Corona-Pandemie befand sich der Verwalter in einer unauflöslichen
Konfliktsituation. Er stand nämlich vor dem Dilemma, entweder das
Wohnungseigentumsrecht oder das Infektionsschutzrecht zu missachten (vgl.
Emmerich, ZWE 2022, 457; Zschieschack, NZM 2020, 297, 298 f.).

(aa) Einerseits galten wegen der nur rudimentären Regelungen in § 6
COVMG die wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben für die Abhaltung von Eigentümerversammlungen
fort (vgl. oben Rn. 13). Insbesondere musste nach
§ 24 Abs. 1 WEG mindestens einmal im Jahr eine Versammlung einberufen werden;
von dieser Vorgabe war der Verwalter nicht befreit. Unabhängig davon
konnte es auch während der Corona-Pandemie erforderlich sein, die Eigentümerversammlung
mit gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu befassen, z.B.
dann, wenn die im Wirtschaftsplan beschlossenen Vorschüsse etwa wegen unvorhergesehener
Ausgaben oder allgemeiner Preissteigerungen nicht zur Deckung
der laufenden Kosten ausreichten und damit die Finanzierung der GdWE
nicht sichergestellt war (vgl. Drasdo, NZM 2020, 426, 427), oder wenn zwingende
Maßnahmen zu ergreifen waren, über die der Verwalter aus wohnungseigentumsrechtlicher
Sicht nicht alleine entscheiden durfte. Für die Durchführung der
Versammlung war wohnungseigentumsrechtlich die Teilnahmemöglichkeit der
Eigentümer erforderlich (vgl. oben Rn. 8). Nach der (allerdings erst mit Wirkung
zum 1. Dezember 2020 neu geschaffenen) Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG
konnte zwar für die ab diesem Zeitpunkt abzuhaltenden Eigentümerversammlungen
beschlossen werden, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch
ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer
Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben
können. Diese (im hier maßgeblichen Zeitpunkt ohnehin nicht geltende) Vorschrift
ermöglicht es aber ebenfalls nicht, von einer Präsenzversammlung generell
abzusehen (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 71; MüKoBGB/Hogenschurz,
9. Aufl., § 23 WEG Rn. 32).

(bb) Andererseits hatte der Verwalter die geltenden Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes
und die darauf gestützten landesrechtlichen Verordnungen
(Versammlungsverbote, Abstands-, Hygiene- und Quarantänebestimmungen)
zu beachten. Die Durchführung einer Eigentümerversammlung war über einen
weiten Zeitraum infektionsschutzrechtlich ausgeschlossen. Bei Durchführung
einer Eigentümerversammlung in Präsenz lief der Verwalter Gefahr, gegen
bußgeldbewehrte Corona-Schutzvorschriften zu verstoßen.

(b) In dieser Ausnahmesituation erfolgte die Durchführung einer Vertreterversammlung
regelmäßig - wie auch hier - aus Praktikabilitätserwägungen, um
den Wohnungseigentümern auch ohne ein physisches Zusammentreffen eine
Beschlussfassung zu ermöglichen. Es lag auch im Interesse der Wohnungseigentümer,
dass der Verwalter nicht, wie es teilweise gehandhabt wurde, unter
Missachtung des Wohnungseigentumsrechts während der Corona-Pandemie gar
keine Versammlung abhielt. Durch eine Vertreterversammlung wurde den Wohnungseigentümern
jedenfalls die Fassung von Beschlüssen ermöglicht, die der
gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden konnten. Auch wurden die Eigentümer
nicht von der Stimmabgabe ausgeschlossen. Sie konnten sich - wenn auch gezwungenermaßen
- bei der Stimmabgabe durch den Verwalter vertreten lassen
und diesem jeweils konkrete Weisungen erteilen, wie er in der Versammlung abstimmen
sollte. Auf den Inhalt der zu fassenden Beschlüsse und die Dringlichkeit
der Angelegenheit kommt es entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten
der Beklagten in der mündlichen Revisionsverhandlung geäußerten Ansicht insoweit
nicht an; das ergibt sich schon daraus, dass die Rechtsfolge der Verletzung
von Formvorschriften nicht von dem Beschlussinhalt abhängen kann.

(c) Schließlich spricht das schützenswerte Vertrauen der Wohnungseigentümer
in die Rechtsverbindlichkeit von Beschlüssen gegen die Nichtigkeit der Beschlüsse.
Nach der Konzeption des Wohnungseigentumsgesetzes sind Beschlüsse
trotz Mängeln grundsätzlich gültig, solange sie nicht durch rechtskräftiges
Urteil für ungültig erklärt sind (§ 23 Abs. 4 Satz 2 WEG). Auf die Nichtigkeit
könnte sich ein Eigentümer lange nach Ablauf der Anfechtungsfrist berufen. Das
ist mit dem Bedürfnis der GdWE nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht
vereinbar (vgl. Senat, Urteil vom 22. Juni 2018 - V ZR 193/17, NJW 2018, 3717
Rn. 18 mwN). Der Eigentümer, der mit der Durchführung der Vertreterversammlung
nicht einverstanden ist und den Verwalter nicht zur Teilnahme und Stimmabgabe
bevollmächtigen möchte, ist durch die Möglichkeit der Beschlussanfechtung
(§ 44 Abs. 1 WEG) geschützt. Ob sich allein aus dem Abhalten einer Vertreterversammlung
während der Corona-Pandemie ein Anfechtungsgrund ergibt,
bedarf keiner Entscheidung.

III.
1. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, weil weitere Feststellungen
nicht zu treffen sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung
der amtsgerichtlichen Entscheidung.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

08.03.2024

Aktenzeichen:

V ZR 80/23

Rechtsgebiete:

Verein
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Aktiengesellschaft (AG)
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

WEG §§ 23 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 24