BGH 28. September 2023
V ZR 3/23
BGB §§ 280, 434; ZPO § 397

Grundstückskaufvertrag; Klage auf Ersatz von Mangelbeseitigungskosten; Gehörsverletzung bei unterbliebener Anhörung des Sachverständigen aus selbständigem Beweisverfahren

letzte Aktualisierung: 11.1.2024
BGH, Beschl. v. 28.9.2023 – V ZR 3/23

BGB §§ 280, 434; ZPO § 397
Grundstückskaufvertrag; Klage auf Ersatz von Mangelbeseitigungskosten;
Gehörsverletzung bei unterbliebener Anhörung des Sachverständigen aus
selbständigem Beweisverfahren

Im Rahmen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) darf eine Partei einem
Sachverständigen, der ein Gutachten erstattet hat, Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für
erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen. Diese Fragen dürfen auch dann nicht
zurückgewiesen werden, wenn das Gericht das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und
keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 19. Oktober 2018 verkauften die Beklagten
zu 1 und 3 an den Kläger ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück zu
einem Preis von 661.000
hat den Kaufgegenstand eingehend besichtigt; er kauft ihn in seinem derzeitigen
gebrauchten und altersbedingten Zustand. Der Verkäufer hat jedoch vor Besitz-
übergabe noch folgende Mängel fachgerecht auf seine Kosten zu beheben: Ver-
Käufers wegen Mängeln des Gebäudes sowie von Grund und Boden sind ansonsten
(bis auf Fälle des Vorsatzes oder der Arglist) ausgeschlos
Das Gebäude, das 1978 errichtet wurde, und die daran angebaute Garage
haben ein Flachdach. Der Kläger hatte das Kaufobjekt vor Vertragsschluss mehrmals
besichtigt, wobei Feuchtigkeitsspuren in der Garage und Wasserränder im
Bereich der Attika, die das Dach des Wohngebäudes umrandet, sichtbar geworden
waren. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Verkäufer vor Übergabe des
Kaufobjekts den Wasserschaden an der Attika behoben haben. Eine Sanierung
des Dachs des Gebäudes und der Garage haben sie nicht durchgeführt. Nach
Regenfällen im Mai/Juni 2019 trat Wasser durch das Garagendach ein und aus
der Attika aus. Nach Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen
die Beklagte zu 1 ließ der Kläger die gesamte Dachfläche sanieren. Mit der Klage
verlangt er von den Beklagten zu 1 und 3 Ersatz der Mängelbeseitigungskosten
in Höhe von 118.094,17
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat
die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wenden sich
die Beklagten zu 1 und 3 mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Der Kläger beantragt
die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.
Das Berufungsgericht bejaht einen Schadensersatzanspruch des Klägers
§ 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 BGB. Im Zeitpunkt des Gefahrübergangs habe
ein Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 31. Dezember
2021 geltenden Fassung vorgelegen. Die Parteien hätten eine Beschaffenheit
dahingehend vereinbart, dass die Verkäufer unter anderem den Mangel
sage der Beseitigung des Wasserschadens am Dach umfasse sämtliche Schäden
und Schadensursachen am Haupthaus und an der Garage und nicht nur die
Feuchtigkeitsspuren im Bereich der Attika. Das ergebe die Auslegung der Vereinbarung
nach §§ 133, 157 BGB. Für die Beseitigung der Ursache der Feuchtigkeitsschäden
sei nach den Feststellungen des Gutachtens in dem selbständigen
Beweisverfahren eine vollständige Sanierung des betroffenen Dachrandbereichs
und der Dachflächen notwendig, wofür Kosten in Höhe von insgesamt
fern erfolglos eine Frist
zur Nacherfüllung im Sinne des § 281 Abs. 1 BGB gesetzt. Der Haftungsausschluss
(§ 444 BGB) gelte für die vereinbarte Beschaffenheit nicht. Ein Abzug
neu für alt sei nicht vorzunehmen.

III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss
ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch
der Beklagten zu 1 und 3 auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher
Weise verletzt hat.

1. a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der
Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Vorschrift
verlangt auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Dazu ge-
hört der Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen,
und zwar auch des Sachverständigen aus einem vorausgegangenen
selbständigen Beweisverfahren (vgl. Senat, Beschluss vom 16. März 2017
- V ZR 170/16, juris Rn. 5; Beschluss vom 22. Mai 2007 - VI ZR 233/06, NJW-RR
2007, 1294 Rn. 2). Denn dieses Recht ist den Parteien nicht nur einfach-rechtlich
nach §§ 397, 402 ZPO gewährt, sondern Teil ihres Grundrechts auf Gewährung
rechtlichen Gehörs (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2015 - V ZR 214/14, juris
Rn. 5; BGH, Beschluss vom 19. November 2014 - IV ZR 47/14, NJW-RR 2015,
510 Rn. 8). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt
gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet
(vgl. Senat, Beschluss vom 16. März 2017 - V ZR 170/16, juris Rn. 5 mwN; BGH,
Beschluss vom 20. November 2019 - VII ZR 204/17, NJW 2020, 1141 Rn. 15).
So liegt es hier.

b) Das Berufungsgericht hat den Sachverständigen Dipl.-Ing. K. nicht
verstä aus der Klageerwiderung,
den die Beklagten zu 1 und 3 in ihrer Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss
des Berufungsgerichts wiederholt haben, befasst sich das Berufungsgericht
nicht. Es erwähnt ihn nicht und ist ihm nicht nachgegangen. Diese
Vorgehensweise findet im Prozessrecht keine Stütze.

aa) Der Beweisantritt der Beklagten zu 1 und 3 ist erheblich. Zwar kann
ein Sachverständiger gemäß § 414 ZPO nur zum Beweis vergangener Tatsachen
oder Zustände, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich
war, als sachverständiger Zeuge vernommen werden. Wird dagegen - wie hier -
ein Gutachten im Wege des Sachverständigenbeweises verwertet und soll der
Sachverständige sein Gutachten erläutern, richtet sich seine Befragung nach
§ 411 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Der Antrag der Beklagten zu 1 und 3 auf Vernehmung
des Sachverständigen als sachverständiger Zeuge unterliegt aber - wie auch
sonstige Prozesshandlungen - der Auslegung, die der Senat selbst vornehmen
kann. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist,
was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen
Interesse entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 22. März 2023
- V ZR 128/22, NJW-RR 2023, 718 Rn. 22; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010
- VIII ZB 64/09, juris Rn. 7; Beschluss vom 24. Februar 2021 - VII ZB 8/21, BauR
2021, 1008 Rn. 11). Daran gemessen ist der Antrag der Beklagten zu 1 und 3
dahingehend auszulegen, dass sie die Anhörung des Sachverständigen gemäß
§ 411 Abs. 3 ZPO beantragen, damit dieser die zur Beseitigung des Wasserschadens
erforderlichen Maßnahmen und die damit verbundenen Kosten auf ihre Einwendungen
hin überprüft und erläutert.

bb) Die Anhörung des Sachverständigen kann insbesondere nicht, wie in
dem Zurückweisungsbeschluss ausgeführt, deshalb unterbleiben, weil sich nach
dem Verständnis des Berufungsgerichts die Erforderlichkeit der Überarbeitung
der gesamten Dachfläche aus dem Gutachten ergibt und das Berufungsgericht
dieses Ergebnis angesichts der festgestellten Schädigung von Attika und Dachabdichtung
als überzeugend ansieht. Dem steht entgegen, dass eine Partei dem
Sachverständigen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402
ZPO Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen
Beantwortung vorlegen darf. Auch wenn das Gericht selbst das schriftliche
Gutachten für überzeugend hält und keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht,
dürfen diese Fragen nicht zurückgewiesen werden, da ansonsten eine unzulässige
vorweggenommene Beweiswürdigung vorliegt (vgl. etwa BGH, Urteil vom
22. Mai 2007 - VI ZR 233/06, NJW-RR 2007, 1294 Rn. 2 f.; Urteil vom 28. Oktober
2014 - VI ZR 273/13, r + s 2015, 44 Rn. 6; jeweils mwN). Im Hinblick darauf
hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen.

cc) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass das Gutachten des Sachverständigen,
dessen Anhörung die Beklagten zu 1 und 3 beantragt haben, nicht in
dem Hauptsacheprozess, sondern in einem selbständigen Beweisverfahren erstattet
worden war.

(1) Nach § 493 Abs. 1 ZPO steht in Fällen, in denen sich eine Partei im
Prozess auf Tatsachen beruft, über die selbständig Beweis erhoben worden ist,
die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht
gleich, soweit die jeweiligen Verfahrensbeteiligten identisch sind (vgl. BGH,
Beschluss vom 22. Mai 2007 - VI ZR 233/06, NJW-RR 2007, 1294 Rn. 2; Beschluss
vom 14. November 2017 - VIII ZR 101/17, NJW 2018, 1171 Rn. 13). Die
vorgezogene Beweisaufnahme wirkt zwischen den Beteiligten des selbständigen
Beweisverfahrens wie eine unmittelbar im Hauptsacheverfahren selbst durchgeführte
Beweiserhebung; die Beweiserhebung des selbständigen Beweisverfahrens
wird deshalb im Hauptsacheprozess verwertet, als sei sie vor dem Prozessgericht
selbst erfolgt.

(2) Sind an dem Hauptsacheprozess weitere Parteien beteiligt - wie hier
der Beklagte zu 3 -, so treten die Wirkungen des § 493 ZPO zwar ihnen gegenüber
nicht ein. Das Sachverständigengutachten kann aber nach § 411a ZPO verwertet
werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2015 - VII ZB 57/12, NZBau
2016, 158 Rn. 22; BecKOK ZPO/Kratz [1.9.2023], § 493 Rn. 1; MüKoZPO/Zimmermann,
6. Aufl., § 411a Rn. 3; Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23. Aufl., § 493
Rn. 8), wie es hier erfolgt ist. Die Verwertung des Gutachtens stellt einen Sachverständigenbeweis
dar. Auf das weitere Verfahren sind die Regeln des Sachverständigenbeweises
und damit § 411 Abs. 3 ZPO anzuwenden.

2. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es
kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei der Beurteilung der
Frage, ob für die Beseitigung des Wasserschadens (Schaden und Schadensursache
am Dach des Haupthauses und am Garagendach) eine vollständige
Sanierung dieser Bereiche erforderlich und die Beklagten zu 1 und 3 die dafür
erforderlichen Kosten zu ersetzen haben (§ 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 und 3, § 281
Abs. 1 BGB), zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es den Sachverständigen
angehört hätte.

3. Die weiteren mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten
Zulassungsgründe greifen nicht durch. Von einer näheren Begründung wird gemäß
§ 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

28.09.2023

Aktenzeichen:

V ZR 3/23

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 280, 434; ZPO § 397