BGB § 1371 Abs. 1; EuErbVO Art. 1 Abs. 1
Erbrechtliche Qualifikation des zusätzlichen Erbteils des überlebenden Ehegatten aus § 1371 Abs. 1 BGB
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist dahin auszulegen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.
EuGH, Urt. 1.3.2018 – C-558/16
Problem
Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und verstarb am 29.8.2015. Er hinterließ seine Ehefrau, ebenfalls deutsche Staatsangehörige, und einen gemeinsamen Sohn. Alle Beteiligten lebten in Berlin. Der Erblasser hatte kein Testament errichtet und wurde daher nach den gesetzlichen Regeln beerbt.
Zur Umschreibung eines in Schweden belegenen Grundstücks beantragte die Witwe ein Europäisches Nachlasszeugnis. Der Antrag wurde insoweit zurückgewiesen, als der von der Witwe behauptete Erbteil auf § 1371 Abs. 1 BGB beruhte. Diese Vorschrift gehöre zum ehelichen Güterrecht und falle daher nicht in den Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO). Das Kammergericht war der Ansicht, das Viertel sei güterrechtlich zu qualifizieren, da Zweck des § 1371 Abs. 1 BGB der Ausgleich des ehelichen Zugewinns nach Beendigung der Gütergemeinschaft durch Tod eines der Ehegatten sei. Aufgrund güterrechtlicher Qualifikation dürfe das Viertel nicht – auch nicht zu rein informatorischen Zwecken – im Europäischen Nachlasszeugnis ausgewiesen werden. Es legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidung
Der EuGH ist der Auffassung, die aus § 1371 Abs. 1 BGB folgende zusätzliche Erbquote zugunsten des überlebenden Ehegatten stelle keine Aufteilung des Vermögens aufgrund Beendigung des Güterstands dar, sondern bestimme die Erbquote des überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den übrigen Erben. Damit betreffe diese Vorschrift in erster Linie die Rechtsnachfolge von Todes wegen und nicht das eheliche Güterrecht. Es handele sich um eine erbrechtliche Vorschrift i. S. v. Art. 1 Abs. 1 EuErbVO mit der Folge, dass das zusätzliche Viertel im Europäischen Nachlasszeugnis ausgewiesen werden müsse.
Praxishinweis
In den Fällen der gesetzlichen Erbfolge nach einem in Zugewinngemeinschaft lebenden Erblasser kann bei Anwendbarkeit des deutschen Erbrechts nun ein vollständiges ENZ ausgestellt werden, ein gesonderter Ausweis des güterrechtlichen Viertels muss nicht erfolgen. Damit ist gesichert, dass immer ein ENZ ausgestellt werden kann, das die Erbquoten vollständig ausweist.
Andererseits hat die erbrechtliche Qualifikation des erbrechtlichen Zugewinnausgleichs Auswirkungen auf die Bestimmung der gesetzlichen Erbquoten in allen Fällen, in denen Güterstatut und Erbstatut nicht übereinstimmen. Lebte der Erblasser mit seiner Ehefrau im Güterstand der Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts und kommt ausländisches Erbrecht zur Anwendung, so ist mangels Geltung deutschen Erbrechts § 1371 Abs. 1 BGB nicht anwendbar (erbrechtliche Qualifikation). Das bedeutet, dass in diesen Fällen der Zugewinnausgleich allein auf güterrechtlichem Wege durchgeführt werden kann. Die noch unter Geltung von Art 25 EGBGB a. F. im letzten Jahr ergangene Entscheidung, mit der der BGH die güterrechtliche Qualifikation befürwortet hat (BGH Beschl. v. 13.5.2015 – IV ZB 30/14, DNotI-Report 2015, 85), gilt damit unter der EuErbVO nicht mehr fort.
Die erbrechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB bewirkt zudem, dass die Vorschrift bei Geltung deutschen Rechts als Erbstatut aufgrund gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in Deutschland bzw. aufgrund Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO auch dann zur Anwendung kommt, wenn die Eheleute in einem Güterstand ausländischen Rechts gelebt haben. Es stellt sich dann die Frage, welche Güterstände des ausländischen Rechts als „Zugewinngemeinschaft“ i. S. v. §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB zu qualifizieren sind. Hierbei handelt es sich um eine sog. Substitutionsfrage.
Dieses Problem ist bislang in der deutschen Literatur nur vereinzelt thematisiert worden, weil überwiegend von der güterrechtlichen Qualifikation ausgegangen wurde (vgl. Fornasier, in: Dutta/Weber/Fornasier, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 63 EuErbVO Rn. 32; Sakka, MittBayNot 2018, 4, 7). Die Lösung dieser Frage wird daher Aufgabe der Rechtsprechung und Lehre der nächsten Zeit sein. Ein Lösungsansatz wäre, das Vorliegen einer Zugewinngemeinschaft immer dann anzunehmen, wenn nach dem geltenden Güterstand im Rahmen der Scheidung der Ehe ein güterrechtlicher Ausgleich erfolgt, im Fall der Beendigung des Güterstandes durch Tod eines der Ehegatten aber nicht, sondern stattdessen nach den erbrechtlichen Bestimmungen des Güterstatuts der überlebende Ehegatte relativ großzügig erbrechtlich bedacht wird. Das wäre zum Beispiel bei den Zugewinngemeinschaften des griechischen, türkischen und Schweizer Rechts nicht der Fall, weil dort bei Auflösung der Ehe durch Tod eines der Ehegatten ein güterrechtlicher Ausgleich durchgeführt wird. Im österreichischen und englischen Recht dagegen wird, wie im deutschen Recht, im Erbfall kein Zugewinnausgleich durchgeführt, wohl aber bei Scheidung eine Teilung der ehelichen Ersparnisse. In diesen Fällen käme daher bei Geltung deutschen Erbrechts eine Erhöhung der Ehegattenerbqoute gem. §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB in Betracht. Denkbar wäre aber auch eine strengere Auffassung, die von einer Substitution nur ausgeht, wenn der Ausgleich nach dem ausländischen Güterstand durch eine Erbquotenerhöhung erfolgt.