Realofferte bei Stromzähler in Mietwohnung
letzte Aktualisierung: 26.03.2020
BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 165/18
BGB §§ 133, 157; StromGVV § 2 Abs. 2; NDAV § 5
Realofferte bei Stromzähler in Mietwohnung
Wird der Stromverbrauch einer in einem Mehrparteienhaus gelegenen und vermieteten Wohnung
über einen Zähler erfasst, der ausschließlich dieser Wohnung zugeordnet ist, richtet sich die in der
Bereitstellung von Strom liegende Realofferte des Versorgungsunternehmens regelmäßig nicht an
den Hauseigentümer, sondern an den Mieter, welcher durch die seinerseits erfolgte Stromentnahme
das Angebot konkludent annimmt (im Anschluss an Senatsurteile vom 2. Juli 2014 –
VIII ZR 316/13,
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (LG Itzehoe, Urteil vom 8. Mai 2018 - 1 S 116/17,
juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren
von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Der Beklagte sei nicht Vertragspartner der Klägerin geworden. Denn das
Leistungsangebot der Klägerin auf Abschluss eines Stromversorgungsvertrages
habe sich nicht an ihn als Hauseigentümer, sondern an die Mieter gerichtet, die
den Strom in der von ihnen angemieteten Wohnung, der ein eigener Zähler zugeordnet
sei, entnommen hätten.
Nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen sei für einen
konkludenten Vertragsschluss maßgebend, an wen sich das in der Bereitstellung
von Strom liegende Vertragsangebot nach dem objektiven Empfängerhorizont
richte. Hiernach habe nicht der Beklagte als Hauseigentümer die
Stromlieferung als an ihn gerichtete Realofferte verstehen müssen; Adressat
seien vielmehr die Mieter gewesen. Entscheidend hierbei sei, dass der Stromzähler
einer einzelnen Mieteinheit, nämlich der von den Mietern P. /A.
angemieteten Wohnung, zugewiesen sei und nur deren Stromverbrauch erfasse.
Da der Beklagte mit den Mietern auch vereinbart habe, diese sollten sich
nach Bezug der Wohnung umgehend bei der Klägerin anmelden, habe er davon
ausgehen dürfen, der ab Wohnungsübergabe erfolgte Stromverbrauch
werde konkret erfasst und den Mietern zugeordnet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei nicht entscheidend, wem die
tatsächliche Verfügungsgewalt über den "Netzanschluss" im Sinne des § 5 Niederdruckanschlussverordnung
(NDAV) [richtig § 5 Niederspannungsanschlussverordnung,
NAV] zustehe, da der Bundesgerichtshof den "Übergabepunkt"
nicht in diesem Sinne definiert habe.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision
zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei einen Anspruch
der Klägerin auf Vergütung für den im Zeitraum vom 20. Dezember 2012
bis zum 7. Mai 2013 gelieferten Strom (
Kosten für den erfolglosen Versuch der Unterbrechung der Versorgung (§ 280
Abs. 2,
Stromlieferungsvertrag ist zwischen den Parteien nicht geschlossen worden.
Das konkludente Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Versorgungsvertrages
richtete sich bei der gebotenen Auslegung aus Sicht eines verständigen
Dritten in der Position des Empfängers (
als Eigentümer des Mehrfamilienhauses, sondern an die Mieter der über
einen eigenen Stromzähler verfügenden Wohnung.
1. In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist grundsätzlich
ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in
Form einer sogenannten Realofferte zu sehen. Diese wird von demjenigen kon-
kludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz Elektrizität, Gas, Wasser oder
Fernwärme entnimmt. Dieser Rechtsgrundsatz, der auch in § 2 Abs. 2 der Verordnungen
über die Allgemeinen Bedingungen für die (Grund-)Versorgung mit
Energie und Wasser (StromGVV, GasGVV, AVBWasserV, AVBFernwärmeV)
zum Ausdruck kommt, trägt der Tatsache Rechnung, dass in der öffentlichen
leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne
ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen
werden. Er zielt darauf ab, einen ersichtlich nicht gewollten vertragslosen
Zustand bei den zugrunde liegenden Versorgungsleistungen zu vermeiden.
Aus der maßgebenden Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich typischerweise
die Vorhaltung der Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an
den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und
unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als
Vertragsangebot dar. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistung beinhaltet
- auch bei entgegenstehenden ausdrücklichen Äußerungen - die schlüssig
erklärte Annahme dieses Angebots (vgl. Senatsurteile vom 26. Januar 2005 -
VIII ZR 66/04,
12; jeweils mwN).
a) Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens
liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages ist dabei typischerweise
derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss
am Übergabepunkt ausübt, was auch ein Mieter oder Pächter
sein kann, dem aufgrund des Miet- oder Pachtvertrags die tatsächliche Verfügungsgewalt
über die ihm überlassene Miet- oder Pachtsache eingeräumt ist
(vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2006 - VIII ZR 138/05,
20; vom 10. Dezember 2008 - VIII ZR 293/07,
2011 - VIII ZR 217/10,
391/12,
14; vom 22. Juli 2014 - VIII ZR 313/13, aaO Rn. 14, 16; vom 25. Februar 2016
- IX ZR 146/15,
2018, 27 Rn. 18; Beschluss vom 5. Juni 2018 - VIII ZR 253/17, NJW-RR 2018,
1105 Rn. 6; jeweils mwN).
b) Dabei ist es unerheblich, ob dem Energieversorger die Identität des
Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist, er also etwa weiß,
dass das zu versorgende Objekt sich im Besitz eines Mieters oder Pächters
befindet und dieser die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss
ausübt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juli 2014 - VIII ZR 313/13, aaO Rn.
16).
c) Bei der Bestimmung des Angebotsadressaten kommt es somit - entgegen
der Ansicht der Revision - durchaus maßgebend darauf an, wer den
Strom verbraucht, da der Vertrag regelmäßig gerade mit der Person begründet
werden soll, die aufgrund ihrer tatsächlichen Verfügungsgewalt in der Lage ist,
die offerierte Energie auch zu entnehmen, mithin hierdurch das Angebot (konkludent)
anzunehmen (vgl. Senatsurteile vom 2. Juli 2014 - VIII ZR 316/13, aaO
Rn. 14, 17; vom 22. Juli 2014 - VIII ZR 313/13, aaO Rn. 27; LG Köln, Urteil vom
11. Juli 2018 - 18 O 18/17, juris Rn. 41; Busche in Berliner Kommentar zum
Energierecht, 4. Aufl., vor § 36 EnWG Rn. 27; Brändle,
eine Wohnung vermietet, hat diese Möglichkeit typischerweise der Mieter, da
ihm infolge der eingeräumten Nutzungsbefugnis auch die tatsächliche Sachherrschaft
über die gemieteten Räume und die darin befindlichen Versorgungsanschlüsse
zukommt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juli 2014 - VIII ZR 313/13, aaO
Rn. 21; Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - VIII ZR 253/17, aaO Rn. 4, 6).
2. In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht vorliegend
rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Versorgungsvertrag bezüglich des
Stromverbrauchs, der über einen separaten, der vermieteten Wohnung zugeordneten
Zähler erfasst worden ist, nicht mit dem Beklagten als Grundstückseigentümer
zustande gekommen ist.
a) Dieser war nicht Adressat des in der Zurverfügungstellung von Strom
liegenden Realofferte der Klägerin. Deren Angebot richtete sich vielmehr an die
Mieter der Wohnung.
aa) Nur diesen stand aufgrund des Mietvertrages die tatsächliche Verfügungsgewalt
über die sich in der Wohnung befindlichen Versorgungseinrichtungen
zu. Damit befanden allein sie über den Stromverbrauch in der Wohnung.
Dieser Verbrauch wurde - was das Berufungsgericht bei der Auslegung
der Realofferte zutreffend berücksichtigt hat - von einem separaten Zähler erfasst.
Dies ermöglicht es der Klägerin, den konkreten Verbrauch individuell zuzuordnen
und gegenüber dem einzelnen Mieter abzurechnen. Demzufolge
musste der Beklagte, dem ohnehin bei ordnungsgemäßem Verlauf der Dinge
nicht die Möglichkeit offen stand, über diesen Zähler Strom zu verbrauchen, die
Zurverfügungstellung der Energie nicht als eine an ihn gerichtete Realofferte
verstehen.
bb) Ebenso zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Beurteilung der
Realofferte die gängige Praxis berücksichtigt, wonach bei Mietwohnungen, die
mit einem eigenen Stromzähler ausgestattet sind, der Mieter in der Regel - wie
hier sogar im Mietvertrag ausdrücklich vereinbart - den Strombezugsvertrag
direkt mit dem Versorgungsunternehmen abschließt und damit der "Umweg"
über einen Vertragsabschluss des Vermieters und eine Abrechnung dieser Be-
triebskosten eingespart wird (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - VIII ZR
253/17, aaO Rn. 7).
b) Soweit die Revision demgegenüber zur Begründung eines Vertragsschlusses
mit dem Beklagten auf die Regelung des § 2 Abs. 2 StromGVV abstellt,
verkennt sie den Zweck dieser Norm.
Nach § 2 Abs. 2 StromGVV ist der Kunde verpflichtet, dem Grundversorger
die Entnahme von Elektrizität unverzüglich mitzuteilen, wenn der Grundversorgungsvertrag
dadurch zustande kommt, dass Elektrizität aus dem Elektrizitätsversorgungsnetz
der allgemeinen Versorgung entnommen wird. Wie ausgeführt
bringt diese Regelung lediglich deklaratorisch den allgemeinen Rechtsgrundsatz
des Zustandekommens eines konkludenten Vertrages durch Angebot
und Annahme zum Ausdruck, stellt diesbezüglich aber konstitutive Voraussetzungen
nicht auf.
Ungeachtet dessen kann sich die Revision zur Begründung eines Vertragsschlusses
mit dem Beklagten auch nicht mit Erfolg auf den Wortlaut beziehen.
Sie meint die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 StromGVV lägen in Bezug
auf die Mieter nicht vor, da diese den Strom gerade nicht aus dem Elektrizitätsversorgungsnetz
"der allgemeinen Versorgung", welches nicht bis zum Zähler
der einzelnen Wohnung reiche, sondern nur aus der "Kundenanlage" (§ 3
Nr. 24 Buchst. a und b EnWG) entnommen hätten. Dies trifft nicht zu.
Denn das in § 2 Abs. 2 StromGVV genannte Elektrizitätsversorgungsnetz
"der allgemeinen Versorgung", auf das sich die Grundversorgungspflicht erstreckt
(§ 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG), endet nicht am Hausanschluss, sondern ist
nach § 3 Nr. 17 EnWG gerade ein solches, das für die Versorgung jedes Letzt-
verbrauchers offen steht. Dieses Elektrizitätsversorgungsnetz ist damit allein
von den nicht jedem Letztverbraucher zugänglichen Arealnetzen beziehungsweise
geschlossenen Verteilernetzen im Sinne von § 110 EnWG, nicht aber von
der "Kundenanlage" zu unterscheiden (vgl. BT-Drucks. 15/5268, S. 117; Danner/
Theobald/Hartmann, Energierecht, Stand Mai 2019, § 2 StromGVV Rn. 19;
Kment/Schex, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. § 3 Rn. 37). Zudem spricht der
Wortlaut von § 2 Abs. 2 StromGVV von der "Entnahme" des Stroms. Nur der
Kunde, der Strom entnimmt, ist verpflichtet dies dem Grundversorger anzuzeigen.
Der Beklagte als Hauseigentümer hat aber gerade keinen - vom Zähler der
vermieteten Wohnung erfassten - Strom entnommen.
c) Die räumlich-technische Sichtweise der Revision, wonach zur Beurteilung
des Adressaten der Realofferte die Verfügungsgewalt über den "Hausanschluss"
(Netzanschluss, § 5 NAV) maßgebend sein soll (ebenso LG Saarbrücken,
und das Vertragsangebot des Grundversorgers an diesem Übergang zur Kundenanlage
(§ 3 Nr. 24 EnWG) ende, ist für die Frage, mit wem ein Stromlieferungsvertrag
zustande kommt, ohne Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 15.
Januar 2008 - VIII ZR 351/06,
Denn die Energie wird in der jeweiligen Wohnung bereit gestellt und entnommen.
Dies muss ein Mieter als Angebot des Versorgers und nicht des Eigentümers/
Vermieters verstehen. Die Annahme dieses Angebotes erfolgt - konkludent
- durch die Entnahme des Stroms. Bei regulärem Verlauf der Dinge erfolgt
diese Entnahme nicht am "Hausanschluss", sondern an den einzelnen
Entnahmeeinrichtungen in der Wohnung.
Nach Vorstehendem kommt es zur Bestimmung des Empfängers der
Realofferte auf die Frage, wer Inhaber des Netzanschlusses, der nach § 5 NAV
das Elektrizitätsversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung mit der elektrischen
Anlage des Anschlussnehmers verbindet ("Hausanschluss"), und der
elektrischen Anlage hinter der Hausanschlusssicherung (§ 13 NAV) ist, daher
grundsätzlich nicht an (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Januar 2008 - VIII ZR
351/06, aaO).
3. Hiernach wurde der Versorgungsvertrag nicht mit dem Beklagten geschlossen.
Gegenläufige Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall dennoch eindeutig
auf ihn als Vertragspartner der Klägerin weisen könnten (vgl. hierzu Senatsurteile
vom 2. Juli 2014 - VIII ZR 316/13, aaO Rn. 16; vom 22. Juli 2014
- VIII ZR 313/13, aaO Rn. 18), sind weder festgestellt noch ersichtlich.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:27.11.2019
Aktenzeichen:VIII ZR 165/18
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
NJW-RR 2020, 201-203
Normen in Titel:BGB §§ 133, 157; StromGVV § 2 Abs. 2; NDAV § 5