Gehwege im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts
letzte Aktualisierung: 05.08.2020
OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 4.2.2020 – 15 A 1621/17
KAG NRW § 8 Abs. 2
Gehwege im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts
1. Zu den Gehwegen im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts zählen grundsätzlich die den
Fußgängern und Fußgängerinnen vorbehaltenen Flächen. Dabei sind Mischnutzungen unschädlich,
wenn und soweit die Nutzung durch Fußgänger und Fußgängerinnen bei typisierender Betrachtung
überwiegt.
2. Durch eine ausschließlich straßenverkehrsrechtliche Regelung (Verkehrszeichen Nr. 315 der
Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO) verlieren die zum aufgesattelten Parken zulässigerweise nutzbaren
Flächen weder ihre beitragsrechtliche Eigenschaft als Gehweg auf der einen noch als Fahrbahn auf
der anderen Seite.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der
angefochtene Heranziehungsbescheid vom 22. September 2014 ist – auch – rechtmäßig, soweit er Gegenstand des
Berufungsverfahrens ist, und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (
Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers ist § 8 KAG NRW in Verbindung mit der
Straßenbaubeitragssatzung der Beklagten. Gemäß § 1 SBS i.V.m. § 8 Abs. 2 KAG NRW erhebt die Beklagte Beiträge
zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung, Erweiterung und Verbesserung von Anlagen im Bereich der
öffentlichen Straßen, Wege und Plätze und als Gegenleistung für die dadurch den Eigentümern und Eigentümerinnen
sowie Erbbauberechtigten der erschlossenen Grundstücke erwachsenden wirtschaftlichen Vorteile. Beitragsfähig ist
u.a. der Aufwand für die Herstellung, Erweiterung und Verbesserung von Fahrbahnen, Parkflächen, Radwegen und
Gehwegen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 SBS). Die Beitragssatzung der Beklagten legt in § 4 Abs. 3 die Anliegeranteile am
beitragsfähigen Aufwand im Falle von Haupterschließungsstraßen für die Teileinrichtungen Fahrbahn, Gehweg,
Radweg einschließlich Sicherheitsstreifen, Parkstreifen, Beleuchtung und Oberflächenentwässerung und
unselbständige Grünanlagen fest.
Ausgebaut wurde vorliegend lediglich der Gehweg auf der östlichen Straßenseite. Die Beklagte durfte die für dessen
Ausbau (dazu 1.) sowie die für die notwendigen Anpassungsarbeiten an der Entwässerungsrinne entstandenen
Kosten (dazu 2.) dem Kläger gegenüber satzungsgemäß abrechnen.
1. Im Berufungsverfahren allein noch streitig ist die beitragsrechtliche Einordnung der Flächen des Gehwegs, auf
denen das aufgesattelte Parken zulässig ist. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass auch diese Flächen
zur Teileinrichtung „Gehweg“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 e) SBS gehören.
a) Zu den Gehwegen im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts zählen grundsätzlich die den Fußgängern und
Fußgängerinnen vorbehaltenen Flächen.
Vgl. OVG, Urteil vom 31. Januar 1992 – 2 A 1471/88 –.
Dabei sind Mischnutzungen aber unschädlich, wenn und soweit die Nutzung durch Fußgänger und Fußgängerinnen
bei typisierender Betrachtung überwiegt. Ein gewisser Grad an Mischnutzung ist jeder flächenmäßigen Teileinrichtung
immanent. Zwar unterscheiden sich die unterschiedlichen flächenmäßigen Teileinrichtungen einer Anlage durch ihre
jeweilige spezifische Funktion. Allerdings lassen sich die jeweiligen (bei typisierender Betrachtung zulässigen)
Nutzungen nicht vollständig voneinander trennen. So dient etwa die Fahrbahn vorrangig dem fließenden
(Kraftfahrzeug-)Verkehr, gleichwohl ist etwa innerorts – abgesehen von bestimmten Bereichen – regelmäßig auch das
Parken auf der Fahrbahn erlaubt (vgl. § 12 StVO). Ebenso findet dort (jedenfalls bei fehlendem Radweg) Radverkehr
und auch Fußgängerverkehr statt. Letzteres betrifft nicht nur die Querung der Fahrbahn (§ 25 Abs. 3 StVO), sondern
auch die sonstige Nutzung zu Fuß – die etwa im Falle des Mitführens von Fahrzeugen oder sperrigen Gegenständen
ggf. geboten ist (vgl. § 25 Abs. 2 StVO). Radwege sind zwar in erster Linie für die Nutzung durch Fahrradfahrer und
Fahrradfahrerinnen bestimmt, gleichwohl dürfen sie auch mit Elektrokleinstfahrzeugen befahren werden (vgl. § 10
Abs. 1 und 2 Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung). Gehwege dürfen nicht nur zu Fuß, sondern auch mit Rollstühlen,
Rodelschlitten, Rollern, Kinderfahrrädern, Inline-Skates und Rollschuhen benutzt werden (vgl. § 24 StVO).
b) Der in Rede stehende Gehwegbereich dient bei der danach anzustellenden typisierenden Gesamtbetrachtung der
Fläche überwiegend dem Fußgängerverkehr. Eine bauliche bzw. optische Abtrennung eines dem Parken
„vorbehaltenen“, d.h. dieser Funktion vorrangig oder sogar ausschließlich zugeordneten Bereichs liegt nicht vor. Die
dafür zu nutzenden Flächen sind weder baulich (etwa durch abweichende Pflasterung) noch optisch (etwa durch eine
weiße Markierung) zur Fahrbahn und zum Gehweg hin abgegrenzt. Durch die rein straßenverkehrsrechtliche
Regelung verlieren die zum aufgesattelten Parken zulässigerweise nutzbaren Flächen weder ihre beitragsrechtliche
Eigenschaft als Gehweg auf der einen noch als Fahrbahn auf der anderen Seite.
Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von der Konstellation in OVG NRW, Urteil vom 31. Januar
1992 – 2 A 1471/88 –; anders noch OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 2015 – 15 B 422/15 –, juris Rn. 11 ff., in
einem die hier in Streit stehende Anlage betreffenden Eilverfahren.
Dementsprechend ist auch in tatsächlicher Hinsicht keine Fläche des Gehwegs dem Fußgängerverkehr eindeutig
entzogen. Vielmehr stehen, sofern keine Fahrzeuge in den fraglichen Bereichen abgestellt werden, diese
vollumfänglich für den Fußgängerverkehr zur Verfügung. Darüber hinaus ist die verbleibende Fläche des im fraglichen
Bereich durchschnittlich 2,37 m breiten Gehwegs, die für das Parken auf dem Gehweg (das lediglich mit Fahrzeugen
bis 2,8 t zulässiger Gesamtmasse erlaubt ist) nicht benötigt wird, dem Fußgängerverkehr vorbehalten. Dabei handelt
es sich ausweislich der von der Beklagten erstinstanzlich vorgelegten Neuberechnung um eine Breite von etwa 1,60
m. Die Beklagte ist dabei davon ausgegangen, dass ein Parkstreifen etwa 2,30 m breit wäre, von dieser Breite 0,75 m
auf die Entwässerungsrinne und von den verbleibenden 1,55 m die Hälfte auf den Gehwegbereich entfällt. Eine
Funktionsuntüchtigkeit des Gehwegs lässt sich bei dieser Sachlage nicht feststellen.
Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 8. Januar 2016 – 15 B 1239/15 –, juris Rn. 13 m.w.N., wonach ein
Gehweg erst ab Unterschreitung der Mindestbreite von 0,75 m als funktionsuntauglich und daher beitragsrechtlich
nicht mehrt existent behandelt werden muss.
c) Demgegenüber handelt es sich bei den beparkbaren Flächen des Gehwegs (und der Fahrbahn) nicht um
Parkflächen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 c) SBS.
Vorliegend sind baulich bzw. optisch lediglich die flächenmäßigen Teileinrichtungen Fahrbahn, Entwässerungsrinne
und Gehweg zu unterscheiden. Ein – etwa durch andersartige Pflasterung oder Fahrbahnmarkierungen –
abgrenzbarer Parkstreifen existiert hingegen nicht.
Zum Erfordernis der hinreichenden Abgrenzung siehe etwa OVG NRW, Urteile vom 29. November 1988 – 2 A
1678/86 –, juris Rn. 22, vom 31. Januar 1992 – 2 A 14471/88 –, und Beschluss vom 18. Januar 2016 – 15 A 2510/14
–, juris Rn. 26.
Auch eine Trennung des ruhenden vom fließenden Verkehr liegt nicht vor. Eine solche ist nicht allein deswegen zu
bejahen, weil in bestimmten Abschnitten der Straße H. Fahrzeuge unter teilweiser Inanspruchnahme der
Fahrbahn und des Gehwegs abgestellt werden dürfen. Diese Form des Parkens hat – jedenfalls dann, wenn es an
einer weiteren baulichen oder optischen Abgrenzung etwa durch andersartige Pflasterung oder
Fahrbahnmarkierungen des zulässigen Parkbereichs fehlt – verkehrlich vielmehr den gleichen oder zumindest einen
sehr ähnlichen Effekt wie das innerörtlich grundsätzlich zulässige Parken auf der Fahrbahn (vgl. § 12 StVO), das
gleichfalls nicht zu einer solchen Trennung führt.
Vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2015 – 15 B 730/15 –, juris Rn. 24, m.w.N.; Dietzel/Kallerhoff,
Das Straßenbeitragsrecht nach § 8 Kommunalabgabengesetz NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 128 m.w.N.
Auf die Breite der dem fließenden Verkehr verbleibenden Fahrbahn kommt es bei dieser Sachlage für die Einordnung
der Flächen als Parkstreifen nicht entscheidend an.
d) Es ist schließlich nicht zu beanstanden, dass keine gesonderte satzungsmäßige Erfassung erfolgt bzw. kein
besonderer satzungsmäßiger Anteilssatz für eine wie hier beparkbare Fläche des Gehwegs und der Fahrbahn
festgelegt wurde. Namentlich geht mit der Qualifizierung der gesamten hier ausgebauten Fläche als Gehweg keine
Verletzung des Vorteilsprinzips einher.
Straßenbaubeiträge werden gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW von den Grundstückseigentümern und
-eigentümerinnen als Gegenleistung dafür erhoben, dass ihnen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der
Anlage wirtschaftliche Vorteile geboten werden. Dementsprechend sind Beiträge gemäß § 8 Abs. 6 KAG NRW nach
den Vorteilen zu bemessen. Es gebietet, dass der Ortsgesetzgeber bei der Festsetzung des Gemeindeanteils das
Maß der schätzungsweise zu erwartenden Inanspruchnahme durch die Beitragspflichtigen und die Allgemeinheit und
damit die diesen beiden Gruppen jeweils zukommenden wirtschaftlichen Vorteile gerecht abwägt.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2011– 15 A 1643/10 –, juris Rn. 46 m.w.N.; OVGLSA, Beschluss vom
10. Dezember 2003 – 2 L 308/02 –, juris Rn. 5; vgl. ferner Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge,
10. Aufl. 2018, § 34 Rn. 10 m.w.N.
Das Verhältnis der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit für die Allgemeinheit und die Beitragspflichtigen gebotenen
wirtschaftlichen Vorteile kann sich u.a. bei den einzelnen Teileinrichtungen einer ausgebauten Anlage unterscheiden.
Vgl. OVG LSA, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 2 L 308/02 –, juris Rn. 5; Driehaus/Raden, Erschließungs- und
Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 34 Rn. 12 ff.
So ist etwa bei Gehwegen eine generell, d.h. unabhängig von der Straßenkategorie, vom Anliegerverkehr geprägte
Nutzung zu beobachten, die gebietet, die flächenmäßigen Teileinrichtungen „Gehweg“ einerseits und „Fahrbahn“
andererseits jedenfalls bei Straßen, die auf ihrer Fahrbahn vorwiegend örtlichen oder überörtlichen Kfz-
Durchgangsverkehr aufnehmen, beitragsrechtlich differenzierend zu behandeln.
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 16. August 2001 – 6 B 97.111 –, juris Rn. 18 ff.; Driehaus/Raden, Erschließungs- und
Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 34 Rn. 12.
Entsprechendes kann hinsichtlich der Teileinrichtungen „Radweg“ und „Gehweg“ gelten. Aus diesen Gründen kann es
geboten sein, etwa bei einem gemeinsam genutzten Geh- und Radweg sowie in der Konstellation, dass ein Gehweg
von Kraftfahrzeugen mitbenutzt werden kann und namentlich bei Gegenverkehr auch soll, einen selbständigen – die
oben dargestellten Aspekte berücksichtigenden – Anteilssatz festzulegen.
Siehe dazu jeweils Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 34 Rn. 16 f. m.w.N.
Ein vergleichbarer Fall liegt hier aber nicht vor. Denn sowohl das Parken als auch der Fußgängerverkehr kommen
erfahrungsgemäß in etwa gleichem Maße den Anliegern und Anliegerinnen zu Gute. Der durchgehende Verkehr
bedarf demgegenüber regelmäßig keiner Parkstreifen.
Vgl. Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 34 Rn. 23 m.w.N.
Dementsprechend sind auch in § 4 Abs. 3 SBS für Parkstreifen und Gehwege – für die jeweiligen Straßenarten
unterschiedlich hohe – jeweils identische Beitragssätze festgelegt.
2. Ausgehend von der Einordnung der gesamten ausgebauten Fläche als Gehweg im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 e)
SBS ist auch der für die Anpassungsarbeiten an der Entwässerungsrinne angefallene Aufwand beitragsfähig. Diese
Arbeiten dienten dazu, einen Anschluss der ausgebauten beitragsfähigen Teilanlage Gehweg an den angrenzenden
Straßenkörper zu schaffen.
Vgl. Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbeitragsrecht nach § 8 Kommunalabgabengesetz NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 414 f.
m.w.N.
Die Kostenentscheidung folgt aus
auf
Die Revision ist nicht nach
gegeben ist.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OVG Münster
Erscheinungsdatum:04.02.2020
Aktenzeichen:15 A 1621/17
Rechtsgebiete:Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
Normen in Titel:KAG NRW § 8 Abs. 2