Kammergericht 22. September 2022
1 W 348/22
GBO § 35; EuErbVO Art. 63 Abs. 2, 69 Abs. 2

Nachweis des unmittelbaren Eigentumserwerbs an einem einzelnen Nachlassgegen­stand durch dinglich wirkendes Vorausvermächtnis bzw. dinglich wirkende Teilungsanordnung aufgrund eines in Italien ausgestellten Europäischen Nachlasszeugnisses

GBO § 35; EuErbVO Art. 63 Abs. 2, 69 Abs. 2
Nachweis des unmittelbaren Eigentumserwerbs an einem einzelnen Nachlassgegen­stand durch dinglich wirkendes Vorausvermächtnis bzw. dinglich wirkende Teilungsanordnung aufgrund eines in Italien ausgestellten Europäischen Nachlasszeugnisses

Die Zuweisung eines Grundstücks an einen von mehreren Erben in Anlage IV Ziffer 9 eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist bei italienischem Erbstatut hinreichende Grundlage für eine berichtigende Eintragung des Erben als Alleineigentümer im Grundbuch.

KG, Beschl. v. 22.9.2022 – 1 W 348/22

Problem
Als Eigentümerin einer in Berlin belegenen Eigentumswohnung war eine italienische Staatsan­gehörige eingetragen. Diese ist mit letztem Wohnsitz in Italien verstorben. Durch Testament hatte sie mehrere Personen zu Erben eingesetzt und einem der Miterben die in Berlin belegene Eigen­tumswohnung zugewiesen. Über die Erbfolge wurde durch eine italienische Notarin ein Euro­päisches Nachlasszeugnis erstellt. In dem Nachlasszertifikat wurden mehrere Personen als Mit­erben ausgewiesen. Des Weiteren wurde dem Nachlasszeugnis das Formblatt V – Anlage IV „Stellung und Rechte des/der Erben“ beigefügt. Unter Ziffer 9 („dem Erben zu­gewiesene(r) Vermögenswert(e), für den/die eine Bescheinigung beantragt wurde“) wurde die Eigentumswohnung (gelegen in: S-Straße, Berlin (Deutschland), im Grundbuch von Friedrichshain eingetragen unter der Nummer ...) mit dem Hinweis eingetragen, dass diese einem bestimmten Mit­erben zugewiesen wurde.

Der begünstigte Miterbe beantragte beim Grundbuchamt in Berlin, dass er im Rahmen der Grundbuchberichtigung unmittelbar nach der Erblasserin als Alleineigentümer eingetragen wird und legte als Nachweis für seinen Eigentumserwerb das Europäische Nachlasszeugnis vor. Der Antrag wurde vom Grundbuchamt zurückgewiesen. Dieses vertrat die Ansicht, sämtliche Erben seien als Miterben einzutragen.

Entscheidung
Das Kammergericht dagegen hielt den Antrag für begründet. Zunächst wies das Gericht darauf hin, dass aufgrund gewöhnlichen Aufenthalts der Erblasserin in Italien gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO italienisches Recht anwendbar sei. Das italienische Recht sehe nicht nur vor, dass einem Erben durch Vorausvermächtnis das Eigentum an einer bestimmten Sache zugewandt werden könne, sodass das Eigentum an der Sache mit dem Tod des Erblassers von diesem auf den Vermächtnisnehmer übergehe, ohne dass es dazu einer Annahme bedürfe (Art. 649 Codice civile). Bei Einsetzung mehrerer Erben könne der Erblasser statt einer Teilungsanordnung, die die Erben nur schuldrechtlich binde (Art. 733 Codice civile), den Nachlass auch mit dinglicher Wir­kung selbst teilen (Art. 734 Codice civile). Ausweislich der Entscheidung des EuGH vom 12.10.2017 (C-218/16 – DNotI-Report 2017, 166 = DNotZ 2018, 33 „Kubicka“) seien die dinglichen Wirkungen eines Vindikations­legats nach Maßgabe des auf die Erbfolge anwendbaren Rechts auch in einem Mitgliedstaat anzuerkennen, dessen Recht einem Vermächtnis eine unmittelbare dinglichen Wirkung im Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls nicht zuerkennt. Das Kammergericht interpretierte die Erwähnung der in Berlin belegenen Eigentumswohnung unter Ziffer 9 des Formblatts V – Anlage IV zum Europäischen Nachlasszeugnis dahingehend, dass nach Ansicht der italienischen Notarin aufgrund des maßgeblichen italienischen Erbstatuts der Miterbe durch den Erbfall, jedenfalls aber mit Annahme der Erbschaft, Alleineigentümer der Wohnungseigentumseinheit geworden sei, ohne dass es hierfür einer weitergehenden Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bedürfe. Die Begriffe „Erbe“ und „Vermächtnisnehmer“ seien im Euro­päischen Nachlasszeugnis so zu verstehen, dass sie nur Erben, auf die der Nachlass unmittelbar mit der Erbfolge von Todes wegen übergehe, bzw. Empfänger dinglich wirkender Ver­mächtnisse erfassen (unter Bezugnahme auf OLG München ZEV 2017, 580 und OLG Nürnberg ZEV 2017, 579). Eine Eintragung unter Ziffer 9 des Formblatts V – Anlage IV zum Europäischen Nachlasszeugnis könne daher nicht den Fall eines schuldrechtlichen Anspruchs auf ent­sprechende Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft oder Übertragung eines Vermächtnis­gegenstands betreffen, sondern allein den unmittelbaren Eigentumserwerb – sofern die Eintragung nicht ausdrücklich anderes kenntlich mache.

Praktische Bedeutung
Nach alledem ergibt sich für die Praxis, dass Eintragungen im Europäischen Nachlasszeug­nis, wonach einem bestimmten Miterben oder einer dritten Person bestimmte Rechte bzw. Vermögensgegenstände zugewiesen sind, im Zweifel stets als unmittelbarer Vermögenserwerb durch diese Person auszulegen sind. Entsprechend können solche Eintragungen im deutschen Registerrecht als Nachweis für den Erwerb des Eigentums bzw. die Inhaberschaft an diesen Vermögensgegenstanden durch die bedachte Person verwandt werden (ebenso OLG München ZEV 2021, 179).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

Kammergericht

Erscheinungsdatum:

22.09.2022

Aktenzeichen:

1 W 348/22

Rechtsgebiete:

Grundbuchrecht
Deutsches IPR (EGBGB)

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 174-175

Normen in Titel:

GBO § 35; EuErbVO Art. 63 Abs. 2, 69 Abs. 2