BGH 19. Juni 2019
IV ZB 30/18
BGB §§ 133, 2247, 2267

Auslegung eines Testaments: „gleichzeitiges Ableben“

letzte Aktualisierung: 12.7.2019
BGH, Beschl. v. 19.6.2019 – IV ZB 30/18

BGB §§ 133, 2247, 2267
Auslegung eines Testaments: „gleichzeitiges Ableben“

Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem Schlusserben "für den Fall eines
gleichzeitigen Ablebens" eingesetzt wurden.

Gründe:

I. Die kinderlose Erblasserin starb am 5. Juli 2016; ihr Ehemann
war am 10. März 2015 vorverstorben. Die Beteiligte zu 1 ist die Cousine
der Erblasserin, die Beteiligten zu 2 bis 5 sind Nichte und Neffen des
Ehemannes der Erblasserin.

Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten am 1. Dezember 2002
handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie
sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatten. Am 7. März 2012 hatten
sie folgenden Text angefügt:

"Für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens ergänzen wir
unser Testament wie folgt:

Das Erbteil soll gleichmäßig unter unseren Neffen bzw.

Nichte [es folgen die Namen der Beteiligten zu 2 bis 5] aufgeteilt
werden."

Auf Antrag des Beteiligten zu 2 erteilte das Nachlassgericht einen
Erbschein, der die Beteiligten zu 2 bis 5 als Erben der Erblasserin zu je
1/4 auswies.

Die Beteiligte zu 1 hat daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht
die Einziehung des Erbscheins angeregt und die Ansicht vertreten, die
Testamentsergänzung sei keine allgemeine Schlusserbenregelung, sondern
betreffe lediglich den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute.

Mit Beschluss vom 14. September 2017 hat das Amtsgericht den
Erbschein eingezogen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete
Beschwerde der Beteiligten zu 2 bis 5 zurückgewiesen. Dagegen richtet
sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der
Beteiligten zu 2 bis 5, mit der sie eine Zurückverweisung der Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht begehren.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung (ErbR 2019,
183) ausgeführt, die Beteiligten zu 2 bis 5 seien nicht Erben geworden.

Die Testamentsergänzung vom 7. März 2012 bestimme eine Erbeinsetzung
lediglich für den Fall des gleichzeitigen Ablebens. Im Hinblick
auf die Frage, ob die Eheleute mit ihren letztwilligen Verfügungen auch
eine Regelung für den Fall hätten treffen wollen, dass sie im zeitlichen
Abstand versterben, seien die Testamente daher auslegungsbedürftig.

Die obergerichtliche Rechtsprechung, der sich der Senat anschließe,
lege die Formulierung "bei gleichzeitigem Ableben" oder "bei gleichzeitigem
Versterben" dahingehend aus, dass hiervon auch die Fälle erfasst
werden sollten, in welchen die Ehegatten innerhalb eines kurzen
Zeitraums nacheinander verstürben und der Überlebende in dieser Zeitspanne
daran gehindert sei, ein neues Testament zu errichten. Eine für
den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffene Erbeinsetzung gelte
aber grundsätzlich nicht für den hier vorliegenden Fall, dass die Ehegatten
nacheinander in erheblichem zeitlichen Abstand verstürben.

Eine Ausnahme von den oben ausgeführten Grundsätzen könne
nur angenommen werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des
Einzelfalls festgestellt werden könne, dass die Testierenden den Begriff
des "gleichzeitigen Ablebens" entgegen dem Wortsinn dahingehend verstanden
hätten, dass er auch das Versterben in erheblichem zeitlichen
Abstand umfassen solle, und wenn sich darüber hinaus eine Grundlage
in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen finde. Das sei hier nicht
der Fall.

Auch wenn man die in einer E-Mail des Beteiligten zu 5 geschilderten
Äußerungen der Erblasserin und ihres Ehemannes ihm gegenüber
als wahr unterstelle und infolgedessen von einem entsprechenden Erb-
lasserwillen ausgehe, dass die Erbeinsetzung auch das Versterben in
erheblichem zeitlichen Abstand umfassen solle, so sei dieser Wille dennoch
nicht formgerecht im Sinne der §§ 2247, 2267 BGB erklärt. Denn es
fehle an der für die Erfüllung der Form erforderlichen Grundlage oder
auch nur Andeutung im Testament. Entsprechende Motive, Erläuterungen
oder zusätzliche Bestimmungen enthalte das Testament nicht. Die
Formulierung "unseren Neffen bzw. Nichte" sowie die namentliche Nennung
böten keinen Hinweis auf eine Schlusserbeneinsetzung. Sie gäben
Auskunft über das Näheverhältnis der Eheleute zu den Beteiligten zu 2
bis 5 und darüber, dass auch die Erblasserin diese als "ihre" Neffen und
Nichte angesehen habe. Sie enthielten aber kein zeitliches Moment, das
Rückschlüsse auf eine Erbeinsetzung für ein Versterben auch bei zeitlich
erheblichem Abstand zulasse. Ein solches könne auch nicht in der fast
zehnjährigen Zeitspanne zwischen Testamentsergänzung und ursprünglicher
Testamentserrichtung gesehen werden. Der Auffassung des Oberlandesgerichts
Hamm (ZEV 2011, 427), wonach es im Rahmen der sogenannten
Andeutungstheorie ausreichen solle, wenn sich die Auslegungsnotwendigkeit
und die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut
herleiten lasse, folge der Senat nicht.

2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht festgestellt, dass die
Beteiligten zu 2 bis 5 in der Testamentsergänzung vom 7. März 2012
nicht generell als Schlusserben eingesetzt worden sind.

a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist das Beschwerdegericht
zutreffend davon ausgegangen, dass der wirkliche Wille des
Erblassers, der als Ergebnis der Testamentsauslegung zu ermitteln ist,
in der letztwilligen Verfügung angedeutet sein muss, um formwirksam
erklärt zu sein.

aa) Bei der Testamentsauslegung ist vor allem der wirkliche Wille
des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des
Ausdrucks zu haften (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2014
- IV ZR 31/14, ZEV 2015, 343 Rn. 16; Senatsurteil vom 24. Juni 2009
- IV ZR 202/07, FamRZ 2009, 1486 Rn. 25). Dieser Aufgabe kann der
Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse
des Wortlauts beschränkt (Senatsurteile vom 24. Juni 2009 aaO; vom
27. Februar 1985 - IVa ZR 136/83, BGHZ 94, 36 unter II 1 [juris Rn. 11];
vom 8. Dezember 1982 - IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 unter II 1 [juris
Rn. 16]). Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen
"hinterfragt" werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung
getragen werden soll (Senatsurteile vom 24. Juni 2009 aaO; vom
28. Januar 1987 - IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 unter 5 [juris
Rn. 17]). Dafür muss der Richter auch alle ihm aus dem Inbegriff der
mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde
heranziehen (vgl. Senatsurteile vom 16. Juli 1997 - IV ZR
356/96, ZEV 1997, 376 unter 3 [juris Rn. 12]; vom 7. Oktober 1992
- IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 unter 2 [juris Rn. 10]).

bb) Der Erblasserwille geht jedoch nur dann jeder anderen Interpretation,
die der Wortlaut zulassen würde, vor, falls er formgerecht erklärt
ist (vgl. Senatsurteile vom 24. Juni 2009 - IV ZR 202/07, FamRZ
2009, 1486 Rn. 25; vom 7. Oktober 1992 - IV ZR 160/91, NJW 1993, 256
unter 2 [juris Rn. 11]). Die Vorschriften über die Formen, in denen Verfügungen
von Todes wegen getroffen werden können, dienen insbesondere
dem Zweck, den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung kom-
men zu lassen, nach Möglichkeit die Selbständigkeit dieses Willens zu
verbürgen und die Echtheit seiner Erklärungen sicherzustellen. Die vorgeschriebenen
Formen sollen mit dazu beitragen, verantwortliches Testieren
zu fördern und Streitigkeiten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen
hintanzuhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 1981 - IVa ZB
6/80, BGHZ 80, 246 unter III [juris Rn. 17]).

Wenn der (mögliche) Wille des Erblassers in dem Testament auch
nicht andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist, ist
der unterstellte, aber nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers daher
unbeachtlich (vgl. Senatsbeschluss vom 9. April 1981 - IVa ZB 6/80,
BGHZ 80, 246 unter III [juris Rn. 13]). Eine Erbeinsetzung, die in dem
Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann den
aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sie ermangelt der gesetzlich
vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 Satz 1 BGB
nichtig (Senatsbeschluss vom 9. April 1981 - IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242
unter III [juris Rn. 16]). Ausgehend von dem allgemeinen für die Auslegung
letztwilliger Verfügungen geltenden Grundsatz, dass nur dem Willen
Geltung verschafft werden kann, der im Testament zum Ausdruck
gelangt, dort also eine, wenn auch noch so geringe, Grundlage findet,
muss daher im Hinblick auf eine in Frage stehende Anordnung des Erblassers
verlangt werden, dass für sie wenigstens gewisse Anhaltspunkte
in der letztwilligen Verfügung enthalten sind, die im Zusammenhang mit
den sonstigen heranzuziehenden Umständen außerhalb des Testaments
den entsprechenden Willen des Erblassers erkennen lassen (vgl. Senatsurteil
vom 24. Oktober 1979 - IV ZR 31/78, NJW 1980, 1276 unter I 4
[juris Rn. 27]).

Ein bestimmter Erblasserwille ist nicht bereits dadurch im Testament
angedeutet, dass dessen Wortlaut überhaupt auslegungsbedürftig
ist und sich die generelle Willensrichtung aus dem Wortlaut herleiten
lässt (a.A. OLG Hamm ZEV 2011, 427, 428 [juris Rn. 18]). Die Auslegungsbedürftigkeit
eines Begriffes zeigt nicht, wie dieser Begriff nach
dem Willen des Erblassers auszulegen sein soll.

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde konnte das Beschwerdegericht
bei seiner Auslegung den von den Beteiligten zu 2 bis 5
behaupteten Erblasserwillen, sie generell als Schlusserben einzusetzen,
als wahr unterstellen, statt zunächst im Wege der Beweisaufnahme zu
ermitteln, ob ein entsprechender Wille der Erblasserin und ihres Ehegatten
zur Zeit der Testamentserrichtung bestand. Wenn der Tatrichter bei
Wahrunterstellung von Parteivortrag zu den für die Auslegung maßgeblichen
Umständen zu dem Ergebnis kommt, dass ein entsprechender Erblasserwille
im Testament nicht zum Ausdruck komme, bedarf es keiner
Aufklärung des unterstellten Vortrages (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar
1987 - IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 unter I 6 [juris Rn. 22]). Die
vom Senat für richtig gehaltene Prüfungsreihenfolge (vgl. Senatsurteile
vom 27. Februar 1985 - IVa ZR 136/83, BGHZ 94, 36 unter II 1 [juris Rn.
10]; vom 8. Dezember 1982 - IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41 unter II 1 [juris
Rn. 18]) steht dem nicht entgegen (Senatsurteil vom 28. Januar 1987
- IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475 unter I 6 [juris Rn. 22]). Auch für das
vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) beherrschte Erbscheinsverfahren
entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass der
Tatrichter einen bestimmten Willen des Erblassers unterstellt, aber mangels
formgerechter Erklärung dieses Willens für unbeachtlich erklärt (vgl.
Senatsbeschluss vom 9. April 1981 - IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242 unter III
[juris Rn. 13]).

c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde schließlich geltend,
die Testamentsurkunde müsse dahingehend ausgelegt werden, dass darin
eine generelle Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 2 bis 5 angeordnet
worden sei.

aa) Die Aufgabe der Testamentsauslegung ist grundsätzlich dem
Tatrichter vorbehalten. Seine Auslegung kann aber mit der Rechtsbeschwerde
angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln,
allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften
verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017- IV ZB 15/16,
FamRZ 2017, 1716 Rn. 12 m.w.N.; st. Rspr.).

bb) Nach diesem Prüfungsmaßstab ist die Auslegung des Beschwerdegerichts
nicht zu beanstanden, dass auch bei Unterstellung eines
Erblasserwillens, die Beteiligten zu 2 bis 5 generell als Schlusserben
einzusetzen, der Testamentsurkunde keine Andeutung dieses Willens
entnommen werden kann.

Die Bestimmungen des Testaments ergeben weder einzeln noch in
ihrem Zusammenhang einen entsprechenden Anhaltspunkt. Entgegen
der Ansicht der Rechtsbeschwerde musste das Beschwerdegericht der
Bezeichnung der Beteiligten zu 2 bis 5 als "unsere" Neffen und Nichte
keine Andeutung einer generellen Schlusserbeneinsetzung entnehmen.
Aus dem darin auch nach Ansicht des Beschwerdegerichts zum Ausdruck
kommenden Näheverhältnis lässt sich nicht ableiten, unter welchen
Bedingungen der nahestehenden Person etwas zugewendet werden
soll. Die Bezeichnung deutet daher nicht an, dass entgegen dem
Wortsinn von "für den Fall eines gleichzeitigen Ablebens" eine generelle
Schlusserbeneinsetzung angeordnet wird. Ein besonderes Näheverhältnis
deutet nichts dazu an, unter welchen Bedingungen der nahestehenden
Person etwas zugewendet werden soll.

Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus geltend macht, dass
Umstände wie das Fehlen einer generellen Schlusserbeneinsetzung oder
die zehnjährige Zeitspanne zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung
der Eheleute und der Testamentsergänzung nach allgemeiner Lebenserfahrung
allein den Schluss zuließen, dass die Erblasserin und ihr Ehemann
die Beteiligten zu 2 bis 5 generell als Schlusserben hätten einsetzen
wollen, vermag dies dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen,
da das Beschwerdegericht einen entsprechenden Erblasserwillen bereits
unterstellt hat. Es hat lediglich die genannten Umstände in rechtlich nicht
zu beanstandender Weise als nicht ausreichend im Sinne eines im Testament
angedeuteten Erblasserwillens erachtet.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

19.06.2019

Aktenzeichen:

IV ZB 30/18

Rechtsgebiete:

Gemeinschaftliches Testament
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform

Erschienen in:

RNotZ 2019, 475-477
ZNotP 2020, 84-86
NotBZ 2019, 419-420
ZEV 2019, 477-478
Zerb 2019, 240-242

Normen in Titel:

BGB §§ 133, 2247, 2267